The Project Gutenberg EBook of Aus Trotzkopf's Ehe by Else Wildhagen This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org/license Title: Aus Trotzkopf's Ehe Author: Else Wildhagen Release Date: April 2, 2012 [Ebook #39350] Language: German Character set encoding: US-ASCII ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK AUS TROTZKOPF'S EHE*** [Illustration: Einband] [Illustration] [Illustration: Titelseite] AUS TROTZKOPF's EHE VON ELSE WILDHAGEN geb. FRIEDRICH-FRIEDRICH VERFASSERIN von "TROTZKOPF'S BRAUTZEIT" DRITTER BAND zum "TROTZKOPF" VON EMMY v. RHODEN (EMMY FRIEDRICH-FRIEDRICH) JLLUSTRIERT von WILLY PLANCK Vierzigste Auflage STUTTGART GUSTAV WEISE VERLAG Druck der Stuttgarter Vereins-Buchdruckerei. [Illustration: Ornament] "Onkel Heinz, Onkel Heinz," schallte es von hellen Kinderstimmen durcheinander, und ein Junge im Alter von zehn Jahren, nebst zwei kleinen Maedchen von acht und sieben Jahren, liefen einem Herrn entgegen, der die Tuer zum Kinderzimmer in Gontraus Hause geoeffnet hatte und hineinschaute. Sogleich wurde er von den dreien mit hellem Jubel umringt, der eine zerrte ihn hierhin, der andre dorthin; lachend versuchte er die Ungestuemen abzuwehren, aber da klammerten sie sich noch fester an ihn, und er kam nicht los. "Wollt ihr mich wohl loslassen, ihr Trabanten," rief er endlich; "wartet, ihr Kroeten, ich werde euch kommen!" Und er griff nach seinem Stocke. Da flogen sie kreischend auseinander; der Junge aber und das aelteste der beiden Maedchen, ein dunkellockiges Kind mit blitzenden, braunen Augen, warfen sich an die Erde und nun begann ein Raufen und Balgen, dass sie wie ein Knaeuel umherkollerten. "Aber Ruth, schaeme dich, gleich stehst du auf!" gebot Ilse, welche in diesem Augenblicke mit Nellie ebenfalls hereingekommen war, und reichte dann Onkel Heinz die Hand, der inzwischen die kleine, blonde Marianne emporgehoben hatte, welche ihre Aermchen fest um seinen Hals schlang. Ruth aber, Gontraus wilde Aelteste und ihr Freund Fritz, Rosis Junge, hatten sich hinter seinen Ruecken geschlichen, ihn zupfend und neckend, und wenn er sich umdrehte und sie fortjagen wollte, liefen sie mit lautem Geschrei zurueck. Das war ein Hauptspass. "Kinder, so seid doch endlich vernuenftig," legte sich Nellie jetzt ins Mittel, denn Onkel Heinz, der sich mit den beiden Frauen unterhalten wollte, hatte keinen Augenblick Ruhe. "Ja, nun hoert endlich auf," gebot auch Ilse ernstlich, und ihr gehorchten die Uebermuetigen. Dann wandte sie sich wieder an Onkel Heinz mit den Worten: "Warum waren Sie in den letzten Tagen nicht bei uns, Herr Professor?" "Ja, ja, das Arbeiten, das leidige Arbeiten, man kommt ja zu nichts," gab er zur Antwort. "Onkel Heinz, Onkel Heinz, sieh mal!" rief es nun schon wieder, und da stand Ruth in seinem Hut und Ueberzieher, die er beide auf einen Stuhl neben sich gelegt hatte. Das war etwas zum Totlachen fuer die Kinder, und bei dem komischen Anblick der kleinen Person in dem Hute bis ueber die Ohren und dem langen Rocke konnten auch die Grossen nicht ernst bleiben. Natuerlich ging's nun wieder an ein An- und Ausprobieren der Reihe nach, bis Ilse der Sache ein Ende machte. "Nun ist's genug," sagte sie; "kommen Sie, lieber Professor, wir gehen in mein Zimmer." "Nein, Onkel Heinz, bleibe bei uns, bleibe bei uns!" rief es von allen Seiten, und wie die Kletten hingen sich die Kleinen an ihn, zupften an seinem Barte, umklammerten seine Arme und hielten ihn daran fest, dass er nicht von der Stelle konnte. Ruth war die Tollste, sie ruhte nicht eher, bis er am Boden lag. Im Nu warfen sich die Kinder ueber ihn her, ihn zwickend und kneifend. Das war ein Schreien, sie hatten alle hochrote Backen, und der arme Onkel konnte vor Lachen nicht dazu kommen, sie abzuwehren, bis er schliesslich doch Gewalt gebrauchen musste, und ein Machtwort von Frau Ilse ihn von der wilden Horde befreite. Selbst Marianne, die zarte, sanfte Kleine, wurde von der Ausgelassenheit mit angesteckt, ihr und den uebrigen hingen die Haare wirr um den Kopf, und aus den lebenspruehenden Kindergesichtern leuchtete die helle Freude ueber den gut gelungenen Spektakel. "Ihr seid eine Gesellschaft," sagte Ilse kopfschuettelnd, aber solche Szenen waren ihr nichts Ungewohntes, wenn Onkel Heinz auf der Bildflaeche erschien. "O, wie haben die Kinder Sie zerzaust," meinte Nellie, als sie den Professor ansah. "Ja, ja, Pruegel muessen sie haben," rief er ihnen mit scheinbar boesem Gesichte zu, doch sie merkten, wie es gemeint war, sie sahen ja seine lustig zwinkernden Augen und wussten genau, so schaute er nicht aus, wenn er ernstlich boese war. Und nun zog er sich seine Manschetten zurecht, die ihm bis auf die Haende gerutscht waren, rueckte an seiner Brille und fuhr mit der Hand ueber sein kurzgeschorenes Haar, als wollte er fuehlen, ob diese Stoppeln bei dem Kampfe nicht auch in Unordnung geraten waeren, aber sie standen nach wie vor gerade in die Hoehe, tadellos in Reih und Glied. "Mutter, duerfen wir nicht mit euch gehen, bitte, bitte?" fragte Ruth, und die andern bettelten ebenfalls. "Wir haben Onkel Heinz so lange nicht gesehen," quaelte sie, als die Mutter keine Miene machte, ihre Bitte zu erfuellen. "Da lassen Sie man die Kroeten mitkommen," legte er sich nun auch ins Mittel, denn er konnte nicht gut sehen, dass seinem Patenkinde und Liebling Ruth etwas abgeschlagen wurde. "Kinder, da muesst ihr aber auch ruhig und artig sein," gebot Nellie, ihnen damit schon ihre Erlaubnis erteilend, doch Ilse bestimmte energisch, dass sie in der Kinderstube bleiben sollten. Ohne weiteres fuegten sich Marianne und Fritz, aber Ruth zog ein arges Gesicht und gab sich erst dann zufrieden, als Onkel Heinz ihr verstohlen zufluesterte, dass sie morgen zu ihm kommen und sich etwas Schoenes holen sollte. Einige Minuten spaeter sassen Ilse und Nellie mit dem Professor in dem grossen Wohnzimmer in einer behaglichen Ecke im lebhaften Gespraeche. Seitdem wir sie an ihrem Hochzeitstage verliessen, hatte Ilse sich wenig veraendert. Als sie jetzt leicht und schnell durch das Zimmer schritt, waren es noch ganz ihre alten Bewegungen; nur ihre Gestalt war etwas voller geworden, und die wilden Locken von einst wurden in einem Knoten gebaendigt. Doch ganz waren sie nicht verschwunden; wo es ging, kamen sie hervor, kraeuselten sich im Nacken, auf der Stirn und fielen ueber ihre reizenden kleinen Ohren, zum Aerger Leos, von dem es eine gewohnheitsmaessige Handbewegung war, sie fortzustreichen; denn er liebte es, ihr Ohr zu sehen, und behauptete, zum Gesichte gehoere auch das Ohr, ebensogut wie die Nase, und es verloere an charakteristischem Ausdruck, wenn das Ohr nicht zu sehen waere. Die frischen Farben hatte Frau Ilse noch ebensoschoen wie frueher, aber die energisch geschwungene Linie der Oberlippe schien etwas weicher geworden zu sein; ja, es kam vor, dass ihr Ausdruck ein geradezu sanfter war, doch das durfte man ihr nicht sagen, denn "sanft" und "dumm" stellte sie in eine Reihe. "Eine sanfte Frau bin ich nun einmal nicht und werde es auch nie," meinte sie, wenn die Rede darauf kam, und da hatte sie auch recht. Nur bei einem einzigen Wesen liess sie "sanft" ohne den wenig schmeichelhaften Zusatz gelten, und das war bei ihrer Herzensfreundin Nellie. Diese hatte in allen Lebenslagen nur durch Sanftmut geherrscht und gesiegt. An ihr waren die Jahre nicht spurlos voruebergegangen wie an Ilse. Der alte Schelm in den Gruebchen kam nicht mehr so oft zum Vorschein wie frueher, dagegen hatten sich um die Mundwinkel einige scharfe Linien eingepraegt, die ihr leicht einen leidenden Zug gaben. Seit einigen Jahren lebten die Freundinnen wieder an einem Orte zusammen, und vor nicht langer Zeit war auch Rosi hinzugekommen, die jetzt eine wuerdige Frau Superintendentin geworden war. Althoff hatte als Direktor am staedtischen Gymnasium Karriere gemacht und konnte sich sein Leben in jeder Beziehung angenehm gestalten. Aber leider machten ihm seine Nerven manchmal zu schaffen; er war leicht gereizt, und da er bei seiner Frau niemals auf Widerstand stiess, sondern immer die lebhafteste Teilnahme fuer die geringfuegigste Klage fand, nahm er sich auch nicht im mindesten zusammen. "Du verwoehnst deinen Mann zu sehr," bemerkte Ilse oft, aber Nellie sah das nicht ein. Warum sollte sie denn nicht alles fuer ihn tun? Kinder, fuer die sie haette sorgen koennen, besass sie zu ihrem groessten Kummer nicht, sie musste aber jemand haben, dessen Pflege sie sich ganz und gar hingab, das lag nun einmal in ihrer Natur. Zu Ilse kam sie fast taeglich, spielte mit den Kindern oder holte sie zu sich, denn sie hingen mit der groessten Liebe an ihr. In der Daemmerstunde erschien auch haeufig der Professor bei Gontraus, und meistens forderte Ilse sie beide auf, zum Tee dazubleiben. Althoff wurde dann geholt, d. h. Nellie holte ihn selbst, denn sie musste ja erst sehen, ob er in der Stimmung war auszugehen oder nicht. Auch heute noetigte Ilse zum Bleiben. "Es ist ein so koestlicher Abend, ihr bleibt hier," entschied sie und oeffnete weit die Fenster, damit die milde Fruehlingsluft hereinstroemen konnte. Auf der aeussersten Spitze des Birnbaumes draussen wiegte sich ein Starmaetzchen und sang aus voller Kehle in klaren und floetenden Toenen, aehnlich denen der Nachtigall, nur weniger melancholisch. Die Daemmerung senkte sich jetzt wie ein leichter Schleier auf die fruehlingslichte Natur, und am Horizonte erschien mattglaenzend die silberne Mondsichel. Der Professor hatte wie immer viele Ausfluechte, er habe keine Zeit, und zu Hause warte ein Haufen Arbeit auf ihn. Aber Ilse liess nicht locker, sie kannte ihn, er liess sich gerne zureden. "Ach Gott, Sie haben auch immer zu tun," rief sie ungeduldig, denn sie wusste, dass er schliesslich doch bleiben wuerde. "Ja, Frau Gontrau, ich habe immer zu tun," wiederholte er mit einigem Nachdruck, "das ist auch recht gut." "Aber heute kann man doch nicht hinter den staubigen Buechern sitzen! Sehen Sie doch nur hier diesen wonnigen Fruehlingsabend, wie das duftet, wie die Voegel zwitschern, das ist ja alles viel schoener, als Ihr alter Buecherkram." "Buecherkram? Wieso alter Buecherkram?" fragte er, die Worte "alter" und "Kram" besonders betonend, waehrend er anfing die Spitze seines dunklen Kinnbartes zu drehen. Das war aber das sicherste Zeichen seines Unwillens, Ilse kannte es genau. "Mit Buecherkram gebe ich mich nicht ab," fuhr er fort. "Herrgott, Onkel Heinz, nun seien Sie nicht empfindlich, so habe ich das nicht gemeint. Aber Sie duerfen nicht immer arbeiten, Sie muessen doch auch mal ausruhen." "Ich weiss am besten, was ich tun muss," erwiderte er nicht gerade freundlich, doch Ilse liess sich dadurch nicht einschuechtern, sie kannte seine Art. In den sechs Jahren, so lange sie in L. wohnten, wo sich Gontrau als Dozent an der Universitaet niedergelassen hatte, nachdem er einige Jahre in B. als Assessor taetig gewesen war, kam der Professor Fuchs, oder Onkel Heinz, wie ihn die Kinder nannten, als haeufigster Gast zu ihnen ins Haus. Er hatte sie bei ihrem Einzuge am Bahnhof in Empfang genommen, er hatte mitgeholfen die Wohnung einzurichten, und jeden Nagel, den Leo muehsam in die Wand geschlagen hatte, zog er wieder heraus, weil Leo das naemlich nach seiner Meinung absolut nicht verstand. Denn er behauptete, zuerst muesste mit dem Steinmeissel ein Loch geschlagen werden, da hinein kaeme ein Holzpfloeckchen und dann erst der Nagel. Wenn das nun auch mit einer grossen Umstaendlichkeit geschah, so hatte er wenigstens die Genugtuung, dass seine eingeschlagenen Naegel sich noch nicht von der Stelle geruehrt hatten. Trotz aller Gelehrsamkeit war er eine praktischere Natur als Leo und ging Ilse mit Rat und Tat zur Hand, so dass sie schliesslich bei vielen Dingen nicht ohne ihn fertig werden konnte. Aber sie kamen fast niemals zusammen, ohne einen kleinen Streit miteinander zu haben. Er hatte eine rechthaberische und spoettische Art, und wenn Ilse nicht gut auf ihn zu sprechen war, nannte sie ihn einen "wunderlichen alten Junggesellen", obgleich er nur wenige Jahre aelter als Leo war. Die beiden kannten sich noch von der Universitaet her, hatten in einem Hause zusammen gewohnt und sich trotz der Verschiedenheit der Charaktere doch immer gut verstanden. Das, was ihm in Ilses Herzen einen dauernden Platz verschaffte, war seine ruehrende Liebe zu den Kindern. "Sie sind meine beste Erholung," pflegte er zu sagen. Er ging mit ihnen spazieren, sie besuchten ihn, er zeigte ihnen Bilder, Marken, Schmetterlinge, er tollte mit ihnen und war ihr bester Freund. Ruth, sein Liebling, durfte sich alles herausnehmen, dafuer besass er aber auch die ganze Zuneigung ihres Kinderherzens. - Nellie hatte sich inzwischen erhoben, um nach Hause zu gehen und Fred selbst zu holen. "Ich kann ja das Maedchen schicken," meinte Ilse, aber Nellie liess das nicht zu. "Ich weiss nicht recht, ob Fred nicht noch zu tun hat heute abend, ich will deshalb lieber selbst gehen," antwortete sie ausweichend. Doch in Wirklichkeit arbeitete Althoff selten abends und war immer gern bereit, nach Gontraus zu kommen. Als sich Nellie verabschiedete, schickte sich auch der Professor zum Gehen an. "Sie bleiben auf jeden Fall," sagte Ilse, ihn zurueckhaltend, und wies jeden Einwand, den er machen wollte, zurueck. "Wissen Sie was," rief sie ploetzlich, "ich habe heute morgen Waldmeister gekauft, wir brauen uns eine kleine Bowle, die erste Maibowle in diesem Jahre, Onkel Heinz - koennen Sie da widerstehen?" Er lachte. Die gemuetlichen Bowlen bei Gontraus kannte er zur Genuege. Die Geister, die ihnen entstiegen, waren nicht truebselig, es waren die des Frohsinns und der Heiterkeit, und Onkel Heinz konnte heiter, sogar ausgelassen sein, doch nur im intimsten Kreise. Fremde Menschen nannten ihn unzugaenglich, ja unliebenswuerdig, und liessen ihn bald als "komischen Kauz" ganz links liegen. Deshalb mied er auch die Menschen, und es kostete stets Kaempfe, ihn heranzuziehen, wenn eine groessere Gesellschaft versammelt war. Ilse hatte nicht umsonst die Maibowle als Lockmittel gebraucht, denn ohne langes Zaudern willigte der Professor nun ein, zu bleiben. "Ja, dann bleibt mir wohl nichts andres uebrig als dazubleiben," sagte er vergnuegt, "aber die Bowle will ich selbst machen, Gontrau kann das nicht, er macht sie regelmaessig zu suess." "Natuerlich, natuerlich," sagte Ilse, "doch dann muessen Sie mit in die Kueche kommen, Onkel Heinz." Er folgte ihr und traf nun in umstaendlichster Weise seine Vorbereitungen. Die Kinder hatten nur auf den Augenblick gewartet, dass Onkel Heinz draussen erschien, und jetzt waren sie wieder alle um ihn versammelt. Ruth hatte ihm eine grosse, weisse Kuechenschuerze umgebunden, Marianne kletterte auf einen Stuhl und beugte das Koepfchen tief ueber die Terrine, aus welcher schon der aromatische Duft der Maikraeuter emporstieg, und Fritz fehlte natuerlich auch nicht dabei. Endlich, nach vielem Probieren von Onkel Heinz, war die Bowle fertig und mit Kennermiene fuehrte er nocheinmal ein Glas an den Mund - sie war gut geraten. "Na, nun wollt ihr Kroeten wohl auch schmecken?" fragte er. "Ja! ja! bitte, Onkel Heinz!" riefen sie durcheinander, und zugleich wollten alle nach dem frisch gefuellten Glase greifen, das er hoch in der Luft hielt, damit sie es ihm nicht entreissen konnten. "Herrgott, so wartet doch, einer nach dem andern, sonst kriegt ihr gar nichts!" Damit draengte er die verlangenden Kinderhaende zurueck, und der Reihe nach bekam jedes zu kosten. Bei dem einen Glase blieb es natuerlich nicht, Onkel Heinz fuellte noch einige Male nach. "Das schmeckt wohl, ja, das glaube ich," sagte er schmunzelnd und freute sich ueber den guten Zug des Jungen, der zu den schoensten Hoffnungen berechtigte. "Aber, bester Professor, wie koennen Sie nur den Kindern so viel Bowle zu trinken geben," rief Ilse, als sie jetzt hinzukam und den kraeftigen Schluck, den Fritz soeben aus dem vollen Glase tat, bemerkte. "Das schadet ihnen doch nichts," entgegnete Onkel Heinz. "Ach natuerlich, Kinder duerfen keinen Alkohol bekommen, der ist ihnen schaedlich!" "Schaedlich? Dummes Zeug! Was soll ihnen dabei schaedlich sein, wer sagt das?" "Nun unser Arzt behauptet es," gab Ilse zur Antwort. "Na ja, die Aerzte!" fiel Onkel Heinz mit hoehnischem Lachen ein; "wenn die so etwas behaupten, koennen Sie dreist das Gegenteil tun, denn meistens ist es nur Unsinn." Ilse aergerte sich ueber seine absprechende Weise, aber sie schwieg dazu, ihre Laune war an diesem schoenen Abend eine zu gute, und die wollte sie sich nicht verderben lassen; denn wenn sie mit dem Professor einmal ueber diesen Punkt in Streit geriet, wie schon so oft, blieb doch auf beiden Seiten eine kleine Missstimmung zurueck. Und deshalb sagte sie nichts, schickte Fritz nach Hause und die Kinder zu Bett. Dem Quaelen und Betteln von Ruth, ob sie nicht noch ein wenig aufbleiben koennte, setzte sie ein unerschuetterliches "Nein" entgegen. Einige Zeit spaeter sassen die Freunde bei der Bowle vergnuegt zusammen, und Onkel Heinz heimste von allen Seiten das Lob ueber das gute Gelingen derselben ein. Im Zimmer wurde es schon ganz daemmerig, aber draussen war es noch hell und licht, ein wonniger Fruehlingsabend. Jeder empfand in seiner Weise den Zauber desselben, einer oder der andre sass manchmal stumm und blickte durch das offene Fenster hinaus. In dem Birnbaume davor floetete jetzt eine Nachtigall ihr melancholisches Lied und der Mond hob sich hellglaenzend vom Himmel ab. "Schatz, ist es nicht herrlich heute abend?" fragte Leo und sah seine Ilse uebergluecklich an. Die Freude ueber das gemuetliche Zusammensein blickte ihm so recht lebhaft aus den Augen. "Althoff, Sie trinken ja gar nicht, trinken Sie doch mal aus," mahnte er den Direktor, aber Nellie, die mit Argusaugen darueber wachte, dass Fred ja nicht zu viel trank, fluesterte ihm leise zu, dass er daran denken solle, wie leicht er nach solchem Getraenke Kopfschmerzen bekaeme. Ilse hatte die leise Warnung gehoert. "Nellie, Nellie, immer musst du mit deinem Manne tuscheln, das ist gar nicht erlaubt," rief sie mahnend und schenkte dem Direktor nochmals eigenhaendig ein. "O," sagte seine Frau mit einem aengstlichen Blick auf das frischgefuellte Glas, aber da nahm sie schon wieder eine andre Sorge um Fred in Anspruch. Er sass so nahe am Fenster, ein leichtes Zusammenziehen seiner Schultern hielt sie fuer Froesteln, und besorgt fragte sie, ob er nicht lieber den Platz mit ihr wechseln wolle, es kaeme gerade, wo er saesse, ein kuehler Luftzug herein. Leo sprang dienstbereit auf, das Fenster zu schliessen, Althoff und der Professor waren aber entschieden dagegen, letzterer mit einer spoettischen Bemerkung, gegen die niemand etwas sagte. Man kannte ihn ja! "Nein, nein, kein Licht, Marie," rief Ilse, als das Maedchen jetzt die Lampe hereinbrachte und sich der blaeuliche Mondesschimmer mit dem gelblichen Scheine unschoen vermischte. Jetzt so in der duftigen Helle da draussen hinzuwandern, in die fruehlingsfrische Nacht hinein, den Berg hinauf, durch den lichten Wald, immer weiter, weiter, dem matten Glanze folgend, einsam, still, unbelauscht zu sein, ganz in der goettlichen Natur, o das waere eine Wonne! So dachte Ilse in diesem Augenblicke, und der Zauber dieses Gedankens verfolgte sie fortwaehrend. Sie hoerte nur mit halbem Ohre hin, als Althoff von der neuesten Unerhoertheit eines Primaners erzaehlte, ueber dessen Haupte die Entlassung aus der Schule schwebte, und Onkel Heinz seine Ansicht ueber Paedagogik, die von der des Direktors sehr abweichend war, kundgab. Sie empfand eine Sehnsucht hinaus, einen Drang, etwas Besonderes zu unternehmen, wie man ihn fuehlt, wenn die Begeisterung dem Menschen Fluegel zu verleihen scheint, sich ueber das alltaegliche zu erheben. In solcher Stimmung war Frau Ilse, und waehrend Leo und Nellie glaubten, dass sie gleich ihnen den immer lebhafter gewordenen Streit zwischen dem Direktor und dem Professor verfolgte, entspann sich in ihrem Gehirn ein abenteuerlicher Plan. "Kinder," rief sie ploetzlich laut und erregt, "ich habe eine Idee!" Onkel Heinz war gerade dabei, dem Direktor lang und breit auseinanderzusetzen, inwiefern der Unterricht fuer die Kinder ein andrer werden muesse, als Ilse mit ihrem Ausrufe hineinplatzte und alles Interesse sich ihr zuwandte. "Darling, was hast du fuer eine Idee?" fragte Nellie. "Famos, famos!" jubelte Ilse. "Aber ihr muesst mir versprechen, dass ihr nicht nein sagt, wollt ihr das?" "Da koennten wir ja schoen reinfallen," sagte Onkel Heinz, und Leo lachte: "Ja, Schatz, fuer so unvorsichtig wirst du uns doch nicht halten." "Also hoert," fuhr Ilse fort, "in vier Tagen haben wir Vollmond -" "In fuenf Tagen," verbesserte der Professor ruhig. "Nein, in vier, ich habe noch heute im Kalender nachgesehen; ueberhaupt, Onkel Heinz, unterbrechen Sie mich nicht. Also in vier Tagen haben wir Vollmond, was meint ihr dazu, wenn wir eine Partie auf den Schneekopf machten, aber in der Nacht. Denkt euch doch nur - im Mondenscheine, wie poetisch, wie romantisch!" Man war solche Einfaelle von Ilse gewoehnt, aber doch erregte dieser ploetzliche Vorschlag ein Hin und Wider. Man erhob allerlei Einwaende, der Weg sei zu weit, zu beschwerlich, die Idee zu abenteuerlich, um ausfuehrbar zu sein, aber Ilse wusste auf alle Bedenken einen Ausweg, sie malte ihnen in den gluehendsten Farben aus, wie schoen es sein wuerde, bis sie schliesslich mit ihrer Begeisterung ansteckend wirkte. Leo war innerlich schon ganz bereit, er fand die Idee seiner kleinen Frau ausserordentlich verstaendig und liess deshalb die andern soviel reden, als sie wollten. Stillschweigend holte er die Karte und das Kursbuch aus seinem Zimmer, und ohne die Zustimmung eines jeden abzuwarten, wurde der Plan entworfen. Nellie hegte doch einige Bedenken, ob ihrem Fred der naechtliche Weg gut bekommen wuerde, aber sie wollte nicht widersprechen, als sie merkte, dass er bereit war, teilzunehmen, eine Ausspannung wuerde ihm ja auch sehr gut sein. So war man denn bald im besten Zuge und ging schon auf die Einzelheiten der Partie ueber, die am naechsten Sonnabend und Sonntag stattfinden sollte, als Onkel Heinz ploetzlich damit herausrueckte, dass er nicht mitgehen wuerde, er habe zu arbeiten, er koenne sich nicht losmachen. Da brach aber ein wahrer Sturm ueber sein Haupt los! "Ach, Heinz, nun mach keine Geschichten, du gehst auf jeden Fall mit," sagte Leo kategorisch, denn er wusste genau, dass er es schliesslich doch tat. "Was mache ich denn fuer Geschichten, Gontrau," erwiderte Onkel Heinz mit einigem Nachdruck, "was soll das heissen, Geschichten machen? Ich habe eben zu tun und kann deshalb nicht mit. Was habt ihr denn ueberhaupt davon, ob ich mitgehe oder nicht!" "Natuerlich haben wir etwas davon," sagte Ilse lustig herausfordernd, "ich haette ja sonst niemand, den ich aergern koennte." "Ja, da haben Sie recht," gab er zur Antwort und der Ton, mit dem er das sagte, hatte fast eine wehmuetige Faerbung. "Deshalb keine Feindschaft, Onkel Heinz," lachte Ilse und erhob ihr Glas, um mit ihm anzustossen, denn sie hatte gemerkt, dass ihn ihre Neckerei empfindlich beruehrte. "Und nicht wahr, Sie gehen mit?" Dem liebenswuerdigen Blicke, mit dem Ilse ihre Frage begleitete, konnte er nicht widerstehen. "Ja, dann kann ich wohl nicht anders," sagte er befriedigt. Es war spaet geworden, als sich die Freunde trennten, denn ueber die bevorstehende Partie gab es noch eine Menge zu beraten und zu ueberlegen. Zum Schluss kam Ilse noch auf die Idee, Rosi mit ihrem Manne auch aufzufordern. "Dann bleibe ich doch lieber zu Hause," sagte Onkel Heinz, denn die Pastorin war nicht seine beste Freundin. "Aber glaubst du denn, dass die mitgehen?" lachte Leo. Er hatte laengst erkannt, dass Ilse nur hoeren wollte, was Rosi, die ehrwuerdige Superintendentin, zu ihrem phantastischen Plane sagen wuerde. Und so war es auch! * * * In dem huebschen Pfarrhause, das der Kirche gegenueber lag, sass Frau Rosi auf ihrem erhoehten Platze am Fenster. Vor ihr stand ein grosser Korb mit Struempfen; einen davon hatte sie gerade ueber die Hand gezogen, und eifrig flog die Nadel auf und nieder. Sie war noch immer die alte Rosi! Moden und Neuerungen gingen an ihr ziemlich spurlos vorueber, sie war eins von den Menschenkindern, die niemals jung aussehen, und bei denen man schon als Kind ganz genau wissen konnte, wie sie mit 40 Jahren sein wuerden. Alles trug bei der Superintendentin einen konservativen Anstrich; sie war kein Kind ihrer Zeit, sie hielt jeden Fortschritt fuer suendhaft und wies ihn mit den Worten zurueck: "Wir sind so lange ohne das fertig geworden, dass wir es jetzt auch entbehren koennen." Wenn es nach ihr ging, hoerte alles Streben auf. Jetzt, wie sie so da sass, tadellos und gerade, wie wir sie kennen, machte sie nicht den Eindruck, als ob sie eine Altersgenossin von den Freundinnen waere. In dem Zimmer waren die Moebel in Reihe und Glied geordnet, vor dem roten Plueschsofa stand der Tisch mit einer ebensolchen Plueschdecke, und vier Plueschsessel umgaben ihn steif und langweilig. Alles war gut und gediegen, aber man suchte unwillkuerlich, ob nicht irgend etwas den individuellen Geschmack der Bewohnerin verriete, etwa eine Besonderheit in der Ausschmueckung der Raeume, irgend eine Liebhaberei, eine Geschmacksrichtung in den Bildern an der Wand - nichts dergleichen. Wie eine drueckende Atmosphaere lag es ueber dem Ganzen, und feinfuehlende Seelen wuerden in diesem Zimmer eine Art Niedergeschlagenheit empfunden haben. Pflanzen standen nicht am Fenster, Rosi hatte, wie sie behauptete, zuviel mit der Pflege ihrer Kinder und mit dem Haushalte zu tun, um auch fuer diese Lebewesen noch sorgen zu koennen. Aber an gestickten und gehaekelten Gegenstaenden war das Zimmer reich, gestickte Sprueche an den Waenden, gestickte Kissen auf dem Sofa, auf den Stuehlen und an der Erde. Der Ofenschirm zeigte ein gesticktes Ritterfraeulein auf gruenem Grunde, gehaekelte Decken lagen ueberall, wo es nur irgend moeglich war, gestickt war natuerlich auch die ueber die Kanne gezogene Kaffeemuetze, kurz ueberall, wohin das Auge blickte, sah man die Spuren stickender, strickender, haekelnder Haende, wodurch dem ganzen der Stempel des Philistroesen aufgedrueckt wurde. Wie viele Tanten und Basen waren auch zu Weihnachten fuer die Pastorin taetig! Der Geschmack kam dabei nicht in Betracht, nur selbstgearbeitet musste es sein, darauf legte Rosi den groessten Wert. Sie selbst war in der Weihnachtszeit von einem unheimlichen Fleisse, sie naehte vom Morgen bis zum Abende fuer jeden etwas und waere es auch noch so unnuetz. Nach dem Buche war Rosi eine Musterfrau, und was ihr der Neid lassen musste, sie sorgte auch fuer andre mit vieler Umsicht, sie besuchte die Kranken und brachte ihnen Staerkendes; sie war auch in allen wohltaetigen Vereinen. Ob alles dieses aber aus tiefinnerstem Drange geschah, oder nur aus Pflichtgefuehl, das war zweifelhaft. Sie sprach viel von Pflicht, sie fuehrte das Wort immer im Munde. Auch jetzt schien sie von ihrem Pflichtgefuehle beseelt zu sein, denn ein Strumpf nach dem andern wurde vorgenommen, und ohne Unterbrechung ging das so fort. Sie hob kaum den Kopf und hatte keinen Blick fuer die warme Fruehlingssonne draussen, die neugierig zu ihr hereinsah, in hellen Strahlen auf dem Fussboden spielte, und sich sogar an die Plueschsessel wagte, so dass deren stumpfes Rot feurig aufleuchtete. Jetzt wurde die Tuer aufgerissen und Fritz stuermte ins Zimmer. Rosi drehte sich unwirsch herum. "Du sollst nicht immer so laut hereinkommen," sagte sie aergerlich; "wie oft habe ich dir das schon gesagt, Fritz!" Fritz, aus dessen blauen Augen noch eben die volle Lust gestrahlt hatte, legte jetzt seine Mappe und Muetze still auf den Stuhl und trat zur Mutter, die ihm ihre Wange zum Kusse reichte. Dann arbeitete sie weiter. "Nun, wie war es, konntest du deine Sachen?" "Ja, Mutter, alles." "Wie viele Fehler hast du im Extemporale?" Kleinlaut fluesterte er: "Sieben." Jetzt liess sie die Hand mit dem Strumpf in den Schoss fallen und sah ihn an. "Siehst du, das kommt davon, wenn man bis in die sinkende Nacht fortbleibt und nicht an das Arbeiten denkt." "Es war so schoen bei Tante Ilse," warf Fritz ein. "Und da konntest du dich nicht trennen, wie gewoehnlich," unterbrach ihn die Mutter mit vielsagendem Blick. "Aber erst kommt die Pflicht, dann das Vergnuegen," fuhr sie fort; "es ist schrecklich, dass du so leichtsinnig bist, immer diese vielen Fehler!" Fritz sah bei dieser Strafrede ganz betruebt vor sich nieder und dachte darueber nach, ob es denn wirklich so schlimm sei, lieber in der herrlichen Fruehlingsluft draussen zu spielen, als ueber den langweiligen Buechern zu sitzen. "Nun trage nur deine Sachen fort und setze dich an den Tisch, wir trinken gleich Kaffee." Fritz gehorchte. In der Tuere begegnete ihm ein kleines Maedchen von acht Jahren, seine Schwester. Ihre Aehnlichkeit mit der Mutter war unverkennbar, vielleicht war sie auch deshalb deren Liebling. "Guten Tag, Mama," sagte sie und umarmte diese so steif und abgemessen, als waeren auch Liebkosungen eine Pflicht, als haette ihr Rosi gesagt, ein Kind umarmt seine Mutter, weil sich das so gehoert. Aber dennoch war die Begruessung mit der Tochter eine weit waermere, als mit Fritz. Rosi strich ihr ueber den glatten, blonden Scheitel und band eine Schleife fest, die sich an einem der kurzen Zoepfchen gelockert hatte. "Bist du auch schon da, Elisabeth?" fragte sie zaertlich; "zeige mal, wie viel hast du denn in der Handarbeitsstunde gestrickt?" Die Kleine zog einen langen Strumpf hervor und zeigte der Mutter, wie viel sie heute daran gearbeitet hatte. "Du bist ja ganz fleissig gewesen," sagte Frau Rosi, und ein stolzer Blick glitt ueber sie hin. "Jetzt geh und rufe den Vater zum Kaffee." Nun legte auch die Superintendentin ihre Arbeit beiseite und ging an den Kaffeetisch, wo sie die Kanne von der waermenden Huelle befreite. Waehrenddem oeffnete sich die Tuer lautlos, und lautlos naeherte sich dem Tische eine hagere, alte Frauengestalt in einem schwarzen Kleide. "Ach, du bist es, Tante Emilie," sagte Rosi und schrak ein wenig zusammen, als sie dicht neben sich ploetzlich den dunklen Schatten bemerkte. "Nun, bist du schon zurueck, ist die Sitzung vom Frauenverein vorbei?" fragte sie freundlich. Tante Emilie bejahte und setzte sich nieder. Stillschweigend zog sie einen grossen, grauen Strumpf aus der Tasche, und gleich darauf fingen die Nadeln an zu klappern. "Du bist aber auch immer fleissig, Tante," sagte Rosi, und ueber das faltenreiche Gesicht der Angeredeten glitt ein Laecheln der Befriedigung bei diesen Worten. Sie war eine Schwester von Rosis verstorbener Mutter und lebte seit einigen Jahren ganz bei ihrer Nichte, in deren Augen sie als Muster galt, denn bei vielen wohltaetigen Vereinen sass sie mit im Vorstande. Dem Pastor war der stumme, strickende Gast an seinem Tische keine angenehme Zugabe, und auch heute, als er eintrat, traf sie kein allzu freundlicher Blick. Rosis Mann hatte sich wenig veraendert, es war noch dasselbe gutmuetige Gesicht mit den blauen Augen, die Fritz von ihm geerbt hatte. Nur blickten die seinigen kecker und selbstbewusster in die Welt, Lebenslust und Freudigkeit leuchteten daraus hervor, zum heimlichen Kummer von Rosi, die immer Leichtsinn dahinter witterte. Auch jetzt konnte sie gar nicht begreifen, dass der Junge ungeduldig auf dem Stuhle herumrutschte; ach, draussen warteten ja schon die Freunde auf ihn. "Kannst du denn gar nicht ruhig sitzen, Fritz?" bemerkte Rosi, indem sie den Kaffee einschenkte. "Adolf, du musst wirklich mal streng gegen den Jungen sein. Und wie isst er nun wieder! So iss doch nur langsam." Sie schuettelte unmutig den Kopf und reichte ihrem Manne die Tasse. "Liebe Rosi, wollen wir nachher mit den Kindern einen Spaziergang machen?" fragte der Pastor; "es ist so herrlich draussen." "Nein, nein, das geht nicht," erwiderte sie. "Fritz muss arbeiten, er hat wieder sieben Fehler im Extemporale. Sieben Fehler," wiederholte sie noch einmal eindringlich ihrem Manne, als sie sah, dass ihn diese Nachricht nicht aus der Fassung brachte, und gab ihm unter dem Tisch einen kleinen Stoss, damit er etwas sagen solle. "Ja, Fritz," begann der Pastor, indem er sich raeusperte, - er tat dies immer, wenn er zu einer ernsten Rede den Anlauf nahm, - "wie kommt denn das?" "Ach, Vater, das Lateinische macht mir einmal kein Vergnuegen," antwortete der Junge offen. "Siehst du, da hoerst du's ja, Adolf," fuhr Rosi auf, "aus Fritz wird nie etwas werden." "Nun, nun," lenkte Adolf ein, denn er sah, wie dem Kinde bei diesen Worten das Blut ins Gesicht stieg, "das wollen wir nicht hoffen." Und er strich ihm beruhigend ueber das blonde Haar. Rosi schuettelte den Kopf. Wollte denn ihr Mann gar nicht begreifen, dass Fritz streng behandelt werden musste? In ihren Gedanken stand es fest, dass aus ihm nichts wuerde. Wenn sie dagegen Elisabeth nahm, das war ein braves Kind, kaum dass sie ermahnt zu werden brauchte, der lag das Pflichtgefuehl im Blute. Wie manierlich und bescheiden sie am Tische sass und ihr Broetchen verzehrte; Fritz dagegen konnte ueberhaupt keinen Augenblick still sitzen. Doch es war auch keine Kleinigkeit fuer ihn, hier in der Stube zu hocken. Die Sonnenstrahlen wurden immer zudringlicher, sie krochen an ihm herauf, schienen ihm jetzt voll ins Gesicht, gerade als ob sie ihn aergern wollten; blinzelnd wich er ihnen aus. Mutter Rosi war aber unerbittlich streng, die Kaffeezeit durfte nicht abgekuerzt werden. Was empfand sie von einem Kinderherzen, das sich nach dem Schulzwange in die wundervolle Freiheit sehnte? Endlich gab sie das Zeichen zum Aufbruche, Elisabeth holte das Praesentierbrett und raeumte die Tassen zusammen, Fritz schluepfte schnell hinaus. "Gar kein Ernst steckt in dem Jungen," begann Rosi das Thema wieder, unbekuemmert um Elisabeths Gegenwart, die sich im Vollgefuehl ihrer Tadellosigkeit sonnte; sie wusste genau, dass sie viel besser war als der Bruder, die Mutter hatte es ihr ja oft genug gesagt. "Du solltest nicht zu streng sein, Rosi," beschwichtigte der Superintendent; "wenn du so viel tadelst, untergraebst du sein Ehrgefuehl. Ich war auch kein Held in der Schule, und es ist doch etwas aus mir geworden." "Du nimmst Fritz doch stets in Schutz, es ist merkwuerdig; tadle ich ihn wohl zu viel, Tante Emilie?" fragte Rosi diese erregt. Tante Emilies rote Nasenspitze hob sich ein wenig und das "Nein", das sie hervorbrachte, klang so dumpf, als kaeme es unter dem Tische hervor. Aber das Gespraech fing an, sie zu interessieren, denn wenn sie den grauen Faden um den Finger legte und dabei etwas laenger zoegerte wie gewoehnlich, so war dies ein Beweis, dass ihre Teilnahme auch noch von andrer Seite in Anspruch genommen war. Ebenso interessierte Elisabeth die Unterhaltung der Eltern aufs hoechste, denn auch sie hielt in ihrem Eifer, mit welchem sie das Geschirr abzuraeumen begann, inne und hoerte andaechtig zu. "Elisabeth, mache, dass du fertig wirst, geh dann hinaus und spiele mit deinem Bruder," sagte der Vater der ihre lauernden Blicke bemerkt hatte. "Ich muss arbeiten," erwiderte sie trotzig und ging hinaus, indem sie das Geschirr stehen liess. "Sage Minna, dass sie den Tisch abraeumt," rief ihr die Mutter in sanftem Tone nach. "Warum faehrst du das Kind so an, Adolf? Sie verdient es viel weniger als Fritz," sagte Rosi vorwurfsvoll. "Sie soll nicht horchen, wenn wir miteinander solche Dinge besprechen, das gehoert sich nicht." "Elisabeth versteht uns nicht falsch, das weiss ich; sie kann dreist so etwas mit anhoeren." "Ich will es aber nicht," sagte der Pastor heftig und stand erregt auf. Tante Emilies Augen folgten ihm hinter der grossen Brille mit gespanntem Blicke. "Nimm dich zusammen, ich bitte dich, Adolf; du bist ja stets aergerlich, wenn ich Fritz tadle, und an Elisabeth hast du immer etwas auszusetzen." "Nein, du bist ungerecht, gegen Fritz zu strenge und gegen das Maedchen schwach." "Bitte, dann erziehe deine Kinder selbst," erwiderte Rosi spitz. Die vorwitzigen Sonnenstrahlen kamen jetzt auch zu ihr und huschten ueber ihr Gesicht. Aergerlich stand sie auf, liess das Rouleau herab, und die kecken Eindringlinge waren nun ausgesperrt. Nervoes rueckte sie an den Tassen, suchte die Kruemchen von der Decke, waehrend der Pastor an das Fenster trat, das eben herabgelassene Rouleau wieder aufzog und hinausblickte. Tante Emilie schrak ordentlich zusammen, als der grelle Lichtschein so ploetzlich wieder auf das dunkle Grau in ihren Haenden fiel. Aber Rosi witterte eine Absicht ihres Mannes dahinter, als er die eben verbannten Strahlen wieder hereinliess, und rief aergerlich: "So lass doch das Rouleau zu; du sahst doch, dass ich es eben herunterliess, weil mich die dumme Sonne blendete." Die Stimmung der beiden Ehegatten war jetzt eine sehr gereizte, wie Tante Emilie bemerkte, deren Blicke von einem zum andern wanderten, und sicherlich wuerde es noch zu weiteren Auseinandersetzungen gekommen sein, wenn in diesem Augenblicke nicht Ilse und Nellie angemeldet worden waeren. Bei der Nennung dieser Namen erhob sich Tante Emilie wie auf Befehl, packte ihr Strickzeug zusammen und verschwand ebenso lautlos, wie sie gekommen war, denn die beiden Pensionsfreundinnen ihrer Nichte waren ihr wenig sympathisch, sie nannte Nellie kokett, Ilse keck und frei. Die Roete der Erbitterung lag noch auf Rosis Wangen, als die beiden eintraten, aber sie bezwang sich und ging ihnen freundlich entgegen. Ihre Begruessung war ja nie eine stuermische oder auch nur besonders herzliche, wie sie sonst meist unter guten Freundinnen zu sein pflegt; die Pastorin bewahrte stets eine gewisse Steifheit. "Bitte, nehmt Platz," noetigte sie, indem sie auf die Plueschgarnitur wies, die in dem gedaempften Lichte wieder stumpf und farblos war. "Wir dachten gar nicht, euch zu Hause zu treffen bei dem herrlichen Wetter," sagte Ilse; "es ist zu schoen, man moechte den ganzen Tag draussen sein." "Dazu habe ich nun leider keine Zeit." Rosi setzte solchen Ausspruechen von Ilse immer einen Daempfer auf, auch liess sie gar zu gern einfliessen, wie viel sie zu tun habe und wie sehr ihre Zeit in Anspruch genommen sei. "Ja, meine Frau hat viel zu tun," sagte nun auch der Pastor; er meinte es wirklich ernst, denn Rosi redete es ihm ja fortwaehrend ein. "O, wir sind auch keine Faulpelze," erwiderte Nellie, "jede Hausfrau hat zu tun." "Ach, Kinder, ich mache es mir furchtbar bequem; immer an den Haushalt denken, ist doch zu langweilig," rief Ilse uebermuetig. "Manchmal meine ich, dass ich ueberhaupt zu etwas andrem geboren bin, weil mir die Geschichte so wenig Spass macht. Was essen wir heute, was essen wir morgen? Das ist das ewige Motto. Leo muss oft den Kuechenzettel machen, wenn ich keine Lust dazu habe." Rosis Gesichtsausdruck merkte man es wohl an, wie sie ueber diese Aeusserungen dachte, sie antwortete aber nichts darauf, denn instinktiv ahnte sie, dass derlei nur gesagt wurde, um sie zu reizen. Sie fuehlte sich Nellie und Ilse innerlich vollkommen fremd, aber sie hielt es wiederum fuer ihre "Pflicht", eine Jugendfreundschaft nicht einschlafen zu lassen, und schwieg deshalb zu vielem, was ihr an den beiden nicht gefiel. Als aber Ilse heute mit ihrer Aufforderung zur Teilnahme an der geplanten Partie herausrueckte, da konnte sie nicht gut dazu schweigen. Was war das nun wieder fuer eine ueberspannte Idee, im Mondschein auf den Schneekopf zu steigen! Das fehlte noch, dass sie diesen Unsinn mitmachten! Innerlich war sie deshalb auch empoert ueber ihren Mann, dass er ueberhaupt darauf einging, und er schien wahrhaftig die groesste Lust zum Mitgehen zu haben. "Lieber Adolf," unterbrach sie das Gespraech, "wir wollen es doch erst ueberlegen; du kannst gewiss nicht fort." Der Superintendent sah sie an, und aus ihren Blicken las er deutlich: Ich will es nicht. Er schwieg daher mit einem leichten Seufzer. "Aber dein Mann sagte doch eben, dass er sehr gut koennte," meinte Nellie, und der alte Schelm, den Rosi innerlich Bosheit nannte, lachte mal wieder aus ihren Gruebchen. "Ich gehe keinesfalls mit," entschied die Pastorin. "Adolf kann ja mitgehen, wenn es ihm Spass macht." "Aber Rosi!" rief Adolf ganz erschrocken ueber eine solche Zumutung. "Aber denke doch, Rosi, ein solcher Weg im Mondenschein, wie poetisch!" rief Ilse begeistert. Rosi sah sie an und schuettelte unmerklich mit dem Kopfe; sie begriff sie eben nicht. "Ach, ihr kommt doch noch mit," sagte laechelnd Nellie, als haette sie Rosis Einwaende gar nicht gehoert. "Nein!" gab diese schroff zur Antwort. Mit ihrer Geduld war es nun zu Ende, und sie kochte innerlich. Als die beiden Frauen fort waren, zog sich der Superintendent wohlweislich in sein Zimmer zurueck, denn die Wolken auf der Stirne seiner Rosi kuendeten nichts Gutes. Sie ging ihm aber nach und drueckte die Tuere hinter sich ins Schloss. "Ich begreife dich nicht, Adolf, dass du immer und immer wieder etwas tun willst, was deiner Stellung nur schaden kann." "Ja, aber wie so denn, Rosi?" "Ach, tue nur nicht so, du weisst recht gut, was ich meine. Ilse und Nellie denken eben leider sehr frei, was euch Maennern natuerlich das liebste ist und am besten gefaellt." "Darin, dass man eine Partie auf den Schneekopf macht, sehe ich nichts Freies." "Nein, darin nicht; aber machen sie diese Partie wohl, wie es Menschen unsern Standes zukommt? Bei Nacht und Nebel wollen sie hinauf." "Im Mondenschein," verbesserte er ruhig. "Eine solche Albernheit fuer erwachsene, verheiratete Menschen!" fuhr Rosi fort. "Du hast bei allem etwas auszusetzen; es ist oft nicht zum aushalten. Dann lass uns doch lieber den Verkehr mit deinen Freundinnen abbrechen." "Das liebste waere es mir schon, ich tue es nur der Leute wegen nicht." Adolf antwortete mit einem resignierten Achselzucken; er kannte diese Litanei nun schon auswendig, und wenn Rosi in dieses Fahrwasser geriet, gab es sobald kein Aufhoeren; er liess sie deshalb ruhig weiterreden. "Du solltest mir lieber dankbar sein, dass ich stets daran denke, wie die Leute wohl dein Tun und Treiben auffassen. Ich halte es sogar fuer meine Pflicht, dich darauf aufmerksam zu machen." Wenn Rosi ihr "Pflichtgefuehl" als letzten Trumpf ausspielte, wurde ihre Miene noch um einige Grade strenger. Der Pastor kannte auch diesen Schlusseffekt genau, und es war am besten zu schweigen, wenn sie bei diesem Punkte angelangt war; er setzte sich daher an seinen Schreibtisch, holte seine Buecher hervor, schlug sie auf und schien eifrig darin zu lesen. Dies war fuer seine Frau das Zeichen, dass er sich auf keine weiteren Eroerterungen mehr einlassen wuerde; sie konnte sagen, was sie wollte, er blieb stumm. "Dass du gleich so empfindlich bist," versuchte sie doch noch einmal anzufangen. Keine Antwort! "Uebrigens, mache doch die Partie mit, wenn dir soviel daran liegt. Ich," das Wort betonte sie besonders, "gebe mich zu solchen Dingen nicht her." Wiederum Schweigen! Adolf schien vertieft in seine Buecher, aber Rosi war heute noch lange nicht fertig; mit nervoesen Fingern zupfte sie an den Fransen der Tischdecke. Jetzt versuchte sie es mit einem andern Thema. "Und dann wollte ich dich auch noch bitten, Adolf, dass du etwas strenger gegen Fritz bist, wir erleben sonst mit ihm noch etwas. Der Umgang mit Gontraus hat entschieden einen schlechten Einfluss auf den Jungen, und von dem eigentuemlichen Professor Fuchs, der fast immer dort ist und mit den Kindern lauter Unsinn treibt, was sich fuer einen Mann in solcher Stellung doch wahrhaftig nicht schickt, lernen sie auch nichts Gutes." Doch selbst hiermit konnte sie ihrem Manne keine Antwort entlocken, und erregt wandte sie sich zum Gehen. "Natuerlich, wenn ich ernste Dinge mit dir besprechen will, dann hast du keine Lust dazu, nicht mal ueber die Kinder kann man sich aussprechen." Der Pastor zuckte zusammen, als die Tuere jetzt unsanft ins Schloss fiel, stand dann aber auf und steckte sich seine Pfeife an. Rosi schuettete nun Tante Emilie ihr uebervolles Herz aus und fand dort fuer alles einen lebhaften Wiederhall. Tante Emilie war mit ihr einer Meinung ueber den Leichtsinn von Fritz, ueber die grosse Schwaeche seines Vaters, ueber die Tadellosigkeit von Elisabeth und _last not least_, ueber das freie Benehmen der beiden Freundinnen. Darueber hatte die Tante schon manches gehoert, was sie heute wie mildernden Balsam in die erregte Seele von Rosi traeufelte, denn es war doch wenigstens ein Trost, dass andre Menschen ebenso dachten, wie sie. * * * [Illustration] Ilse betrachtete in den naechsten Tagen den Aprilhimmel mit besonderer Spannung; das kleinste Woelkchen versetzte sie in lebhafte Unruhe, und wohl hundertmal sah sie sich tagsueber das Barometer an, trotzdem ihr Onkel Heinz gesagt hatte, dass das gar nicht noetig waere, denn wenn er sage, "es bliebe gut," so "bliebe es auch gut". Er zeigte auf einmal ein lebhaftes Interesse fuer die Partie und sprach alle Tage vor, um dies und jenes zu bringen, zu pruefen oder zu besprechen. Ilses Stiefel wurden von ihm einer gruendlichen Pruefung unterworfen, und dabei liess er eine laengere Philippika gegen die Schuster im allgemeinen und denjenigen, welcher diese Schuhe verbrochen hatte, insbesondere los. "Ueberhaupt welcher Unsinn, so spitze Schuhe zu tragen, da muessen ja alle Fuesse Krueppel werden," behauptete er und zeichnete einen normalen Fuss auf und einen, der in spitzen Schuhen gesteckt hatte. Beinahe waeren sie wieder in Streit geraten, als Ilse dagegen protestierte und behauptete, trotz der verpoenten spitzen Schuhe noch einen normalen Fuss zu haben. Doch es ging diesmal noch gnaedig ab. Sie merkte, dass er sich wirklich auf die Partie freute, wenn auch die Vorbereitungen mit der gewohnten Umstaendlichkeit getroffen wurden. Als Onkel Heinz zur verabredeten Stunde am Sonnabend Nachmittag auf dem Bahnhofe erschien, konnten die andern kaum ein Lachen unterdruecken. Fuer eine Expedition auf den Grossglockner konnte er nicht besser ausgeruestet sein, die dichtbeschlagenen Naegelschuhe hallten bei jedem Schritt wieder, den er auf dem asphaltierten Bahnsteig machte. Ilse betrachtete sich seinen ungeheuren Rucksack und fragte, ob er denn auch die Steigeisen nicht vergessen haette. Er wurde etwas verlegen, und sie lenkte auch sofort schnell wieder ein, als sie bemerkte, dass er seinen Bart zu drehen begann, das untrueglichste Zeichen seines Unmutes. Nellie und Ilse sahen flott und touristenmaessig aus mit ihren kurz geschuerzten Kleidern, den derben Schuhen und den Rucksaecken auf dem Ruecken. Althoff und Gontrau hatten es sich schon bequem gemacht und ihre Sachen ins Coupe gelegt, waehrend sie draussen noch auf und ab spazierten. "Was machst du denn da?" fragte Ilse, als sie jetzt einstieg und sah, dass Nellie ihres Mannes Rucksack geoeffnet hatte und demselben eiligst Sachen entnahm, die sie in den ihrigen steckte. "Fred hat zu schwer zu tragen," sagte sie etwas verlegen und band schnell die beiden Saecke wieder zu. Derjenige ihres Mannes war nun sehr zusammen geschrumpft, ihrer dagegen dick aufgeschwollen, Ilse wog sie beide in der Hand. "Um Gottes willen, Nellie, das willst du schleppen, waehrend dein Mann fast gar nichts zu tragen hat?" "Lass nur, _darling_, lass nur! Fred darf sich nicht anstrengen, er ist in letzter Zeit so nervoes," erwiderte Nellie, und bei dem Gedanken an das Leiden ihres Fred stiegen ihr sofort die Traenen in die Augen. "Aber dein Mann ist doch ganz gesund," sagte Ilse; "ein bisschen nervoes, du lieber Gott, das sind fast alle Menschen, das ist nun einmal die Modekrankheit." Nellie schuettelte wehmuetig den Kopf. Ilse verstand sie in diesem Punkte nicht, sie nahm die Sache viel zu leicht, _sie_ wusste es aber besser. "Du verwoehnst deinen Mann viel zu sehr," fuhr Ilse fort; sie wusste ja aus dem Munde ihres gemeinschaftlichen Arztes, dass Althoff wohl etwas reizbare Nerven habe, im uebrigen aber kerngesund sei. Sie verstand wirklich die Freundin hierin nicht und versuchte, sie bald in ernstem, bald in neckischem Tone von der uebertriebenen Aengstlichkeit abzubringen. Die kleine Reise bis zu dem Gebirgsstaedtchen, einem Badeorte, von wo aus der naechtliche Aufstieg unternommen werden sollte, wurde in bester Stimmung zurueckgelegt. Ilse war ganz besonders in ihrer gehobensten Laune und steckte mit ihrer Lustigkeit alle andern an, auch Onkel Heinz, der ihr dann und wann unter der Brille hervor einen strahlenden und bewundernden Blick zuwarf und vergnuegt mitlachte. Um diese Zeit waren die Touristen in dem beliebten Badeorte noch selten, nach der langweiligen Winterzeit die Neugierde wahrscheinlich auch groesser, jedenfalls sahen grosse und kleine Menschen unsern Wandernden nach, und besonders wurden die Damen mit ihren Rucksaecken auf dem Ruecken vielfach belaechelt. Die Kinder liefen sogar hinterher und konnten sich nicht satt daran sehen. "Na, wollt ihr wohl, ihr infamen Kroeten!" wehrte Onkel Heinz sie mit seinem Stocke ab, als sie die Urheber ihrer Heiterkeit auf alle moegliche Weise schlecht zu behandeln versuchten. Aber ob sie nun sein boeses Gesicht nicht ernst nahmen, oder in ihm den Kinderfreund witterten, jedenfalls stuerzten sie wie auf Kommando auf ihn los; er setzte sich in Trab, schreiend liefen die Kinder hinter ihm her, bis er ganz ausser Atem kam und stehen blieb, um auf die uebrigen zu warten. Die Strasse, die sie durchschritten, dehnte sich fast endlos aus. Villenartige Haeuser zu beiden Seiten ruesteten sich schon fuer die Sommergaeste; es roch nach frischem Farbenanstrich, Fenster und Tueren wurden abgewaschen, auch schon neue Gardinen aufgesteckt, und in den Gaerten ward gegraben und gepflanzt. Hinter einzelnen blanken Scheiben prangten bereits grosse Plakate: "Logis zu vermieten". Nur noch wenige Wochen, und alles war fuer die Fremden bereit, wie aus einer Spielschachtel genommen. Dann wogte auch unter den alten Linden, die im Sommer der Sammelplatz fuer die Fremden waren, eine bunte Menge, die Kurmusik anhoerend, Kaffee trinkend, Kuchen essend, lachend und schwatzend, wie ein Bienenschwarm durcheinander summend. Jetzt standen vor der Tuere des eleganten Restaurants die kleinen Kellnerlehrlinge in blauen Schuerzen und wuschen Tische und Baenke ab. Sie hielten in ihrer Beschaeftigung inne, als die fuenf einsamen Gestalten vorueberkamen. Nun wanderten diese die Hoehe hinauf durch den Buchenwald, dessen zarte Knospen einen lichtgruenen Schleier ueber ihnen woben, und aus dessen Zweigen froehliche Vogelstimmen toenten, wie eine Verkuendigung des nahenden Fruehlings. "O, wie schoen! Sieh nur, Fred," sagte Nellie so recht aus vollster Seele und hing sich an seinen Arm. Bald kamen sie an eine Lichtung, wo zwischen den abgehauenen Staemmen ein wahrer Blumenflor wucherte. Anemonen, Primeln und Veilchen, zwar nur sogenannte Hundsveilchen ohne Duft, aber von entzueckender Farbe. Die beiden Frauen stuerzten darauf los, und im Nu hatten sie einen grossen Strauss gepflueckt. Sie schmueckten damit sich selbst, die Huete ihrer Maenner und natuerlich auch den von Onkel Heinz. "Was soll ich denn mit den Dingern anfangen? Die sind ja im Augenblick verwelkt," sagte er trocken, als Ilse ihm ein Straeusschen von Primeln und Veilchen an den Hut steckte, aber schmunzelnd liess er sich doch diesen Ausputz seines alten, grauen Filzes gefallen. "Sehen Sie doch nur diese entzueckende Farbenzusammenstellung von Blau und Gelb!" rief Ilse. "Kann ich nicht finden, viel zu grell," sagte er wieder ablehnend. Ilse wandte sich ab. "Na, denn nicht," meinte sie. "Um Gottes willen, Gontrau, du laeufst ja wie ein Wilder," rief Onkel Heinz nach einer Weile, "man kann ja gar nicht mitkommen." "Nun, dann gehen wir eben langsamer, Heinz; aber ich gehe doch wahrhaftig nicht schnell," sagte Gontrau liebenswuerdig und aenderte sofort das Tempo seiner Schritte. "Langsam gehen ist die erste Regel. Hast du schon mal eine ordentliche Bergtour gemacht, Gontrau?" fragte Onkel Heinz mit einem spoettischen Laecheln. "Nun, ich denke doch! In der Schweiz war ich auf dem Monte-Rosa, in Tirol habe ich den Ortler bestiegen." "Ach, du lieber Gott, diese Huegel, ist ja eine Kleinigkeit!" rief Onkel Heinz dazwischen und fing nun an, von den Besteigungen auf seinen Reisen in andern Weltteilen zu erzaehlen, allerdings an Gefahren und Abenteuern reich. Ilse wollte nun auch ihrerseits einige boshafte Bemerkungen einschalten, wie er es eben getan hatte, aber sie wurde durch seine interessante Erzaehlung so gefesselt, dass sie schwieg und aufmerksam zuhoerte. Onkel Heinz war ein guter Erzaehler, und wenn er so recht im Zuge war, dann zeigte sich auch mehr als sonst sein Innenleben, und es war durchaus keine verknoecherte Junggesellenseele, die zum Vorschein kam. Feine Beobachtungen und Stimmungen liess er durchschimmern, die man ihm nicht zugetraut haette. Eine gute Strecke waren sie inzwischen weiter gekommen. Die scheidende Sonne vergoldete noch die hohen Tannenwipfel und durchleuchtete den Himmel, vom feurigen Rot und Orange bis zum hellgoldigen Gelb, an das sich in wirksamem Kontrast das duftige Blau und Violett des westlichen Firmaments anschloss. Wie ein leichtes Froesteln ging es durch die Natur, als der farbenpraechtige Himmel allmaehlich verblasste, die goldig warmen und die blaeulich kuehlen Toene in einem nebelhaften Grau verschwanden, und die durchsichtige Scheibe des Mondes als Alleinherrscherin am Himmel stand. Schnell huschte die Daemmerung wie ein leichter Schatten herbei, die Gegenstaende verschleiernd. Die scharfen Umrisse gingen ineinander ueber, verschwommen wurden die fernen Linien, alles loeste sich in eine traumhafte Weichheit auf, und schlaftrunken zirpten die kleinen Saenger des Waldes auf den Zweigen. Stumm schritten die Freunde weiter, nur manchmal sprachen die beiden Paare im traulichen Fluestertone zu einander. Einsam schritt ihnen Onkel Heinz voran. Jetzt kamen sie in einen Tannenwald, hier war es schon dunkler als draussen, nur durch die Zweige schimmerte noch das helle Grau des Himmels. Ilse wurde es etwas baenglich zu Sinne hier zwischen den hohen Baeumen, sie glaubte es ueberall knistern zu hoeren; bald sah sie sich aengstlich um, bald spaehte sie nach beiden Seiten in den daemmernden Wald. Mit jedem Schritte wurde ihre Phantasie erregter, die dunklen Staemme und herabhaengenden Zweige nahmen alle moeglichen Gestalten an, die schattenhaft an ihr vorueberzogen. Das Knacken und Knistern in den duerren Aesten auf dem Boden wurde immer deutlicher, jetzt sah sie auch genau, wie sich etwas bewegte. Unwillkuerlich klammerte sie sich noch fester an Leos Arm und starrte mit angstvollen Augen dorthin, woher das Geraeusch kam. Wie es in Augenblicken grosser Furcht gewoehnlich ist, wagte sie nicht zu sprechen, kaum zu atmen. Wenn sie ueberfallen wuerden! Ihre lebhafte Einbildungskraft malte ihr die schaurigsten Dinge aus, und gerade wollte sie Leo zufluestern, wie sehr sie sich fuerchte, als ploetzlich zwischen den hohen Staemmen etwas hervorkam - ein grosser Hirsch, der quer ueber den Weg setzte und nach einer Lichtung zulief, wo er aesend stehen blieb. Nun war der Geisterspuk erklaert, Ilse atmete auf, aber ein Gefuehl der Angst und Unsicherheit blieb doch in ihr zurueck, und da die lustige Ilse, die sonst den Ton angab, schwieg, waren auch die andern meistens still. Der Abend war nun ganz hereingebrochen, die Luft kuehl geworden, und dem fruehlingsjungen Waldboden entstroemte ein feuchter Erdgeruch. An der Seite rauschte jetzt behende ein Wasser neben ihnen her, einschlaefernd durch seine eintoenige Melodie, die sich anhoerte, als saenge es der zur Ruhe gehenden Natur ein Schlummerlied. "Es wird feucht," sagte Althoff und zog seinen Rockkragen in die Hoehe. "O, du frierst doch nicht?" fragte Nellie aengstlich und nahm ihr Tuch von den Schultern, um es ihm umzulegen. Er wehrte ab, nicht gerade in der liebenswuerdigsten Weise. "Es geht dir doch gut, Fred?" fragte sie wieder nach einer Weile, und diesmal antwortete er liebevoller. "Ja, ja, Kind, nur etwas einseitige Kopfschmerzen, wie gewoehnlich." "Soll ich dir ein Antipyrinpulver geben? Ich habe welches mitgenommen!" fragte Nellie eifrig. "Um Gottes willen, nehmen Sie doch nicht solches Zeugs," rief da Onkel Heinz' Stimme. "Sie vergiften sich ja nur damit." "O, es hilft Fred aber so gut," meinte Nellie. "Ja, dann nehmen Sie Ihr Gift nur," erwiderte Onkel Heinz mit Achselzucken, "aber hier, trinken Sie wenigstens einen Kognak als Gegengift." Er reichte ihm seine Flasche hin. Gegen jede Medizin hatte er etwas einzuwenden, und wenn die Gontrauschen Kinder mal krank waren, lag er mit Ilse stets im Kampfe, denn sie tat, was der Arzt anordnete, statt seinen Ratschlaegen zu folgen, und wenn er auf die "dummen Kerle", die Aerzte, schalt, machte sie ihn mit seinen Mitteln und Mittelchen laecherlich. Leo, der mit Ilse ein Stueck vorausgegangen war, drehte sich jetzt um und rief den andern zu: "Menschliche Wohnung in Sicht!" indem er dabei auf einige helle Punkte zeigte, die in der Entfernung durch die Baeume blinkten. Nicht lange mehr und sie konnten die Umrisse eines Gebaeudes erkennen, das wohl das Foersterhaus war, an welchem sie vorbeikommen mussten. Einsam lag es am Waldessaume, hohe, dunkle Tannen ragten majestaetisch darueber hinweg und hoben sich vom helleren Himmel wie scharfe Silhouetten ab. Die Tuere des Wildgatters das den Wald abschloss, fiel mit dumpfem Tone zurueck, und nun standen die naechtlichen Wanderer in einem Garten, der zum Foersterhaus gehoerte. Ilses feine Nase witterte etwas wie Veilchenduft, als sie an den frischen Beeten vorbeigingen. Im Erdgeschoss waren die Fenster erleuchtet, man konnte ohne Muehe hineinsehen. Die Foersterfamilie sass um einen runden Tisch versammelt, ueber dem eine Haengelampe brannte, und schien eben zu Abend gegessen zu haben, denn das Tischtuch lag noch auf, und von seiner blendenden Weisse fiel ein heller Schein auf die rosigen Gesichter in der Runde. Echt deutsche Gemuetlichkeit durchwehte das einfache Zimmer mit den vielen Geweihen und den Buntdrucken von dem Kaiser und der Kaiserin an den Waenden, sie lachte aus den freundlichen Mienen der rotwangigen Hausfrau den blonden Kindern entgegen und umgab auch die kraeftige Gestalt des Hausherrn, der sich gerade seine Pfeife stopfte und die Zeitung vor sich liegen hatte. Den Draussenstehenden tat es leid, dieses harmonische Bild zu stoeren, sie ruehrten sich kaum und betrachteten es mit Wohlgefallen. In diesem Augenblicke aber wurden die Hunde im Zimmer unruhig, der Foerster erhob sich, kam zur Tuere heraus und nahm die spaeten Gaeste freundlich auf. Er war nicht wenig erstaunt, als er hoerte, dass die Gesellschaft noch in der Nacht auf den Schneekopf gehen wollte; so etwas kam wohl im Sommer vor, aber zu dieser Zeit selten. Schmunzelnd sah er sich die Frauen an, die frisch und unternehmungslustig vor ihm standen. "Das nenne ich aber Mut," sagte er zu ihnen. "Ein bisschen Schnee wird's da oben wohl noch geben." "Wir fuerchten uns nicht davor, Herr Foerster," erwiderte Ilse lustig und warf ihren Rucksack auf den Stuhl. "Kann man hier einen guten Kognak haben?" fragte Onkel Heinz und liess sich in den alten Lehnstuhl am Ofen nieder, dass die lahm gewordenen Federn aechzten. "Alles, was Sie wollen! - Frau, die Herrschaften wuenschen etwas zu geniessen," rief er hinaus. Die Foersterin kam herein, ihre Blondkoepfe hinter ihr her, aber diese blieben neugierig an der Tuere stehen. Nellie holte sich die Kleinen, auch Onkel Heinz erhob sich von seinem bequemen Sitze und stellte allerhand lustige Fragen an die Kinder. Ilse aber beschaeftigte sich mit den kleinen, krummbeinigen Dackeln und dem braunen Huehnerhund mit den herabhaengenden Ohren und den treuen, klugen Augen. Er hatte sich ganz nahe an sie gedraengt und liess sich von ihr am Halse krauen, und wenn sie einen Augenblick innehielt, stiess er sie mit der Schnauze an. Die Rast war keine lange, denn Althoff und Leo draengten zum Aufbruche. Sie hatten mit dem Foerster, der ihnen eine kleine Strecke das Geleite geben wollte, eingehend den Weg besprochen. Auffallend kuehl war es geworden, als sie aus dem Hause traten, und in den dunklen Tannenwipfeln ueber ihnen rauschte es leise. Am Himmel stand ruhig, silberglaenzend der Mond, tausend und abertausend Sterne funkelten. Jetzt verliessen sie die Landstrasse, die sich als heller Streifen durch die Wiese vor ihnen herschlaengelte, und bogen in den steilen Waldweg ein, der steinig und muehsam zu erklettern war. Hier schied der Foerster von ihnen. Nun ging's flott weiter, voran die beiden Damen, deren Haende sich oftmals krampfhaft zusammenfanden, wenn ein Geraeusch zu hoeren war oder sie irgend etwas Schreckhaftes zu sehen glaubten. Die Nacht bevoelkert den Wald fuer furchtsame Geister ja mit allen moeglichen Spukgestalten, sie hoeren, wo nichts zu hoeren ist, und sehen, wo nichts zu sehen ist. Ilse besonders war es nicht behaglich zu Mute, aber um keinen Preis wollte sie sich verraten, wie wuerde Onkel Heinz sie sonst wohl verspotten! Auf einmal zuckte sie doch zusammen und konnte einen lauten Ausruf des Schreckens nicht unterdruecken. "Da, da!" rief sie und zeigte entsetzt nach oben. "Seht ihr nicht die weisse Gestalt?" Eine weisse Gestalt war allerdings zu sehen, ja sie schien naeher zu kommen und zu wachsen; selbst weniger Schreckhaften als Ilse waere es bei diesem Anblick unheimlich geworden. In ihrer Herzensangst ueberhoerte sie ganz die spoettische Bemerkung von Onkel Heinz, der herzhaft weiter- und auf das Gespenst losschritt. Ploetzlich toente ein schallendes Gelaechter durch die Stille. Onkel Heinz war es, der sich neben die weisse Geistergestalt gestellt hatte und sich vor Lachen ausschuetten wollte. "Ihr Gespenst ist von Stein, Frau Gontrau, kommen Sie nur getrost und sehen Sie es sich an!" rief er laut. Ilse aergerte sich im stillen und schaemte sich zu gleicher Zeit, dass sie ihre Furcht gezeigt hatte. Die vermeintliche weisse Gestalt war ein heller Stein, ein grosser Wegweiser, der in dem matten Mondeslicht blendend schimmerte. "Von weitem konnte man den Stein ganz gut fuer eine Gestalt halten," meinte Leo, welcher bemerkt hatte, dass Ilse dem Weinen nahe war und sie entschuldigen wollte. "Na, Gontrau," rief Onkel Heinz, "nun faengst du wohl auch noch an, an Gespenster zu glauben?" Und wieder erschallte sein Lachen durch die stille Nacht. Ilse erschien es in ihrer aufgeregten Gemuetsverfassung fast teuflisch! Ja, Bloessen durfte man sich vor Onkel Heinz nicht geben, dann war man verloren. Aber Rache ist suess! Der Augenblick wuerde schon kommen, wo Ilse sie ausueben konnte, jetzt war ihre Erregung zu gross, um etwas sagen zu koennen; sie wich nicht von Leos Arm und sah sich oftmals scheu nach allen Seiten um. [Illustration] Bei dem Geistersteine verliessen sie den Wald, ueberschritten den Fahrweg und waren nun auf der Hoehe; nur wenig stieg es noch hinan. Ilse atmete tief, der frische Hoehenwind kam ihnen entgegen, und nach allen Seiten war der Blick frei, keine beengenden Baeume mehr, zwischen deren Staemmen man allerlei vermuten konnte. Die Mondscheibe erschien hier oben riesengross, ihr Glanz umgab die Gestalten mit silbernen Raendern und lag breit auf dem steinigen Wege und auf den niedrigen Foehren, zu deren Fuessen unter Steingeroell ein flinkes Waesserchen gurgelte, hastend und stuerzend, als haette es Eile, ins Tal hinunter zu kommen. Einen Augenblick blieben die Wanderer stehen, um auszuruhen. Sie waren warm geworden, denn unwillkuerlich geht man in der Nacht schneller, als am Tage, das Auge wird nicht fortwaehrend abgelenkt, vielleicht treibt auch die geheimnisvolle Heimlichkeit der Nacht schneller zum Ziele. Die frische Luft kuehlte erquickend die erhitzten Wangen. Tief unten im Tale blitzten hier und da Lichter auf, sonst war nichts zu sehen; einsame Stille herrschte ringsumher. "O, wenn uns Rosi jetzt sehen koennte!" sagte Nellie. "Sie wuerde uns fuer verrueckt halten," meinte Fred. "Was die Leute nicht verstehen, das halten sie allemal fuer verrueckt," erwiderte Onkel Heinz. "Wenn es nicht das Herkoemmliche ist, blauer Himmel, goldner Sonnenschein, gruener Wald u. s. w., dann ist die Natur nicht schoen, das kennt man ja. Die Menschen urteilen eben nur nach dem Aeusserlichen; sich in etwas zu vertiefen, ist zu langweilig, darum lassen sie es lieber. Das ist nun einmal nicht anders." Onkel Heinz hatte darin wohl truebe Erfahrungen gemacht! Auch ihn durfte man nicht nach dem Aeusseren beurteilen; um ihn kennen und schaetzen zu lernen, musste man ihn genau studieren, und selbst dann gab es noch oft Stellen, wo man ihn nicht verstand, davon konnte Ilse ein Liedchen singen. Doch heute fuehlte sie sich sehr geschmeichelt, dass der sonst stets absprechende Professor Gefallen an der naechtlichen Partie fand, wie es sein Ausspruch soeben bewies. Nach ihrer Meinung musste aber auch das haerteste Gemuet bei dieser Umgebung in poetische Stimmung geraten, von der sie ganz erfuellt war. Schaudernd und beseligt ergriff sie oft Leos Arm und drueckte ihn leise, wie sie es gerne tat, wenn ihr etwas gefiel. Gegen zwoelf Uhr sahen sie oben auf dem Bergruecken den Giebel eines Hauses auftauchen, einige Schritte weiter und es erschienen die Fenster, auf welchen das Mondlicht blaeulich schimmernd lag. Allmaehlich wuchs das Haus immer hoeher aus dem Boden empor, bis sie dicht davor standen. Ein grosser Kasten aus grauen Steinen, kahl und ernst! Der Wind ruettelte an den Holzlaeden vor den Fenstern und fuhr pfeifend um die Hausecken, in die krummgebeugten Foehren, durch die hohen Graeser. Drinnen lag schon alles im tiefsten Schlummer. Die Tuere war verschlossen, und erst, als man eine Weile maechtig dagegen gehaemmert harte, wurde ein schluerfender Schritt im Hausflur hoerbar, und die Tuere tat sich auf. Die fruehen und doch so spaeten Gaeste mussten erst ziemlich lange warten und sogar selbst Hand mit anlegen, bevor es gemuetlich wurde, aber dann liessen sie es sich auch wohl sein im hellen Zimmer beim knisternden Holzfeuer im Ofen, beim Essen und Trinken, dem eine wohlige Muedigkeit folgte. Doch diese waehrte nicht lange, denn Frau Ilse war in Stimmung, und das gab den Ausschlag bei den uebrigen. Sie sprach viel Vernuenftiges und Unvernuenftiges durcheinander, war sprudelnd, lebhaft, witzig und verstand es, die andern mit sich fortzureissen. Nellies Blicke hingen wie verklaert an ihrem Manne, dem die Partie so gut zu bekommen schien. Die Kopfschmerzen waren ganz fort, wie sie meinte, durch das Pulver, waehrend Onkel Heinz behauptete, durch seinen guten Kognak. Auch der Professor war heute in seiner besten Laune, er stimmte in die Scherze der uebrigen mit ein, war selbst der Heiterste und setzte allem die Krone auf, als er schliesslich in poetischer Form eine Rede auf Ilse, die Urheberin dieser schoenen Partie, hielt, welche mit grossem Beifall aufgenommen wurde. "Ich haette gar nicht geglaubt, dass Sie so poetisch sein koennen, Onkel Heinz," sagte Ilse, als sie sich fuer diese Aufmerksamkeit bedankte, und um ihre Mundwinkel zuckte es spoettisch. "Wieso?" fragte der Professor erstaunt. "Nun, einem so eingefleischten, nuechternen Junggesellen, wie Sie es doch sind, traut man alles eher zu, als gerade Poesie. Ich dachte, Sie koennten nur ueber alles spotten und hoehnen." Onkel Heinz sah sie ganz bestuerzt an, er ahnte ja nicht, dass dieser Hieb die Rache dafuer war, dass er seine Freundin, Frau Ilse, vorhin so herzhaft ausgelacht hatte. Wie ein kalter Wasserstrahl wirkten deshalb ihre Worte, und es war gut, dass man sich bald trennte, denn um seine lustige Stimmung war es nun geschehen. Erst spaet erloschen die einsamen Lichter in dem einsamen Hause auf dem Schneekopf. Aber der sanfte Schein des Mondes spielte noch auf den Fensterscheiben, bis er im fahlen Daemmer des aufzeigenden Tages verblasste und die glaenzende Morgensonne seinen Platz einnahm. Nur einmal noch in der Nacht ging jemand durch die Haustuere, den Kopf dicht in den Rockkragen vergraben - es war Onkel Heinz. Unruhig schritt er auf und ab, blieb einige Male stehen, und setzte sich dann auf einen der hohen Steine, eifrig seine Bartspitze wirbelnd. Die harten Worte von Ilse heute abend hallten noch in ihm nach, sie hatten ihn tief geschmerzt, und er konnte deshalb keine Ruhe finden. Ueber seinem Haupte jagten die Wolken, vom Sturme getrieben, am Mond vorueber, aber Onkel Heinz hatte jetzt keinen Blick fuer solche Naturschauspiele, und er bemerkte deshalb auch nicht, dass am oestlichen Himmel ein roter Schein zu sehen war, der in fortwaehrender Bewegung bald feurig, bald blasser leuchtete und allmaehlich wieder verschwand. Lange noch blieb der Professor draussen. Des Morgens erschien er erst, als die andern schon beim Kaffee sassen. Es sollte frueh aufgebrochen werden. Onkel Heinz war nicht in der besten Laune, er sagte, dass er schlecht geschlafen habe, und schimpfte auf alles. Die Betten waeren zu kurz, das Zimmer bei geschlossenen Laeden dumpfig gewesen, und als er sie geoeffnet habe, haetten sie geklappert, und das helle Mondlicht haette ihn gestoert. "O, Herr Professor, seien Sie nicht boese," sagte Nellie; "sehen Sie doch, wie schoen es draussen ist." Und sie zeigte hinaus in den goldenen Fruehlingsmorgen. "Ja, das kann mir auch nichts helfen, deshalb habe ich doch schlecht geschlafen," erwiderte er missmutig. "Alter Freund, du bist wohl mit dem linken Fusse zuerst aufgestanden?" fragte Leo, indem er ihm auf die Schulter klopfte. "Dummheit, solches altes Weibergeschwaetz auch nur zu wiederholen." Es war nichts mit ihm anzustellen heute morgen, trotzdem er von allen Seiten um der schlaflosen Nacht und der andern Stoerungen willen lebhaft bedauert wurde. Brummend stieg er mit auf den Aussichtsturm, und obgleich er sagte, dass es ueberhaupt ganz gleichgueltig sei, wie dieser oder jener Berg heisse, oder dieses oder jenes Dorf, es kaeme nur auf den malerischen Eindruck an, so stritt er doch bei allem, was gesagt wurde, besonders wenn Gontrau etwas behauptete. Ilse, welche ahnte, dass sie wohl die Schuld an seiner ueblen Laune habe, hatte ihm innerlich schon die schoensten Beinamen gegeben, wie "alter Junggeselle", "Brummbaer" und dergleichen mehr, aber sie schlug doch einen neckischen Ton ihm gegenueber an, in der Hoffnung, ihn dadurch umzustimmen. Lustig verliess die kleine Gesellschaft etwas spaeter den Schneekopf. Der Himmel hatte sich inzwischen bewoelkt, der auf der Hoehe nie rastende Wind trieb mit den Wolken sein Spiel, blies den blauen Rauch aus dem Schornstein auseinander, ruettelte an dem Eisengestell des Turmes und jagte hinter den Gestalten der Wanderer her, dass ihre Kleider und Maentel flatterten. Zu dem Aufstieg in der zauberhaft stillen Mondscheinnacht war dieser wilde Morgen ein greller Gegensatz. Die schneidende Luft trieb Traenen in die Augen und blies die Backen feuerrot an. "Schneeluft," sagte Althoff. Er hatte recht, nicht lange mehr und die Wolken hatten den ganzen Horizont bedeckt. Zuerst fielen nur einzelne weisse Flocken hernieder, dann aber wurde es ein lustiges Gestoeber, wie mitten im Winter. Locker und leicht legte sich der Schnee wie eine weiche Flaumdecke auf die Fruehlingsflur, aber die Zweige und Halme beugten sich nicht unter seiner Last; es war ja jetzt kein Ernst mehr mit dem Winter, der naechste warme Sonnenstrahl nahm ihn wieder mit fort. An verschiedenen Stellen lag auch noch der Winterschnee fusshoch, und darueber mussten sie hinwegschreiten. Fast bei jedem Schritte sanken die Fuesse bis ueber die Knoechel ein, was ein Hauptspass fuer Ilse war. Sie fand diesen "Winter im Fruehling" herrlich und konnte ihr Entzuecken nicht laut genug aeussern, schon deshalb, weil sie bemerkte, wie Onkel Heinz sich hoechst aergerlich bis ueber die Ohren in seinem Rockkragen versteckt hatte, so dass nur die Bartspitze herausguckte, und leise vor sich hinbrummte, wenn er eine Schneeflaeche durchwaten musste. Auch Althoff war diese Art von Hindernis nicht angenehm, Nellie verfolgte seine Mienen mit besorgten Blicken, in denen zu lesen war: wenn es ihm nur gut bekommt. "Liebster, ich muss dir einen Kuss geben, so himmlisch finde ich es hier," rief Ilse begeistert, Leo herzhaft kuessend, und stampfte mutig weiter, umtanzt von den Flocken, die sich in ihre krausen Haare setzten und wie Diamanten darin funkelten. "Onkel Heinz, finden Sie es denn auch so schoen?" rief sie herausfordernd und warf ihm eine Handvoll Schnee ins Gesicht. "Kann ich nicht finden," versetzte er unwirsch, nahm seine Brille ab und wischte die Glaeser, die nass angelaufen waren, wieder trocken. "Ein Unsinn, Gontrau, dass wir diesen Weg machen, er ist viel weiter und schauderhaft schlecht; durch den Hirschgarten waeren wir weit naeher gegangen," sagte er dann zu Leo. Althoff und Leo stritten dagegen, aber Onkel Heinz blieb bei seiner Behauptung. Schliesslich wurde die Generalstabskarte herausgeholt, und die drei Maennerkoepfe beugten sich darueber, bis Onkel Heinz zugeben musste, dass er unrecht hatte. "Die Juristen muessen ja immer alles besser wissen," sagte er. "Und die Zoologen sind immer streitsuechtig," entgegnete Ilse schlagfertig, Leo aber erwiderte lachend: "Aber Heinz, du hast dich doch nun auf der Karte ueberzeugen muessen, dass dieser Weg der kuerzere ist." "Sind meistens falsch, die Karten, und mir deshalb gar nicht massgebend," entgegnete der Professor in unerschuetterlicher Streitsucht. Nun wurde es aber Ilse zu viel, das Mass war voll und lief ueber. Alle Beinamen, die sie ihm am Morgen innerlich gegeben hatte, wiederholte sie jetzt laut. Er musste anhoeren, dass er ein alter Brummbaer sei, der jede Gemuetlichkeit stoere, und dass er doch froh sein sollte, wenn zwei so nette Ehepaare, wie sie und Althoffs waeren, ihn alten wunderlichen Junggesellen in ihrer Mitte duldeten, und sie begriffe Leo in der Tat nicht, warum er sich die ewige Schulmeisterei von ihm gefallen liesse, sie haette sich dies schon lange nicht mehr von ihm bieten lassen. "Gott sei Dank, dass Sie keine Frau haben, Onkel Heinz, die Aermste wuerde ich bedauern," schloss sie ihre Strafpredigt, die den andern hoechst komisch erschien, denn sie lachten laut darueber, von dem Professor aber sehr ernst aufgenommen wurde. Er sah sie ganz verdutzt an, als sie so lossprudelte, sagte aber nichts dazu, sondern zog sich seinen Rockkragen noch fester ueber die Ohren, die Muetze tiefer in die Stirn, und schritt weiter. "Seien Sie froh, Professor, dass Sie nicht verheiratet sind, denn so machen es die Frauen, sie halten immer Gardinenpredigten," versuchte Althoff zu scherzen, aber Onkel Heinz blieb unempfindlich gegen alles, stumm und in sich versunken ging er weiter. Gegen Mittag hoerte das Schneien auf, die Wolken zerrissen, der blaue Himmel kam wieder zum Vorschein, und als sie unten im Tale ankamen, schien die Sonne hell auf die bluehende Fruehlingslandschaft. In dem zarten Laube hingen noch unzaehlige funkelnde Regentropfen, der samtweiche Moosboden erglaenzte unter dem schimmernden Nass, und auf den Wiesen, die sich als eine weite, gruene Flaeche bis zum naechsten Dorfe hinzogen, glitzerten zwischen Halmen und Graesern feuchte Perlen; die Natur schien unter Traenen zu laecheln. Als unsre Freunde den schmalen Wiesenpfad verliessen, der in die Dorfstrasse einmuendete, sahen sie schon von weitem eine dunkle Masse sich unruhig hin und her bewegen, ueber die hinweg ein blaeulicher Rauch in die Hoehe zog. Unter den Traenen, die hier noch in den Augen erglaenzten, gab es kein Laecheln, mit rauher Hand hatte das Schicksal eingegriffen und den Bewohnern Schrecken und Kummer gebracht. Der roetliche Schein am Himmel in letzter Nacht, der bis zum Schneekopf geleuchtet, und den Onkel Heinz nicht bemerkt hatte, war der Widerschein des grossen Feuers gewesen, dem zwanzig Haeuser zu Opfer fielen. Ein wuester Truemmerhaufen, aus dem es noch hier und da schwaelte und der seinen Brandgeruch weit entgegenbrachte, war fast alles, was den Aermsten von ihrer Habe geblieben war. Auf dem regendurchweichten Wege stand das Wenige, das hatte gerettet werden koennen, ein paar Stuehle, Tische und Schraenke, ein Buendel Betten und Kleider, armselige Sachen, schlecht und halb zerfallen, und doch, von wie grossem Werte fuer ihre Besitzer, die sie immer von neuem betrachteten und prueften, ob ihnen auch nichts geschehen sei. Gluecklicherweise war kein Menschenleben zu beklagen, aber das meiste Vieh, Kuehe, Ziegen, Schweine, war ein Raub der Flammen geworden. Der Pastor und der Ortsvorsteher versuchten den Jammernden Mut einzusprechen, laut weinend standen die Weiber umher, aengstlich an sie gedrueckt die Kinder, bleich und verstoert sahen die Maenner aus. Das war ein trauriger Abschluss der schoenen Partie und ein beschaemendes Gefuehl schlich sich in die Seelen der Freunde bei dem Gedanken, dass sie die Nacht in Lust und Froehlichkeit zugebracht hatten, waehrend nur wenige Stunden von ihnen entfernt das Unglueck in so verheerender Weise hauste. Das truebe Bild verwischte denn auch sofort alle Eindruecke der letzten Stunden, man dachte an nichts, als an das Feuer, von nichts andrem war mehr die Rede. In dem kleinen Wirtshause, wo ihnen in aller Eile ein Mittagessen hergerichtet wurde, sah alles verschlafen und uebernaechtig aus, im Bette hatte ja in dieser schrecklichen Nacht niemand gelegen, wo jeder in hellster Aufregung gewesen war. Eintoenig verlief das Mahl. - Der Wirt, der sich zu ihnen gesetzt hatte, erzaehlte den genauen Hergang des Brandes. Wie das Feuer entstanden, wusste kein Mensch, doch hatte sich jeder seine eigene Geschichte darueber zurecht gemacht. Der eine wollte wissen, dass ein altes Weib mit dem brennenden Licht auf den Boden gegangen sei, ein andrer, dass es durch Kinder entstanden waere, und wieder welche zwinkerten geheimnisvoll mit den Augen und munkelten, dass es "angesteckt" sein muesse. So meinte auch der Wirt, der sogar einen Racheakt dahinter vermutete. Ein Knecht, der von seinem Bauern vor einigen Tagen fortgejagt worden war, Drohungen ausgestossen und sich noch einige Tage im Dorfe umhergetrieben hatte, dann aber ploetzlich verschwunden war, sollte am vorigen Abend gesehen worden sein; auf ihn lenkte sich der Verdacht. Nun, in der Untersuchung wuerde es ja herauskommen, wer der Anstifter gewesen sei, so schloss der Wirt seine Rede. Nach dem Essen wurde der Brandplatz noch einmal aufgesucht. Althoff und Gontrau besichtigten die Brandstaette mit dem Pastor zusammen, Nellie und Ilse gaben den Frauen einiges Geld und sprachen troestende Worte zu ihnen, die Ilse trivial und nichtig fand; in diesem Augenblicke, wo den Leuten alles genommen war, da konnte ihnen nur durch die Tat geholfen werden, denn auch die besten Trostesworte wuerden ihnen das Verlorene nicht wieder bringen. Hilfe muss auf jeden Fall geschaffen werden! Ja, aber wie? Das war die Frage, die sich jeder einzelne stellte, als Ilse auf dem Heimwege die Rede darauf brachte. Mit Wenigem war hier nichts auszurichten. Allerhand Vorschlaege wurden gemacht und wieder verworfen. Nellie riet zu einem Bazar, aber vor nicht langer Zeit hatte erst einer zum Besten der Waisenkinder stattgefunden, da wuerde jetzt wohl ein zweiter nicht viel Anklang finden. Althoff wollte ein Schuelerkonzert veranstalten, das war schon eher etwas, Ilse meinte, man sollte einfach sammeln, Onkel Heinz aber sagte gar nichts; er schwieg zu allem und sah auf der Eisenbahnfahrt hartnaeckig aus dem Fenster hinaus. Doch man war viel zu sehr mit dem neuesten Ereignisse beschaeftigt und schenkte seiner Schweigsamkeit deshalb keine Beachtung. Die Vorschlaege wurden nochmals ueberlegt und geprueft, bei dem einen war dies, beim andern jenes auszusetzen, so recht schien noch keiner zu gefallen, als Leo ploetzlich auf den Einfall kam: eine Dilettantenvorstellung im Theater! Das Wort wirkte zuendend, besonders auf Ilse, welche die Idee mit Begeisterung ergriff. "Ein famoser Gedanke!" rief sie ein ueber das andre Mal, und auch die uebrigen stimmten ihr bei, ausgenommen Onkel Heinz, dessen spoettisches Zucken um die Mundwinkel Ilse gluecklicherweise nicht bemerkte. Sie war Feuer und Flamme! Eine Dilettantenvorstellung war etwas ganz Neues, das musste ziehen. Sicher wuerde man ihnen zu diesem guten Zwecke das Theater gern ueberlassen, meinte Leo, und Ilse draengte, dass er schon gleich morgen Schritte dazu tun sollte. Sie konnte es kaum mehr erwarten, bis die Geschichte in Gang kam. Nun aber war die wichtige Frage, die natuerlich auch sofort eroertert wurde, "welches Stueck?" Das war gar nicht so einfach, denn was fuer Schauspieler gut und passend war, brauchte fuer Dilettanten noch lange nicht geeignet zu sein. Da gab es mancherlei zu bedenken und zu ueberlegen. Wenn der eine dies oder jenes Stueck vorschlug, hatte wieder der andre alles moegliche daran auszusetzen, und so ging es fort, ohne dass sie zum Schluss kamen. "Herr Professor, wissen Sie denn kein Stueck, das Dilettanten spielen koennten?" fragte Althoff endlich den schweigsamen Onkel Heinz, der die Telegraphenstangen zu zaehlen schien, so beharrlich sah er nach ihnen hinaus. Da kam der Direktor aber an den Rechten; fuer Komoedienspiel hatte der Professor nie viel uebrig gehabt. "Mit Theaterstuecken weiss ich nicht Bescheid, ich habe mein Lebtag mehr zu tun gehabt, als solche Narrheiten zu treiben," war die scharf betonte Antwort. Hu, wie grob! Aber Althoff kannte Onkel Heinz hinreichend und war weit davon entfernt, ihm seine unfreundliche Antwort uebel zu nehmen. Er lachte darueber, und die andern lachten auch, bis auf Ilse, die dem Professor einen Blick zusandte, der sehr beredt war. - Der Mond strahlte wieder ruhig und sanft, als die beiden Ehepaare und der schweigsame Hagestolz vom Bahnhof nach Hause gingen. Beim Anblick des milden Lichtes hoch ueber ihnen kehrte die Erinnerung an den gestrigen Abend lebhaft zurueck und verdraengte fuer einige Zeit das letzte Erlebnis. Es war doch herrlich gewesen, draussen zu wandern im Mondenscheine, der heller, reiner gestrahlt hatte, als heute abend bei der nebligen Luft, die ueber der Stadt lagerte und ihn nicht zur vollen Wirkung kommen liess. Matt lag er auf den Schieferdaechern, auf den hellen Hauswaenden und den grauen Strassen, an den erleuchteten Fenstern erlosch er ganz zum blassen Schimmer. Onkel Heinz verliess die uebrigen nach kurzem Gutenachtgrusse an der Strasse, die nach seinem Hause fuehrte. Einsam verhallten seine Schritte durch die stille Nacht. * * * Mit einem wahren Feuereifer betrieb Ilse die Vorbereitungen zu der Wohltaetigkeitsvorstellung. Leo hatte am Tage nach der Partie das Noetigste besorgt, und das Theater war ihm zu diesem Zwecke gern ueberlassen worden. Taeglich wanderten Stoesse von Buechern aus der Leihbibliothek in das Gontrausche Haus, jeden freien Augenblick benutzte Ilse, um zu lesen, zu waehlen. Nachmittags kam regelmaessig Nellie, und der Abend wurde dazu verwandt, bei ihr oder Gontraus grossen Kriegsrat zu halten. Und wen die Sache noch aufs hoechste interessierte, das war Ruth! Mutter und Vater wollten Theater spielen, darin lag fuer sie ein grosser Zauber! Schon einige Male war sie in Kindervorstellungen gewesen, dann hatte sie aber vor Aufregung nicht einschlafen koennen, und die naechsten Tage wurde nichts anderes gespielt als Theater. Leo hatte schliesslich verboten, sie wieder mitzunehmen, aber das, was sich in ihrem kleinen Hirne weiter fortspann, konnte er doch nicht verhindern. Heimlich stellte sie sich vor den Spiegel, ordnete die Haare phantastisch, sprach oder sang laut und begleitete Rede und Gesang mit lebhaftem Mienenspiel; so trieb sie es eine Zeitlang, bis andre Eindruecke diesen in ihrer jungen Seele verwischten. Doch jetzt erwachte der Sinn dafuer ploetzlich wieder aufs lebhafteste, sie horchte mit neugierigen Augen und Ohren auf alles, was die Eltern sprachen. Das glaenzende Haus mit den vielen Lichtern, der geheimnisvolle Vorhang, der sich beim Klingelzeichen aufrollte und sie in eine Maerchenwelt eingefuehrt hatte mit all ihrem bunten Glanz und Flimmer, das stand wieder deutlich vor ihrem Geiste, und sie war ganz erfuellt von dem Kommenden. Auch der Schwester versuchte sie etwas von dem zauberhaften Reize des Theaters beizubringen. Vergebens! Marianne sah sie mit ihren grossen, blauen Augen verstaendnislos an, sie hatte mehr Sinn dafuer, ihre Puppen wie eine richtige kleine Mutter zu hegen und zu pflegen. Ruth dagegen fuehrte allerhand Komoedien mit denen, die ihr gehoerten, auf, und wenn das Personal zu ihren Vorstellungen nicht ausreichte, dann nahm sie in ihrem Eifer Mariannes Puppen, die meistens gerade schliefen oder krank im Bette liegen mussten, und schleppte sie aus ihrem behaglich stillen Leben mitten zwischen ihr Theatervolk hinein. Traenen, Streit und ein Richterspruch von Ilse bildeten meist den Schluss. Nach langem Waehlen hatte man sich endlich fuer drei Einakter entschieden: "die Jugendliebe" von Wilbrandt, "das erste Mittagessen" von Goerlitz und "die Hochzeitsreise" von Benedix. Die Stuecke hatte man nun gluecklich, doch jetzt kam etwas nicht minder Wichtiges, fuer das zu sorgen war, naemlich: die Darsteller. Mit wieviel Schwierigkeiten da zu kaempfen ist, kann nur derjenige nachfuehlen, der einmal eine Dilettantenvorstellung zustandegebracht hat. Im Geiste hatten Ilse und Nellie schon alle Rollen besetzt, und wie erstere glaubte, brauchte man nur an die Tueren zu klopfen, um gefaellige Mitwirkung zu bitten, und mit Freuden wuerde jeder einwilligen, sich fuer einen so guten Zweck herzugeben. Deshalb wanderten auch die beiden Freundinnen - zu zweien geht so etwas viel besser - eines Tages wohlgemut los, um sich ihre Kuenstlerinnen zusammen zu holen. Ihr Mut sank schon nach den ersten Versuchen um etliche Grad tiefer, und Ilse hatte sich bereits einige Male sehr energisch ueber die kleinlichen, engherzigen Ansichten der Menschen ergangen. "Theaterspielen auf einer oeffentlichen Buehne!" Das war fast in allen Haeusern dasselbe Stichwort, und ein gewisses Nasenruempfen dabei, als ob von den hoeheren Toechtern etwas Unerhoertes verlangt wuerde, brachte Ilses Blut in Wallung. "Nein, meine Liebe," sagte z. B. Frau So und So, "das koennen Sie nicht von meinen Toechtern verlangen, sich der oeffentlichen Kritik auszusetzen." "Ja, aber Ihre Toechter reichten doch im Bazar Bier und belegte Broetchen herum," gab Ilse zur Antwort. "Haben sie sich denn da nicht auch der oeffentlichen Kritik ausgesetzt?" "Ja, sehen Sie, das war doch nicht im Theater, das ist etwas ganz andres." Inwiefern das "etwas andres" war, konnte Ilse nicht herausbekommen, trotz einer laengeren Erklaerung der Dame, die es wohl selbst nicht wusste. Die beiden gaben jeden weiteren Versuch auf. Eine junge Frau, welche aufgefordert wurde, meinte, das ginge doch nicht, dass sie sich auf einer oeffentlichen Buehne zeigte, denn ihr Schuster, ihre Schneiderin koennten ja nachher sagen: "Gnaedige Frau, was haben Sie aber schoen gespielt!" "O," erwiderte Nellie mit ihrem liebenswuerdigsten Schelmengesicht, das sie stets aufsetzte, wenn sie einen besonders guten Trumpf ausspielte, "Sie brauchten sich doch darueber nur zu aergern, wenn Ihr Schuster und Ihre Schneiderin faenden, dass Sie schlecht gespielt haetten." "Ja, aber ich bitte, meinen Sie denn, dass mir ueberhaupt an dem Urteile solcher Leute etwas liegt?" erwiderte die junge Frau pikiert. "Ich will mich nur ihrer Kritik nicht aussetzen." "Schuster und Schneiderinnen sind doch auch Menschen, und es ist doch keine Schande, ihr Urteil anzuhoeren," sagte Ilse, innerlich empoert ueber solche Anschauungen. Die junge Frau zuckte mit den Achseln und meinte, darueber daechte sie nun einmal anders. Mit kuehlem Gruss verabschiedeten sich die beiden. "O, was ist sie verrueckt," sagte Nellie laut lachend, als sie auf der Strasse standen, aber Ilse war schon ganz kleinmuetig geworden und wollte die Sache aufgeben. Sie kam sich vor, als ginge sie an den Tueren betteln und wuerde ueberall abgewiesen. Der gute Zweck allein hatte ihnen doch den Gedanken an eine Auffuehrung eingegeben, und mit freudigem Herzen hatten sie das Werk begonnen. Ilse war im hoechsten Grade aufgeregt; beinahe fing sie an zu weinen und wollte schon die Flinte ins Korn werfen, aber die viel ruhigere Nellie gab die Sache noch lange nicht auf. "O, so leicht geht das nicht; Fred meinte das gleich. Nur Mut, _darling_," troestete sie. Bei der naechsten Anfrage hatten sie denn auch wirklich mehr Glueck; ja die Idee wurde sogar mit grosser Begeisterung aufgenommen. Man tat gern etwas fuer die armen Leute, von deren Unglueck die Zeitungen schon viel berichtet hatten. Die Dame, welche ihre Zustimmung gab, die sich wie ein lindernder Balsam auf Ilses leidenschaftliche Erregung legte, war allerdings schon in den Jahren, wo ein junges Maedchen anfaengt, "ein aelteres junges Maedchen" zu werden, aber im Vergleich zu ihren beiden noch aelteren Schwestern und ihrer betagten Mutter blieb sie doch immer die juengste und wurde "das Kind" genannt. "Das Kind" hatte eine schoengeistig angelegte Natur, sie dichtete sogar in stillen Stunden, hatte reges Interesse fuer das Theater, selbst - "mit vielem Talent", wie die Schwestern einschalteten, - schon oft gespielt, und war gern bereit, eine Rolle zu uebernehmen. "Vielen, vielen Dank fuer Ihre liebenswuerdige Zusage, Fraeulein Born," sagte Ilse mit einem herzlichen Haendedruck beim Fortgehen und versprach ihr, bald Nachricht zu geben, wann die Leseprobe stattfinden sollte. "Das alte Fraeulein kann die taube Tante in der Jugendliebe geben," sagte Ilse draussen zu Nellie, waehrend das "alte Fraeulein" drinnen bereits mit der jungen Frau in der "Hochzeitsreise" liebaeugelte und die Schwestern sogar meinten, den Backfisch in der Jugendliebe koennte sie auch noch sehr gut spielen, sie haette sogar das richtige Temperament dazu. Ilse war hoch erfreut ueber den Erfolg in diesem Hause, sie dachte ja mit keinem Gedanken daran, dass dieser gefangene Fisch noch gewaltig im Netze zappeln wuerde, wenn sich ihm das Schicksal in Gestalt der "tauben Tante" nahte. Bei dem Doktor Schmidt, dem gemeinschaftlichen Hausarzte von Althoffs und Gontraus, klopften sie auch nicht vergeblich an. Die Eltern hatten nichts dagegen, und die beiden Toechter nahmen das Anerbieten mit grosser Lebhaftigkeit auf; sie versprachen auch noch eine Freundin mitzubringen, ein frisches Maedchen, die gewiss gern eine Rolle uebernehmen wuerde. [Illustration] Der Rundgang konnte nun als beendigt gelten, da die Rollen so ziemlich besetzt waren. Fuer die Herren sorgten Althoff und Gontrau; bei ihnen ging es viel einfacher, als bei den Damen. Ein "Ja" oder "Nein", und die Sache war abgemacht. Ilse und Nellie erzaehlten, als sie heimgekommen waren, beim Mittagessen ihren Maennern die Erlebnisse des Vormittags. Ein klein wenig war Ilses Begeisterung, die vorher den hoechsten Gipfel erreicht hatte, doch schon herabgesunken. Sie hatte geglaubt, ein jeder wuerde die Idee mit ihren Augen ansehen, und an etwaige Hindernisse, die in den Weg kommen koennten, gar nicht einmal gedacht. Nach der Leseprobe aber ueberzeugte sie sich noch mehr, dass eine Dilettantenauffuehrung zustande zu bringen nicht so schoen und leicht ist, wie sie es sich ausgemalt hatte, und Leo musste ihr immer wieder Mut einsprechen. Er uebernahm die Regie, Althoff war Inspizient und Requisitenmeister. Endlich fand die Leseprobe gluecklich statt. Gluecklich? Nein, das ist zuviel gesagt, denn glatt ging sie nicht ab. Die "taube Tante" in der "Jugendliebe" wurde mit Entruestung von Fraeulein Born zurueckgewiesen, und die beiden Fraeulein Schmidt zogen lange Gesichter, als ihrer Freundin, die sie doch erst eingefuehrt hatten, die reizende Backfischrolle der Adelheid in der "Jugendliebe" gegeben wurde. "Ach, das Dienstmaedchen soll ich spielen?" sagte Erna, die aelteste Schmidt, im langgezogenen Tone, und ihre Schwester Mietze meinte, die Rolle der sanften "Betty" in der "Jugendliebe" passe ihr auch nicht recht und waere doch zu kurz. Da stiegen schon wieder Wolken auf, und erst, nachdem Leo ziemlich bestimmt seine Rechte als Regisseur geltend gemacht hatte, kam die Sache etwas in Gang. "Ja, meine Damen," hatte er gesagt, "wenn Sie sich nicht in die Rolle fuegen wollen, die ich Ihnen bestimme, dann wird aus der Geschichte nichts. Wir muessen vor einem grossen Publikum auftreten und wollen uns doch nicht blamieren." Das war ziemlich deutlich, niemand wagte dagegen etwas einzuwenden, und es wurde mit verteilten Rollen gelesen. Ilse sollte die junge Frau im "ersten Mittagessen" geben, Nellie die in der "Hochzeitsreise"; die beiden Ehemaenner wollte Gontrau spielen. Althoff hatte es abgelehnt, aktiv mitzuwirken, aber er wollte bei den Proben zugegen und ein scharfer Kritiker sein. Am Tage nach der Leseprobe erhielt Ilse zwei Briefchen. Ahnungslos oeffnete sie dieselben, aber gleich darauf erschien sie beinahe weinend bei Leo, der gerade in der tiefsten Arbeit steckte, da er voraussah, dass ihm in den naechsten Tagen wenig Zeit uebrig bleiben wuerde. "Was gibt's denn schon wieder?" fragte er aergerlich ueber die Stoerung. "Da, hier lies," rief Ilse. "Fraeulein Born will die taube Tante nicht spielen, und dann schreibt mir auch Erna Schmidt, ihre Mutter wuensche nicht, dass sie als Dienstmaedchen in die Oeffentlichkeit trete. Wenn sie spaeter wieder mit den ihr bekannten Herren auf den Baellen zusammentraefe, koennte das zu Missverstaendnissen fuehren. Was sollen wir nun tun? Es wird ja nichts, es wird sicher nichts, Leo! Lass uns die Sache aufstecken," jammerte sie. Zur rechten Zeit erschien Nellie, und es gelang ihr im Verein mit Leo, Ilse zu troesten und zu beruhigen, bis sie schliesslich auf dem Standpunkt der beiden anlangte und sich mit ihnen zusammen ueber alles lustig machte, denn im Grunde genommen war es doch hoechst amuesant, die Menschen auch mal bei solcher Gelegenheit kennen zu lernen. Nellie ueberbrachte einen Vorschlag ihres Gatten, der mit Gontraus Einwilligung bereit war, einen Prolog zu verfassen. "Herrlich, herrlich," rief Leo, "und wie waere es, wenn wir Fraeulein Born als Koeder den Prolog gaeben, damit sie uns dann die taube Tante spielt?" "O, das tut sie, das tut sie gewiss!" meinte Nellie. "Ja, und das Dienstmaedchen im 'ersten Mittagessen', wer wird das uebernehmen?" fragte Leo. "Das spiele ich und gebe Erna Schmidt die junge Frau in demselben Stueck," sagte Ilse ploetzlich. "Die Rolle des Dienstmaedchens ist ja eigentlich viel huebscher; dass ich daran nicht gleich gedacht habe!" "O, wie schade, du wuerdest als junge Frau so nett sein," sagte Nellie. "Kann ich nicht das Maedchen spielen? Aber ein Dienstmaedchen mit englischem Akzent passt doch wohl nicht?" Nein, nein, wie Ilse sagte, sollte es bleiben, sie uebernahm das Dienstmaedchen. Beide Freundinnen machten sich nun abermals auf den Weg, um die verlorenen Kraefte wieder einzufangen. Erna wollte mit Freuden die Rolle der jungen Frau geben, und mit einigem Zureden gelang es auch, Mietze zu ueberzeugen, dass die Rolle der sanften Betty in der "Jugendliebe" zwar klein, aber doch sehr huebsch sei. Gott sei Dank, das war in Ordnung gebracht! Etwas schwieriger wurde die Situation bei Fraeulein Born. Die jungen Frauen wurden von den beiden aelteren Schwestern empfangen, das "Kind" war in der Singstunde, musste aber jeden Augenblick kommen. Steif und unnahbar sassen die beiden Fraeulein Born da, und die Unterhaltung mit ihnen bereitete einige Verlegenheit. Die "taube Tante" flog wie ein Fangball zwischen beiden Parteien hin und her. Die aeltlichen Schwestern meinten, zu einer solchen Rolle sei denn das "Kind" doch noch zu jung, warum gerade sie diese Rolle spielen sollte, waehrend Ilse ihnen ziemlich heftig die Vorzuege derselben auseinandersetzte. Das "Kind" erschien, und mit aller Entschiedenheit wies sie die "taube Tante" von sich, indem sie erklaerte, ueberhaupt nicht mitspielen zu wollen. "O," rief Nellie mit gut geheucheltem Bedauern, "mein Mann hat einen schoenen Prolog gedichtet und hoffte, dass Sie ihn als Muse sprechen sollten; o, wie schade, dass Sie nicht mitwirken wollen." "Einen Prolog?" fragte Fraeulein Born einlenkend, und ueber ihr Gesicht ging es wie ein Leuchten. Sie sah sich im Geiste schon als Muse dastehen, weisses Gewand, klassischer Faltenwurf, gruener Epheukranz auf dem griechischen Haarknoten. Das war etwas, ja, das war das Richtige fuer sie! Ohne langes Zoegern gab sie ihr Jawort - wenn es auch leider noch nicht vor dem Altare war - und erklaerte sich nun ohne weiteren Widerspruch bereit, die "taube Tante" mit in den Kauf zu nehmen. Schliesslich, damit troestete sie sich, war es doch nur eine grosse Selbstverleugnung von ihr, die Rolle einer Alten zu spielen, und das wuerde man auch gewiss allgemein anerkennen. Mit einem Seufzer der Erleichterung gingen die beiden jungen Frauen wieder aus dem Hause; vor diesem Gange hatten sie besonders grosse Angst gehabt. Die Aufregungen, in welche ein lebhaftes Gemuet durch solche Vorbereitungen versetzt wird, blieben auch bei Ilse nicht aus; wachend und schlafend beschaeftigte sie sich nur mit dem Theater, nachts hielt sie oefters laengere Selbstgespraeche, bald heiterer, meist aber angstvoller Art. Dass sie die Sache auf die leichte Schulter nahm, konnte man nicht behaupten, sie hatte eine grosse Angst, ob alles gut gehen wuerde. Einige Proben waren bereits bei Gontraus im Hause gewesen, heute sollte nun die erste auf der Buehne stattfinden. "Mutter, lass mich mitgehen," bettelte Ruth mit glaenzenden Augen, aber Ilse wies ihre Bitte zurueck. Kinder konnte man nicht auch noch gebrauchen, wo so wie so schon alles etwas kunterbunt herging, sie wurde deshalb bis zur Generalprobe vertroestet. Laut weinend ging Ruth ins Kinderzimmer zu Marianne und klagte dieser leidenschaftlich ihr Leid, die so etwas nicht begreifen konnte. - Das Theater, von der Buehne aus gesehen, kannte fast keiner der Mitwirkenden, und mit neugierigen Blicken wurde es deshalb gemustert. Heute trug es ein andres Ansehen, als wenn es abends bei den Vorstellungen im hellen Lichterglanze strahlte. Der Vorhang war hoch gezogen, dunkel und tot lag der Zuschauerraum vor ihnen, welchen sonst das vielkoepfige Ungeheuer Publikum belebte, das auf den roten, jetzt mit grauen Huellen ueberzogenen Samtsitzen sass und ueber die goldverzierten Bruestungen lehnte. Da wurde sonst geplaudert, gelacht, kritisiert, da sah man heitere Gesichter, wenn es ein Lustspiel gab, und traurige, wenn die Muse ernst war. Da wurden Blicke ausgetauscht, und manches Opernglas richtete sich nach dem Platze, wo ein bluehendes junges Maedchenantlitz zu sehen war. Wie bekannt erschien das alles und doch wieder wie fremd! Man zeigte sich untereinander die Plaetze, wo man auch oft gesessen und erwartungsvoll nach dem Vorhange geschaut hatte, hinter dem sie nun diesmal selbst stehen sollten, um vor den neugierigen Blicken der grossen Menge draussen zu erscheinen. Etwas Herzklopfen machte sich bei diesem Gedanken bemerkbar, einige beschlich schon heute das Lampenfieber. Und als man das Interesse der Buehne zulenkte - das waren nun also die Bretter, welche die Welt bedeuten! Neugierig wurde die Buehne von allen Seiten betrachtet; nuechtern, oede, geschaeftsmaessig sah es hinter den Kulissen aus, das hatten sich die meisten doch anders gedacht! Man musste sich in acht nehmen, nicht ueber Geraete und Stricke zu stolpern, und wie grellfarbig erschienen die Kulissen, die abends beim Lampenscheine so wunderbar wirkten und die Natur taeuschend nachahmten. Ein buehnenkundiger Herr zeigte die Donnermaschine, liess es regnen und den Wind unheimlich heulen, erklaerte den Schnuerboden, stieg in die Versenkung und kam wieder herauf, und konnte die vielen wissbegierigen Fragen, die an ihn gestellt wurden, kaum alle beantworten. Aber trotz mancher Enttaeuschung ueber das "hinter den Kulissen" blieb doch die Wirkung des gewissen "Etwas", was man Theaterluft nennt, nicht aus, die der eine mehr, der andre weniger empfand. Ilse atmete sie mit vollen Zuegen ein; Fraeulein Born aber war vor die Rampe getreten und probierte im Geiste ihre Stellung als prologsprechende Muse. Mit schwaermerischen Augen sah sie in das leere Haus! Leo liess eine Weile dem Treiben freien Lauf; die Neugierde musste erst befriedigt sein, dann aber begann er mit der Probe. Die Nichtbeteiligten und Direktor Althoff sassen verteilt in den Parkettreihen, gespenstisch leuchteten die weissen Gesichter in der Dunkelheit. Zuerst sollte der Prolog gesprochen werden. Das "Kind" ueberkam ein leises Zittern, als jetzt das Klingelzeichen ertoente und sie nun sprechen musste. Leise, mit unsicherer Stimme fing sie an. "Lauter, lauter," rief Leo aus den Kulissen hervor; als Echo ertoente im gleichen Augenblick dieselbe Mahnung von Althoff, und auch aus den hintersten Reihen des Parketts liess sich eine Stimme vernehmen: "Man versteht hier kein Wort, nichts ist zu hoeren!" Fraeulein Born wurde verwirrt, fing an zu holpern und musste auf Leos Geheiss noch einmal von vorn anfangen. Sie war empoert darueber! Zu Hause hatte sie den Prolog den Schwestern und der Mutter verschiedene Male vorgesprochen; sie waren entzueckt gewesen und nun diese Zurechtweisungen! Als aber gar an ihrem Ausdruck, an der Betonung, die sie ueber allen Zweifel erhaben glaubte, ohne Schonung herumgetadelt wurde, da brach es los; sie konnte die aufsteigenden Traenen nicht zurueckhalten, das "Kind" fing an, wie ein Kind zu weinen. Siedendheiss ueberlief es Ilse, der Anfang war ja wieder gut! Doch es half nichts, der Kelch musste geleert werden, wenn er auch noch so bitter war. So lief sie denn hinter die Kulissen und suchte Fraeulein Born auf, welche schluchzend in ihrer Garderobe sass. "Aber ich bitte Sie um Gottes willen, liebes Fraeulein, warum weinen Sie denn?" redete ihr Ilse zu. "Soll ich da nicht weinen, wenn ich oeffentlich blamiert werde?" gab das Kind ausser sich zur Antwort. "Aber das ist doch keine Blamage, mein Mann meint es doch gut," troestete Ilse krampfhaft, aber ihre Worte waren in den Wind gesprochen. "Es waere besser, ich spielte gar nicht mit, wenn ich es doch zu schlecht mache! Gerade mein Vortrag wurde immer besonders geruehmt, und meine Schwestern fanden, dass ich den Prolog mit sehr viel Ausdruck spraeche; aber wenn man nur Tadel und kein Lob hoert, verliert man alle Lust." Ilse konnte gegen diesen Ausbruch, den sie einige Male unterbrechen wollte, nicht aufkommen, auch flossen die Traenen eher noch reichlicher, als zuvor. In ihrer Verzweiflung ging sie zu Leo, der von der Unterbrechung keine Notiz genommen hatte. "Um Gottes willen, sei vorsichtig mit deinen Aeusserungen," sagte sie nervoes zu ihm. "Die Born sitzt in der Garderobe und weint und will nicht mitspielen, du hast sie furchtbar beleidigt." "Ach, dann lass die alte Schachtel nur, sie spricht ja auch graesslich," gab er eilig zur Antwort. "Ja was sollen wir denn aber tun, wir haben doch keine andre!" "Sie wird sich schon wieder troesten, Schatz," sagte Leo fluechtig; er hatte jetzt keine Zeit zu laengeren Auseinandersetzungen, denn die Probe zur "Jugendliebe" sollte im Augenblick beginnen. Der Inspizient, Direktor Althoff, musste verschiedene Male an die Tuere von Fraeulein Borns Garderobe klopfen, bevor diese sich oeffnete und das "Kind" auf der Schwelle erschien, mit geroeteten Augen und mit den Blicken einer erzuernten Goettin. Ilse war froh, als die gekraenkte Muse wieder sichtbar wurde, sie hatte schon geglaubt, dass dieselbe im Ernst ihre Drohung ausfuehren und nicht mitspielen wuerde. Leo, der auch jetzt nicht die geringste Notiz von dem Vorhergegangenen nahm, wies Fraeulein Born ihren Platz an. Marionettenhaft tat sie alles, was er sagte, und leierte die Rolle der "tauben Tante" in einem Tone herunter, der genuegend von ihrem innern Zustande zeugte. Sie hatte sich in eine Art von Resignation begeben, oder besser gesagt, sie "muckte", wie ein stoerrisches Droschkenpferd, und selbst die Peitschenhiebe, deren Stelle in diesem Falle die Kritik ersetzte, konnten sie nicht aufruetteln. "Viel mehr Ausdruck, die Taubheit muss besser zur Geltung kommen," rief Althoff ein ueber das andremal, und wirklich fing das "Kind" auf einmal an, die "taube Tante" sehr natuerlich zu spielen, d. h. sie schien nichts von dem zu hoeren, was ihr gesagt wurde. Leo liess sie denn fuer heute auch in Ruhe, als er merkte, dass alle seine Bemuehungen vergeblich waren. Ob nun der Stumpfsinn der "tauben Tante" die andern Mitspielenden ansteckte oder ob es an sonst etwas lag, kurz es war kein Zug in der Geschichte. Steif und unbeholfen dargestellt, schlecht memoriert wurde das reizende Lustspiel zu einer Karrikatur herabgezogen. Leo und Althoff mussten immer tadeln und verbessern; aber trotzdem wurde alles verkehrt gemacht; es war ein schrecklicher Wirrwarr. Der Backfisch, der in den ersten Proben zu den besten Hoffnungen berechtigt hatte, war heute abend unausstehlich; er fand den richtigen Ton nicht und wirkte manchmal geradezu albern. Leo bewahrte eine bewunderungswuerdige Geduld, er zeigte immer wieder, liess immer wiederholen, waehrend Althoff schon laengst auf seinem Sitze unruhig hin und her rueckte. "O, wie soll das werden!" sagte Ilse seufzend zu Nellie, der es bei dieser Probe auch etwas baenglich zu Mute wurde. Die Liebesszene zwischen "Adelheid" und "Ferdinand von Bruck" fiel glaenzend ins Wasser, bei jeder Annaeherung des Liebhabers zuckte der Backfisch wie von einer Viper gestochen zusammen, und bei der schuechternen Umarmung steckte er die Miene eines Opferlammes auf und liess das "Schreckliche", ohne ein Glied zu ruehren, ueber sich ergehen. Fuer die Zuschauer ein hoechst spasshafter Anblick, fuer Leo aber auf die Dauer eine Qual. Er hatte es unzaehlige Male selbst vorgemacht, er hatte zugeredet, scherzend, liebenswuerdig, ernst, aber nun riss endlich sein Geduldsfaden, seine Stimme klang lauter, erregter, seine Worte wurden weniger gewaehlt. "So geht das nicht, liebes Fraeulein, wenn Sie -", er verbesserte sich schnell und sagte: "wir so spielen, blamieren wir uns." Die "taube Tante" zeigte eine schadenfrohe Miene bei dieser Zurechtweisung - Gott sei Dank war sie nicht die einzige, die so angefahren wurde; wenigstens ein schwacher Trost. Dem blonden Backfisch aber, der reizenden Freundin der beiden Schmidts, Erika Blum, stieg das rote Blut bis unter die hellen Haarwurzeln bei Leos Worten; einige Minuten spaeter sass auch sie in der Garderobe, wie vorhin das "Kind", weinend und schluchzend. Nummer zwei an diesem Abend. Diesmal uebernahm es Nellie, Trost zu bringen, aber Ilse war ihr gefolgt und ging nun erregt auf und ab, mit geteilten Gefuehlen. Einesteils fand sie, dass Leo wirklich etwas zu barsch geworden war, andrerseits schien ihr die grosse Empfindlichkeit der Mitwirkenden geradezu laecherlich. Das "Kind" war auch hereingeschluepft, mit ihr die andern jungen Maedchen, sie mussten doch ebenfalls alles sehen und hoeren, was da vorging. "Ach, weine doch nicht, Erika," redete Mietze Schmidt ihr zu, "wir haben doch alle unser Teil bekommen, das naechste Mal werden wir es schon besser machen." "Ja, es haben auch noch andre ihr Teil bekommen," sagte Fraeulein Born mit spitziger Betonung und Beziehung. "Der Herr Gontrau nimmt gerade keine besondere Ruecksicht." "Na, ich fuerchte mich schon vor dem naechsten Stueck, wenn ich dran komme," meinte Erna Schmidt. "Das kann heute noch gut werden." "Aber ich bitte Sie, meine Damen," fuhr Ilse erregt dazwischen; "wenn Sie eben keinen Tadel vertragen koennen, wollen wir die Geschichte lieber aufgeben, die so viel Muehe und bis jetzt so wenig Freude macht." "Ihr Herr Gemahl wird nicht zufrieden zu stellen sein," erwiderte Fraeulein Born, indem sie dabei an den Prolog dachte, den sie nach ihrer Meinung doch ausgezeichnet gesprochen hatte. "Und ich spiele doch wahrhaftig nicht deshalb Theater, um mich nur zu aergern; Ihr Herr Gemahl scheint zu glauben, dass er dumme Schulkinder vor sich hat." Hierauf gab Ilse eine erregte Antwort und verteidigte den Angegriffenen mit der Heftigkeit, wie ungefaehr eine Loewin ihr Junges verteidigt. Ein Wort gab das andre, die uebrigen mischten sich mit hinein, schliesslich sprachen alle durcheinander, und nur einzelne Schlagworte, wie "nicht mitspielen", "ruecksichtslos" usw., tauchten wie Froschkoepfe in einem Teiche aus diesen Redewellen auf. Die Garderobe war nur eng und klein, fuer zwei Personen berechnet, jetzt aber liefen sechs aufgeregte Menschenkinder durcheinander, deren heftige Gestikulationen als groteske Schattenbilder an den weissgetuenchten Waenden erschienen. Die hellen Gasflammen zu beiden Seiten des Spiegels und das dicht verhaengte Fenster, durch welches kein Luftzug dringen konnte, verursachten eine wahrhaft tropische Hitze in dem Raum, und da war es denn kein Wunder, dass sich nicht nur die Gemueter, sondern auch die Koepfe erhitzten. Erika Blum sass auf dem einen der beiden einzigen Stuehle, Nellie daneben auf dem andern und sprach ihr liebevoll zu. Die Traenen versiegten auch wirklich bald, und einige Male hatte sie sogar schon gelaechelt. Das Verschwinden der saemtlichen weiblichen Mitspielenden war schliesslich Leo und Althoff aufgefallen; auch sollte mit dem zweiten Stuecke begonnen werden. Als sie jetzt in den Gang eintraten, in welchen die Damengarderoben muendeten, hoerten sie durch die Tuere ein lebhaftes Stimmengewirr, das sich von draussen wie das Summen von vielen, in einer Schachtel eingesperrten Maikaefern anhoerte. Alles Rufen, Klopfen, Ruetteln an der verschlossenen Tuere wurde von den eifrigen Streiterinnen vollkommen ueberhoert; erst als das Klopfen zu einem donneraehnlichen Droehnen anschwoll, glaetteten sich die aufgeregten Wogen. Fraeulein Borns Flacon, das sie stets, mit koelnischem Wasser gefuellt bei sich trug, wanderte von einer zur andern, die Taschentuecher wurden getraenkt und mussten die Wangen kuehlen. Dann erst wurde die Tuere geoeffnet. "Mein Gott, wo bleibt ihr denn?" fragte Leo seine Frau etwas aergerlich, aber er verstummte, als er in ihr bittendes und zugleich aufgeregtes Gesicht sah. Die jungen Herren waren schon ungeduldig geworden und hatten nicht viel Zeit mehr, es musste deshalb schnell zu Ende geprobt werden. Auch die beiden andern Stuecke wurden nicht viel besser gespielt; es herrschte durchweg keine besondere Stimmung, und so viel auch Leo redete und ermahnte, es ging eben heute nicht. Ilse spielte das Dienstmaedchen im "ersten Mittagessen" so tragisch, dass man ueber diese komische Rolle eher zu weinen, als zu lachen versucht war. Der Darstellerin war es aber auch keineswegs lustig zumute; bei den fortwaehrenden unangenehmen Zwischenfaellen konnte man unmoeglich seine gute Laune behalten. Die junge Frau, Erna Schmidt, musste ebenfalls noch viel vertrauter mit ihrer Rolle werden, und Nellie sprach heute mit so starkem Akzent, dass es weit bemerkbarer war, als man erwartet hatte. Leo als Professor, zwei Referendare als Famulus und Stiefelputzer in der "Hochzeitsreise" liessen die unter Null gesunkene Hoffnung auf das Gelingen der Auffuehrung durch ihr Spiel wieder etwas steigen; es wurde sogar einige Male herzhaft gelacht. Ilse lachte nicht mit, sie war im hoechsten Grade aufgeregt. Da - zwischen den Kulissen stand die Born, im Kreise um sie herum die andern; sie sprach und gestikulierte mit hochroten Wangen, und aus den Blicken, die oftmals nach Leo hinueberflogen, konnte man schliessen, dass von ihm, und zwar nicht in der liebenswuerdigsten Weise, die Rede war. Das alles bemerkte Ilse; am liebsten waere sie hingegangen und haette die zischelnde Gruppe gesprengt, aber sie hielt doch an sich. Sie war froh, als die Probe jetzt zu Ende war und sie mit Leo und Althoffs heimgehen konnte. Der Direktor hatte unterwegs noch sehr viel auszusetzen, auch Ilse und Nellie mussten manche Ruege, manchen Tadel einstecken. Immer hoeher schien der Berg zu wachsen, der sich heute abend schon als unueberwindliches Hindernis vor Frau Ilses Augen aufgebaut hatte. In sechs Tagen schon sollte die Auffuehrung sein - das war ja ein Ding der Unmoeglichkeit! Und sie erzaehlte im Verein mit Nellie von den Szenen, die sich hinter den Kulissen, naemlich in der weiblichen Garderobe abgespielt hatten. Leo brach in ein lautes Gelaechter aus, und Althoff meinte, ohne Zank koenne es bei den Weibern nun einmal nicht abgehen. Ilse jedoch liess ihren Traenen freien Lauf, sie war abgespannt und nervoes von dem Tumulte der letzten Tage; es kam so vieles zusammen. "O, _darling_, du musst dir die Sache nicht so zu Herzen nehmen," beruhigte Nellie; "an allem ist die dumme Born schuld. O, was war sie giftig in der Garderobe!" Aber der Freundin Kummer musste sich austoben. Der einzige, der ihr recht gab und dergleichen auch hoechst aergerlich fand, war Althoff; er stimmte ihr vollstaendig bei, waehrend Leo die Sache von der komischen Seite auffasste. "Passt auf, morgen bekommen wir wieder einige Absagebriefchen," sagte Ilse, "und was machen wir dann?" Leo lachte sie aus. "Im Gegenteil, sie werden nach den heutigen Erfahrungen in sich gehen und sich die Sache ueberlegen; das Theaterspielen hat doch zu grossen Reiz fuer alle. Komm, Schatz, und sei nicht so tragisch," sagte er liebevoll und zog sie in seine Arme. Dennoch begab sich Ilse mit banger Sorge zur Ruhe, und in der Nacht litt sie an Alpdruecken. Sie traeumte, dass sie in der engen Garderobe mit den andern zusammen, wie in einer Sardinenbuechse hermetisch eingeschlossen sei. Die Born, "das Kind", hatte eine Teufelsmaske vor dem Gesicht und Krallen an den Fingern; dabei kam sie ihr so nahe, dass sie fuerchtete, erdrueckt zu werden; auch konnte sie keinen Atem holen; weder rueckwaerts noch vorwaerts sich bewegen, nicht schreien oder rufen - es war ein entsetzlicher Zustand. Dann wieder standen sie auf der Buehne, die Vorstellung sollte beginnen, das Publikum wurde bereits ungeduldig, aber nichts war in Ordnung, niemand war zur Stelle; Ilse konnte kein Wort von ihrer Rolle, die Klingel ertoente, der Vorhang hob sich. Gott sei Dank, in diesem Augenblicke der hoechsten Qual erwachte sie. Die helle Fruehlingssonne schien herein, und durch die offenen Fenster strich erquickend die frische Morgenluft. Vor ihrem Bette standen die Kinder, Ruth mit einem Veilchenstrausse in der Hand, den sie eben aus dem Garten geholt hatte. Wie himmlisch war das Erwachen nach einem so boesartigen Traume! Sie wollte nun auch den ganzen Morgen nichts von der Theaterangelegenheit hoeren. Nachdem sie sich angezogen hatte, ging sie mit Ruth und Marianne hinaus in den lachenden Fruehlingsmorgen. Seit einigen Tagen war sie nur im Hause gewesen oder in der staubigen Stadt umhergelaufen, da hatte sie nicht bemerken koennen, wie weit das Gruenen und Bluehen draussen gediehen war. Und die Kinder hatten ihr so viel zu erzaehlen - sie kam sich als eine ganz schlechte Mutter vor, weil sie die Kleinen in der letzten Zeit etwas hatte vernachlaessigen muessen. Aber bald wuerde alles vorbei sein, und dann war sie wieder ganz ungeteilt fuer sie allein da. Auch von Onkel Heinz war die Rede, Ruth hatte ihn einige Male besucht, aber seine Tuere war verschlossen gewesen. Onkel Heinz! Selbst fuer den alten Freund hatte Ilse in diesen Tagen keinen Gedanken uebrig gehabt; es war ihr nicht einmal aufgefallen, dass er sich nach der Partie noch nicht hatte sehen lassen. Einesteils aber war sie ganz froh darueber, denn jetzt auch noch seinen Spott zu hoeren, haette sie nicht ertragen, und an Spott wuerde er es sicher nicht haben fehlen lassen. Der Spaziergang tat ihr ungemein wohl und beruhigte ihre aufgeregten Nerven. Sie besuchte auch Nellie, die ihr blondes Patenkind Marianne bis zu Abend bei sich behielt. Auf dem Rueckweg begegnete ihnen Rosi. "Nun, ich hoere, ihr wollt Theater spielen?" fragte sie mit einem leisen Anflug von Spott in der Stimme. Wie die Pastorin darueber urteilen wuerde, konnte sich Ilse ganz genau denken, dennoch aergerte sie die Art, in welcher Rosi danach fragte. "Es ist nur gut, dass ihr es wenigstens fuer einen guten Zweck tut," fuhr sie fort; "mein Mann hat auch schon fuer die armen Leute sammeln lassen." Das "nur gut" und "wenigstens" brachte Ilses Blut in Wallung, aber sie bezwang sich und fragte: "Ihr kommt doch auch?" "Ich weiss noch nicht, ob Adolf Zeit hat." Innerlich war sie fest entschlossen hinzugehen; die Neugierde war doch zu gross und siegte ueber die sonstige Abneigung gegen das Theater. Vor der naechsten Probe hatte Ilse eine foermliche Angst. Doch es schien wahrhaftig, als sollte Leo Recht behalten. Man hatte besser gelernt, die Bewegungen waren freier, ungezwungener, das Sprechen ging flotter, und nachdem die groessten Schwierigkeiten ueberwunden waren, stellte sich auch die Lust und Begeisterung wieder ein. Das "Kind" hatte sich diesmal ihre beiden Schwestern mitgebracht, und trotzdem es andern als den Mitspielern untersagt war, an den Proben teilzunehmen, musste man sie dulden, da man sie doch nicht hinausweisen konnte. Wie zwei gestrenge Waechterinnen nahmen sie in der ersten Parkettreihe Platz und blieben dort den ganzen Abend ueber sitzen. Taeglich wurde jetzt geprobt, und allmaehlich trat die richtige Stimmung ein, wie sie sonst in Dilettantenproben zu herrschen pflegt. Es wurde gelacht, gescherzt und Unsinn getrieben, und man nahm sich auch laute Kritiken nicht mehr uebel. Sogar Fraeulein Born hatte sich mit der "tauben Tante" etwas angefreundet und behandelte sie nicht mehr so gleichgueltig; auch der Backfisch war bei der "schrecklichen Umarmung", wie sie es nannte, etwas gefuehlvoller als das erste Mal. So war man gluecklich bis zur Generalprobe gelangt, die wie gewoehnlich nicht zum besten verlief. Am Tage danach sollte die Auffuehrung stattfinden. Es herrschte keine geringe Aufregung unter den Mitwirkenden, und doch konnten sie kaum die Zeit erwarten, bis der Abend erschien und sie zur verabredeten Stunde ins Theater gehen konnten. Um 1/26 Uhr sollte man dort sein, als aber Ilse und Nellie gleich nach 5 Uhr eintrafen, fanden sie fast alle schon versammelt, und ein reges Leben und Treiben war im Gange. Das helle Tageslicht drang nicht in diese Raeume; wo ja ein lichter Strahl von draussen sich herein verirren konnte, wurde er durch dichte Vorhaenge daran verhindert. In dieser Welt des Scheins regierten nur die Gasflammen. Von der Buehne her toente Sprechen und Haemmern. Ilse lief schnell erst einmal dorthin, um Leo zu begruessen, der mit Althoff zusammen noch alle moeglichen Anordnungen zu treffen hatte. Es bebte ihr das Herz, wenn sie daran dachte, dass sie binnen wenigen Stunden hier stehen sollte, und doch - welcher Zauber lag in dem Gedanken! In den Damengarderoben schwirrte es durcheinander von erregten Stimmen. Die Tueren standen offen; man ging bald hier-, bald dorthin; die Toiletten wurden nochmals einer genauen Pruefung unterworfen, diese und jene kleine Aenderung vorgenommen, und eine Wolke von Schminke- und Parfuemduft lagerte ueber dem Ganzen. Das "Kind" sass im Frisiermantel in seiner Garderobe mit aufgeloestem Haare, das die eine der beiden Schwestern mit Buerste und Kamm bearbeitete, waehrend die andre geraeuschvoll ein Ei mit Zucker in einem Glase zusammenquirlte. Das war gut fuer die Stimme und wurde der Erregten loeffelweise eingegeben; ausserdem standen noch eine Flasche Wein auf dem Tische und ein Teller mit belegten Broetchen, um die Kraefte der vom Lampenfieber Ergriffenen zu erhalten. Die Rolle hielt sie krampfhaft in den Haenden und memorierte fortwaehrend. "Unsre arme Schwester ist so erregt," sagte das aelteste Fraeulein Born, als Ilse jetzt eintrat, um Gutenabend zu sagen. "Aber sie braucht doch wahrhaftig keine Angst zu haben, wer seine Sache so gut kann wie sie!" [Illustration] "O, Angst habe ich auch nicht, liebe Anna, du lieber Gott, wie oft habe ich schon Theater gespielt," fuhr das "Kind" dazwischen. Und in der Tat, was das "Koennen" betrifft, hatte sie keine Angst, so etwas fuehlten nach ihrer Meinung nur gewoehnliche Sterbliche, Kuenstlerseelen, wie sie, waren ueber dergleichen erhaben. Sie hatte keine Ahnung, dass selbst die groessten Kuenstler das Lampenfieber niemals ganz verlieren, und dass, wenn man sie auf den Brettern so sicher und selbstbewusst auftreten sieht, diese Ruhe schwer erkauft ist. Dem wahren Kuenstler bleibt die Kunst stets ein Ringen, ein Kampf, denn nur er kennt die Schwierigkeiten, ueber welche der Dilettant in sorgloser Unwissenheit hinwegschreitet. In den Garderoben der jungen Maedchen herrschte ein lustiges Durcheinander. Auch hier erwiesen sich Muetter und Tanten als helfende Engel; es gab ja so vielerlei zu tun. Erika Blum liess sich noch einmal ihre Rolle ueberhoeren; besonders die eine dumme Stelle, wo sie immer stecken blieb; der Souffleur hatte sich schon einen dicken Strich darunter machen muessen. Wenn es nur heute abend gut ging! Sie sah uebrigens reizend aus, die huebsche Erika. Das blonde Haar hing nach Backfischmanier als dicker blonder Zopf ueber den Ruecken herunter und wurde von einer rosaseidenen Schleife zusammengehalten. Von derselben Farbe war das duftige Kleid, das sorgfaeltig ausgebreitet ueber dem Stuhle lag. Das wichtige Geschaeft des Ankleidens musste nun beginnen, denn schon war der Friseur hinter Fraeulein Borns Tuere verschwunden und wuerde gleich zu den andern kommen. Die letzten Stunden in der Damengarderobe vor einer Dilettantenauffuehrung wuerden einem objektiven Beobachter eine Fuelle von komischen Eindruecken bieten. Da loest sich alles in ein buntes Chaos auf; von menschlicher Naechstenliebe ist nichts mehr zu bemerken, statt dessen kommt der Egoismus zu Tage, jeder denkt nur an sich selbst, jeder moechte zuerst fertig sein, zuerst den Friseur haben, zuerst geschminkt werden; das ist ein Rufen, Fragen, Schwatzen ohne Ende! In der Garderobe von Erika Blum und den Schmidtschen Maedchen fuehrten zwei Muetter einen heftigen Wettkampf auf, denn jede wollte, dass ihre Tochter die schoenste sei, und trotz des Eifers und der grossen Eile flogen doch verstohlene, pruefende Blicke hinueber und herueber. Jetzt erschien der Friseur mit Schminke und Puderbuechse; er wurde sofort foermlich umringt. "Bitte, erst mich, ich komme zuerst dran." "Meine Haarfrisur haelt aber solange auf, Sie muessen mich zuerst frisieren!" "Sehen Sie doch, bitte, ich habe mich schon selbst geschminkt; ist es so richtig, oder muss der schwarze Strich unter den Augen staerker sein?" Der parfuemierte Juengling konnte sich vor so vielen Fragen und Anforderungen kaum retten, hilfeflehend sah er von einer zur andern; endlich schoss Erika den Vogel ab; sie wurde die erste. "Nur nicht so rote Backen," sagte sie, denn schon im gewoehnlichen Leben waren ihre frischen Farben ihr groesster Kummer, sie fand es interessanter, etwas blass auszusehen. Endlich war sie fertig und kam sich mit dem angemalten Gesicht wie ein Puppenkopf vor, aber der duftende Haarkuenstler versicherte immer wieder, dass sie ausgezeichnet "wirken" wuerde, und die Freundinnen fanden den Backfisch Erika "reizend, suess, entzueckend!" Auch Frau Dr. Schmidt sagte der Mutter von Erika viel Angenehmes ueber das reizende Toechterchen, und Frau Blum behauptete mit gleicher Liebenswuerdigkeit, dass Erna und Mietze doch noch viel huebscher aussaehen. In demselben Augenblick flog die Tuere auf, das zweite Fraeulein Born stuerzte aufgeregt herein, und der Friseur wurde noch einmal zum "Kinde" zurueckgeholt, denn die blonde klassische Peruecke hatte sich verschoben, als sie den Epheukranz darin befestigen wollte; ausserdem war das Schminken noch nicht zur vollen Zufriedenheit ausgefallen. "Gott, Sie sind schon alle fertig?" fragte Fraeulein Born aengstlich, als die jungen Maedchen jetzt zu ihr kamen und auch Ilse in ihrem einfachen Dienstmaedchenkleid erschien. "Aber Sie fassen doch Ihre Rolle zu realistisch auf, liebste Frau Gontrau, sich so rote Arme zu schminken!" bemerkte sie leichthin zu Ilse, wandte dann aber sofort ihre Aufmerksamkeit wieder sich selbst zu. "Bitte, nun sagt mir mal ehrlich, sehe ich wirklich nicht graesslich aus?" Dass diese Frage nicht im Ernste gestellt war, daran zweifelte keine von den Gefragten, sie selbst aber am wenigsten, denn sie laechelte ihrem Spiegelbilde wohlgefaellig zu, und ihre beiden Schwestern versicherten fortwaehrend, wie reizend sie aussaehe. Dabei legten sie immer wieder die weichen Falten des Gewandes zurecht, wenn sie sich bei den unruhigen und keineswegs klassischen Bewegungen seiner Traegerin verschoben. Wirklich war denn auch mit dem Kinde eine vorteilhafte Verwandlung vor sich gegangen. Die blonde Peruecke, die Schminke und das griechische Gewand hatten Wunder vollbracht und ihr ein jugendliches Ansehen verliehen, das sie sonst im Leben nicht mehr besass. Fuer die uebrigen hatte die aufgeregte Muse nur wenig Zeit und Interesse, herablassend klopfte sie Erika auf die Wange. "Wie niedlich Sie aussehen, Kleine; na, da werde ich als alte Tante schoen von Ihnen abstechen!" Und missmutig glitten ihre Blicke ueber das graue Kleid der "tauben Tante", das schlaff und dunkel an der weissen Wand hing. Dahinein musste sie nachher und ihr poetisches Gewand mit diesem unkleidsamen vertauschen, es war eigentlich zu aergerlich. Aus ihren Betrachtungen wurde sie durch die elektrische Glocke gerissen, deren schriller Klang wie ein Zauberzeichen wirkte. Jetzt wurde es Ernst, jetzt mussten alle Gedanken zusammengenommen werden. Nur noch ein pruefender Blick in den Spiegel. "Liebste Anna, noch etwas Puder auf den Hals - noch eine Haarnadel - schnell - hier diese Falte bauscht sich doch zu sehr, stecke sie lieber fest. Mein Gott, sitzt denn wohl alles ordentlich?" Annas Haende flogen, waehrend die andre Schwester mit dem roten Staerkungstranke bereit stand. "Nur einen Schluck," draengte sie und hielt der Muse das volle Weinglas an die Lippen. "Vorsichtig, vorsichtig, dass die Schminke nicht abgeht," gebot das Kind, - dann rauschte es hinaus. Die andern waren schon auf der, zu einem Garten verwandelten Buehne versammelt. Man draengte sich an die kleinen Loecher im Vorhang, um ins Publikum sehen zu koennen, man entdeckte Verwandte, Freunde und Bekannte in dem lichterstrahlenden Raume, der fast schon ganz besetzt schien, und doch stroemte es noch fortwaehrend herein. In der ersten Reihe sassen die beiden Gontrauschen Kinder. Ruths Augen starrten gross und erwartungsvoll auf den bunten Vorhang; sie malte sich aus, wie es wohl jetzt dahinter aussehen mochte; denn waehrend der Generalprobe hatte sie einen Blick in die Kulissen tun duerfen - o, das war eine Wonne gewesen! Wie fernes Meeresrauschen toente das Stimmengewirr im Zuschauerraum zu den Mitwirkenden hinter den Vorhang. Dann und wann konnte man eine besonders laute Stimme heraushoeren, oder ein kurzes helles Lachen, dazwischen toenten einzelne langgezogene Geigenstriche aus dem Orchester, das seine Instrumente stimmte. Alle diese Geraeusche verstummten augenblicklich, als das Klingelzeichen zum Beginn ertoente und mit vollem harmonischen Akkord die Musik einsetzte. Nur wer einmal eine solche Auffuehrung mit durchgemacht hat, kann die allgemeine bange Stimmung der letzten Minuten, bevor sich der Vorhang zum ersten Male hebt, nachfuehlen! Die Buehne, auf der noch lachende, plaudernde Gruppen umherstanden, wurde im schnellsten Laufschritte verlassen, als die Glocke ertoente; voll Spannung standen nun alle hinter den Kulissen und warteten. Eiskalte Haende und Fuesse, haemmerndes Herzklopfen, momentane vollstaendige Gedaechtnislosigkeit, Zittern in allen Gliedern, das waren die Symptome des Lampenfiebers, welches, trotz aller Prahlerei vorher, doch alle mehr oder weniger ergriffen hatte. Die Ouvertuere neigte sich ihrem Ende zu, jetzt, jetzt verhallte der letzte Ton, noch ein Klingelzeichen, dann ein leises Rauschen wie ein Fluegelschlag, - der Vorhang ging in die Hoehe. Das Gefuehl, welches Fraeulein Born beim Beschreiten der Buehne hatte, war demjenigen sehr aehnlich, welches man empfindet, wenn man sich in den Marterstuhl eines Zahnarztes niederlaesst. Vor ihren Augen tanzte das vielkoepfige Publikum wie in einem Kaleidoskop durcheinander. Die ersten Worte blieben ihr fast in der Kehle stecken und kamen nur als Fluestern ueber die Lippen. Aber mehr und mehr schwand die Befangenheit, die Stimme wurde lauter, und ohne besonderen Zwischenfall ging alles vorueber. "Einige falsche Betonungen, zuviel Pathos," kritisierte Leo hinter den Kulissen, aber das Publikum nahm die herzlichen Worte doch sehr warm auf, und wie Sphaerenmusik klang das laute Haendeklatschen an das Ohr des "Kindes", als der Vorhang gefallen war. Zweimal musste er sich wieder heben, zweimal durfte sie sich tief verbeugen - wer kann die Wonne eines solchen Augenblicks beschreiben! Mit geoeffneten Armen und einem dicken Tuche empfing Schwester Anna die tief Bewegte, waehrend die andre schon wieder den bewussten Labetrank bereit hielt. "Schnell, schnell umkleiden," rief Leo ihr zu, und nun kam sie sich wirklich wie eine grosse Kuenstlerin vor, als an allen Ecken und Enden helfende Haende bereit waren, die Muse in die "taube Tante" umzuwandeln. Hinein musste sie ins prosaische Alltagskleid, auf die gepuderten Haare wurde ein Spitzenhaeubchen gesteckt. Der Friseur taenzelte um sie herum, und unter seinen flinken Haenden entstand ein wuerdiges Matronenantlitz. "Hier noch einige Falten, meine Schwester sieht noch viel zu jung aus," sagte Anna und zeigte mit dem Finger auf deren Stirn. "Nein, nein, keine kuenstlichen Falten, es wird sonst zu viel," erwiderte der gelockte Juengling und besah pruefend sein Werk, hier und da noch einen kleinen Strich aufsetzend oder mit dem Puderquast tupfend. "Lassen Sie nur, Sie koennen gehen," sagte das Kind, mit hoheitsvoller Miene sich erhebend, und nannte ihn, als er draussen war, einen widerlichen, unverschaemten Menschen. Die "Jugendliebe" wurde gut und flott gespielt, die blonde Erika entwickelte viel mehr Temperament, als in irgend einer der Proben, und auch die Umarmungsszene geriet weit natuerlicher als bisher. Mietze Schmidt und ihr komischer Liebhaber passten vortrefflich zusammen, und die "taube Tante" hoerte es mit Genugtuung an, wie man ueber ihre Schwerhoerigkeit lachte. Der Beifall war geradezu stuermisch, als das reizende Lustspiel zu Ende war, und als Erika auf der Buehne erschien, flog ein wundervoller Strauss, ganz aus Rosen und Maiblumen bestehend, zu ihren Fuessen nieder. Galant ueberreichte ihn Ferdinand von Bruck der Gefeierten, und trotz der Schminke konnte man doch bemerken, wie tief sie erroetete. "Von wem, von wem?" rief und fragte es durcheinander, als sie hinter den Kulissen erschien. Sie konnte kaum die Karte lesen, die in den Blumen steckte, und auf welcher nur die Worte standen: "Der reizenden Adelheid", so eilig hatten es die uebrigen, den Strauss zu sehen und zu bewundern. Er wanderte von einer Hand in die andre, und die zarten Maiblumen fingen bereits an, ihre Gloeckchen zu senken, als sich so viele Nasen darueber beugten. Dieser Strauss war ein Ereignis, und wer ihn wohl geschickt haben mochte, darueber zerbrach man sich die Koepfe. Erika musste viel mit anhoeren. Sie wusste ja natuerlich, von "wem" diese Blumenspende kam, sie wollte es nur nicht sagen, und was dergleichen Reden mehr waren. Fraeulein Born aber meinte, anonyme Geschenke duerfe ein junges Maedchen eigentlich gar nicht annehmen, sie faende es wenigstens nicht schicklich und wuerde es sicher nicht tun. Erika wurde es bei dem vielen Hin- und Herreden ganz unbehaglich zu Mute, sie wuenschte schon, sie haette die Blumen lieber nicht bekommen, die jetzt die Ursache so heftiger Debatten waren, und hielt die duftenden Blueten ganz traurig in der Hand, als ihr Nellie zuraunte, sie moege sich nur ja darueber freuen, die andern waeren alle nur neidisch auf sie. "Wahrscheinlich wieder so eine Anbaendelei von der Erika; sie hat eben doch ein etwas leichtes Wesen," sagte das Kind spaeter zu den Schwestern, und die huebsche Erika wurde von den dreien tuechtig durchgenommen und zerlegt. Der Refrain lautete immer: "Es ist schade um das huebsche Maedchen!" Als Ilse im "ersten Mittagessen" in ihrer Dienstmaedchenrolle erschien, erklang ploetzlich das helle Lachen einer Kinderstimme laut durch das Haus. Es war Marianne, welche ihre Mama in diesem Anzuge zu komisch fand und sich gar nicht darueber beruhigen konnte, bis Ruth sie energisch am Aermel zupfte und zur Ruhe verwies. Uebrigens kam auch das Publikum nicht aus dem Lachen heraus bei der wirklichen Komik, die Ilse in ihrem Spiel entfaltete; sie wurde sogar einige Male bei offener Szene gerufen. - Es war nun schon eine gewisse Dreistigkeit ueber die Mitspielenden gekommen, man zitterte nicht mehr, wenn der Vorhang in die Hoehe ging, sondern fuehlte sich schon ganz heimisch auf den Brettern, und in den Pausen wurde auf der Buehne nach der Musik getanzt. Freunde und Bekannte erschienen hinter den Kulissen, lobten die Darsteller, ueberbrachten die Kritiken aus dem Publikum - natuerlich nur die guten - und besahen neugierig sich das bunte Treiben. "Sie spielen aber wirklich famos, deine Freundin Ilse hat viel Talent," sagte auch der Pastor im Parkett zu Rosi, die einige Male gelaechelt hatte, aber zu einem wahren Genuss nicht gekommen war. "Passend finde ich es nicht, dass eine Frau noch Theater spielt," warf sie ein, "aber freilich, Ilse und Nellie denken ueber so etwas anders!" Die Betonung dieser Worte liess erraten, welchen Sinn sie hineinlegte. "Aber bedenke doch den guten Zweck, Roeschen; sie nehmen eine Menge Geld ein fuer die armen Abgebrannten," meinte ihr Mann und sah sich in dem vollen Hause um. Es war bis auf den letzten Platz besetzt - lauter mitleidige, wohltaetige Seelen? Wenn mit einem Schlage die Beweggruende eines jeden auf seiner Stirn zu lesen gewesen waeren, die ihn heute abend ins Theater gefuehrt hatten, so wuerde wahrscheinlich bei vielen die Neugierde ueber die Wohltaetigkeit den Sieg davon getragen haben. Gute Bekannte in der Oeffentlichkeit wirken zu sehen, hat ja immer einen grossen Reiz. Zum dritten und letzten Male ertoente jetzt die Klingel. Die "Hochzeitsreise" von Benedix wurde fast noch flotter als die andern Stuecke gegeben. Nellie und Leo spielten das Professoren-Ehepaar, und ebenso wie diese waren die andern Rollen, sowohl der Famulus und der Stiefelputzer, als das Kammermaedchen, vorzueglich besetzt. Der Beifall war ein grosser, und zum Schlusse mussten die Spielenden vier- bis fuenfmal erscheinen; unermuedlich ruehrten sich die Haende der Zuschauer, und einzelne Begeisterte dankten sogar mit lauten Bravorufen. - Nun war alles vorbei! Der eiserne Vorhang rasselte herab, die beiden Welten wieder voneinander trennend. Die Lichter erloschen in dem leeren Zuschauerraume, und den roten Samtsitzen wurden die grauen Kappen uebergezogen. In den Garderoben hantierte man eifrig mit Cold Cream, Seife und Waschwasser; damit wurde das blendende Theatergesicht bearbeitet und wieder in das alltaegliche verwandelt. Mit wehmuetig zaertlichen Blicken betrachtete das "Kind" ihr griechisches Gewand, das die Schwestern soeben sorgfaeltig in den Korb einpackten. Wie schade, dass der schoene Traum aus und die lustige Zeit vorbei war! Das bedauerten auch alle andern, indem sie dem Ehepaare Gontrau einstimmig versicherten, wie herrlich das Theaterspielen gewesen sei. Ilse schien aber doch ganz froh darueber zu sein, dass die aufgeregte Zeit ein Ende hatte, so sehr sie auch mit Leib und Seele dabei gewesen war - vielleicht zu sehr, denn bis zum letzten Augenblicke hatte sie noch immer gezweifelt, ob es gelingen wuerde und geseufzt: "Ach, wenn es nur gelingt." Und wie war es gelungen! Fuer allen Aerger im Anfang, fuer alle Muehe, war der Lohn wenigstens nicht ausgeblieben, und man konnte den Obdachlosen 800 Mark uebermitteln; das war doch ein gutes Ergebnis. Ein ruehrendes Dankschreiben vom dortigen Pastor traf sofort danach ein, welches die Runde unter denen machte, die mitgewirkt hatten. Es war doch ein schoenes Gefuehl, fuer ein gutes Werk etwas getan und dazu beigetragen zu haben, so viel Jammer und Elend zu lindern. In den ersten Tagen nach der Dilettantenauffuehrung gab es natuerlich nur dies eine Thema, wenn Gontraus Bekannte sahen und trafen. Bei den meisten klang die Kritik ueberraschend aehnlich, da sie sich eben nur in Gemeinplaetzen bewegten. Einige schmeichelten dagegen so verstaendnislos, dass man genau wusste, hinter dem Ruecken sprachen sie ganz anders. Nur wenige aeusserten ein Urteil, dem man entnehmen konnte, dass sie in die Sache eingedrungen waren; auch dass sie dies oder jenes tadelten, sich manches anders gewuenscht haetten, war ein Beweis, dass man der Wahrheit ihrer Worte trauen konnte. Den groessten Spass bereitete es Ilse und Nellie, wenn sie die oft zutreffende Kritik aus den unteren Volksschichten hoerten; wie sehr wuerde darueber die betreffende Dame, welcher gerade dieser Umstand einen triftigen Grund abgegeben hatte, nicht mitzuwirken, die Nase geruempft haben. - Fritz war am Tage nach der Auffuehrung heimlich in aller Eile gekommen und hatte sich von Ruth erzaehlen lassen, denn er selbst war natuerlich nicht im Theater gewesen. Rosi behandelte ihn ueberhaupt jetzt unerbittlich strenge, die Erholungszeit wurde ihm sehr knapp zugemessen und auf jedes mangelhafte Extemporale eine empfindliche Strafe gesetzt. "Es muss und soll etwas Tuechtiges aus dem Jungen werden," sagte Rosi zu Tante Emilie; "wenn Adolf eben zu schwach ist, werde ich die Erziehung allein in die Hand nehmen." Tante Emilie hatte diesen Ausspruch mit beifaelligem Kopfnicken begleitet und gab dann mit vieler Wichtigkeit ihre Ansichten ueber Kindererziehung zum besten, die in der Theorie nichts zu wuenschen uebrig liessen, jedoch in der Praxis wohl zu einem klaeglichen Resultat gefuehrt haben wuerden. Aber fuer Rosi war so etwas wie ein Evangelium. Oftmals fragte sie sich, warum ihre Erziehung bei Elisabeth so herrlich einschlug und bei Fritz so ganz und gar nicht? "Weil du ihn nicht verstehst, weil du auf seine Eigenheiten nicht eingehst," haette man ihr zur Antwort geben muessen. Bei Tante Ilse fuehlte er sich so wohl, sie hatte Verstaendnis fuer den aufgeweckten Jungen und war ihm ebenso zugetan, wie ihn Ruth liebte, die sich dagegen mit Elisabeth durchaus nicht anfreunden wollte. Das stille Maedchen erregte stets ihren Widerspruchsgeist; mit dem feinen Instinkt, den Kinder besitzen, hatte sie deren schwache Seiten laengst erkannt, und zwischen den beiden war ein ewiger Kampf. Rosi nannte Ruth ein herrschsuechtiges Kind, Ilse dagegen fand Elisabeth unsympathisch. Fritz hoerte mit offenem Munde Ruths Erzaehlung ueber das Theaterspielen an. Ach, das musste doch herrlich gewesen sein, wenn er es doch auch haette sehen koennen! Einige Darsteller ahmte Ruth so deutlich nach, dass selbst Ilse, die eben dazu kam, darueber lachen musste, und dann berichtete sie, welche Gesichter die Zuschauer gemacht und was die Leute gesagt haetten. Aber warum mochte wohl Onkel Heinz nicht dagewesen sein? Sie hatte ihn vergeblich auf allen Plaetzen gesucht. Das fragte sie jetzt die Mutter. Ilse laechelte zu dieser Frage. Dass sich Onkel Heinz solchen "Mummenschanz", wie er es nannte, nicht ansehen wuerde, hatte sie wohl gewusst, aber auffallend war es, dass er sich gar nicht sehen liess. War er noch boese? Sie hatte darueber in den letzten Tagen wenig nachdenken koennen, aber jetzt kam ihr der Gedanke ploetzlich, und alles stand wieder deutlich vor ihrer Seele; der Streit mit ihm, seine Schweigsamkeit den ganzen uebrigen Tag, sein kurzer Abschied am Abend und dann sein Fortbleiben. Sonst vergingen kaum einige Tage, ohne dass er kam - natuerlich: "er brummte wohl mal wieder!" "Ach Gott, was doch solche Junggesellen empfindlich sind," sagte Ilse spaeter zu Leo, als sie mit ihm darueber sprach und auch er die Meinung aeusserte, dass der Professor zuerne. "Ja natuerlich, Ehemaenner muessen sich das Uebelnehmen mit der Zeit abgewoehnen," erwiderte er seufzend, aber die gluecklichen Augen, mit denen er seine Frau ansah, straften ihn Luegen. "Die Ehemaenner, welche sich am gluecklichsten fuehlen, beklagen sich am meisten," gab Ilse zurueck, die selten um eine Antwort verlegen war. "Eine Frau, die zu allem Ja und Amen sagt, waere dir doch auch mit der Zeit langweilig gewesen, Schatz, aber wie bin ich gegen frueher doch ganz anders geworden, nicht wahr?" Er zoegerte mit der Antwort und neckte sie noch eine Weile, bis er sah, dass sie Ernst machte, denn sie war in diesem Punkte etwas empfindlich, weil sie sich des einstigen Trotzkopfes schaemte und sich nicht gern daran erinnern liess. Die Sache mit Onkel Heinz ging Ilse doch gewaltig im Kopfe herum, sie rief sich alles wieder ins Gedaechtnis zurueck, was er gesagt und was sie erwidert hatte, und ihre Endbetrachtung war: "Warum musste er sie auch immer so reizen!" Als Leo am Nachmittage den Professor besuchen wollte, fand er die Wohnung verschlossen und erfuhr von den Wirtsleuten, dass er schon seit laengerer Zeit schwer krank in der Klinik lag, da er im Hause nicht die noetige Pflege haette finden koennen. Leo suchte ihn dort sofort auf. Onkel Heinz war bereits wieder aufgestanden, sah aber schlecht aus und musste sich noch sehr schonen, so lautete Leos Bericht, als er gegen Abend heimkehrte. Das Mitleid verdraengte bei Ilse sofort jeden andern Gedanken, sie war ganz von freundschaftlichster Teilnahme erfuellt und malte sich das Bild des einsamen, kranken Junggesellen in den truebsten Farben aus. Warum hatte er auch nicht zu ihnen geschickt! "Da wohnt man nun in einer und derselben Stadt, ist intim befreundet, und doch koennte einer sterben und verderben, ohne dass man etwas davon merkt!" rief sie mit Traenen in den Augen, und auch die Kinder fingen an zu weinen, als sie erfuhren, dass ihr geliebter Onkel krank sei. Ruth in ihrer leidenschaftlichen Art fragte fortwaehrend unter Schluchzen, ob Onkel Heinz nicht am Ende sterben wuerde, und liess sich kaum beruhigen. Am andern Tage musste Leo auf Ilses Bitten noch einmal in die Klinik gehen und fragen, ob sie den Professor besuchen duerfe. Mit einem "Nein" kam ihr Mann zurueck und erzaehlte, dass sich der Professor durch Ilse tief gekraenkt fuehle und durchaus nichts von ihrem Besuche wissen wolle. Darueber war die junge Frau sehr traurig und mit ihr Ruth, deren lebhaften Fragen, "warum sie der Onkel denn nicht sehen wolle," sie mit der Antwort auswich, dass er sich noch zu krank dazu fuehle. "Ich will den lieben kranken Onkel sehen," sagte auch Marianne, und Ilse hatte Not, die betruebten Kleinen wieder zu troesten und zu erheitern. Jetzt empfand sie so recht, wie gut und treu doch der Freund sein muesse, der sich in solcher Weise in die Kinderherzen eingeschlichen hatte, welche ihn naechst ihren Eltern am meisten liebten. Am Morgen des uebernaechsten Tages kam Ruth strahlend zur Mutter gelaufen, einen Brief hoch in der Luft schwenkend. "Mutti, Mutti, lies doch - von Onkel Heinz - wir sollen ihn besuchen - heute - in der Klinik - an mich ist der Brief," kam es in hastig abgebrochenen Saetzen aus ihrem Munde, und ihre Augen lachten in heller Freude. Ilse nahm ihr den Brief aus der Hand und las ihn. Wahrhaftig, da schrieb er in seinem alten neckischen Tone an Ruth, dass er sie am Nachmittage mit Mutter und Schwester erwarten wuerde. Fragend sah Ilse ihr Toechterchen an, die selbst auch kaum erwarten konnte, ihre Heldentat zu erzaehlen. Sie hatte ganz allein an Onkel Heinz geschrieben und den Brief durch einen Dienstmann in die Klinik geschickt. "Mutti, dem Dienstmann habe ich 20 Pfennig aus meiner Sparbuechse gegeben. Ist das wohl zu viel?" fragte sie lebhaft. Das Kind war voller Stolz ueber diese eigenmaechtige Tat und erzaehlte immer wieder von neuem, wie sie das alles gemacht habe. Niemand haette ihr geholfen, sie waere ganz allein an die Strassenecke gegangen, wo die Dienstleute immer staenden, und haette einem davon den Brief gegeben. "Willst du ihn mal lesen?" fragte sie dann ploetzlich, und ohne eine Antwort abzuwarten, flog sie hinaus, um ihn zu holen. "Sie hat doch ein gutes Herz, das tolle Ding," dachte Ilse voll Ruehrung. Oft genug hatte sie ihr ja schon Kummer bereitet, wenn sie beim Spielen mit der kleinen Schwester so egoistisch und auffahrend war, was sie allerdings im naechsten Augenblicke schon wieder bereute. Im Lieben und Hassen war sie gleich stark. Fuer Onkel Heinz, den sie liebte, wuerde sie alles tun, dagegen gab es Leute, die sie nicht leiden konnte, und gegen die sie sich geradezu unliebenswuerdig zeigte. Ruth kam nach wenigen Minuten mit ihrer Tafel zurueck, auf welcher der Entwurf zu dem Briefe an Onkel Heinz stand, der folgendermassen lautete: "Lieber Onkel Heinz! "Es tuht mir so leit das Du Krank bist aber Mutter sagt schterben woerdest du nicht es giebt chetzt auch schon Maiblumen und Marichane ist gestern aufs Knie gefallen und Mutter und ich moechten Dich so gern in der Klinick besuchen und heute musste eine in unser Schule nach bleiben die hat aber gebruelt. Lieber Onkel ich schicke Dir fiele gruese ich bruele aber nicht wen ich nach bleiben mus das ist zu dum. Lieber Onkel Tut Dier fieles weh Mutter weis nicht das ich Dir schreibe ich habe den Dienstmann 20 Pfennig gegeben fuer den weg. Es gruest Dich Deine libe Ruth." Diesem Briefe hatte er nicht widerstehen koennen; Ruth war nun einmal sein erklaerter Liebling. Diese beiden so verschiedenartigen Naturen waren fuers Leben verbunden, die Liebe des Kindes, des spaeteren jungen Maedchens, sie war der erhellende Sonnenstrahl auf dem einsamen Lebenswege von Onkel Heinz. Ruth konnte kaum den Nachmittag erwarten und war voll Unruhe. Bald lief sie durch alle Zimmer, singend und traellernd, oder in den Garten, wo sie einen grossen Maiblumenstrauss fuer den geliebten Onkel pflueckte. Jubelnd brachte sie Ilse den ersten Maikaefer, den sie eben gefangen und in eine leere Streichholzschachtel auf zarte, gruene Blaetter gebettet hatte - er sollte auch mit zu Onkel Heinz wandern. "Da wird er sich drueber freuen," meinte sie strahlend. Welches Opfer aber auch fuer ein Kind, den ersten Maikaefer zu verschenken, den es so eifrig gesucht, auf den es sich so lange gefreut hat! Gegen drei Uhr, die Besuchszeit in der Klinik, machte sich Ilse mit ihren beiden Kleinen auf den Weg. Ihre aufgeregte Aelteste hatte unterwegs in einem fort zu fragen; sie wollte wissen, wie eine Klinik aussaehe, ob da viele kranke Menschen waeren und wer weiss, was noch alles; ihr Plappermaeulchen stand keinen Augenblick still, und Ilse musste sie schliesslich ganz energisch zur Ruhe verweisen, als sie vor der Tuere standen und die Glocke gezogen hatten. Neugierig sahen die beiden Kinder auf die barmherzige Schwester, die ihnen oeffnete und mit sanfter Stimme nach ihren Wuenschen fragte. Onkel Heinz hatte schon die Anweisung gegeben, dass Ilse gleich hinaufgefuehrt werden solle, wenn sie kaeme, und die Schwester mit dem milden Gesicht unter dem weissen Haeubchen fuehrte sie deshalb ohne weitere Anmeldung die Treppe hinauf. Ihre Schritte verhallten lautlos auf den dicken Laeufern. Geheimnisvoll still war es im ganzen Hause. In dem langen Korridor befand sich Zimmer an Zimmer, und wattierte gruene Tueren davor hielten jeden Ton, der stoerend nach innen wirken konnte, fern. Ruhig glitten die Schwestern, alle in der gleichen dunklen Tracht, auf ihrem Wege aneinander vorueber. Eine peinliche Sauberkeit herrschte ueberall, und in den grossen, hellen Fenstern standen bluehende Pflanzen - ebenfalls Pfleglinge der Schwestern -, die dem Ganzen etwas von dem Charakter des Strengen und Ernsten benahmen. Hinter einer der vielen Tueren verschwand nun die Schwester, und nach einigen Augenblicken kam sie mit dem Bescheid zurueck, dass der Herr Professor bitten liesse einzutreten. Zoegernd ueberschritt Ilse die Schwelle, Ruth und Marianne an der Hand haltend, welche beide schweigsam die fremde Umgebung mit grossen Augen musterten. Wie hatte Ruth sich auf den Augenblick gefreut, Onkel Heinz wiederzusehen, und nun sie am Ziele ihrer Wuensche angelangt war, wurde sie zaghaft und scheu. Die Gestalt, die dort in dem kleinen, hellen Zimmer am Fenster auf einem Krankenstuhle sass, eingehuellt in warme Decken, mit dem Aussehen von jemand, der schwere Krankheit ueberstanden hat, glich auch wenig dem alten Onkel Heinz, der sich mit den Kindern auf der Erde herumkugelte und zu jedem Spasse bereit war. Aber sein Gesicht hellte sich doch auf, als er jetzt die Eintretenden sah, besonders beim Anblick von Ruth. Ilse hatte er mit einem fluechtigen Haendedruck begruesst und dabei versucht, eine linkische Verbeugung zu machen. Marianne aber zog er neben sich und nahm sie in seine Arme, dann wandte er sich wieder an Ruth, welche zoegernd stehen geblieben war und ihn betrachtete. "Na, nun komm doch naeher, alte Kroete!" rief er endlich herzlich. Bei dem vertrauten Klang seiner Stimme schwand ihre Scheu, sie lief zu ihm hin und warf sich stuermisch in seine Arme. "Halt, sachte, sachte," wehrte er den Wildfang ab, aber als Ilse sie zurueckziehen wollte, hielt er sie doch wieder fest, und sie schmiegte sich noch enger an ihn. Jetzt hatte er wieder sein altes Kinderonkelgesicht! Marianne erzaehlte von ihrer Puppe, die neulich auch so sehr krank gewesen sei, Ruth zeigte ihm den ersten Maikaefer in seinem engen Gefaengnis, und konnte nicht genug berichten, wie schoen es im Theater gewesen sei. "Habe von der Mimerei gehoert," sagte Onkel Heinz kurz. Ilse hatte inzwischen die Maiblumen ins Wasser und neben ihn gestellt; mit den duftenden Blueten kam ein Stueckchen Fruehling in das nuechterne Zimmer. "Bitte, Frau Gontrau, wollen Sie nicht Platz nehmen? Ruth, hole deiner Mutter einen Stuhl; fix, Maedel!" rief er und konnte eine gewisse Verlegenheit nicht verbergen. "Ich danke," sagte Ilse und setzte sich ihm gegenueber. Sie hatte schon einige Male versucht ein Gespraech anzufangen, aber er ging nicht so recht darauf ein. Es schien eher, als vermeide er, sie anzusehen, denn nur scheu streifte sie sein Blick, dagegen beschaeftigte er sich eifrig mit den Kindern, die in einem fort kicherten und schwatzten. Ilse hatte sich eigentlich dieses Wiedersehen in ihrer Phantasie weit poetischer vorgestellt, ja sogar etwas romanhaft ausgeschmueckt, und war nun enttaeuscht, dass der Professor jede Annaeherung abwehrte und auch nicht die Spur weich gestimmt zu sein schien. Doch wie kam sie auch auf so verwegene Gedanken! Sie haette ihn doch hinreichend kennen sollen, um zu wissen, dass er nicht der Mann war, sich in einer solchen Situation geschickt zu benehmen. Mit aufrichtiger Teilnahme wollte sie ihm entgegenkommen. Freilich leugnete er immer sehr bestimmt ab, dass er irgend etwas vermisse, wenn sie ihn bedauerte, weil er so allein sei. War das nun wirklich Wahrheit oder taeuschte er sich selbst? Darueber war sie oft im Zweifel, aber doch neigte sie sich mehr der Ansicht zu, dass er, um gluecklich zu sein, weiter nichts brauche, als seine Arbeit, seine Buecher. Und doch - ein eingefleischter Buechermensch hatte nicht das warme Herz, das Verstaendnis fuer die Kinder, wie er es besass! Er ging auf ihre Ideen ein, wie es niemand besser verstand. "Na, wie ist es denn jetzt in der Schule, Ruth, bist du immer noch die letzte?" fragte er in diesem Augenblick. "Aber, Onkel Heinz," rief Ruth entruestet, "ich bin niemals die letzte gewesen!" "Natuerlich, du Faulpelz, du kannst und weisst ja nie etwas, du bist die Duemmste in der ganzen Klasse .." "Das ist nicht wahr - das ist nicht wahr!" "Schweig, du Kroete, ich weiss es besser!" "Ach, du weisst gar nichts, Onkel Heinz." Wenn der Professor diesen Ton mit den Kindern anschlug, wussten sie genau, dass sie sich alles moegliche herausnehmen durften, und meistens endete eine solche Neckerei mit einer kameradschaftlichen Balgerei. Auch heute tat Ruth alles moegliche, um Onkel Heinz herauszufordern, aber er schien doch noch zu hinfaellig zu sein, um mit seiner kleinen Freundin sich in einen Kampf einlassen zu koennen. Wiederholt versuchte Ilse ein Gespraech anzuknuepfen doch er wandte sein ganzes Interesse den Kindern zu und antwortete ihr nur kurz - sie musste ihn tief, tief gekraenkt haben, wie er ja auch Leo eingestanden hatte. "Sie waren recht krank, lieber Professor?" fragte sie nach einer Weile in ihrem sanftesten Tone. "Ja, na diesmal bin ich noch mit dem Leben davongekommen!" "Sie hatten ein schweres gastrisches Fieber?" fuhr Ilse fort. "So nannten es die Aerzte wenigstens. Warte du Strick," wandte er sich dann sofort wieder an Ruth, die ihm den Maikaefer in den Bart gesetzt hatte. Diese Unterbrechung der von Ilse aufs neue begonnenen Unterhaltung schien ihm sehr angenehm zu sein - fuerchtete er etwa eine Auseinandersetzung? Doch Frau Ilse wollte nun einmal sprechen, sie hatte ihn gekraenkt und musste ihn wieder versoehnen. Auf einmal kam er in seiner ganzen Lage ihr so verlassen vor, so trostlos traurig, dass sie nur der eine Wunsch beseelte, er moechte ihr verzeihen. Aber die Kinder mussten erst fort sein, er haette bei ihnen sonst immer wieder eine Ablenkung gesucht und gefunden. Sie schickte sie deshalb auf den kleinen Balkon vor dem Fenster mit dem Befehle, sich dort ruhig und artig zu verhalten, bis sie gerufen wuerden. Ruth wollte sich wie gewoehnlich widersetzen, wenn sie aus der Naehe ihres Onkel Heinz verbannt werden sollte, aber diesmal genuegte ein Blick auf Ilse, um ihr zu zeigen, dass mit der Mutter jetzt nicht zu spassen war; daher ging sie ganz still mit Marianne hinaus. "Warum lassen Sie denn die Kinder nicht hier?" fragte der Professor. "Sie machen zuviel Spektakel, und Sie sind doch seit Ihrer Krankheit gewiss die groesste Ruhe gewohnt. Aber nicht wahr, es geht Ihnen doch schon viel besser? Wenigstens sehen Sie recht gut aus." Onkel Heinz brummte etwas Unverstaendliches in den Bart, wobei er unverwandt durch das Glasfenster in der Tuere auf den Balkon blickte, wo seine kleinen Freundinnen den Maikaefer nochmals einer genauen Besichtigung unterwarfen. "Warum haben Sie uns denn gar nicht wissen lassen, dass Sie krank waren?" fragte Ilse wieder. "Das haette mir auch nichts nuetzen koennen, wenn Sie das gewusst haetten," antwortete er nicht gerade liebenswuerdig. Dann schwiegen wieder beide. Auf diese Weise kamen sie nicht weiter, das sah Ilse ein und beschloss deshalb, direkt auf ihr Ziel loszusteuern. "Nicht wahr, Sie sind mir noch sehr boese, Onkel Heinz?" fing sie an. Er antwortete nicht. "Ich wollte Sie ja nicht kraenken," fuhr sie fort. "O - Sie kraenken mich oft, sehr oft, wenn ich es mir auch nicht immer merken lasse," unterbrach er sie nun fast heftig. Hierauf wollte Ilse ihm erwidern, dass er sie durch sein Benehmen oft reize und auch letzthin gereizt habe, aber sie unterdrueckte doch lieber diese Bemerkung. "Mein Gott, Sie necken mich, ich necke Sie wieder, weiter ist doch nichts dabei," gab sie statt dessen freundlich zur Antwort. "Ihre Neckereien haben meistens einen bitteren Beigeschmack," warf er ein. "Ja, aber wieso denn?" "Nun, bald nennen Sie mich einen alten eingefleischten Junggesellen, oder Sie sagen, ich sollte froh sein, dass ich nicht verheiratet waere, denn ich wuerde eine Frau nur ungluecklich machen, na - und aehnliche Redensarten mehr!" "Aber, das ist doch alles nur Scherz!" Ilse musste beinahe lachen, als er so getreulich wiederholte, was sie oft zu ihm gesagt hatte, aber es war ihr bei diesem Gespraech doch zu ernsthaft zumute. "Sie trauen mir wenig feines Gefuehl zu, wenn Sie glauben, dass ich den Stachel in solchen Bemerkungen nicht empfinde, der oft recht, recht tief sitzt," erwiderte Onkel Heinz mit bewegter Stimme. Es entstand abermals eine Pause, beide sahen nachdenklich vor sich hin. Nach einer Weile fuhr er fort: "Sie sind gluecklich, Frau Gontrau, Sie sind verwoehnt, zu verwoehnt, - denn offen gestanden behandelt Sie Gontrau nach meiner Meinung oft gar nicht richtig - Sie sind verheiratet, haben Kinder," fuhr er fort. "Aber, bester Professor," unterbrach ihn Ilse, "dieses Glueck koennten Sie doch auch haben, wenn Sie wollten! Ich denke immer, es laege Ihnen nichts daran und Sie haetten nur Interesse fuer Ihre Buecher." "Meinen Sie?" fragte er langsam und gedehnt und sah ihr zum ersten Male voll in die Augen mit einem Ausdruck, vor welchem sie die ihrigen senken musste. "Halten Sie mich solcher Gefuehle nicht fuer wuerdig oder nicht fuer faehig?" fing er wieder an. "Dass Sie ein warmes Herz haben, beweist mir Ihre Liebe zu den Kindern," erwiderte Ilse etwas verlegen. "Glauben Sie mir, auch ich kenne Stunden, wo mir kein Buch, keine Arbeit ueber das Gefuehl der Einsamkeit hinweghilft. - Sie kennen so etwas natuerlich nicht, Sie werden es wahrscheinlich auch nicht begreifen, dass Ihr alter 'eingefleischter Junggeselle' solche Empfindungen haben kann, und hinter meinem Ruecken werden Sie gewiss darueber spotten und lachen." Ein leichter Seufzer begleitete seine Worte. "Aber, Onkel Heinz, was trauen Sie mir da alles zu, halten Sie mich denn fuer so falsch?" fragte Ilse mit trauriger Stimme. "Und dann noch eins," fuhr sie nach einer kleinen Weile fort, "Sie sagten vorhin, mein Mann behandle mich nicht richtig, wie meinen Sie das?" "Nun, wie ich schon sagte, er verwoehnt Sie zu sehr, er laesst Ihnen zuviel Ihren Willen; Gontrau ist zu schwach. Sie werden dadurch egoistisch - Sie haetten ganz anders erzogen werden muessen." "Erzogen, erzogen!" brauste Ilse auf und glich in diesem Augenblick auf ein Haar dem Trotzkopf von frueher, "Ich bin doch kein Kind mehr, das 'Erziehen' wuerde ich mir von meinem Manne recht huebsch verbitten." "Ja, wenn Sie nicht ruhig bleiben koennen, Frau Gontrau, dann wollen wir dieses Thema lieber verlassen," sagte Onkel Heinz in jenem Schulmeistertone, der Ilse schon oft zur Verzweiflung gebracht hatte. Aber sie bezwang sich heute, es waere sonst wieder zu einem neuen Streite statt zur Versoehnung gekommen. Auch hallten seine Worte, durch welche er ihr vorhin sein Inneres erschlossen hatte, tief in ihr nach. Also so dachte und fuehlte er oft! "Warum heiraten Sie nicht, Onkel Heinz?" fragte sie ploetzlich, "warum nicht?" Er gab keine Antwort, aber eigentuemlich war der Blick, den er Ilse zuwarf. Sie konnte sich denselben nicht recht erklaeren, dennoch fuehlte sie instinktiv, was er ausdrueckte - es beunruhigte - es verwirrte sie. "Sie halten mich wohl fuer recht schlecht?" platzte sie in ihrer Verlegenheit heraus. "Sagen Sie mir nur meine Fehler immer offen." "Ich halte Sie fuer gut, Frau Gontrau," erwiderte der Professor einfach, "sonst wuerde ich ueberhaupt Ihr Freund nicht sein, und der bin ich doch, nicht wahr? Schoene Redensarten kann ich nun einmal nicht machen, will es auch nicht, aber ich meine es trotzdem gut mit Ihnen. Oder glauben Sie das nicht?" Abwechselnd klang seine Stimme weich und dann wieder schroff, als kaempfe er mit seinen Gefuehlen. "Gewiss, gewiss, Onkel Heinz," sagte Ilse schnell; "aber oft sind Sie zu absprechend, und nicht allein gegen mich, auch gegen Leo; wie machen Sie seine Wissenschaft manchmal herunter!" Ironisch laechelnd drehte Onkel Heinz seine Bartspitze. "Ja, die Juristen sind nun einmal einseitig, verstehen nicht viel andres." "So?" unterbrach ihn Ilse lebhaft; "wenn also die Juristen einseitig sind, dann sind die Zoologen eingebildet, Onkel Heinz, das will ich Ihnen nur sagen." "Da sehen Sie ja, wie Sie mich immer missverstehen, Frau Gontrau. Nun wollen wir das Thema lieber ruhen lassen, sonst streiten wir uns wieder. Wenn ich so etwas sage, meine ich es doch nicht persoenlich, es gibt ja doch Ausnahmen unter den Juristen!" "Leo ist eine Ausnahme, nicht wahr?" fragte Ilse schnell. "Sonst waere er mein Freund nicht," gab Onkel Heinz wieder mit Nachdruck zur Antwort. Ilse amuesierte sich innerlich ueber die gute Meinung, die er von sich hatte, aber gleichviel; was waren seine Eigentuemlichkeiten gegen seine wahre Freundschaft fuer sie und ihre Familie! Er hatte nur wenige, mit denen er verkehrte, fast gar keine Freunde, war ohne Verwandte, er wuerde mit der Welt ganz abschliessen und ein Einsiedler werden, wenn die Freundschaft mit Gontraus durch irgend etwas zerstoert werden sollte. War es deshalb nicht auch eine heilige Pflicht, hier ein Menschenleben zu retten, das allerdings nicht in Lebensgefahr, wohl aber in Gefahr war, sich selbst durch seine vollkommene Abgeschlossenheit in der Welt zu verlieren? Der Professor hatte nun einmal kein glattes Wesen, das den Verkehr zwar erleichtert, aber zu einem wirklichen Freundschaftsverhaeltnis doch nicht ausreichend ist. Er bekannte offen und frei ins Gesicht, was er dachte, jedoch hinter dem Ruecken verteidigte er seine Freunde, selbst wenn es gegen seine Ueberzeugung ging. Dies alles fuhr jetzt Ilse durch den Sinn; sie fuehlte, dass sie ihm heute, in diesem Augenblicke viel, viel naeher gerueckt war als je zuvor, denn in solchem Masse hatte er ihr noch niemals sein Vertrauen geschenkt, so offen hatte er sein Inneres noch nicht vor ihr gezeigt. Gab es eine Wunde darin, hatte auch Onkel Heinz eine schmerzhafte Stelle? Nach Frauenart war Ilse neugierig geworden und haette gern mehr darueber erfahren. Das beunruhigende, verwirrende Gefuehl, das sie vorhin unter seinem Blicke beschlichen hatte, war vollstaendig gewichen, sonst haette sie wohl keine Lust zu weiteren Fragen empfunden. Handelte es sich bei Onkel Heinz etwa gar um eine unglueckliche Liebe? Sie sah ihn sich daraufhin an, und wollte schon den Faden wieder aufnehmen, aber sein veraenderter Ausdruck belehrte sie eines Besseren, und das war gut. Onkel Heinz sah aus wie jemand, der es bereut, seine Gefuehle zu offen gezeigt zu haben, ein ironischer Zug lagerte sich um seinen Mund, als mache er sich ueber sich selbst lustig, was er auch tat, - aber mit einem wahren Galgenhumor. Unaufhoerlich drehte er seine Bartspitze und sah hinaus in die helle, sonnige Luft, welche die beiden Kinderkoepfe auf dem Balkon duftig umwob. Laut rief er sie bei Namen. "Ruth, Marianne, kommt herein!" Die beiden liessen sich das nicht zweimal sagen, ungestuem stuermten sie ins Zimmer. "Lasst die Tuere offen, Kroeten, es ist eine dumpfe Luft hier!" Ilse oeffnete Fenster und Tuere weit - sie und Onkel Heinz atmeten tief auf, als der frische Zug von draussen hereinwehte - belebend, ermutigend! "Onkel Heinz," rief Ruth froehlich, "gestern haben wir uns den Rasenabhang - weisst du den, wo die vielen Veilchen stehen - heruntergekugelt. Wie schade, dass du nicht dabei warst, ich sage dir, es war himmlisch! Wenn du erst wieder gesund bist, nicht wahr, dann kugelst du dich auch mit herunter?" Onkel Heinz versprach es und noch viel mehr, alles, was die Kinder von ihm verlangten. "Onkel Heinz," sagte Ilse auf einmal lachend und einer ploetzlichen Eingebung folgend, "wie haben Sie sich denn hier mit den Aerzten vertragen, die Sie ja doch so sehr verabscheuen?" "Ja," erwiderte er in resigniertem Tone, aber gut gelaunt, "was soll man denn machen, wenn sie einen in voellig wehrlosem Zustande in die Klinik schleppen? Ihren Klauen entgeht man nun einmal nicht!" "Unter diesen 'Klauen' sind Sie aber Gott sei Dank wieder gesund geworden, Onkel Heinz, und das ist die Hauptsache!" "Haben die Aerzte nicht Schuld, sondern nur meine gute Natur!" Streiten musste er nun einmal immer. "Wenn Sie erst wieder ausgehen koennen, werden Sie sich gewiss schnell erholen in der himmlischen Fruehlingsluft. Duerfen wir bald mal wiederkommen?" Ilse fragte mit bestechender Liebenswuerdigkeit; in dem unklaren Gefuehl, dass sie trotz allem einen nicht geringen Einfluss auf Onkel Heinz ausuebe; so empfindlich derselbe sich manchmal ihrer Schroffheit gegenueber zeigte, ebenso empfaenglich war er andrerseits auch fuer die geringste Freundlichkeit. So schieden die beiden denn im besten Einvernehmen. Beim Fortgehen sagte Ilse leise: "Seien Sie nicht mehr boese, wir wollen stets gute Freundschaft halten." Onkel Heinz wusste, was es sie kostete, eine solche Bitte ueber ihre Lippen zu bringen, kannte er sie doch auch ganz genau. Desto wertvoller waren ihm ihre Worte. "Auf gute Freundschaft!" erwiderte er herzlich und reichte ihr seine Hand. Der Abschied von den Kindern war ein sehr zaertlicher, namentlich von Ruth, die sich gar nicht trennen konnte, bis Ilse energisch ein Ende machte. Als sich die Tuere hinter ihnen geschlossen hatte, war es wie zuvor still und ruhig im Zimmer. Onkel Heinz lehnte sich zurueck und schloss die Augen. Worueber er nachdachte? Wir wissen ja, dass er sein Inneres gut verbarg. Den Einblick, den Ilse heute hinein getan hatte, verdankte sie dem Zufall, wie er denjenigen manchmal beguenstigt, der auf hohem Berge steht und sehnsuechtig in die von grauem Nebel verhuellte Tiefe schaut, wenn er auf einmal die dichten Schleier zerreissen sieht. Neugierig spaeht er hinab, sieht unter sich ein bluehendes Tal - hier ein Dorf - dort ein Schloss auf der Hoehe. Was liegt nun noch dort drueben? Was dort? Das moechte er wissen, moechte alles sehen, aber schon ist es wieder vorbei! Von neuem schieben sich die Wolken davor, alles verbergend und verhuellend. So hatte sich auch ueber die Gedankenwelt von Onkel Heinz die undurchdringliche Wand wieder vorgeschoben, welche sein Inneres jedem Blicke verbarg. Nach einiger Zeit trat die barmherzige Schwester ein, lautlos wie immer, und brachte seine Abendmahlzeit. "Soll ich das Fenster schliessen? Es wird zu kuehl, Sie koennten sich sonst erkaelten, Herr Professor," sagte sie freundlich. Er erwachte wie aus einem Traume! "Lassen Sie nur offen! Erkaelten - erkaelten - ist ja Unsinn - Luft schadet nichts, will mich nicht verpimpeln." Die Schwester, an alle erdenklichen Launen und Ausbrueche der Kranken gewoehnt, tat trotz dieser Rede doch, was sie fuer ihre Pflicht hielt; sie schloss die Tuere und zog das Fenster etwas mehr zu. Die Sonne war im Scheiden, und noch waren die Abende frisch und kuehl. - Ilse ging an demselben Abend mit Leo hinaus in die Anlagen vor der Stadt, um den Maitag in seinem Zauber bis zuletzt zu geniessen, und dabei erzaehlte sie ihrem Schatz den Besuch bei Onkel Heinz mit allen seinen Einzelheiten. Das, was er ihr heute gesagt, hatte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht, und sie nahm sich vor, ihn von jetzt ab mit viel mehr Ruecksicht zu behandeln als bisher. Die Fruehlingsstimmung ringsumher, der schwermuetige Gesang der Nachtigallen machten sie heute weicher, als es sonst ihre Art war; ihre Phantasie spann einen ganzen Roman um die Gestalt von Onkel Heinz. Er erschien ihr auf einmal in einem ganz andern Lichte; seine aeussere Rauheit war nur Schein, dahinter verbargen sich schmerzliche Gefuehle von Einsamkeit, Verlassenheit, ja vielleicht eine betrogene Hoffnung! Sie wollte ihn kuenftig zarter anfassen und ihm zeigen, dass sie des ihr geschenkten Vertrauens wuerdig war. Unwillkuerlich schweiften ihre Gedanken immer wieder zurueck zu dem kleinen Krankenzimmer in der Klinik, sie sah ihn vor sich, betruebt und nachdenklich, und fasste den festen Vorsatz, ihm eine treue Freundin zu sein. - Die geruehrte Stimmung, in welche Onkel Heinz Frau Ilse versetzt hatte, hielt zum Glueck nicht lange an. Er war nun wieder wohl, auch sehr vergnuegt, ganz der Alte, und jedes mitleidige Wort, das Ilse ueber seine Krankheit, ueber sein einsames Leben an ihn richtete, schnitt er mit der Bemerkung ab, dass dabei gar nichts zu bedauern sei, denn er waere nicht sentimental angelegt und wuesste sich mit den Tatsachen abzufinden. So geriet allmaehlich der Verkehr zwischen den beiden wieder in das alte Geleise, sie neckten und stritten sich wie zuvor, aber dennoch nahm sich Ilse mehr zusammen, und Worte wie: "alter Junggeselle, Brummbaer" usw., die ihn so tief gekraenkt hatten, bekam er nicht mehr zu hoeren. * * * Die Rosen standen schon in voller Bluete, die Tage waren heiss, das frische Gruen der Gaerten wurde durch eine graue Staubdecke gedaempft - der Sommer war eingezogen und hatte den Fruehling verdraengt. Aber der Rosenmonat wurde jetzt ebenso als der schoenste gepriesen, wie kurz vorher sein Vorgaenger, der wonnige Mai. Eines Morgens fand Ilse auf dem Kaffeetische einen Brief von Flora mit vielen engbeschriebenen Seiten vor, nachdem dieselbe lange nichts hatte von sich hoeren lassen. Seitdem wir Flora als schwergepruefte junge Witwe verliessen, war eine Wandlung mit ihr vorgegangen. Sie schien eine Zeitlang wie gebrochen zu sein, und ihr Kummer war auch ein aufrichtiger, denn sie ruehrte keine Feder an, sie verfasste keine Trauergedichte, sie klagte nicht mit ueberschwenglichen Worten. Der erste grosse Schicksalsschlag ging nicht spurlos an ihr vorueber, er ruettelte sie aus ihren toerichten Ideen auf, das Leben nahm fuer sie seine wirkliche Gestalt an, und ihre schemenhaften Ideale zerflossen davor in nichts. So war sie denn, ohne dass es ihr eigentlich zum Bewusstsein gekommen waere, eine andre geworden, als sie den Witwenschleier wieder ablegte. Vor allen Dingen versuchte sie nun Kaethchens Herz zu gewinnen, sie machte ihre Mutterrechte geltend und holte sie von der Grossmama zurueck. Nach und nach gewoehnte sich die Kleine mehr an sie, doch hatte sie manchen Kampf mit ihr zu bestehen und war oft nahe daran zu verzweifeln, denn Kaethchen schien es nicht vergessen zu haben, wie sie frueher an ihr gehandelt hatte. Aber endlich wurde Floras Muehe und Ausdauer durch Erfolg belohnt, und das Verhaeltnis zwischen Mutter und Stieftochter gestaltete sich mit der Zeit sogar zu einem sehr herzlichen. So vergingen einige Jahre, als Flora sich zum zweiten Male mit einem Gutsbesitzer, Namens Werner, verheiratete. Die poetische Flora und ein Landwirt! Was das fuer ein Kontrast sein musste, malten sich Ilse und Nellie oft aus, aber sie hatten doch schon aus Floras Briefen ersehen, dass diese sich geaendert haben musste, denn sie klangen ganz vernuenftig, und nur selten noch erging sie sich in ueberspannten Schwaermereien. Ueber ihre zwei kleinen Maedchen von sechs Jahren, ein Zwillingspaerchen, schrieb sie gluecklich und stolz und brannte darauf, sie den Freundinnen zeigen zu koennen. Fast jeder ihrer Briefe enthielt eine dringende Einladung. Die Freundinnen hatten sich seit Jahren nicht wiedergesehen, und Flora schien nicht vergessen zu haben, in welcher Weise Ilse und Nellie ihr einst in der schweren Zeit beigestanden hatten. Auch heute bat sie wieder in dem Briefe, den Ilse soeben zu Ende gelesen hatte, um ihren und der Kinder Besuch; sie schilderte verlockend, wie herrlich jetzt das Landleben sei, und schrieb, dass sie auch Nellie gebeten habe, mitzukommen. Leo riet seiner Frau dringend, die Einladung anzunehmen, und nach einigem Hin- und Herueberlegen entschloss sich Ilse auch dazu und antwortete Flora, dass sie kommen und, wenn es ihr passte, um die und die Zeit mit den Kindern eintreffen wuerde. Ruths Ferien sollten in den naechsten Tagen beginnen, und auch ihr und Marianne wuerde ein Aufenthalt in der reinen Landluft sehr gut tun. Nun galt es aber, auch Nellie zum Mitkommen zu bewegen, die es zunaechst als eine Unmoeglichkeit hinstellte, ihren Mann zu verlassen. Was sollte Fred ohne ihre stets sorgende Hand anfangen, nur allein auf das Dienstmaedchen angewiesen! Nein, nein, das ginge nicht, erklaerte sie rund heraus. Aber Ilse gab sich damit nicht zufrieden; sie steckte sich hinter den Direktor, sagte ihm, sie faende Nellie schlecht aussehend, und stellte ihm dies so beharrlich vor, bis er schliesslich selbst fand, dass seine Frau erholungsbeduerftig sei. Nellie war deshalb nicht wenig erstaunt, als er ploetzlich darauf bestand, sie solle mitreisen und sich erholen. Seine Sorge fuer ihre Gesundheit war etwas ganz Ungewoehnliches und, wie sie meinte, Unnoetiges. Sie war ja gesund, aber der arme Fred, der sich so abquaelen musste, der musste gepflegt und gehegt werden, machten ihm seine dummen Nerven doch so oft zu schaffen. Und nun sollte sie ihn verlassen, er wollte in der staubigen, heissen Stadt allein zurueckbleiben und arbeiten, immer arbeiten; niemand wuerde da sein, der fuer ihn sorgte, wenn er muede und abgespannt nach Hause kaeme, niemand, der an eine Erholung fuer ihn daechte und seine Wuensche, ehe sie nur ausgesprochen wurden, zu erfuellen suchte. O, sie wuerde keine ruhige Minute auf der Reise haben, nicht die Spur von Vergnuegen, sie wuerde fortwaehrend voller Sorge an ihn denken. Das alles klagte sie Ilse unter Traenen und ahnte nicht, dass diese sich heimlich ins Faeustchen lachte, als sie sah, dass ihre Bemuehungen erfolgreich gewesen waren. Sie fand es ganz heilsam fuer den nervoesen Direktor, dass er einmal ohne Nellie fertig werden sollte, denn nach ihrer Meinung war er sich noch viel zu wenig bewusst, was er an dieser Frau besass, die ganz und gar in ihm aufging und nur fuer ihn auf der Welt zu sein schien. Mit Vorstellungen und Ratschlaegen war bei Nellie nichts auszurichten; sie gab stets zur Antwort, dass Ilse gar nicht wisse und beurteilen koenne, wie elend ihr Fred oft sei und trotz aller Liebe fuer die Freundin fand sie dennoch, dass diese solche Dinge zu leicht nehme. "O, ich bitte dich," flehte sie Ilse an, "rede es Fred aus, dass ich fort soll, sage ihm, dass du mich frisch und gesund faendest, und dass ich keine Erholungsreise noetig haette, denn er gibt so viel auf dich." Ilse wuerde sich wohl hueten, so etwas zu tun, das erklaerte sie ganz offen gegen Nellie. So musste sich diese denn ins Unvermeidliche fuegen. Fred hatte ihre Bitten zuerst geduldig angehoert, aber bei den immer neuen und durch Traenen verstaerkten Auflagen derselben war er schliesslich so nervoes und ungeduldig geworden, dass sie endlich hatte nachgeben muessen. Wie ein Schatten schlich sie die Tage vor der Abreise im Hause umher und schrieb ellenlange Zettel, auf welchen die bis ins kleinste gehenden Anordnungen fuer das Dienstmaedchen waehrend ihrer Abwesenheit standen. Alle seine Lieblingsgerichte sollten gekocht werden, ausserdem sollten zum Fruehstueck und Abendessen noch besondere Leckerbissen auf den Tisch kommen, so dass der arme, verlassene Mann wenigstens nicht zu darben brauchte. Endlich war die Stunde der Abreise gekommen, und der Direktor und Leo begleiteten ihre Frauen zum Bahnhofe. Ersterer musste noch unzaehlige Ermahnungen ueber sich ergehen lassen, und mit schwerem Herzen nahm Nellie von ihm Abschied. Auch Onkel Heinz erschien noch im letzten Augenblicke; aus jeder seiner Rocktaschen guckte eine Duete heraus, die von den Kindern mit Jubel begruesst wurde. "Ich bin ueberzeugt, die beiden Strohwitwer werden sich herrlich amuesieren," sagte Ilse, um Nellie etwas aufzuheitern, und im gleichen Augenblicke rief Gontrau ihr neckend zu, dass er ihren Mann jeden Abend zur Kneipe abholen wuerde, denn sie muessten doch ihre Freiheit geniessen. "Siehst du wohl," lachte Ilse. Aber spasshaft war es Nellie keineswegs zumute, im Gegenteil bat sie Leo in vollem Ernst, ihren Fred doch ja nicht zu verfuehren, er koenne so wenig vertragen und muesse es nachher immer buessen, wenn er je einmal des Guten zu viel getan haette. "Seien Sie nur ganz ruhig, Frau Althoff," sagte Onkel Heinz mit pfiffigem Laecheln, "ich werde auf die beiden Maenner achten." "O, Sie sind mir der Rechte," erwiderte Nellie, die den Spott aus seinen Worten gut herausfuehlte. - Als sich der Zug in Bewegung setzte, flatterten noch lange die Taschentuecher aus dem Coupefenster den Zurueckbleibenden zum Abschiedsgrusse zu. Nellies gedrueckte Stimmung hielt nicht lange an, denn die Freude der beiden Kinder wirkte ansteckend. Sie hatten fortwaehrend zu fragen und zu zeigen, wollten bald dies, bald jenes wissen, bald essen, bald trinken, kurz und gut, es bedurfte der ungeteilten Aufmerksamkeit beider Frauen, um sie zufrieden zu stellen. So verflog denn die Zeit mit Windeseile, und schon hielt der Zug auf der letzten Station an, wo Flora sie mit dem Wagen erwartete. Ihre Freude ueber das Wiedersehen war eine aufrichtige; sie konnte sich an Ruth und Marianne gar nicht satt sehen, und fragte und kuesste sie immer wieder. Und dann, als sie behaglich im Wagen sassen, musterten sich die Freundinnen untereinander mit grossem Interesse. "Du hast dich aber gar nicht veraendert," hiess es. "Etwas staerker bist du geworden." "Und du siehst viel wohler aus, als frueher," und aehnliche Redensarten mehr wurden ausgetauscht, wie es zu geschehen pflegt, wenn man sich nach jahrelanger Trennung wiedersieht. Flora hatte sich in der Tat sehr zu ihrem Vorteile veraendert. Durch die Landluft hatte sie frischere Farben bekommen, was ihr sehr gut stand, auch passte der Vergleich mit einer Hopfenstange nicht mehr auf sie. Nur der Ausdruck ihrer wasserblauen Augen war derselbe geblieben, und als der Wagen durch bluehende Wiesen und ueppige Kornfelder dahinfuhr, und sie den Freundinnen zeigte, was davon zu ihrem Besitztum gehoerte, hatte sie wieder den alten schwaermerischen Blick in die nebelgraue Ferne gerichtet, als ob sie von dort etwas Besonderes erwarte. Die Fahrt in der frischen Luft nach der staubigen Eisenbahn war herrlich. Zwar brannte noch heisser Sonnenschein herab, aber hier in der freien Natur war derselbe weit ertraeglicher, als vorhin im Coupe, in dem eine Temperatur wie in einem Backofen geherrscht hatte. Jetzt fuhren sie durch ein kleines Tannenwaeldchen, das unter den warmen Strahlen einen koestlichen Duft ausstroemte, dann bogen sie wieder in die staubige Chaussee ein und konnten nun schon die ersten Haeuser des Dorfes erblicken, an dessen Ende sich das Gut befand. Als sie die sauberen Haeuschen erreicht hatten, hinter deren blumengeschmueckten Fenstern neugierige Gesichter zum Vorschein kamen, waehrend barfuessige Bauernkinder lustig schreiend hinter dem Wagen herliefen, da schien sich Flora doch wie eine Koenigin in ihrem Reiche zu fuehlen. Sie nickte den Leuten freundlich, aber doch mit hoheitsvoller Miene zu, und wehrte drohend die Kinder ab, die zu nahe an den Wagen herankamen. "Sie kennen mich alle," sagte sie stolz, "und ich darf auch wohl sagen, dass ich ihnen eine brave Gutsherrin bin." "Wie geht's dem Vater?" fragte sie im Vorbeifahren ein halbwuechsiges Maedchen, deren Antwort in dem Geraeusche der Raeder erstarb, aber Flora rief ihr noch zu: "Ich komme in diesen Tagen und bringe ihm wieder Wein." Die Dorfstrasse war bald zu Ende, jetzt durchkreuzten sie noch einen kurzen Feldweg, kamen dann an einigen grossen Scheunen vorbei, hinter denen stattliche Misthaufen den tuechtigen Landwirt erraten liessen, und fuhren nun in den Gutshof ein. "Vor das Schloss fahren," befahl Flora mit komischer Grandezza. Der Kutscher lenkte in einen breiten Weg ein, der mitten durch den Garten fuehrte, und hielt vor einem grossen kastenartigen Gebaeude - es war das sogenannte "Schloss". - Nur gut, dass ihm Flora selbst diese Bezeichnung gegeben hatte, denn Nellie und Ilse haetten es sicher nicht mit dem stolzen Namen belegt. Es zeigte eine lange Front mit vielen Fenstern, aber ohne jeden Zierat. Nur ein in Stein gemeisseltes Wappen ueber der Eingangstuer liess erraten, dass die frueheren Bewohner Adelige gewesen waren. "Es gehoerte einem Baron v. H.," erklaerte Flora, als sie bemerkte, dass die Freundinnen das Wappen, welches einen Eberkopf darstellte, aufmerksam betrachteten. In demselben Augenblick oeffnete sich die Tuere, ein schlankes, junges Maedchen trat heraus, an jeder Hand einen kleinen Blondkopf fuehrend - Kaethe mit Floras Zwillingen. Nun gab es wieder eine Menge Fragen, die bunt durcheinander schwirrten. Also das war Kaethe! Das verschuechterte Kind hatte sich zu einem huebschen Maedchen entwickelt, Nellie und Ilse mussten sie immer wieder betrachten. Und dann die Zwillinge, glichen sie wohl Flora? Ruth war sofort zu ihnen gelaufen und erzaehlte ihnen von der Reise, von Onkel Heinz und den Bonbons, die er ihnen geschenkt hatte. Aber die beiden Kleinen sahen sie und Marianne nur scheu an und gaben keine Antwort. "Thusnelda, Hildegard, so gebt doch eure Haendchen," rief Flora, als sie sah, wie sich Ruth umsonst mit ihnen abmuehte. Nach diesen hochtrabenden Namen sahen die Kinder allerdings nicht aus, sondern sie glichen eher den beiden Reuterschen luetten Druwaeppeln "Lining" und "Mining"; laendlich gesund erschienen sie, mit prallen roten Backen, hellen blauen Augen und straehnig blondem Haar. Ilse ertappte Flora auf demselben vergleichenden Blicke, den auch sie in diesem Moment ueber die vier Kinder gleiten liess, als sie so beisammen standen. Fast jede Mutter ist eitel und findet ihre Kinder am huebschesten! So mochte wohl auch Floras Urteil zu Gunsten ihrer Zwillinge ausfallen, aber dass Ilses Maedchen einen feineren Eindruck machten, schien ihr doch unwillkuerlich aufzufallen, denn sie fand ploetzlich, Thusnelda und Hildegard muessten wohl sehr umhergetollt sein, weil sie so hochrote Wangen haetten. "Sonst haben sie naemlich frische, aber zarte Farben," wandte sie sich an Ilse und Nellie, und dann schalt sie, dass Kaethe ihnen die Haare so glatt gekaemmt habe, und fuhr mit einem Blick auf Ruths Locken ueber die Blondkoepfe, als koennten sich unter dieser Beruehrung die glatten Straehnen in Locken verwandeln. "Aber nun kommt herein," sagte sie, als die Begruessung vorueber war, und fragte ihre Kinder: "Wo ist denn der Papa?" "Vater ist im Schweinestall bei den kleinen Ferkelchen," berichtete Thusnelda mit lauter Stimme; es war das erste Wort, welches sie sprach. Flora konnte eine kleine Verlegenheit bei dieser prosaischen Auskunft nicht verbergen. "Ach, liebe Tante Flora, wo sind die kleinen Ferkelchen, ich moechte sie gerne sehen," bettelte nun Ruth, fuer die ein solcher Anblick hochinteressant war. "Spaeter, spaeter," antwortete Flora fluechtig. Sie hatte ihre Gaeste mittlerweile die Treppe hinaufgefuehrt und in die Fremdenzimmer geleitet. Das Innere des Hauses glich ganz dem Aeusseren. Die weiss getuenchten Waende sahen sauber, aber nuechtern und kahl aus, der helle Estrich und die frisch gescheuerten Treppen brachten ebenfalls keine Abwechslung in die Eintoenigkeit der Farben. Auch die Zimmer schienen soeben erst aus den reinigenden Wasserstuerzen hervorgegangen zu sein, denn ein feuchter Geruch schlug den Eintretenden entgegen. Aufdringlich wirkten die Tapeten, deren grelles Muster selbst die farbenreichen Oeldruckbilder an den Waenden um alle Wirkung brachten. Altmodische, steifbeinige Moebel, mit buntem Kattun ueberzogen, bildeten die Einrichtung; ueber die Tischdecke, schwarz mit grossen roten Blumen, war als Schutz noch eine weisse Serviette gebreitet, und auf dieser stand ein grosser Feldblumenstrauss - das einzig Geschmackvolle in dieser Umgebung. Aber gleichviel! Schon die peinliche Sauberkeit war darin nicht verwoehnten Staedtern eine Wohltat, und mit noch groesserer Wonne sogen sie die herrliche Landluft ein, welche durch die offenen Fenster stroemte. Nellie las auf Floras gespanntem Gesicht die Frage: Nun, wie gefaellt es euch hier? und deshalb lobte sie in ihrer Gutmuetigkeit alles. "Nicht wahr, es ist recht gemuetlich hier? Die Moebel stammen noch von den Grosseltern des Barons, sind also ganz antik," erwiderte Flora und zeigte dabei stolz auf die kattunbezogenen Steifbeine. "Aber nun will ich nicht weiter stoeren, ihr werdet euch erfrischen wollen. Wenn ihr fertig seid, erwarte ich euch im Esszimmer - im unteren Flur die Tuere rechts." Und mit freundlichem Nicken ging sie hinaus. Marianne hatte die frischen Zwillinge gleich in ihr kleines Herz geschlossen, waehrend Ruth die kleinen Ferkel, nach denen sie sich immer wieder erkundigte, vorlaeufig noch viel mehr zu interessieren schienen, als die neuen Freundinnen, denn sie meinte, die haette sie noch gar nicht gern, sie spraechen ja nichts und saehen genau so aus, wie die Bauernkinder, welche ihnen vorhin begegnet waeren. Mit aller Entschiedenheit verwies Ilse der vorlauten Tochter ihr rasches Urteil, indem sie ihr klar machte, dass sie dergleichen ja nicht etwa zu Tante Flora, ueberhaupt nicht zu andern sagen duerfe. Als die beiden Frauen mit den Kindern einige Zeit spaeter ins Esszimmer, einen grossen hellen Raum, traten, fanden sie hier neben Flora, Kaethe und den Zwillingen ihren Wirt, auf dessen Bekanntschaft sie begreiflicherweise hoechst neugierig waren. Nur fluechtig glitten deshalb Ilses Blicke ueber die praechtigen Geweihe an den Waenden, die sie sich als Kennerin sonst gewiss eingehend betrachtet haben wuerde, und blieben an der maechtigen Gestalt des Hausherrn haften, neben welcher seine schmaechtige Frau vollstaendig verschwand. Die aesthetische Flora und dieser Koloss, den Ilse auf 200 Pfund taxierte, - einen groesseren Gegensatz konnte man sich nicht vorstellen. Auf den breiten Schultern sass ein kugelrunder Kopf, dessen rosige Haut durch die hellen kurzgeschorenen Haare schimmerte; rot war auch sein joviales Gesicht und seine kraeftigen Haende; breit und energisch der Nacken, der in einer dicken Falte ueber dem Rockkragen lag. Wie kam Flora zu diesem verkoerperten Bilde der Prosa! Sah sie ihn etwa durch die verklaerende Brille der Poesie an? Ob sie nun die forschenden Blicke von Nellie und Ilse bemerkte, oder ob ihr von selbst die rosige Rundlichkeit ihres Gatten auffiel, genug, sie strich ueber seine Stirn und fand, dass er sehr erhitzt waere. Hatte er wohl sonst auch so zarte Farben, wie die Zwillinge? Diese Frage konnte man unausgesprochen hinter dem schelmischen Laecheln von Nellie vermuten. "Der Aermste hat in der grossen Hitze auf den Feldern sein muessen," wandte sich Flora an die Freundinnen, waehrend man sich um den Tisch zum Essen niedersetzte. [Illustration] "Ja, ja, es ist zum Braten draussen," erwiderte er und wischte sich die hellen Perlen von der Stirn. "War wohl auch 'ne nette Temperatur in den Coupes, was?" wandte er sich an seine Nachbarinnen. "O ja," lachte Ilse, "aber dafuer haben wir's auch jetzt gut, hier ist es ja herrlich kuehl. In der Stadt fanden wir es unertraeglich und freuten uns deshalb sehr, als Ihre liebenswuerdige Einladung ankam." "Wenn das Wetter nur gut bleibt, damit wir Ausfluege machen koennen! Die Umgegend ist so schoen," sagte Flora. "Was? Wetter schoen bleiben! Regen muessen wir haben, es ist die hoechste Zeit. Der ist so noetig, wie 's liebe Brot. Das Land ist wie ausgedorrt, alles vertrocknet; wenn's so fortgeht, werden wir bald kein Futter fuers Vieh mehr haben." "Aber August, jetzt, wo wir so liebe Gaeste haben, duerfen wir uns doch keinen Regen wuenschen," erwiderte Flora vorwurfsvoll. Es war ihr offenbar peinlich, dass er so sprach. Doch Ilse enthob sie ihrer Verlegenheit und sagte: "Ich bitte dich, Flora, dein Mann muesste kein guter Landwirt sein, wenn er nicht so daechte. Als einstiges Landkind weiss ich ganz genau, was es bedeutet: kein Regen!" "So, Sie haben auf dem Lande gewohnt?" fragte der Gutsbesitzer voll Teilnahme und sah sich Ilse daraufhin noch einmal genauer an. "Aber, August," rief Flora, "ich habe dir doch alles von Frau Gontrau und Frau Althoff erzaehlt." "Ja, Kind, das habe ich, offen gestanden, wieder vergessen. Mir geht so vieles durch den Kopf, dass ich fuer so etwas kein Gedaechtnis habe." "August!" Sie warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu. "O, das kenne ich von Fred genau," troestete Nellie. "Der arme Mann ist oft so vergesslich! Das kommt von seinem anstrengenden Berufe, dadurch sind seine Nerven auch sehr herunter." Hieran anknuepfend erzaehlte sie die ganze Leidensgeschichte des armen vielgeplagten Fred, und wie schwer es ihr geworden waere, ihn zu verlassen, da er ihrer Pflege so sehr beduerfe. Flora hoerte geduldig zu und troestete so gut sie es verstand. Waehrenddem entspann sich auch zwischen Ilse und Herrn Werner eine laengere Unterhaltung, die ihn aber nicht hinderte, dem Essen und Trinken tuechtig zuzusprechen. Voll Erstaunen sah die junge Frau die grossen Portionen verschwinden; trotz der Hitze schmeckte es ihm herrlich. Uebrigens wurde ihr Floras Riesenmann mit jedem Worte sympathischer; die feinen Umgangsformen eines Salonmenschen fehlten ihm allerdings, dafuer war er zu derb, dabei aber natuerlich, offen und in seiner Art liebenswuerdig, das Urbild der Kraft und Gesundheit. Er schien sehr erfreut, in der Freundin seiner Frau eine Liebhaberin und Kennerin der Landwirtschaft zu finden, die fuer alles was dazu gehoert, viel Verstaendnis hatte. Sie erzaehlte ihm unter anderm, dass ihr Vater jetzt einen grossen Teil seiner Laendereien mit Zuckerrueben bebaut habe, und dass er zur bequemen Befoerderung der Rueben eine kleine Bahn ueber die Felder legen liesse; sie konnte ihm ueber alle Einzelheiten, nach denen er fragte, Auskunft geben, was ihn sehr interessierte, da auch er gerade im Begriffe stand, einen Teil seiner Felder zur Ruebenkultur vorzubereiten. Sie sprach ueber die neuen landwirtschaftlichen Maschinen, ueber die besten Duengemittel wie ein Fachmann, und folgte aufmerksam seinen Ausfuehrungen, als er ihr von seiner Schweinezucht berichtete, die, wie er hoffte, recht eintraeglich werden wuerde. Flora hoerte nur noch mit halbem Ohr auf Nellie, verstohlen beobachtete sie die beiden andern und zwar zuerst nicht sehr erbaut, dass August seine Nachbarin nicht ueber andre Gegenstaende unterhielt. Als sie aber merkte, dass Ilse ganz zufrieden aussah und lebhaftes Interesse zeigte, da beruhigte sie sich wieder. Dabei war sie jedoch immer noch in einiger Aufregung darueber, welchen Eindruck ihr August wohl auf die Freundinnen gemacht habe, und sie nahm sich vor, sie nachher offen darueber auszufragen. Die Kinder hatten sich inzwischen auch angefreundet und sassen nicht mehr so schuechtern und still auf ihren Stuehlen, wie zu Beginn der Mahlzeit. Ruth besonders rueckte ungeduldig hin und her, sie konnte ja den Augenblick nicht abwarten, bis sie die kleinen Schweinchen sehen durfte; deshalb war niemand froher als sie, als Flora jetzt aufstand und verkuendete, dass der Kaffee unter der grossen schattigen Kastanie im Garten getrunken werden sollte. Dort war es koestlich! Die breiten herabhaengenden Aeste woelbten sich zum schuetzenden Dach ueber dem Platze, aber die Sonne stahl sich doch durch die kleinen Ritzen und Loecher in dem gruenen Blaettergewirr und malte helle Flecke auf den beschatteten Kiesweg, die gelben Gartenstuehle und Baenke, auf die blanken Tassen und Teller, und als sich Werners mit ihren Gaesten niederliessen, tanzten und flimmerten sie auch auf den Gesichtern, den Haaren und Kleidern. Von dem grossen Rasenplatz vor dem Hause sandte ein Rosenbeet seine suessen Duefte herueber, vermischt mit dem Wohlgeruch der Reseda, womit die Beete eingefasst waren. Ilse und Nellie konnten des Lobes kein Ende finden ueber den wonnigen Platz, und letztere dachte im stillen, dass diese gruene farbige Umgebung, die freie Luft einen weit besseren Hintergrund fuer den rosigen Hausherrn und seine ebenso rosigen Toechter abgeben, als es die gedaempften Toene im Zimmer taten. In lustiger Stimmung wurde der Kaffee getrunken und der riesengrosse Napfkuchen verzehrt, der mitten auf dem Tische prangte und fuer die Kinder eine wahrhaft magnetische Anziehungskraft zu haben schien, denn bis jedes ein Stueck davon auf dem Teller hatte, liessen sie ihn nicht aus den Augen. Gegen Abend forderte Herr Werner zu einem Rundgange durch sein Besitztum auf, was besonders von Ruth jauchzend aufgenommen wurde, sollte sie nun doch endlich zu dem heiss ersehnten Anblick der Ferkelchen gelangen. Ueberhaupt was gab es da alles fuer die Kinder zu sehen! Aber unbekannt waren ihnen diese Dinge nicht, sie wussten ganz gut Bescheid, da sie ja fast alle Jahre zum Besuche bei den Grosseltern in Moosdorf gewesen waren und das Leben auf dem Lande recht gut kannten. Es wurden die Scheunen besehen, die Staelle, man ging ueber den Gefluegelhof, alles war in bester Ordnung, und wenn die grosse Gestalt des Besitzers erschien, konnte man aus den Mienen der Untergebenen merken, dass er ein strenges, aber gerechtes Regiment fuehrte. "Unsere Konzerte bestehen hier nur aus Naturlauten," sagte Flora scherzend, als das Bloeken der Kuehe, das Wiehern der Pferde und Grunzen der Schweine ihnen noch nachtoente, waehrend sie die Wirtschaftsgebaeude verliessen und in den Wiesenweg einbogen, um noch einen kurzen Spaziergang ueber die Felder zu machen. Ein starker Heugeruch kam ihnen entgegen, die Leute waren gerade dabei, das Heu mit der Harke zu wenden; morgen in aller Fruehe sollte es eingefahren werden. Und wie prachtvoll und ueppig standen die Felder, die Aehren waren straff und voll! Kornblumen und leuchtend roter Mohn, auch Kornraden und zarte rosige Winden fassten wie eine Guirlande die Felder ein; achtlos gingen Thusnelda und Hildegard daran vorueber, aber Ruths dunkler Lockenkopf und Mariannes blondes Koepfchen tauchten bald hier, bald dort zwischen den Aehren auf. Das Blumenpfluecken war fuer die Stadtkinder ja eine wahre Wonne! Mit ganzen Haenden voll bunter Blumen kamen sie zurueck, und Kaethe, die nicht mitgegangen war, weil sie im Hause beschaeftigt gewesen, nahm ihnen die duftige Buerde ab, und ordnete sie zu einem grossen Strausse, den sie auf die gedeckte Abendtafel unter der Kastanie stellte. Der etwas befangene und fremde Ton, der am Mittag geherrscht hatte, machte heute abend einer ganz andern Stimmung Platz, im lebhaften Gespraech unterhielten sich die Erwachsenen, waehrend die Kinder geradezu uebermuetig umhertollten und Kaethe ihre liebe Not hatte, sie zu baendigen. Um neun Uhr wurde die kleine Gesellschaft trotz allem Betteln und Quaelen zu Bett geschickt, ihr Sprechen und Lachen hoerte man aber noch lange durch die offenen Fenster; es toente mit dem Zirpen der Grille und dem Froschquaken um die Wette durch die abendliche Stille. Puenktlich um 10 Uhr erhob sich auch der Hausherr, um zur Ruhe zu gehen, worauf auch Nellie und Ilse ebenfalls pflichtschuldig aufstanden. Wie schade, sie haetten den Abend so gerne noch genossen, jetzt erst wurde es ja kuehler hier draussen. Daher waren sie sehr erfreut, als Flora sie fragte, ob sie nicht noch aufbleiben wollten. "Gerne, gerne," riefen sie beide mit einem fragenden Blick auf Herrn Werner. "O, deshalb brauchen wir noch nicht schlafen zu gehen," erwiderte Flora. "August steht des Morgens jetzt schon um vier Uhr auf, da ist er abends natuerlich muede. Die Damen entschuldigen dich gern, lieber Mann, nicht wahr?" wandte sie sich an die beiden. "Selbstverstaendlich," gaben sie zur Antwort. "Na, dann schlafen Sie recht gut," sagte der Hausherr und reichte den jungen Frauen die derbe Rechte. "Und erzaehlen Sie mir morgen frueh, was Sie getraeumt haben; das geht ja wohl in Erfuellung, wenigstens sagt es meine Frau, die weiss ja in solchen Dingen gut Bescheid. Ich kenne keine Traeume! Gute Nacht, Frau," sagte er dann freundlich zu Flora. "Vergiss nicht, morgen frueh mit der Mamsell das Milchgeld abzuzaehlen, ob's stimmt, die mogelt gern ein bisschen; und dann sorge dafuer, dass Hesse mit der Butter nicht zu spaet fortfaehrt, damit er nicht in die Hitze kommt; er ist auch etwas bummelig. Und nun nochmals gute Nacht." "Ja, ja, es wird schon alles besorgt werden," entgegnete Flora leicht erroetend - die Auftraege schienen ihr nicht gerade angenehm zu sein. Als die schweren Tritte von Herrn Werner auf dem knirschenden Kies verhallt waren, hoerte man noch eine Weile seine laute Stimme, wie er mit dem Verwalter sprach, und dann wurde drinnen ein Fenster zugeschlagen. "Er hat ein Herz wie Gold, wenn er auch manchmal etwas barsch erscheint; das meint er gar nicht so," fing Flora auf einmal ohne aeusseren Zusammenhang an aber ihren inneren Ideengang errieten die Freundinnen in diesem Augenblicke leicht, und beide versicherten sie deshalb zu gleicher Zeit, wie gut ihnen Herr Werner gefiele, und wie gluecklich sie im Besitze eines so praechtigen Mannes und so lieber Kinder sein koenne. "Ja, ja, das bin ich auch," erwiderte Flora in aufrichtigem Tone, blickte dann aber gedankenvoll, wohl in Erinnerung an die Vergangenheit versunken, vor sich hin. Vieles, vieles ging ihr in dieser Minute durch den Sinn. "Ihr habt immer treu zu mir gehalten, ihr Lieben," sagte sie nach einer Weile ploetzlich zu den Freundinnen, ihnen herzlich die Haende drueckend, und fuhr dann fort: "Ich glaube, dass wir uns jetzt auch noch besser verstehen werden, als frueher. Ich habe mich in manchen Dingen geaendert, denn ich sah ein, dass ich mit meinen idealen Anschauungen nicht in diese materielle Welt passte. Ihr habt mich ja oft verlacht und verspottet - ja, ja, das weiss ich - aber es war mir wirklich ernst mit meinen Gefuehlen. Durch den Tod meines ersten Mannes bin ich eine andre geworden, Gewissensbisse und Vorwuerfe haben so lange an mir genagt, bis sich mir das Glueck zum zweiten Male mit der Hand meines guten August darbot. Er ist ein echter Landmann und hat auch nur Interesse fuer seinen Beruf. Im Anfange unsrer Ehe versuchte ich, ihn in die Welt der Poesie einzufuehren, und habe ihm haeufig abends vorgelesen, doch er war zu muede und schlief dabei ein. Aber da habe ich mir gesagt, es sind ja nicht nur diejenigen poetisch veranlagt, die Gedichte lesen und schreiben; wenn man nur sucht, kann man auch dem praktischen Leben ideale Seiten abgewinnen." "Bravo, bravo!" rief Ilse; so vernuenftig hatte sie Flora noch niemals sprechen hoeren. "Und wie ist es mit Kaethe?" fragte Nellie. "O, wir verstehen uns praechtig. Sie ist und bleibt ja ein verschlossenes Maedchen, aber fuer die Zwillinge sorgt sie ruehrend, denn Kinder liebt sie ueber alles." "Wie schoen fuer dich," sagte Nellie. "Ja, anfangs hatte ich meine liebe Not mit Kaethe, sie war so stoerrisch, sie wollte nichts von mir wissen, doch das wisst ihr ja alles. Wir wollen nun nicht mehr von der vergangenen traurigen Zeit sprechen." Sie sagte das mit einem tiefen Seufzer; dem neuen Wendepunkt in ihrem Leben mochten wohl viele heisse Kaempfe gefolgt sein, bis aus dem ueberspannten Wesen eine normal denkende Frau geworden war. "Nun, und Orla?" fragte sie ploetzlich. "Was habt ihr von der gehoert? Bis in meine laendliche Einsamkeit dringen ihre Briefe nicht. Uebrigens, etwas hochfahrend war sie immer, trotzdem mochte ich sie gerne leiden, hatten wir doch viele gemeinsame Interessen, denn sie strebte ja ebenso wie ich nach etwas Hoeherem." Also fuer aehnlich veranlagt, wie Orla, hielt sich Flora immer noch! Nun, diesen Spass konnte man ihr lassen, wenn sie nur in ihrem Handeln verstaendig war und blieb. "O, Orla, der geht es ausgezeichnet!" rief Ilse. "Ihr Mann hat durch die Vermittlung ihrer einflussreichen Verwandten am Hospital in Petersburg eine Stellung bekommen, die mit grossen Einnahmen verbunden ist. Durch den Tod eines alten Onkels von Orla ist ihnen auch noch ein ziemlich bedeutendes Vermoegen zugefallen; da kannst du dir denken, dass sie ein grossartiges Leben fuehren." "Ein Leben im grossen Stile!" sagte Flora, wie zu sich selbst. "Davon habe ich auch oft getraeumt! Natuerlich Dienerschaft in Menge?" "Jedenfalls," lachte Ilse; "darueber schreibt sie aber nichts. Du weisst ja, das Dienstbotenkapitel, wenn es je mal aufs Tapet kam, interessierte Orla nicht im mindesten. Sie schreibt nicht oft, aber dann lange ausfuehrliche Briefe, und aus jeder Zeile klingt es heraus, dass sie sich gluecklich fuehlt! Gluecklich in ihrer Ehe, gluecklich, dass sie wieder in ihrem geliebten Russland leben kann. Kuenstler und Gelehrte verkehren bei ihr, kurzum, sie ist ganz in ihrem Element! O, ich kann mir vorstellen, dass sie eine gefeierte Frau ist, - klug, schoen, reich." "Ja, ihr ist es geglueckt," sagte die Gutsbesitzersfrau seufzend. "Sie lebt in der grossen Welt, wird bewundert, gilt etwas, waehrend andre in der Einsamkeit verschimmeln und verbauern. - Orla spielt womoeglich auch als Nihilistin eine Rolle?" "Warum nicht?" meinte Ilse, "zuzutrauen waere es ihr schon, das Zeug haette sie dazu." "O, mein Gott, was redet ihr da fuer Unsinn - Orla eine Nihilistin!" warf hier Nellie ein. "Aber ich bitte dich," sagte Flora, "unmoeglich ist es doch nicht. Schrecklich waere es nur, wenn sie eines Tages nach Sibirien verbannt wuerde." "O, o!" rief Nellie entsetzt, "deine Phantasie geht mit dir durch, Flora. Sprich doch nicht von so etwas, was sollten da wohl Orlas liebe Jungen anfangen!" "Wie viel Kinder hat sie eigentlich?" fragte Flora; "in meiner Einsamkeit erfahre ich ja gar nichts." "Vier Stueck, acht, sechs, vier, zwei Jahre alt, lauter Prachtkerls, sage ich dir," antwortete Ilse. "O, suess!" schwaermte auch Nellie, und ein wehmuetiger Schatten ueberflog ihr Gesicht. "Ich habe das Bild mit und will es dir morgen zeigen." "Heute abend noch, bitte, heute abend noch," bettelte Flora, die zu neugierig war, es zu sehen. Orlas Schicksal erfuellte sie doch mit etwas Neid, den sie nicht ganz unterdruecken konnte. Aber schneller als frueher kam sie darueber hinweg in dem Bewusstsein, dass sie ja auch ihren Wirkungskreis habe, genau wie Orla; der einzige Unterschied war der, dass diese als Schauplatz die grosse geraeuschvolle Welt hatte, waehrend der ihrige hier in der stillen Abgeschiedenheit lag. Was sollten die Armen und Kranken in der Umgegend, denen sie oft der einzige Trost, die einzige Hilfe war, wohl ohne sie anfangen! - Die Nacht war schon weit vorgeschritten, und die Freundinnen sassen noch immer unter der traulichen Kastanie, welche alle die alten Erinnerungen, die zwischen den dreien ausgekramt wurden, mit anhoerte. Aber sie wollte auch mitsprechen, und das leise Rauschen in dem Blaetterwerk mischte sich in den Klang der Stimmen; es liess das Licht im Windleuchter, der auf der bunten Tischdecke stand, hoeher aufflackern, so dass die Flamme nach den herabhaengenden Zweigen leckte, deren Gruen in dieser kuenstlichen Beleuchtung fast wie auf dem Theater wirkte. Die jugendlichen Gestalten in ihren hellen Sommerkleidern hoben sich in dem kleinen Lichtkreise malerisch von der Dunkelheit ringsherum ab. Schade, dass niemand das anziehende Bild sah, aber alles lag ja schon im tiefsten Schlummer, die Lichter im Hause, auf dem Hofe, in dem Dorfe waren lange verloescht, und die kleine einsame Gartenlampe war der einzige Lichtpunkt in der Runde. Droben aber, da glaenzte helles Sterngeflimmer am klaren Nachthimmel! - Vieles, vieles hatten sich die Freundinnen zu erzaehlen! Wenn man sich nach langer Trennung wiedersieht, dann sind die ersten Fragen, die ersten Gespraeche meist sehr gleichgueltiger Art, so war es auch bei unsrem Dreiblatt hier gewesen. Nun aber die Schleusen ihrer Beredsamkeit einmal geoeffnet waren, konnten sie kein Ende finden. - Der wuerdigen Frau Superintendentin Rosi mochten an diesem Abend wohl die Ohren geklungen haben, aber wahrscheinlich das rechte mehr als das linke, denn viel Gutes wurde nicht ueber sie gesprochen, desto mehr wurden ihr Mann und Fritz geruehmt. Schliesslich jedoch bedurften die vom Sprechen trocken gewordenen Kehlen noch einer Erquickung; Flora holte deshalb einen grossen Korb voll frisch gepflueckter Kirschen heraus, und ein lustiges Schmausen begann. Dann aber, als sie Nellie einigemal verstohlen gaehnen sah, fiel es ihr ploetzlich ein, dass ihre Gaeste gewiss von der Reise muede sein wuerden, und es wurde beschlossen, die Sitzung bis auf morgen zu vertagen. Flora leuchtete ihren Gaesten noch bis in ihre Zimmer und ging dann selbst zur Ruhe. Am andern Morgen waren Ilse und Nellie rechte Langschlaeferinnen. - Als sie ins Nebenzimmer kamen, wo Ruth und Marianne schliefen, fanden sie das Nest leer, aber aus dem Garten hoerten sie helle Kinderstimmen heraufschallen, und bei einem Blick durchs Fenster sahen sie flinke Beinchen ueber den taufrischen Rasen laufen. - Der Kaffeetisch war wieder unter dem Kastanienbaume hergerichtet; bei dem Erscheinen der beiden schuettelte er leise das ehrwuerdige Haupt, als wollte er sagen: wie lange habt ihr Faulpelze geschlafen. Jubelnd kamen die rotbackigen Zwillinge, in ihrer Mitte Marianne fuehrend, herbeigelaufen, und Flora erhob sich von ihrem Sitz am Tische. Sie hatte ein Buch vor sich liegen, in welchem sie eifrig gelesen und gerechnet hatte, und sah in ihrem hellblauen Morgenkleide frisch und nett aus. "O, was magst du von uns denken," entschuldigte Nellie, und Ilse meinte: "Dein Mann wird sich schoen ueber die faulen Staedterinnen lustig gemacht haben!" Aber Flora beruhigte sie ganz und gar. August traenke fast nie des Morgens mit ihnen Kaffee, er waere schon seit 5 Uhr fort auf die Wiesen, um beim Heuaufladen zugegen zu sein. "Nun, stimmt die Milchrechnung?" fragte Nellie laechelnd mit einer Handbewegung nach dem Buche, das vor Flora auf dem Tische lag. Eine solche Lektuere bei der ehemaligen Dichterin! "Ja, ja, Kinder, so etwas muss eine Gutsfrau auch tun," sagte Flora, die aus Nellies Frage einen leichten Spott herauszuhoeren glaubte. "Poesie und Prosa gehen Hand in Hand auf dem Lande." "O, nicht nur auf dem Lande, ueberall im Leben," antwortete Ilse. "Ich bin uebrigens recht froh, dass die Kinder in freier, natuerlicher Umgebung aufwachsen," fuhr Flora fort; "es wird dadurch der Sinn fuer die Natur geweckt. Thusnelda" - sie sprach den Namen immer mit der Betonung einer Klara Ziegler aus - "ist poetisch veranlagt, das Kind hat eine ganz merkwuerdige Auffassung, ihr solltet nur hoeren, wie sie ueber alles spricht, ueber den Gesang der Voegel, ueber den Sonnenschein, ueber den gruenen Wald." Danach sah der luette Druwappel allerdings nicht aus, und man konnte auch nur wuenschen, dass er in dieser Beziehung lieber nicht von der Mutter "erblich belastet" sein moechte. Aeusserlich glichen die Zwillinge ja auffallend dem Vater, wie aus dem Gesicht geschnitten waren sie ihm. "Ja, aber wo ist denn Ruth?" fragte Ilse ploetzlich, sich nach allen Seiten umsehend. In derselben Minute liefen die Kinder jubelnd und lachend einem grossen, mit Heu beladenen Wagen entgegen, der, von zwei maechtigen Pferden gezogen, eben in den Hof einfuhr. Und wer sass mit Bauernkindern zusammen hoch oben in dem weichen duftenden Neste, froehlich singend, wie eine Lerche in der Morgenfruehe? Niemand anders als Ruth! Wie eine Katze kletterte sie herunter und warf sich ungestuem in die bereit gehaltenen Arme von Herrn Werner, der sie lachend auffing und auf einen der breiten Pferderuecken setzte. Ilse kam es in diesem Augenblicke vor, als wuerde ihr ein Spiegel vorgehalten und sie saehe sich, die wilde Hummel von einst, wie ein Junge auf dem Pferde vor dem Heuwagen reiten, gerade so wie jetzt Ruth. Das war der verhaengnisvolle Ausgangspunkt gewesen, von dem aus ihr Leben eine neue Wendung nahm, - kleine Ursachen, grosse Wirkungen! Und Ruth glich ihr fast auf ein Haar - und doch wieder nicht. Durch den gaenzlichen Mangel an Erziehung, durch das ungebundene Aufwachsen auf dem Lande, war aus ihr das unbaendige, jungenhafte, trotzige Maedchen geworden, waehrend bei Ruth dieselben Eigenschaften sich verfeinert hatten, so dass man sie in "temperamentvoll, eigenartig und willensstark" uebersetzen konnte. Flora witterte sogar etwas Besonderes hinter ihr, und prophezeite ihr eine grosse Zukunft. - Bestaubt, erhitzt, mit gluehenden Wangen kam Ruth jetzt herbeigelaufen und umarmte ihre Mutter unter stuermischen Kuessen. Sprudelnd und sich ueberhastend erzaehlte sie, dass sie schon ganz frueh wach gewesen sei, und als sie zum Fenster hinausgesehen habe, waere Herr Werner unten im Garten gewesen und haette ihr zugerufen, ob sie mit wolle auf die Wiese zum Heumachen. Da haette sie sich schnell angezogen, ganz allein. "O, ganz ordentlich," versetzte sie, als Ilses pruefender Blick ueber ihren Anzug glitt, und brach dann in den begeisterten Ausruf aus: "Himmlisch war's!" "Wo ist dein Mann geblieben?" fragte Nellie und sah suchend umher, denn der Gutsbesitzer war nicht mehr zu sehen. "Er wird erst Toilette machen, um wuerdig vor euch zu erscheinen," erklaerte Flora, aber in der gleichen Sekunde erscholl seine laute Stimme von den Staellen her. Er schien mit den Knechten zu schelten, denn einzelne Kraftworte, wie "Donnerwetter, infame Wirtschaft, Dummkoepfe", drangen bis zu der Kastanie herueber, zum Gaudium der Zwillinge, die sich halbtot lachen wollten. Flora waren diese Ausbrueche ihres erzuernten Gatten sehr unangenehm; sie wurde verlegen, schalt die Kinder aus, weil sie lachten, und wollte selbst nachsehen, was es denn gaebe. Aber da kam auch schon August den Kiesweg heraufgegangen. Seine hohen Stulpenstiefel waren voller Staub, und der graue Drellanzug schien zwar sehr bequem zu sein, elegant sah er aber nicht aus. Schlaff und schlappig hing die Joppe ueber seine breiten Schultern, und das farbige Sporthemd liess seinen starken Hals frei sehen, der ebenso, wie das Gesicht, vor Aerger und Hitze blaurot war. Sein Anblick war keineswegs der eines Gentleman, aber wohl der eines viel beschaeftigten Landmannes, und hatte fuer Ilse daher durchaus nichts Fremdes. Floras deutlich sprechende Blicke, die sie ihm zuwarf, schien er nicht zu bemerken, denn ungeniert ging er auf den Tisch zu und begruesste Nellie und Ilse. "Ein ganz famoses Maedel haben Sie, Frau Gontrau," sagte er; "sie hat mir vielen Spass gemacht heute frueh. Das wird mal eine gute Landwirtin!" Als er der Direktorin die Hand reichte, fragte diese teilnehmend: "O, haben Sie Aerger gehabt?" "Ach ja, es gibt immer Aerger, manchmal ist's zum Tollwerden! Lassen die dummen Kerls die Sau mit ihren Jungen zusammen, natuerlich hat sie drei davon tot gebissen. Schafskoepfe sind's," setzte er noch hinzu und legte seine Hand so kraeftig auf den Tisch, dass das Geschirr klirrend zusammenschlug. "Aergere dich doch nicht so, lieber August," sagte Flora und strich ihm besaenftigend ueber die Stirn. "Hesse ist auch ein Esel," fing er wieder an; "bringt beinahe die Haelfte der Butter wieder mit, die bei der Hitze natuerlich schon zu einem Matsch geworden ist. Wie ist es mit dem Milchgeld, stimmt's? Der Mamsell muss tuechtig auf die Finger gesehen werden! Und dann muessen auch die Sauerkirschen gepflueckt werden, sind schon eine Menge davon gestohlen worden in der letzten Nacht." "Ja, ja, lieber Mann, es soll alles geschehen, aber nun staerke und erhole dich erst," versuchte ihn seine Frau zu beruhigen, indem sie ihm mit eigener Hand appetitlich belegte Broetchen bereitete und Kaethe ins Haus schickte, um ihm etwas Erfrischendes zum Trinken zu holen. O, welche Wandlung war mit Flora vorgegangen! Mit Staunen bemerkten es die Freundinnen immer von neuem. Sie haetten es kaum fuer moeglich gehalten, dass aus der oft verlachten und verspotteten "Dichterin" eine vernuenftige Frau werden koennte, denn soweit es Floras Beanlagung zuliess, war sie wirklich eine solche geworden. Zwar kamen dann und wann noch einige Ueberbleibsel ihrer einstigen Ueberspanntheit zum Vorschein, aber wer koennte auch seine innerste Natur ganz verleugnen? Ueberschwenglichkeit war nun einmal der Grundzug von Floras Charakter. - Die naechsten Tage vergingen schnell, und das Landleben behagte den grossen und kleinen Gaesten herrlich. Den ganzen Tag draussen in der guten Luft, Abendspaziergaenge durch das Dorf, die Felder und Wiesen, Spazierfahrten in die Umgegend, Picknicks im Walde, und dann, um das beste nicht zu vergessen, die vielen traulichen Plauderstunden unter dem Kastanienbaum, denen der Hausherr auch oefter beiwohnte. Er schien sich in der Gesellschaft der beiden Frauen sehr wohl zu fuehlen, und auch diese hatten ihn trotz seiner etwas derben Manieren lieb gewonnen. Oftmals aber fragten sich Ilse und Nellie untereinander, wie diese beiden so verschiedenen Menschen nur zusammengekommen sein mochten? Denn von der Frau, die aus dem Rahmen des Gewoehnlichen heraustritt, wollte August nichts wissen. "Gelehrte Weiber kann ich nicht leiden," sagte er, als eines Tages wieder die Rede darauf kam. Flora waren derartige Gespraeche immer sehr unangenehm, das konnte man merken. "Aber, August," widersprach sie ihm, "eine Frau kann sich fuer alles Schoene und Erhabene interessieren, und braucht deshalb ihre Pflichten als Gattin und Mutter doch nicht zu versaeumen." "Ach was, Firlefanzereien! Struempfe soll sie stricken und gut kochen koennen, das ist die Hauptsache." Mit einem leichten Achselzucken schwieg Flora. Ueber diesen Punkt wuerden sie sich ja doch nicht einigen. Nellie hatte sich nun auch an die Trennung von ihrem Fred gewoehnt, sie bluehte hier ordentlich auf, und daran konnte man am besten sehen, dass sie in der Tat einer Erholung bedurft hatte. Der Direktor schrieb oft und so vergnuegt und zufrieden, dass sich nach und nach auch die Angst und Sorge um ihn etwas verringerte. Sie verfasste natuerlich taeglich lange Briefe, worin mit allen moeglichen Variationen das Thema behandelt wurde: Wie geht es dir? Fuehlst du dich auch wohl! Schonst du dich genug? Arbeitest du nicht zu viel? Wirst du auch gut versorgt? Ilses Neckereien, wenn sie so stundenlang ueber einem Briefe sass, ertrug sie geduldig. Ja, sie hatte gut reden, ihr Mann war gesund und kraeftig, und konnte mit dem armen leidenden Fred nicht verglichen werden. Uebrigens war der Briefwechsel zwischen dem Gontrauschen Ehepaar ebenfalls ein reger. Ilse schilderte ihrem Schatz lebhaft alle neuen Eindruecke und neckte ihn damit, dass sie nicht die Spur von Sehnsucht nach ihm habe. Er erzaehlte dagegen, wie wohl er sich in seinem Strohwitwertume fuehle, und wie angenehm es sei, einmal nicht am Gaengelbande gefuehrt zu werden. Dann kam auch eines Tages ein Brief von Onkel Heinz an die beiden Frauen, der wahre Schauergeschichten ueber das Leben und Treiben ihrer Ehemaenner berichtete. Darauf erhielt er natuerlich eine passende Antwort von Ilse. Der Wildfang Ruth hatte ihren lieben Onkel auch in dieser, fuer sie neuen Welt nicht vergessen, er hatte schon einige Briefchen von ihr bekommen, und sie natuerlich auch von ihm. Uebrigens erschien das kleine lebhafte Ding den Zwillingen und den Dorfkindern als ein Wesen hoeherer Art, und wie gern liess sie sich anstaunen! Sie erzaehlte ihnen Geschichten, dass sie Mund und Nase aufsperrten, und sang die Lieder, welche sie in der Schule gelernt hatte, mit so reizender Stimme vor, dass auch die Grossen gern zuhoerten. Trotzdem aber liebten die Zwillinge Marianne weit mehr und waren ihr zaertlich zugetan, denn diese verstanden sie, was bei Ruth nicht immer der Fall war. - Eines Tages sagte Flora, dass sie heute unbedingt einige Besuche im Dorfe bei ihren Kranken machen muesse, und fragte, ob die Freundinnen sie begleiten wollten, was sie natuerlich von Herzen gern taten. So machten sie sich denn gegen Abend auf den Weg; eine Menge Wein, Fleisch und andre staerkende Sachen wurden, in Koerben verpackt, mitgenommen. "Ihr glaubt nicht, wie mildtaetig August ist, niemals kann ich den Armen genug geben," sagte die Gutsbesitzerin, als sie mit Ilse und Nellie durch die Dorfstrasse schritt. Ein starkes Gewitter hatte am Tage vorher den ersehnten Regen gebracht, der wie ein erfrischendes Bad fuer die erschlaffte Natur gewesen war; begierig hatte der trockene Boden jeden Tropfen eingesogen. Jetzt hatte sich der Himmel wieder aufgeklaert, und die Abendsonne spiegelte sich in den vielen grossen und kleinen Pfuetzen, ueber welche die drei Frauen hinweg schreiten und springen mussten, indem sie die Kleider sorgfaeltig in die Hoehe nahmen. Wirklich schien man Flora Werner ueberall gern zu sehen, sie blieb bald hier, bald dort stehen, fragte nach diesem und jenem, und kannte fast von jedem einzelnen die Verhaeltnisse genau. Aber merkwuerdig! Ihre Freundlichkeit, ihre Art, mit den Leuten zu sprechen, konnten doch einen leisen, theatralischen Anstrich nicht verleugnen, und manchmal begegnete sie voellig verstaendnislosen Blicken, wenn sie sich ihrer hochtrabenden Ausdruecke bediente. Doch, das waren nur Aeusserlichkeiten, wie sich Ilse und Nellie bald ueberzeugen konnten. Floras Wohltaetigkeitssinn war ein tief innerlicher, er kam von Herzen, und dieses Feld der Taetigkeit, das sie sich geschaffen hatte, war ein segensreiches und trug viel gute Fruechte. Meistens, wenn sie in die engen, schlecht geluefteten Bauernstuben eintraten, flog es wie ein heller Schein ueber die Gesichter der alten Weiblein und Maennlein, die im Winkel hockten, oder wenn ein Kranker in der Stube lag, hefteten sich seine Augen fragend und suchend auf den Korb, der stets etwas Gutes fuer ihn enthielt. Bei den jungen Muettern erkundigte sich Flora nach den kleinen Kindern, gab gute Ratschlaege und war mit jeder Hilfe bereit. Ja, sie ging sogar so weit, in der Kindererziehung Reformen einfuehren zu wollen, z. B. die Kinder sollten mehr abgehaertet werden, im zarten Lebensalter nicht alles zu essen bekommen und aehnliches mehr. Da aber fand sie keinen fruchtbaren Boden. In ihrem breiten Platt gaben ihr die Bauernfrauen verstaendnislose Antworten, indem sie sie dabei dumm gutmuetig anlachten, und alles blieb beim alten. Ganz am Ende des Dorfes stand ein kleines baufaelliges Haus, in welchem die junge Witwe eines Knechts wohnte, der im letzten Winter verunglueckt war und seine Frau mit sechs Kindern, im Alter von acht bis herunter zu einem Jahre, in groesster Not krank und elend zurueckgelassen hatte. Hier in dieser armseligen Huette traten jetzt die drei Freundinnen ueber die Schwelle. Eine warme, schlechte Luft drang ihnen entgegen, als sie die niedrige Tuere zu dem Raume oeffneten, welcher der Familie zum Wohnen und Kochen diente und in dem ein grenzenloses Durcheinander herrschte. Beim Eintritt der Frauen erhob sich von einem alten wackeligen Sofa eine gebrechliche Gestalt und versuchte schnell etwas Ordnung zu machen, aber Flora hielt sie davon zurueck. "Lassen Sie nur, Frau Tolle, bleiben Sie ruhig sitzen, die Damen hier wissen schon, wie es in einer Stube aussieht, wo Kinder sich aufhalten," sagte Flora freundlich und raeumte selbst drei Stuehle ab, auf denen schmutzige Waesche, in allen Farben gestopfte Struempfe, zerbrochenes Spielzeug, abgeknabberte Brotreste und aehnliche Dinge umherlagen. "Ich konnte leider die letzten Tage nicht kommen, weil ich Gaeste habe; aber die Sachen, die ich Ihnen schickte, haben Sie doch bekommen, nicht wahr? Na, und wie geht's denn heute, Frau Tolle?" fragte Flora, indem sie sich neben dieselbe setzte und sie pruefend betrachtete. Ueber das bleiche, abgezehrte und abgehaermte Gesicht war eine fluechtige Roete gegangen, die es merkwuerdig verschoente, als sie den fremden Besuch gewahrte, der heute mit der Gutsfrau gekommen war. Vor dieser selbst brauchte sie sich ja nicht zu schaemen, die kam ja so oft und kannte sie so gut, die war ihr keine Fremde. "Schlecht, schlecht," antwortete sie leise, "es geht immer schlechter." "I bewahre, Frau Tolle, Sie sehen ja schon viel wohler aus, verlieren Sie nur den Mut nicht, der liebe Gott wird Ihnen schon helfen," troestete Flora sanft und liebevoll. Ein Kopfschuetteln war die Antwort, und ein trauriger Blick streifte dabei die Kinder, die sich in die Ecken gedrueckt hatten und neugierig die Fremden anstarrten. Sie sahen schmutzig und zerlumpt aus, sauber und gut gekleidet waeren es gewiss huebsche Kinder gewesen. Nur bei dem zweitjuengsten, einem kleinen Maedchen von zwei Jahren, wirkten die Lumpen geradezu malerisch zu der Schoenheit des Kindes. Es sass der aeltesten Schwester auf dem Schoss; wirre, ungepflegte blonde Loeckchen fielen tief ueber ihr Gesichtchen, das unter den zurueckgelassenen Spuren schmutziger Finger dennoch rosig schimmerte. Scheu sah es mit seinen grossen braunen Augen Nellie an, welche mit ihm sprach und liebkosend die nackten braunen Fuesschen streichelte. "O, wie suess ist das _baby_," sagte sie zu Ilse. "Wie heisst du?" fragte sie das Kind. "Aennchen," antwortete die aeltere Schwester. "Willst du der Tante nicht ein Haendchen geben?" fragte sie weiter. Das weiche Kinderpatschchen legte sich zoegernd in die Hand der jungen Frau, aber ohne Widerstreben liess sich die Kleine dann von ihr auf den Schoss nehmen. Zaertlich strich ihr Nellie die hellen Ringeln von der Stirn. Flora hatte inzwischen Fleisch und Wein fuer die Kranke aus dem Korbe genommen und versprach fuer die Kinder abgelegtes Zeug zu schicken. Muede und apathisch dankte die Frau. Die Luft in dem kleinen Raume war zum Ersticken; Ilse, die kaum Atem zu holen wagte, wollte das Fenster oeffnen, aber froestelnd schauerte die Kranke zusammen und sie liess es geschlossen. "Wo ist denn die Mutter?" fragte Flora sich umblickend. "Ach, die holt ein bisschen Futter fuer die Ziege," entgegnete die junge Witwe. "Kommt sie denn bald wieder?" forschte Flora weiter. "Sie koennen doch in Ihrem elenden Zustande nicht allein bleiben." "Die Kinder sind ja da." "Die koennen Ihnen doch nichts helfen, auf die muessen Sie ja noch dazu achtgeben, Frau Tolle. Nein, nein, so geht das nicht laenger," sagte Flora. "Und den Arzt schicke ich Ihnen morgen auch wieder, er soll jetzt alle Tage kommen, der macht Sie bald wieder gesund, passen Sie nur auf." "Der kann mir auch nicht mehr helfen ..." Unendlich schmerzlich klangen diese Worte. "Das muessen Sie nicht sagen, Frau Tolle! Trinken Sie nur tuechtig von dem Wein, der kraeftigt Sie, und wenn er zu Ende ist, bringe ich mehr. Ich komme bald wieder und sehe nach Ihnen, hoffen Sie nur auf Gott. Guten Abend und recht, recht gute Besserung." Flora ergriff die magere, knochige Hand, die sich auch Ilse und Nellie entgegenstreckte, und dann verliess sie mit den Freundinnen diese Staette menschlichen Elends. Alle drei atmeten erleichtert auf, als sie draussen die frische Abendluft empfing, und sie nicht mehr das jammervolle Bild vor Augen hatten. Ilse konnte sich ueber die Armseligkeit in dem Haeuschen, die einen tiefen Eindruck bei ihr hinterlassen hatte, nicht beruhigen; Nellie sprach in einem fort von dem armen, suessen Aennchen, und Flora erzaehlte die Krankheits- und Leidensgeschichte der armen Frau Tolle ausfuehrlich. Alle drei waren von dem, was sie eben gesehen hatten, schmerzlich ergriffen. "Sie hat sich nach dem letzten Kinde nicht mehr erholen koennen; der Doktor sagt, es waere ein schweres Herzleiden und nicht zu heilen," berichte Flora. "Ach, wenn sie dann nur bald erloest wuerde, die Aermste." Dieser Wunsch sollte bald in Erfuellung gehen! - Bei dem abendlichen Zusammensein unter der Kastanie wurde der traurige Fall eingehend eroertert, und in den folgenden Tagen fuer die unglueckliche Familie ausgiebig gesorgt. Der Arzt musste taeglich nach der Kranken sehen, und eine tuechtige Pflegerin besorgte Flora ebenfalls. Diese freundliche Fuersorge erhellte die letzten Tage der Schwergeprueften; sie wurde liebreich gepflegt, samt ihren Kindern mit allem Noetigen versehen, und so empfand sie noch einmal einen schwachen Schimmer von Glueck. Eines Abends, als die untergehende Sonne auch den armseligen Raum, wo die Kranke lag, mit ihrem lichten Glanze erfuellte, schlossen sich ihre Augen fuer immer - ruhig und sanft schlummerte sie ein. - Die Nachricht von ihrem Tode erreichte die Gutsherrschaft gerade, als sie mit ihren Gaesten froehlich plaudernd zusammensass, und zwar wie gewoehnlich auf dem Platze unter der Kastanie. "O, die armen Kinder, das suesse _baby_, was wird daraus?" rief Nellie mit Traenen in den Augen. "Ja, ja, wir muessen helfen," sagte Herr Werner ueberlegend. Dann fragte er seine Frau: "Wie viel Kinder sind da?" "Sechs," antwortete sie. "Es ist ein Jammer! Bei der halb bloedsinnigen Grossmutter koennen sie nicht bleiben, und alle die Kleinen dem Waisenhaus uebergeben - es ist zu traurig!" "Ich will sehen, ob ich nicht einige unterbringen kann," sagte ihr Mann. "Deichmanns auf der Domaene koennten ganz gut eins zu sich nehmen, die haben Geld und keine Kinder. - Das will ich schon machen. Na, und dann denke ich, wir koennten auch eins annehmen, was meinst du dazu, Frau? Natuerlich musst du dir's reiflich ueberlegen, aber wenn du willst - ich bin's zufrieden." "O, Herr Werner, dann nehmen Sie das kleine Aennchen; o, es ist ein zu wonniges _baby_!" rief Nellie begeistert, waehrend Ilse mit aufrichtiger Bewunderung den grossen Mann mit dem guten Herzen anblickte und auch Floras Gesicht einen freudig stolzen Ausdruck zeigte. Den ganzen Tag nach diesem Gespraeche blieb Nellie still und nachdenklich, und als sie abends mit Ilse allein in ihrem Zimmer war, da erfuhr die letztere, dass die Direktorin fortwaehrend an klein Aennchen dachte und sich ausmalte, wie das liebliche Geschoepf wohl aufbluehen wuerde, wenn es hier erst mit den Zwillingen zusammen waere. Mit einem tiefen Seufzer schloss sie ihre Betrachtungen. "Hoere, Nellie," rief Ilse ploetzlich, "wenn dir das Kind so gut gefaellt, so nehmt ihr es doch zu euch." So schnell wie ihr der Gedanke durch den Kopf gefahren war, hatte sie ihn auch ausgesprochen. Aber Nellie wurde blutrot bei diesen Worten, und es schien beinahe, als haette Ilse sie bei ihrem eigenen Gedanken ertappt; doch heftig schuettelte sie den Kopf. "Nein, o nein, Ilse, denke doch - Fred!" rief sie aus. "Na, dein Mann wird doch nicht nein sagen." "O, Fred wuerde es nicht wollen; nein, das geht nicht." "Ob dein Mann das nicht will, weisst du ja gar nicht, aber moechtest _du_ es denn?" fragte Ilse, die Freundin scharf beobachtend. "O, ich moechte sehr gern, gewiss moechte ich, ich liebe die _babys_ so sehr," erwiderte Nellie leise. "Aber es geht nicht, es geht nicht!" fuhr sie lauter fort. "Ich habe auch keine Zeit fuer solch kleines Ding; Fred nimmt meine Pflege ganz in Anspruch, ich muesste ihn vernachlaessigen, o, und das ginge doch nicht." Und wieviel auch Ilse dagegen sagte, wieviel auch hin und her gesprochen wurde, Nellie blieb dabei, "es ginge nicht." Ganz aufgeregt begaben sich die beiden zur Ruhe, jede lebhaft mit ihren eigenen Gedanken beschaeftigt. Aber Ilse liess sich von ihrem "guten Gedanken", wie sie ihn nannte, nicht abbringen, wenigstens in ihrem Innern nicht, auch nachdem Nellie sie gebeten hatte, darueber fuer immer zu schweigen. Am andern Tage da hatten Frau Ilse Gontrau und Frau Flora Werner merkwuerdig oft zusammen zu tuscheln, und die diskrete Nellie, die keine Ahnung hatte, worueber sie sprachen, und auch gar nicht neugierig war, zog sich dann jedesmal mit den Kindern zurueck, um mit ihnen zu spielen. Nach Tische sassen Ilse und Flora im Zimmer der letzteren. Flora hatte einen Briefbogen vor sich liegen, auf welchem sie eifrig schrieb, waehrend Ilse diktierte. "Nein, so doch nicht, lieber so," unterbrach sie sich dabei oft, und dann wieder liess Flora ihre Bedenken einfliessen. Auf diese Manier wurde viel geschrieben, beinahe ebensoviel gestrichen und wieder von vorn angefangen. Was mochte das wohl fuer ein wichtiges Schreiben sein! Endlich aber war es fertig, Ilse hatte es abgeschrieben, und als der Brieftraeger kam, wurde es diesem uebergeben mit der ausdruecklichen Weisung, den Brief ja ordentlich und puenktlich zu besorgen. Was er wohl dazu sagt, ob er es wohl tut? Diese Fragen tauschten die beiden Geheimnisvollen in den naechsten Tagen unzaehlige Male aus, und mit Spannung sahen sie jeden Morgen dem Brieftraeger entgegen. Eines Tages erschien er, als die Freundinnen wieder wie gewoehnlich den Kaffee unter dem gruenen Blaetterdach einnahmen. Fuer Ilse hatte er nichts, aber Nellie gab er einen Brief, den sie ihm hastig abnahm. "Von Fred," sagte sie leicht erroetend, worauf sie sich erhob und ins Haus ging, um den Brief dort zu lesen, denn sie war gern allein, wenn sie die Episteln von ihrem Fred studierte. Voller Erwartung blieben die beiden zurueck. Nun sie so unmittelbar vor der Entscheidung standen, hatten sie keine geringe Angst, denn es war doch ein kuehnes Wagestueck gewesen, das Ilse unternommen hatte. Nach kurzer Zeit erschien Nellie in der Haustuer mit dem Briefe in der Hand, und kam eiligst den Kiesweg daher geschritten. Ilse und Flora klopfte das Herz, und sie wagten die junge Frau erst anzusehen, als sie vor ihnen stand. Sie hatte rotgeweinte Augen, in welchen noch die hellen Traenen standen, aber zugleich umspielte ein glueckliches Laecheln ihre Lippen. "O Ilse, was bist du eine _darling_, o was bist du gut, was hast du fuer mir getan!" rief sie, indem sie die Freundin umarmte und kuesste. In ihrer Erregung lag sie mit der deutschen Sprache, die sie in den letzten Jahren fehlerlos beherrschte, auf einmal wieder im Kampfe. Wie frueher misshandelte sie dieselbe in der komischsten Weise, als sie jetzt hastig weiter sprach, freudig und geruehrt zugleich. Endlich entfaltete sie den Brief ihres Fred und las ihn mit zitternder Stimme vor. Es stand darin: dass er nichts dagegen habe, wenn sie das kleine verwaiste Kind zu sich nehmen wolle, es waere ihm sogar sehr lieb, wenn sie, Nellie, in den vielen Stunden, die sie einsam und allein zubringen muesste, etwas Unterhaltung und Zerstreuung haette, und er hoffe auch, dass das kleine Geschoepf einiges Leben in ihr stilles Haus bringen wuerde. Ilse sah Flora laechelnd an. Fast woertlich wiederholte er, was sie ihm geschrieben hatte. "Nun Nellie, bist du zufrieden? Habe ich es gut gemacht?" fragte Ilse, als diese zu Ende gelesen hatte. "O, o, was fuer ein gutes Mann habe ich, und wie soll ich dich danken, lieb Ilschen," antwortete sie uebergluecklich und als ob sie ein Geluebde ablegte, fuhr sie leise fort: "O, wie will ich die kleine _baby_ lieb haben, und wie will ich den lieben Gott recht bitten, dass er eine gute Mutter aus mich macht. Ilse, wie soll ich dich das wieder gut machen?" "Nein, nein, Nellie, so darfst du nicht sprechen," wehrte diese ab. "Was du an dem einstigen Trotzkopf getan hast, kann ich dir ja doch nie wieder vergelten." Innig umarmten sich die beiden Freundinnen. Das erste war dann, dass sich die Direktorin hinsetzte und dem einzigen Fred schrieb. Bis die aeusseren Formalitaeten erledigt waren, flog zwischen den Ehegatten noch mancher Brief hin und her. Althoff war zu sehr mit Arbeit ueberhaeuft, wie er schrieb, sonst waere er selbst gekommen, um seine Frau und das Pflegetoechterchen zu holen. - Klein Aennchen aber siedelte schon am naechsten Tage zu ihrer neuen Mutter ueber, und frisch gewaschen, sorgfaeltig gekaemmt, in einem neuen Kleidchen, sah das Kind wirklich reizend aus. Die andern Geschwister wurden so gut wie moeglich untergebracht; den einen Jungen nahmen Werners zu sich und wollten ihn etwas Tuechtiges lernen lassen. So war mit dem duesteren Tod zugleich das Glueck in die arme Huette eingekehrt und suchte sich unter den Waisen seine Lieblinge heraus, um sie ihrem bisherigen Elend zu entreissen. Die schoene Zeit bei Flora hatte nun noch einen ereignisreichen Abschluss gefunden, und das Band, das die Freundinnen an Flora knuepfte, war diesmal ein unaufloesliches geworden. Der Abschied fiel allen sehr schwer, und die vielen Traenen, die dabei vergossen wurden, waren wohl der beste Beweis, dass die Freundschaft von neuem feste Wurzeln gefasst hatte. * * * Klein Aennchens Anwesenheit brachte bei dem Ehepaar Althoff wahre Wunderdinge zustande. Nellie musste ihre Pflege von nun an teilen und, was sie nie geglaubt haette, ihr Fred kam dabei nicht zu kurz, ja, seine Leiden besserten sich sogar in auffallender Weise. Wenn er abgespannt nach Hause kam, waren jetzt nicht mehr die besorgten Fragen seiner Frau das erste, was ihn empfing - zunaechst war da klein Aennchen die Hauptsache, und darueber vergass Fred seine Klagen und Nellie ihre Fragen. Was die Kleine nicht alles verstand und wusste! Beide konnten ihre Vorzuege nicht genug ruehmen, es gab kein aufgeweckteres und huebscheres Kind, und das "Erziehen" haette leicht ein "Verziehen" werden koennen, wenn nicht Frau Ilse und Onkel Heinz auch noch dagewesen waeren. Die Vortraege des letzteren ueber Kindererziehung waren allerdings oft zu theoretisch gehalten, um zu wirken, aber desto mehr fruchteten die Ermahnungen der Freundin, welche Nellie vorwarf, dass sie viel zu gutmuetig und schwach dem Kinde gegenueber sei, das schon jetzt manchmal versuchte, die andern zu tyrannisieren. Aber trotzdem hatte es helles Glueck in das Heim seiner Pflegeeltern gebracht, es war der Mittelpunkt, um den sich alles drehte, und wuchs frisch und froehlich auf, nicht ahnend, aus welcher trostlosen Umgebung einst sein junges Leben hierher verpflanzt worden war. * * * So vergingen die Jahre - schnell, wie im Fluge! Sie brachten Freuden und Leiden in ihrem Gefolge mit sich und teilten diese Gaben bald nach Verdienst, bald ungerecht aus. Der eine bekam mehr vom Regen, der andre mehr vom Sonnenschein, dem einen erschien das Glueck frueher, dem andern spaeter und manchem nie. Auch an unsern Freunden zog die Zeit in buntem Wechsel vorueber, frohe und truebe Tage waren in das Meer der Vergangenheit gesunken - einer nach dem andern. Ganz verschont hatte das Schicksal keinen, aber unerbittlich hart war es nur in der Familie des Superintendenten aufgetreten, als dunkle, schwere Wolke lagerte es jahrelang ueber ihnen. Wie wir wissen, glaubte Rosi ihren Fritz mit harter Strenge erziehen zu muessen, und so wurde aus dem froehlichen, frischen Kinde schliesslich ein stiller, verschlossener Junge. An den Vergnuegungen seiner Schulkameraden durfte er meistens nicht teilnehmen, weil es in der Schule mit ihm noch immer nicht besser gehen wollte. Begreiflicherweise, denn infolge der zu grossen Strenge fehlte ihm jeder Eifer, alle Lust und Liebe zum Lernen. An seinem Vater hatte er nur einen schwachen Halt, auch war derselbe in den letzten Jahren mit Arbeit sehr ueberbuerdet und konnte sich seiner Familie nicht so widmen, wie er wohl wuenschte. Rosi war wie mit Blindheit geschlagen! Durch fortwaehrende Strafpredigten glaubte sie etwas erreichen zu koennen und ahnte nicht, was sie damit in der jungen Seele anrichtete. Fritz stand wie unter einem schweren Drucke, und doch regte sich die Lebenslust maechtig in ihm; er haette hinauslaufen moegen, weit weg; er fuehlte oft den unwiderstehlichen Drang, die strengen Fesseln zu zerreissen. Und immer haeufiger kamen solche Gedanken wieder, und nahmen mehr und mehr Besitz von ihm. Die weite Welt stand verfuehrerisch lockend vor seinen Blicken. - Eines Tages kam er aus der Schule nicht mehr nach Hause - er war damals fuenfzehn Jahre alt. Tage, Wochen, Monate vergingen, ohne dass die angestellten Nachforschungen irgend einen Erfolg gehabt haetten - er war und blieb verschollen. Tief gebeugt wiederholte Rosi immer die Worte: "Gottes Hand ruht schwer auf uns." Ob sie sich wohl innerlich Vorwuerfe machte, oder das Unglueck nur als eine Fuegung des Himmels ansah? Von ihrem Manne hoerte sie kein Wort des Tadels. Er, den die schwere Pruefung ganz niederdrueckte, suchte doch immer nach einem Troste fuer Rosi und klagte sich selbst wegen seiner Schwaeche an, ihr in den letzten Jahren die Erziehung des Jungen fast allein ueberlassen zu haben. Tante Emilie ihrerseits versuchte Rosi jeden Zweifel dadurch zu benehmen, dass sie sagte, Fritz waere nun einmal leichtsinnig veranlagt gewesen und sie habe so etwas schon immer kommen sehen. Aber solche Worte fanden doch nur einen kurzen Wiederhall in dem betruebten Mutterherzen. Eine drueckende Schwuele herrschte in dem Pastorenhause seit dem Unglueck. Auch jetzt nach Jahren noch, als Elisabeth zu einem jungen Maedchen herangewachsen war, konnten sich Rosi und ihr Mann nicht entschliessen, sie in die Welt einzufuehren. - Freundlicher sah es bei Gontraus aus. Dort brachten Ruth und Marianne, jetzt im achtzehnten und siebenzehnten Lebensjahre stehend, Lust und Froehlichkeit ins Haus. Zu bluehenden, lieblichen Geschoepfen waren sie herangewachsen; etwas Verschiedenartigeres aber, als diese beiden Schwestern, konnte man sich nicht denken. Die juengere blond, rosig, zierlich, die aeltere gross, schlank, eigenartig, mit dunklen, sprechenden Augen und einem ewig wechselnden Mienenspiel. Viele fanden Marianne schoener, wozu auch wohl ihr liebenswuerdiges, sanftes Wesen beitrug. Ruth dagegen mit ihrem lebhaften Temperament war nicht so bequem fuer den Verkehr, und Ilse hatte manchmal ihre liebe Not, den leidenschaftlichen, aufbrausenden Sinn derselben zu daemmen. Wie oft musste sie sich von Leo necken lassen, wenn sie ueber Ruth klagte und er antwortete: "Ganz die Mutter." Aber dass aus ihr nicht ein gleicher Trotzkopf wurde, wie sie es einst gewesen war, dafuer hatte sie gesorgt und ihrem Kinde dadurch viel schwere Stunden erspart. Die alte Kinderfreundschaft zwischen Onkel Heinz und Ruth bestand noch immer, er war ihr bester Vertrauter, und man musste sich nur wundern, mit welcher Liebe, mit welchem Verstaendnis er in dem jungen Maedchenherzen zu lesen wusste. Wenn man sie fragte: "Wer ist deine beste Freundin?" antwortete sie: "Onkel Heinz!" Von ihm liess sie sich weit mehr sagen, als von andern, trotzdem er oft nicht gerade den ruecksichtsvollsten Ton anschlug. Ilse war jetzt eine Frau Professor geworden, aber auch unter dieser neuen Wuerde hatte sie sich ihren frischen, natuerlichen Sinn erhalten. Die Jahre hatten ihr wohl aeussere und innere Veraenderungen gebracht, aber den Grundton ihres Charakters konnten sie nicht verwischen. Sie war der Mittelpunkt im Hause, um den sich alles drehte, ihr Mann vergoetterte sie noch immer, und ihre Toechter liebten sie, wie nur Kinder eine Mutter zaertlich lieben koennen; sie war ihnen Mutter und Freundin zugleich. So war denn der Tag herangekommen, den Leo schon herbeigesehnt hatte, als Ruth und Marianne noch kleine Maedchen waren, der Tag, an dem er sie auf den ersten Ball fuehren konnte. Der erste Ball! Welches Zauberwort fuer ein junges Maedchenherz! Marianne und Floras Zwillinge, die schon seit einigen Wochen bei Gontraus zum Besuche waren, befanden sich denn auch in heller Aufregung, selbst Ilse schien von dem Ballfieber mit angesteckt zu sein. Sogar Leo war nicht ganz unberuehrt davon geblieben; als er aber beim Mittagessen fragte, ob die Toiletten der Kinder auch in Ordnung waeren, brachen die jungen Maedchen in ein unsinniges Gelaechter aus, denn eine solche Frage von ihm war etwas ganz Ungewoehnliches. Nur Ruth fand es laecherlich, sich um einen "lumpigen Ball", wie sie sagte, so aufzuregen. Gegen Abend kam Nellie, die treue Seele, mit Aennchen, das inzwischen ein grosses Maedchen geworden war, um, wie immer, wenn es etwas Besonderes zu tun gab, zu helfen, denn vier kleine Balldamen herzurichten, war keine Kleinigkeit. "Nun fang nur auch an, Ruth, du wirst sonst nicht fertig," sagte die Direktorin, als dieselbe noch immer keine Miene machte, mit ihrer Toilette zu beginnen. "Um Gottes willen, Tante, langes Anziehen ist mir verhasst, ich werde noch frueh genug fertig," rief das junge Maedchen und sah etwas spoettisch laechelnd auf die Schwester und die Freundinnen, die schon eifrig dabei waren, sich zu putzen, und deren Wangen vor Eifer gluehten. Sie war doch ganz anders geartet, als sonst die Maedchen ihres Alters, deren Interessen sie meist nicht teilte. So hatte sie auch darauf bestanden, mit Marianne nicht gleich gekleidet auf den Ball zu gehen, was diese sehnlich wuenschte. "Um Himmels willen, nur nicht wie zwei Inseparables," hatte Ruth gesagt, als die Rede davon war, "wir sind so grundverschieden, und ich weiss genau, dass wir in der Auswahl der Farben nicht uebereinstimmen wuerden, fuegen aber wuerde ich mich nicht. Was wuerdest du z. B. fuer eine Farbe waehlen, Marianne?" "Ruth, Ruth, nur nicht gleich so herrschsuechtig," hatte Ilse gemahnt; aber als Marianne antwortete, sie liebe rosa so sehr, da war sie doch wieder aufgebraust. "Natuerlich rosa! Ich dachte es mir doch; da wuerde ich dir ja huebsch zur Folie dienen. Ich und ein rosa Kleid mit meinem Teint! Eine solche Geschmacklosigkeit!" "Einem jungen Maedchen steht alles," hatte Marianne in weisem Tone erwidert. "Na ja, natuerlich! Wie kann man nur eine solche Phrase wiederholen, das ist einfach dumm. Natuerlich du mit deiner rosigen Haut wirst wie ein Pfingstroeschen aussehen - aber ich! Mache doch nur die Augen auf und denke dir eine solche Farbenzusammenstellung!" Und so war es fortgegangen, bis Marianne in Traenen ausbrach und Ruth sie nun auf alle Weise zu troesten versuchte, denn sie liebte ihre blonde Schwester trotzdem zaertlich. Doch dazwischen hatte sie geklagt, ihr wuerde immer gleich alles uebelgenommen, niemand verstaende sie. Warum gerade sie wie eine Vogelscheuche aussehen sollte, waehrend Marianne natuerlich einem Engel gleichen wuerde. Haette nicht Nellie mit der trockenen Bemerkung: sie habe noch nie eine Vogelscheuche in einem rosenroten Ballkleide gesehen, Ruths Redefluss ein Ende gemacht, so waeren deren leidenschaftliche Ansprueche und Mariannes Traenen gewiss noch lange nicht versiegt. So aber hatten beide lachen muessen, und die Toilettenfrage hatte in Ruhe erledigt werden koennen. Floras Zwillinge waren zwei ebenso frische, rotbaeckige Maedchen geworden, wie sie zwei frische, rotbaeckige Kinder gewesen waren, und als sie jetzt in ihren blauen Ballgewaendern neben der in rosa Seide gekleideten Marianne standen, musste man sich ueber diese drei anmutigen Maedchenblueten freuen. Und was war natuerlicher, als dass in Ilse sowohl als in Nellie durch diesen Anblick die Erinnerung geweckt wurde, wie sie sich zum ersten Balle in der Pension geschmueckt hatten, und dass sie nun zum Ergoetzen der Kinder davon erzaehlten. Mitten in das lebhafte Sprechen und Lachen hinein ertoenten ploetzlich aus dem Nebenzimmer die Klaenge eines Fluegels und Ruths Stimme. "Das ist wieder echt wie Ruth, setzt sich hin und singt und denkt gar nicht an den Ball; am liebsten saesse sie ueberhaupt den ganzen Tag am Fluegel. Es ist ja die hoechste Zeit, dass sie sich anzieht," sagte Ilse, aber unwillkuerlich lauschte sie doch mit den andern eine Weile auf die vollen herrlichen Toene, und als sie endlich eindrangen zu der Saengerin, fanden sie dieselbe schon fix und fertig angezogen. Neugierig wurde sie von der Schwester und den Freundinnen umringt, besehen und bewundert. In ihrem einfachen, weissen Kleide sah sie reizend aus; ohne jeden Schmuck, ohne Blumen hatte sie etwas Keusches, Unnahbares. Die andern drei Balldamen ruempften allerdings die Nase ueber den gar zu einfachen Anzug; die eine riet noch zu einer Korallenkette um den Hals, die andre zu Blumen im Haar. Ruth lehnte alles ab. "Kinder, lasst mich in Ruhe, ich tue ja doch, was ich will!" rief sie. In diesem Augenblick erschien das Maedchen mit zwei wundervollen Bouquets, das eine ganz aus rosa, das andre aus weissen Blueten. Marianne wurde wie mit Purpur uebergossen, als sie die Karte las, die in den Blumen steckte. "Von Herrn Jansen," sagte sie strahlend und betrachtete das weisse Blaettchen Papier noch eingehender, als den kostbaren Strauss. Herr Jansen, der Sohn des besten Jugendfreundes von Onkel Heinz war vor einiger Zeit aus den Tropen zurueckgekehrt, wo er sich als Kaufmann ein bedeutendes Vermoegen erworben hatte, und durch den Professor bei Gontraus einfuehrt worden. Er verkehrte in dieser Familie ebensoviel und ebensogern, wie Onkel Heinz, und auch heute war er von Leo zu dem ersten Balle seiner Toechter eingeladen worden. Die beiden jungen Maedchen hielten noch immer die duftende Spende in den Haenden. "Sieh nur, Mama, der entzueckende weisse Flieder," rief Ruth, und Marianne zeigte Nellie wohl zum zehnten Male schon, wie herrlich die roten Kamelien in ihrem Strausse waeren. Dazwischen toenten die kraeftigen Stimmen der Zwillinge: "O, wie reizend, himmlisch, suess," und Aennchen lief bald hierhin, bald dorthin, um alles aufs Genaueste zu sehen und zu hoeren. Der Kranz von strahlenden, freudig erregten Maedchengesichtern war in der Tat ein entzueckender Anblick, und selbst Onkel Heinz schien Empfindung dafuer zu haben, denn als er jetzt die Tuere oeffnete, blieb er wie angewurzelt in derselben stehen. "Alle Wetter, ist das ein Staat!" rief er endlich laut. Alle drehten sich um, und Ruth flog ihm entgegen. Mit Lachen und Jubeln, wie sie es als Kinder getan, umzingelten ihn nun auch die andern jungen Dinger. Wahrhaftig, so viel Jugend und Lieblichkeit auf einmal wurde einem alten Junggesellen nicht so leicht geboten, und er konnte sich wohl darueber freuen. Im Grunde genommen schien er das auch zu tun, denn sein schmunzelndes Gesicht passte nicht recht zu seinen abwehrenden Bewegungen. Zwischen den hellen Farben rings um ihn herum stach seine dunkle Gestalt ab, wie ein schwarzer Kaefer auf bunten Bluetenblaettern. "Onkel Heinz, gefalle ich dir?" - "Wie findest du mein Kleid, steht es mir wohl gut?" "Onkel Heinz, habe ich auch nicht zu rote Backen?" So rief und fragte es von allen Seiten, und immer enger wurde er von den jungen Maedchen umschlossen, immer eindringlicher bestuermten sie ihn mit Fragen; er wusste schliesslich weder aus noch ein und hielt sich mit beiden Haenden die Ohren zu. "Scheusslich seht ihr alle aus," platzte er endlich hervor und hoffte wahrscheinlich durch diese derbe Kritik von den Quaelgeistern befreit zu werden; aber darin hatte er sich getaeuscht, nun ging es erst recht los. "Onkel Heinz, sage doch ehrlich, sehen wir wirklich scheusslich aus?" - "Ist das dein Ernst?" - "Gefallen wir dir nicht?" so schwirrte es von neuem durcheinander. "Findest du, dass mir Rosa gut steht?" fragte Marianne, und ihre Augen hatten dabei einen so suess bittenden Ausdruck, dass der Professor nicht widerstehen konnte. "Na, es geht!" antwortete er und betrachtete sie eingehend. "Aber sage mal, du musst etwas um den Hals binden, du erkaeltest dich ja sonst. Herr Gott, was ist das ueberhaupt fuer eine Verruecktheit, sich so anzuziehen! In euren Hauskleidern gefallt ihr mir viel besser. Ihr werdet euch mit dem blossen Hals und den nackten Armen einen schoenen Schnupfen holen." Da gab es wieder zu lachen ueber eine solche Ansicht. "Wen findest du denn am huebschesten, Onkel Heinz?" fragte Thusnelda. Seine Blicke schweiften umher und blieben an seinem Lieblinge Ruth haften; er brauchte deshalb gar keine Antwort zu geben. "Natuerlich Ruth, das haben wir uns gleich gedacht!" riefen sie alle. "Onkel Heinz, haettest du fuer mich vielleicht ein weisses Kleid huebscher gefunden?" fragte Marianne. "Ja Kind, wie die Frauenzimmer zu einem Balle angezogen sein muessen, weiss ich wahrhaftig nicht, das verstehe ich nicht." "Bist du denn nie auf einem Balle gewesen?" fragte Marianne. Nun war es Onkel Heinz, der in ein homerisches Gelaechter ausbrach. "Gott sei Dank, nein! Zu solchen unnuetzen Geschichten habe ich mein Lebtag keine Zeit gehabt, ich hatte Besseres zu tun." "Weisst du was, Onkel Heinz," schlug Ruth vor, "komm mit auf den Ball, denn bevor du einmal einen kennen gelernt hast, kannst du doch gar nicht darueber urteilen." "Ja, ja, komm mit!" riefen nun auch die andern. "Ich tanze so viel Taenze mit dir, wie du willst." "Und ich bringe dir den schoensten Kotillonorden." "Mich darfst du zu Tische fuehren." "Wir wollen ueberhaupt tun, was du willst." Sie ueberboten sich in verlockenden Aussichten, und wieder ragte der Professor als schwarzer Punkt aus ihrer hellen, duftigen Mitte hervor. "Kroeten, so lasst mich endlich in Ruhe, ihr seid ja ausser Rand und Band!" rief er, sie zurueckdraengend. Bei dem lebhaften Durcheinandersprechen hatte man ganz ueberhoert, dass die Tuere geoeffnet wurde, bis Ilse ploetzlich Herrn Jansen andaechtig auf der Schwelle stehen sah. Ihn bannte dort das reizende Bild, das er erblickte, und mit neidischen Augen betrachtete er Onkel Heinz in dem bluehenden Maedchenkranze. Ilse ging ihm entgegen, und die kleinen Balldamen stoben nach allen Seiten auseinander, als die hohe Gestalt naeher kam. In Mariannes Antlitz aber stieg eine heisse Blutwelle bei seiner herzlichen Begruessung, doch bewundernd blieb sein Blick an Ruth haengen, deren Hand noch in des Professors Arm lag. Die schlanke, weisse Gestalt schien ihn ungemein zu fesseln, und er nahm ihre zum Grusse dargebotene Rechte mit grosser Waerme entgegen. "Du bist zu beneiden, Onkel," sagte er halblaut. Jetzt kam auch Leo ins Zimmer, im feierlich schwarzen Anzuge, mit weisser Krawatte, und draengte zur Eile, die Wagen staenden bereits vor der Tuere. "Ja, nun macht nur," mahnte sogar Onkel Heinz, "Taenzer werdet ihr wohl nicht mehr bekommen." "Onkel, dass du nicht mitkommen willst, ist aber doch jammerschade; jetzt habe ich gar keine Lust mehr zu dem Balle," meinte Ruth. "Na, dass du sagst, du habest zu solchem Unsinn keine Lust, ist wenigstens mal ein vernuenftiges Wort," erwiderte der Professor. "Aber es geht nun doch nicht anders, du musst mit, du armes Opferlamm." "Onkel Heinz," rief Ruth freudig, als haette sie ploetzlich einen guten Einfall bekommen, "weisst du was? Du bleibst hier, und ich bleibe bei dir, und wir beide verleben einen recht gemuetlichen Abend zusammen. Ach, das waere reizend!" "Und was wuerde aus meinem versprochenen Walzer?" fragte Herr Jansen. "O, da koennte mich ja Marianne vertreten," gab sie zur Antwort und schmiegte sich zaertlich an den Professor. "Onkel Heinz, ich bleibe bei dir und singe dir alle deine Lieblingslieder vor." Etwas wie Ruehrung flog nun doch ueber das Gesicht von Onkel Heinz, und seine Stimme klang seltsam weich, als er sagte: "Alte Kroete du! Auf dem Ball wirst du dich doch wohl besser amuesieren, als mit mir alten, langweiligen Knaben hier zu Hause. Nein, nein, gehe nur, dieser Unsinn gehoert nun einmal mit zum Leben, wie so viele andre unnuetze Geschichten. Ich gehe nach Hause und lese, das ist mir doch das liebste. Morgen vormittag komme ich dann mal vor und lasse mir von eurer Hopserei berichten. Alte, gute Kroete du!" Er klopfte sie zaertlich auf die Backe. Marianne und die Zwillinge waren inzwischen warm eingepackt worden, was fuer sie wieder eine Sache von groesster Wichtigkeit gewesen war. Diese Angst, dass die Kleider und Blumen zerdrueckt werden moechten - es war eine grosse Not. Leo stand mit der Uhr in der Hand dabei, waehrend die geschaeftigen Haende in fieberhafter Unruhe flogen, und durcheinander rief es: "Wo habt ihr denn meinen Strauss hingelegt?" "Beste Tante Nellie, hast du meine Handschuhe nicht gesehen?" "Thusnelda, du hattest doch noch eben meinen Faecher in der Hand!" "Mein Taschentuch hatte ich hier auf den Tisch gelegt, wer hat es denn fortgenommen?" Dazwischen draengte Leo, es sei die hoechste Zeit, dass sie fortkaemen; Ilse schalt ueber die Unordnung, Aennchen suchte ueberall herum, trat dabei auf Hildegards Kleid und warf eine Blumenvase um, in welche Marianne ihren Strauss gestellt hatte, so dass sich das Wasser ueber den Tisch auf den Fussboden ergoss und alle fluechten mussten - kurz und gut, richtete mit ihrer gutgemeinten Hilfe nur Unheil an. Nellie aber hatte gar nichts gesagt, sondern stillschweigend gesucht und in kurzer Zeit alles Fehlende gefunden. "Um Gottes willen, ist das eine Wirtschaft! Ich mache mich aus dem Staube," sagte Onkel Heinz. "Adieu, Frau Ilse, adieu, Kinder! Na, und viel Vergnuegen zu der Geschichte. Bist du denn auch warm genug, Kroete?" fragte er seinen Liebling Ruth und zog ihr dabei das weissseidene Kopftuch noch tiefer in die Stirn. Die uebrigen waren bereits die Treppe hinabgestuermt, nur Nellie stand noch oben und verabschiedete sich von Aennchen. Immer wieder kuessten sich die beiden und konnten sich nicht von einander trennen, bis es von unten rief: "Ruth und Nellie, so kommt doch, wo bleibt ihr denn?" "Wir kommen, wir kommen!" Eiligst liefen beide hinunter, langsamer folgte ihnen Onkel Heinz. Von der Strasse her schallten noch lebhafte Stimmen, dann hoerte man das Zuklappen der Wagentueren, das schnelle Rollen der Raeder, und nun war alles still. - Der Professor hatte seinen Pelzkragen dicht ueber die Ohren gezogen und die Haende tief in die warmen Taschen vergraben. Gemessenen Schrittes ging er die Strasse hinab. Mit dem Lesen heute abend schien er es nicht sehr eilig zu haben, denn er schlenderte noch eine Zeitlang in den hellerleuchteten Strassen umher, und ging dann in das Lokal, wo er seine Mahlzeiten einzunehmen pflegte. Einsam verzehrte er sein Nachtessen und blieb den Abend ueber da. Der Kellner brachte ihm wie gewoehnlich die Zeitungen, er legte sie aber beiseite und schaute - die eine Hand am Henkel seines Bierglases - nachdenklich vor sich hin. Ein paar Male schuettelte er den Kopf und sagte leise: Unsinn, Unsinn. Aber in der Seele dieses Hagestolzen erschien doch in dem verstecktesten Winkel etwas wie ein lichter Punkt, der aus dem Dunkel auftauchte; und dieser Punkt nahm eine feste Gestalt an, und diese Gestalt schwebte in hellen, gemuetlichen Raeumen ordnend, verschoenend umher und drang auch in ein stilles Studierzimmer, in welchem ein Mann sass und arbeitete. Und auf einmal wurde alles freundlich und glaenzend, und der Lichtschein fiel auf die Gestalt des einsamen Mannes, der davon wie magisch angezogen wurde; er liess Buecher und Schriften liegen und ging ihm nach, bis er in einen lichten Raum kam, wo das Feuer im Ofen knisterte, Blumen dufteten, ein gedeckter Tisch stand, und liebevolle Haende bereit waren ihn zu hegen und zu pflegen. Unwillkuerlich machte Onkel Heinz eine heftige Bewegung, als er zum Bewusstsein dieser Traeume gelangte, und nun flohen die Bilder und Gestalten, der helle Glanz verblasste, und es erschien wieder sein duesteres Studierzimmer mit den strengen, langen Buecherreihen, der ausgegangene Ofen und die schlechtbrennende Lampe. Dieses letzte Bild sollte bald zur Wirklichkeit werden, denn nachdem Onkel Heinz sein Bier ausgetrunken und bezahlt hatte, kroch er wieder in seinen Pelz, den ihm der Kellner diensteifrig anziehen half, und ging dann heim. Doch zum Arbeiten und Lesen konnte er sich heute abend nicht mehr entschliessen; auch war es zu kalt dazu im Zimmer, der Ofen war - wie gewoehnlich - ausgegangen, und die Lampe hatte - wie gewoehnlich - gequalmt. Er begab sich deshalb zur Ruhe, aber der Schlaf wollte nicht kommen; wohl versuchte er, sich in eine wissenschaftliche Idee zu versenken, aber es gelang nicht, denn er sah fortwaehrend luftige Gestalten an sich voruebergaukeln, und sein Traum von vorhin wiederholte sich noch einmal. "Unsinn, Unsinn," murmelte er und warf sich im Bett umher, bis er endlich doch einschlief. Am andern Morgen, als es noch daemmerte, wurde er von seiner Aufwaerterin geweckt, wie an jedem andern Morgen auch. Aber heute war er aergerlich darueber und mit nichts zufrieden. Die Frau hatte an diesem Tage wiederholt Anlass, ihrer Busenfreundin, der Muellern, ihr Herz auszuschuetten und ihr zu klagen, wie boese der Herr Professor heute gewesen sei, so schlecht haette er sie noch niemals behandelt. Ueber den Kaffee habe er geschimpft, der Ofen sei nicht schnell genug warm geworden, die Lampe muesse besser geputzt werden. Und sogar ueber den Staub im Zimmer, von dem er noch nie etwas bemerkt habe, haette er heute gescholten, kurz, nichts sei ihm recht gewesen. Waehrend Onkel Heinz einen so ungemuetlichen Abend verbrachte, hatte seine Freunde Lust und Lebensfreude umgeben. Mit Zittern und Zagen hatten die Zwillinge und Marianne den Ballsaal betreten, und selbst Ruths Herz schlug hoeher, als sie in dem glaenzenden Raume stand. Der Sorge um Taenzer waren die jungen Maedchen bald ueberhoben, denn schon nach kurzer Zeit zeigten sie sich untereinander die mit Namen dicht besetzten Ballkarten. "Ja, ja, Nellie, nun sind wir Ballmuetter," sagte Ilse lachend, als sie in den Reihen, welche fuer die aelteren Damen bestimmt waren, Platz nahmen. "Macht nichts, wenn wir alte Muetter werden, ist auch fein," sagte Nellie; aber als die beiden unzertrennlichen Freundinnen jetzt so beisammensassen, sahen sie durchaus noch nicht aus wie "alte Muetter". Das Glueck, das aus beider Augen strahlte, als Ruth und Marianne im Tanze anmutig an ihnen vorbeischwebten, der Stolz, mit dem sie ihnen nachblickten, verjuengte und verschoente sie merkwuerdig. Leo und Althoff hatten eine Zeitlang dem bunten Treiben zugesehen, zogen sich dann aber ins Nebenzimmer zurueck, wo sie bei einem Glase Bier gemuetlich ihre Zigarre rauchten und schwatzten. Den Ballstaub von Anfang bis zum Ende geduldig zu schlucken, versteht eben nur eine Mutter. Herr Jansen schien an diesem Abend wie bezaubert von Ruth. Seine Blicke suchten sie, wenn sie im bunten Gewuehle verschwand, bis er sie gefunden hatte, und so oft es ging, naeherte er sich ihr; dann plauderten und lachten sie zusammen und kritisierten die Anwesenden. Aber wenn ihn Ruth auf dieses oder jenes huebsche Maedchen aufmerksam machte, so fand er sie alle haesslich oder unbedeutend, und seine Augen sagten deutlich genug, wen er einzig und allein schoen faende. Konnte er nicht mit ihr plaudern oder tanzen, so suchte er Marianne auf, um so bald als moeglich das Gespraech auf ihre Schwester zu bringen. Arme, kleine Marianne, wenn doch ein guter Geist dir die Augen oeffnen moechte! Es ist nur zu wahr, die Liebe macht blind. In dem Herzen von Marianne hatte sich vom ersten Tage an, als Onkel Heinz Herrn Jansen bei ihren Eltern einfuehrte, eine stille Neigung fuer diesen eingeschlichen, die von Tag zu Tag wie ein gut gehegtes Pflaenzchen mehr und mehr emporwuchs. Seine Worte fielen wie Tau auf diese Herzensblume, seine Freundlichkeiten waren der Sonnenschein, unter welchem sie gedieh und immer festere Wurzeln in der jungen Seele fasste. Arme Marianne! So waren auch heute abend die Artigkeiten, welche Herr Jansen ihr erwies, neue Nahrung fuer ihre Neigung und sie merkte nicht, dass es ja die Schwester war, welche sein Herz ganz und gar gefangen hielt. Der Ball nahte sich seinem Ende! Die Zwillinge hatten sich erhitzt und erschoepft mit hochroten Wangen auf einem der Diwans niedergelassen und tauschten gegenseitig ihre Erlebnisse aus; Marianne wandelte mit Ilse und Tante Nellie zusammen auf und ab, und ihr glueckstrahlendes Gesicht sprach deutlich genug von den Gefuehlen, welche ihr Inneres erfuellten. Waehrenddem hatte sich Ruth von Herrn Jansen ein Glaeschen Eis holen lassen, das sie nun, nachdem sie in einer der kleinen Pflanzennischen Platz genommen hatte, mit Behagen verzehrte. "Es ist doch sehr, sehr huebsch heute abend; ich amuesiere mich wenigstens herrlich, Sie auch?" fragte Ruth vergnuegt den jungen Mann, der sich an ihrer Seite niedergelassen hatte. "Fuer mich war es der schoenste Abend meines Lebens, Fraeulein Ruth," erwiderte er. "Da haben Sie wohl noch nicht viel Baelle mitgemacht? In Indien gibt es wahrscheinlich so etwas nicht?" erkundigte sie sich. "Und wenn ich hundert Baelle mitgemacht haette, so wuerde dieser doch der schoenste fuer mich sein," antwortete er mit Nachdruck. "So, und warum denn?" Diese Frage klang durchaus einfach und unbefangen, denn Ruth war wirklich gaenzlich ohne Arg ueber die Beziehung, welche seine Worte enthalten hatten. Er war ein Freund ihrer Eltern, ihres Hauses, und was fuer sie sehr ins Gewicht fiel, der Sohn des Jugendfreundes von Onkel Heinz. Aus diesem Grunde war sie stets zuvorkommend und freundlich gegen ihn gewesen; aber dass er etwas andres in ihr erblicken koennte als eine Freundin, war ihr noch nie in den Sinn gekommen. Deshalb erschrak sie auch im hoechsten Grade, als er ihr jetzt mit vor Erregung zitternder Stimme antwortete: "Weil Sie hier sind!" und die verhaengnisvolle Frage daran knuepfte: "Haben Sie mich denn nicht gern, Fraeulein Ruth?" Da wurde es ihr auf einmal ganz aengstlich zu Mute, verlegen stand sie auf und wuenschte zu den Ihrigen gefuehrt zu werden. "Haben Sie mich denn nicht gern?" wiederholte er eindringlich seine vorige Frage, und mechanisch antwortete sie hastig: "O ja, doch, natuerlich." Ohne seinen Arm, den er ihr bot, anzunehmen, eilte sie nach diesen Worten rasch voraus. Als sie kurze Zeit darauf zur Heimfahrt in den Wagen stieg, nahm er ihre Hand und drueckte sie zaertlich an seine Lippen. Waehrend aber die Schwester und die Zwillinge unterwegs lebhaft ueber ihre Erlebnisse vom heutigen Abend plauderten, war sie schweigsam und einsilbig. Aus Mariannes Mund toente der Name dessen, mit dem sie sich gerade beschaeftigte, oftmals an ihr Ohr. Ganz klar war es ihr doch nicht, was er gewollt hatte; aber schliesslich - warum sollte er sie denn nicht fragen, ob sie ihn gern habe? Und darauf konnte sie ihm doch nur mit einem "Ja" antworten; sie hatte ihn ja wirklich gern, sehr gern sogar. Er war ein kluger, interessanter Mann, ganz anders wie die meisten Herren ihrer Bekanntschaft; sie konnte sich mit ihm praechtig unterhalten und empfand eine Art schwesterlicher Zuneigung fuer ihn. Und er? Ach was, er hatte seine Frage gewiss voellig harmlos gemeint, so viel wusste sie doch auch, dass eine Liebeserklaerung ganz anders lautete, - wie sollte er ueberhaupt dazu kommen, ihr einen Antrag zu machen? Nein, nein, es wuerde schon so sein, wie sie dachte. Mit diesen troestlichen Gedanken begab sie sich zur Ruhe und schlief bald vollstaendig beruhigt ein in dem festen Glauben, dass Herr Jansen nur eine freundschaftliche Frage an sie gerichtet habe. Marianne dagegen lag, nachdem die Zwillinge endlich aufgehoert hatten zu schwatzen, noch lange wach. Selige, beglueckende Gedanken verursachten ihr Herzklopfen und raubten ihr den Schlaf; sie wiederholte sich im Geiste jedes Wort, das der geliebte Mann gesprochen, und rief sich jeden seiner Blicke ins Gedaechtnis zurueck. Und weiter spann sie ihre Traeume, die ihr eine unbeschreiblich schoene Zukunft vorzauberten, und als sie endlich spaet gegen Morgen eingeschlafen war, lag es wie ein verklaerender Schein auf dem holden Maedchenantlitz. So beschaeftigten sich die Gedanken beider Schwestern in dieser Nacht lebhaft mit dem jungen Freunde von Onkel Heinz. Beide setzten ihre Hoffnung auf ihn. Waehrend aber die eine fest an seine Liebe glaubte, wuenschte die andre sehnlichst, dass er fuer sie nur freundschaftliche Gefuehle hegen moechte. - Onkel Heinz hatte am andern Morgen keine rechte Ruhe. Wie schon erzaehlt wurde, schalt er seine Aufwaerterin ein ueber das andre Mal aus, und als sie fort war, ging er pruefend in seinem Zimmer umher. Hier und da stellte er einen Stuhl anders, dann rueckte er die Bilder, die schief an der Wand hingen, zurecht, sortierte die unzaehligen Papiere, die zerstreut und bestaubt auf dem Tische lagen, warf einen Teil davon in den Papierkorb und legte das uebrige ordentlich zusammen; auch seinen Schreibtisch unterwarf er einer gruendlichen Besichtigung, deren er wahrlich noetig genug bedurfte. Seiner Aufwaerterin hatte er bei ihrem Antritte das Machtwort entgegengedonnert: "Auf dem Schreibtische ein fuer allemal nichts anruehren!" was diese auch schnell begriff, hatte sie doch viele einzelne Herren zu bedienen und kannte diese schwache Seite der Maenner hinreichend. Deshalb liess sie auch den Schreibtisch von Onkel Heinz fuer immer in Ruhe, und dass er mit einer dicken Staubschicht ueberzogen war, konnte ihn also eigentlich nicht wundern, war ihm auch bis heute, wo er es zum ersten Male bemerkte, noch nie aufgefallen. Er blies ueber die Buecher und Schriften, dass die kleinen Staubteilchen lustig in die Hoehe flogen, schuettelte den Aschenbecher, der bis zum Rande mit Asche und Zigarrenresten gefuellt war, in den Kohlenkasten, nahm die Bilder der Familie Gontrau - von Ruth und Marianne in allen Stadien ihres jungen Lebens - in die Hand und betrachtete sie eingehend. Die Glaeser waren fast undurchsichtig, er wischte sie mit seinem Aermel ab und stellte sie dann wieder an seinen Platz zurueck. Schliesslich liess er sich an dem gesaeuberten Schreibtische nieder, um zu arbeiten, aber damit wollte es auch heute morgen nicht recht gehen. Ueberdies hatte er schon eine Menge Zeit mit dem Herumstoebern verbummelt, denn als er nach der Uhr sah, war es bereits elf Uhr, und er hatte versprochen, gegen Mittag bei Gontraus zu sein. Er machte sich deshalb fertig und wanderte in der warmen Mittagssonne, die seinen Pelz nicht gerade in die guenstigste Beleuchtung setzte, nach den Freunden hin. [Illustration] Aber wenn er hier eitel Lust und Froehlichkeit zu finden hoffte, so hatte er sich getaeuscht. Als ihm auf sein Klingeln geoeffnet wurde und er in den Flur trat, ging vorsichtig die Tuere auf, die zu dem Zimmer der beiden jungen Maedchen fuehrte, und Ruths blasses Gesicht wurde in der offenen Spalte sichtbar. "Onkel Heinz," rief sie leise, "bitte, bitte, komm erst zu mir herein." Erstaunt sah er den angstvollen Ausdruck ihrer Augen und fragte, was denn geschehen sei. Sie legte ihm die Hand auf den Mund und zog ihn zu sich ins Zimmer herein. "Was ist denn nur los?" fragte er nochmals, als sich die Tuer hinter ihnen geschlossen hatte. Statt aller Antwort holte Ruth einen Brief aus der Tasche und gab ihn dem Professor. "Lies nur, lies nur, Onkel Heinz, es ist ein Brief von Herrn Jansen, der eben fuer mich abgegeben worden ist," sagte sie mit bebender Stimme und fuhr dann leidenschaftlich fort: "Aber siehst du, ich kann ganz gewiss nichts dafuer, und nicht wahr, wenn ich auch gesagt habe, dass ich ihn gern haette, brauche ich ihn deshalb doch noch nicht zu heiraten, nicht wahr, Onkel Heinz?" "Na, nun man sachte, man sachte, ich weiss ja noch von gar nichts," unterbrach er sie, indem er den Brief auseinanderfaltete und zu lesen begann. "Ach Gott, es ist schrecklich, ganz schrecklich!" klagte sie, waehrend er las, und diesen Ausruf wiederholte sie in einem fort, waehrend sie erregt im Zimmer auf und ab wandelte. "Ja," - sagte Onkel Heinz, als er zu Ende war, fuhr mit der Hand ueber seine grauen Stoppeln und drehte an seiner Bartspitze. "Nun, was sagst du, Onkel Heinz, ist es nicht schrecklich?" fragte sie angstvoll. "Nun - schrecklich kann ich das nicht gerade finden," gab er laechelnd zur Antwort. "Was soll ich denn aber tun?" "Ja -" sagte Onkel Heinz wieder lakonisch und kratzte sich hinterm Ohr, indem er sein Gesicht in nachdenkliche Falten legte; "da ist nun schwer etwas zu sagen." Ruth hing sich an seinen Arm. "Du musst doch wissen, was ich tun soll, liebster Onkel, du weisst ja doch immer alles," sagte sie, ihn vertrauensvoll anblickend. Der Professor wollte gerade in seiner gewohnten Manier losplatzen, "dass er besseres zu tun haette, als ueber solche Dummheiten nachzudenken," hatte aber doch wohl das Gefuehl, als ob es eine grosse Ehre fuer ihn waere, von einem jungen Maedchen in einer so wichtigen Angelegenheit um Rat gefragt zu werden. Auch konnte er den aengstlich fragenden Augen seines Lieblings nicht widerstehen und besann sich deshalb eines andern. Aber leicht war die Sache nicht - wie sollte er denn nur anfangen? Ueberlegend ging er einige Male im Zimmer auf und ab. "Ja, sage mal, Kroete, magst du Jansen denn leiden?" fragte er endlich. "Ja natuerlich, gewiss, ich habe ihn sehr gern," lautete die Antwort. "Na - dann ist es ja aber ganz einfach, dann heirate ihn doch." "Aber, Onkel Heinz," unterbrach ihn Ruth hastig, "wenn man jemand auch leiden kann, braucht man ihn deshalb ja nicht gleich zu heiraten, oder - meinst du doch?" Ihre Antwort auf Herrn Jansens Frage vom gestrigen Abend war ihr auf einmal wieder zentnerschwer aufs Herz gefallen. Er hatte dieselbe als eine Zusage genommen, wie er in dem soeben erhaltenen Briefe schrieb - uebergluecklich schrieb - und wollte noch am heutigen Tage kommen und bei den Eltern um ihre Hand anhalten. Siedendheiss ueberlief es sie bei diesem Gedanken; sie wusste gar nicht, was sie tun sollte, und Onkel Heinz sagte auch nichts, gab ihr keine Antwort, sie war voellig ratlos. "Onkel Heinz, bitte, sage mir doch, was meinst du dazu?" wiederholte sie ihre Frage noch einmal dringlich. Er machte wieder ein nachdenkliches Gesicht, brachte aber nur die nichtssagenden Worte heraus: "Ja, das ist nicht so leicht," und fuhr dann ploetzlich fort, als waere ihm auf einmal etwas Wichtiges eingefallen: "Wie kommt denn Jansen ueberhaupt dazu, dich heiraten zu wollen?" "Das war so, Onkel Heinz," begann Ruth; "gestern abend auf dem Balle fragte er mich, ob ich ihn gern haette, und da habe ich ja gesagt, denn es ist doch auch wahr. Als ich aber jetzt den Brief von ihm bekam, da ist es mir erst klar geworden, wie er seine Frage gemeint hat. Muss ich ihn denn nun wohl heiraten?" Der Professor geriet in keine geringe Klemme. Es war ja wahrhaftig viel schwerer, hier eine richtige Loesung zu finden, als bei irgend einer noch so verwickelten, wissenschaftlichen Frage. Er wusste nicht ein noch aus, und Ruth wurde immer dringender. "Ach, gib mir doch eine Antwort," bat sie flehentlich. "Das kommt nun von solchem Unsinn, wie es ein Ball ist; nun muss man sich den Kopf ueber so dummes Zeug zerbrechen," fuhr er barsch heraus; als er aber sah, dass Ruth in ihrer Herzensangst die Traenen in die Augen stiegen, lenkte er sofort wieder ein. Weibertraenen konnte er nicht sehen, am wenigsten bei Ruth, die ja Gott sei Dank nur selten weinte. "Na - wir wollen mal sehen, Kroete," sagte er zaertlich, "was in dieser Sache noch zu machen ist. Ich will mit Jansen sprechen, ob er sich darauf einlaesst." Onkel Heinz selbst fuehlte, dass seine Antwort etwas dunkel und unklar, auch wohl sonst nicht ganz die richtige war; jedoch Ruth bemerkte das nicht, denn in diesem Augenblicke ertoente draussen die Klingel. "Um Gottes willen, jetzt kommt er, was soll ich denn nur tun? Lieber Onkel Heinz, hilf mir doch," rief sie und klammerte sich angstvoll an seinen Arm. "Hast du denn mit deiner Mutter schon gesprochen, Ruth?" fragte er und empfand dabei die Beruhigung, dass er diesmal etwas ganz Vernuenftiges gesagt habe. "Nein, nein, Onkel Heinz! Ich wollte ja gerade mit dem Briefe zu ihr gehen, da kamst du, und da wollte ich doch erst deine Meinung hoeren. Jetzt will ich ihr aber alles sagen; ach ja, Mutter wird wohl wissen, was ich tun muss." Und mit diesen Worten eilte sie zur Tuere hinaus. Der Professor atmete erleichtert auf; nun war ihm ja das schwere Amt des Beraters in Heiratsangelegenheiten abgenommen; es war ihm ordentlich heiss dabei geworden - da flog die Tuere wieder auf, und Ruth stuerzte aufgeregt herein. "Na, was ist denn schon wieder los?" fragte Onkel Heinz. "Nun ist es zu spaet, nun ist es zu spaet!" jammerte sie laut. "Ja, was ist denn zu spaet?" fragte er. "Herr Jansen ist da, bei Vater im Zimmer, und Mutter ging gerade hinein, als ich in den Flur trat - ich konnte sie nicht mehr sprechen. Was soll ich nun tun, was soll ich anfangen?" Onkel Heinz schwieg. Er wusste keinen Rat zu geben, trotzdem Ruth ganz ungluecklich schien; im naechsten Moment schon wuerde man ja von ihr vielleicht eine wichtige Entscheidung fordern, eine Lebensfrage an sie richten, und das war doch keine Kleinigkeit. Sie erging sich nun in lautem Selbstgespraech, das Onkel Heinz mit fortwaehrenden Randbemerkungen begleitete. "Ich werde ueberhaupt nicht heiraten," fing sie an. "Das waere das Vernuenftigste, was du tun koenntest, aber bei euch Frauenzimmern ist es nun doch einmal die Hauptsache, das Heiraten," sagte er. "Ich passe ja gar nicht fuer die Ehe, ich wuerde einen Mann nur quaelen und ungluecklich machen," fuhr sie fort. Der Professor laechelte ironisch ueber dieses Selbstbekenntnis einer edlen Seele. "Na - das muesste man doch erst mal abwarten, du bist noch lange nicht die schlechteste," sagte er. "Es brauchen doch nicht alle Menschen zu heiraten, - du bist ja auch nicht verheiratet, Onkel Heinz!" Er machte eine abwehrende Bewegung, aber das "Nein, nein, Gott sei Dank nicht," kam doch in einem Tone heraus, der halb wie ein Erleichterungsseufzer, halb wie Bedauern klang, denn auf einmal stand wieder der Traum von gestern abend vor seiner Seele - er erblickte wieder die freundlichen hellen Raeume und als Gegensatz sein einsames Studierzimmer. Eifrig fing er an, seinen Bart zu drehen, der zwar im Verhaeltnis zu dem grauen Kopfe noch dunkel erschien, aber doch auch schon von manchem Silberfaden durchzogen war. "Weisst du, Onkel Heinz," rief Ruth ploetzlich und sah ihn mit ihren grossen, braunen Augen an, "wenn ich ueberhaupt je einen Mann nehmen wuerde, koenntest nur du es sein, aber Herrn Jansen kann ich nicht heiraten." Und weinend flog sie an seinen Hals, umschlang ihn mit beiden Armen und liess ihren Kopf auf seiner Schulter ruhen. - Nun wusste der Professor nicht, sollte das eine Liebeserklaerung sein oder nicht? Nein, in was fuer Situationen und Verlegenheiten brachte ihn auch heute morgen diese Kroete! Er wusste gar nicht, wie er sich nun in dieser neuen Lage wieder benehmen sollte. Und deshalb zog er vor zu schweigen und hielt ganz still unter dieser zaertlichen Umarmung; aber seine Augen blickten mit hilfesuchendem Ausdruck hinter der goldnen Brille hervor; zaghaft und unbeholfen, wie ein schuechterner Liebhaber, legte er seinen Arm um ihre Taille. In dieser Stellung fand Ilse die beiden, als sie bald darauf hereinkam. In solcher Pose hatte sie den alten Freund denn doch noch nicht gesehen, und ihr Gesicht drueckte daher ein gerechtes Erstaunen aus. Nun geschah auch noch das Unglaubliche, dass Onkel Heinz auf seine alten Tage unter dem forschenden Blicke seiner besten Freundin, Frau Ilse, erroetete und sich fast wie ein ertappter alter Suender vorkam, obgleich er doch nicht das geringste dafuer konnte, wenn er jetzt so vor ihr stehen musste. Dass Ruth ihn umarmte und kuesste, war nichts Seltenes, aber heute musste ihre Umarmung doch wohl einen ungewoehnlichen Eindruck machen, und er war froh, als sie ihn jetzt freigab und ihrer Mutter in die Arme sank. Das war ja auch der richtige Platz, um ihr bedraengtes Herz zu erleichtern. Unter Weinen und Schluchzen erfuhr Ilse bald die ganze Leidensgeschichte; sie musste den Brief lesen, und Ruth liess sich von ihr unzaehlige Male wiederholen, dass man jemand noch nicht zu heiraten brauche, wenn man ihn auch gern haette. "Gernhaben" und "Liebhaben" waere doch ein grosser Unterschied, erklaerte Ruth. Bei diesen Worten laechelte Onkel Heinz spoettisch; woher wussten nun wohl solche Kroeten so etwas! "Liebste Mutter, sage es nur gleich Herrn Jansen, dass ich ihn nicht heiraten koennte," draengte Ruth. "Nein, mein liebes Kind, das werden wir ihm schreiben, er soll gar nicht erst kommen, denn das wuerde dem jungen Manne doch sonst eine grosse Verlegenheit bereiten," sagte Ilse. "Ja, aber ist denn Herr Jansen nicht drueben bei Vater im Zimmer?" fragte Ruth. "Bewahre." "Ihr spracht doch mit einem Herrn." "Das war Herr Geheimrat Braun, der Vater und mir seinen Besuch machen wollte," setzte Ilse auseinander. "Na - siehst du, nun ist es doch gar nicht so schlimm," sagte Onkel Heinz, "und ich werde auch noch mit Jansen sprechen." In liebevollster Weise troestete und beruhigte Ilse ihre erregte Tochter, indem sie ihr zaertlich die erhitzten Wangen streichelte, und erleichtert atmete dieselbe auf, als der schwere Druck, der auf ihrer jungen Seele gelastet hatte, von ihr genommen wurde. Aber die Spuren der heftigen Aufregung waren doch noch auf ihrem Gesichte zu lesen, als jetzt Marianne eintrat, die mit den Zwillingen zusammen einige Freundinnen besucht hatte, um mit ihnen ueber den gestrigen Ball nebst allen seinen Einzelheiten zu plaudern. Verwundert sah Marianne abwechselnd Mutter und Schwester und dann wieder Onkel Heinz an, der unaufhoerlich an seinem Barte drehte und ein Gesicht machte, das ein Mittelding zwischen Ruehrsamkeit und mephistophelischem Laecheln war. Diesen Ausdruck zeigte es leicht in kritischen Augenblicken. Mit dem jungen Maedchen war die kalte Winterluft gleichwie eine Erquickung in das warme Zimmer gedrungen. Frisch und rosig angehaucht leuchtete ihr Gesichtchen unter der dunklen Pelzmuetze hervor, die sie jetzt abnahm, worauf sie auch das Jaeckchen auszog. Onkel Heinz wurde heute nur fluechtig begruesst, fragend wandte sie sich an Ilse und Ruth. "Warum hat Ruth geweint, was ist denn geschehen?" Und voller Sorge blickte sie die Schwester dabei an. Statt aller Antwort reichte ihr diese den bewussten Brief hin, den Marianne ahnungslos entfaltete und las. Doch schon nach den ersten Worten legte es sich wie ein Schleier ueber ihre Augen, das Blatt fing in ihrer Hand leise an zu zittern, aber mechanisch las sie weiter, trotzdem die Buchstaben durcheinander zu tanzen schienen. Es begann ein Sausen in den Ohren - die Gegenstaende wurden verschwommen - ein beaengstigendes Gefuehl hemmte den Herzschlag und schnuerte ihr die Kehle zusammen - und sie waere unfehlbar umgesunken, wenn nicht Ilse und Ruth ihre Schwaeche bemerkt haetten und hinzugesprungen waeren. Marianne war ohnmaechtig geworden. - Sie wurde auf das Sofa gelegt, Ilse rieb ihr die Schlaefen mit einer staerkenden Essenz, waehrend Ruth hinauslief, um Wasser zu holen. Beide befanden sich in hoechster Aufregung. Nur Onkel Heinz bewahrte seine Ruhe; er stand dabei und betrachtete aufmerksam das blasse Gesicht der Ohnmaechtigen, in das noch kein Schimmer von Roete zurueckkehren wollte. Jetzt kam Ruth mit dem Wasser herein, hinter ihr her stuermten die Zwillinge ins Zimmer, mit vor Neugier hochroten Backen. Beim Anblick der bewusstlosen Freundin fing Hildegard laut an zu weinen, waehrend sich Thusnelda ueber sie beugte und ihr laut ins Ohr schrie: "O Gott, o Gott, sie ist doch nicht tot!" Ruth zog sie weg und gebot ihr zu schweigen. Inzwischen war Ilse fortwaehrend aengstlich um Marianne bemueht, bei der das Bewusstsein immer noch nicht zurueckkehren wollte. "Ja - durch das Reiben und Wasserschlucken kommt sie nicht wieder zu sich," sagte Onkel Heinz auf einmal, nachdem er eine Weile zugesehen hatte. "Wir wollen lieber nach dem Arzt schicken," meinte Ilse besorgt. "Ach was, der kann auch nichts helfen," erwiderte der Professor. "Onkel Heinz, was mag Marianne nur haben? Woher kommt es nur?" fragte Ruth voller Angst. "Woher das kommt?" wiederholte er bedeutungsvoll. "Woher das kommt? An allem ist der verrueckte Ball schuld! Natuerlich habt ihr euch zu eng geschnuert, habt unsinnig getanzt, euch dabei erhitzt, seid dann in die Kaelte gegangen und werdet wahrscheinlich noch mehr unkluge Geschichten gemacht haben. Davon kommen dann am andern Tage Ohnmachten und dergleichen, das ist kein Wunder." Der Professor sah ordentlich grimmig aus, als er von dem Unheil sprach, welches dieser verrueckte Ball angerichtet habe, dann wandte er sich wieder der Ohnmaechtigen zu. "Frau Gontrau, was Sie da mit Marianne machen, hilft nichts," fing er wieder an. "Ja, was soll ich denn aber tun, so sprechen Sie doch," sagte Ilse ungeduldig und gereizt durch seinen Ton. "Nehmen Sie mal das Kissen unter dem Kopf fort, dass dieser tiefer liegt und wieder Blut ins Gehirn kommt. So ist es recht! Alles Beengende haben Sie wohl aufgemacht, nicht wahr? - Warum heult ihr denn so? Da gibt es doch nichts zu jammern," rief er dann den Zwillingen zu, die ein wahres Heulkonzert auffuehrten. "Die Kinder haben eben mehr Gefuehl als Sie," konnte Ilse trotz ihrer augenblicklichen Sorge doch nicht unterlassen ihm zu sagen, denn das war jetzt mal wieder einer der Augenblicke, wo sie sich ueber ihn aergerte. "Wenn man nicht sentimental ist, heisst es gleich man hat kein Gefuehl," erwiderte er ruhig. Ilse waere ihm sicher auch darauf keine Antwort schuldig geblieben, wenn nicht gerade jetzt Marianne die Augen aufgeschlagen und ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen haette; es versoehnte sie auch sofort wieder mit dem alten Freunde, als er jetzt naeher trat, Marianne zaertlich auf die Backe klopfte und sagte: "Na, Kroete, wie geht's denn? Was machst du aber auch fuer Geschichten!" Als das junge Maedchen wieder zum Bewusstsein gekommen war, blickte sie erstaunt um sich und fing bitterlich an zu schluchzen. "Liebe Marianne, wie ist es dir jetzt?" rief Thusnelda mit Stentorstimme, - einem Erbteile des Vaters - und trat mit der Schwester herzu. Der Professor draengte sie aber mit einer bezeichnenden Geste, dass sie schweigen moechten, zurueck. Ilse rief Marianne traenenden Auges mit den zaertlichsten Schmeichelnamen, Ruth kniete leise weinend vor ihr, dazwischen toente das Schluchzen von Marianne, das herzbrechende Geheul der Zwillinge. - Dem Professor wurde bei alledem ploetzlich sehr unbehaglich zu Mute. Wohin er blickte, sah er Weibertraenen, und da er sich unter den weinenden, schluchzenden Frauen auf einmal sehr ueberfluessig fuehlte, hielt er es fuer das beste, sich zurueckzuziehen. Die besorgte Ilse hatte heute nur ein fluechtiges Abschiedsnicken fuer ihn, aber Ruth drueckte ihm innig die Hand. - Als er einige Zeit spaeter wieder in seiner Junggesellenwohnung anlangte, betrat er sie mit einem angenehmeren Gefuehl, als er sie verlassen hatte. Das Feuer brannte hell im Ofen, es war behaglich warm, und die Sonnenstrahlen, die hereindrangen, verliehen dem Ganzen einen gewissen Glanz. Vor allem empfing ihn hier die Ruhe wie eine Wohltat nach der eben stattgefundenen Szene bei Gontraus. "Ja, ja, so etwas wuerde auch vorkommen," schien es ihm leise ins Ohr zu raunen und im Selbstgespraeche antwortete er darauf: "es ist schon besser so." Er hatte seinen Pelz abgezogen und hielt die kalten Haende an den Ofen; als sie warm geworden waren, setzte er sich an seinen Schreibtisch, um zu arbeiten. Nun ging es wieder! Die strengen Geister der Arbeit, die gestern und heute vor den Lichtgestalten geflohen waren, erschienen wieder, und in ihrer Gesellschaft fuehlte sich Onkel Heinz doch am wohlsten. Still und ruhig war's im Zimmer, man hoerte nur das Geraeusch der schreibenden Feder, und wie das Papier knitterte, oder das Feuer im Ofen lustig knackte und knisterte. Der Professor blieb den ganzen Tag ueber angestrengt bei seiner Arbeit sitzen. Gegen Abend, so nahm er sich vor, wollte er noch einmal nach Gontraus gehen, um sich nach Marianne zu erkundigen, aber Ruth kam ihm zuvor. Als es daemmerte, erschien sie bei ihm und ruettelte ihn wieder aus seiner schwer erkauften Ruhe auf. Das war aber auch ein Tag heute, was sich da alles zutrug! Ruth berichtete unter Traenen, dass sie die eigentliche Ursache von Mariannes Ohnmacht gewesen sei, weil sie ihr den verhaengnisvollen Brief von Herrn Jansen gegeben habe, ohne die geringste Ahnung davon, welches Unheil sie damit anrichten wuerde. Marianne haette naemlich ein tiefes Interesse fuer Jansen und sei ueberzeugt gewesen, dass er dasselbe erwidere. Onkel Heinz hatte waehrend dieser Erzaehlung mehrmals den Kopf geschuettelt und seine Bartspitze so zusammengedreht, dass man sie haette durch ein Nadeloehr einfaedeln koennen. Das war nun die zweite Liebesgeschichte an diesem Tage - zwei unglueckliche Lieben! Ruth weinte leidenschaftlich, und selbst die Trostworte von Onkel Heinz konnten sie nicht beruhigen, so sehr war sie ergriffen von dem Kummer der Schwester und voll aengstlicher Sorge ueber deren Zustand. In Absaetzen erfuhr der Professor, dass Marianne krank im Bett liege, dass man einen Arzt habe holen muessen, der eine Nervenerschuetterung konstatiert und groesste Ruhe anempfohlen habe. "Wenn sie nur nicht stirbt an ihrer ungluecklichen Liebe!" rief Ruth laut jammernd aus. "Ach was, dummes Zeug, so etwas kommt nur in verrueckten Romanen vor, aber im Leben nicht," entgegnete Onkel Heinz. "Sie ist aber so elend." "Wird sich schon wieder erholen." "Glaubst du wirklich?" "Natuerlich! Beruhige dich nur, alte Kroete," redete er ihr liebevoll zu. "Warum musste es auch so kommen?" klagte Ruth. "Warum liebt Herr Jansen nicht Marianne statt mich?" Onkel Heinz zuckte die Achseln, er wusste es doch auch nicht. "Hast du schon mal jemand kennen gelernt, der ungluecklich liebte?" fragte das junge Maedchen den alten Hagestolz in ernstem Tone. Der Professor wandte sich ab und gab keine Antwort. Ruth bemerkte es nicht, gedankenvoll blickte sie vor sich hin. "Hast du niemals geliebt, Onkel Heinz?" fragte sie dann wieder. Das war eine Gewissensfrage! Er zuckte unmerklich zusammen. "Dummes Zeug! Unsinn!" sagte er dann ziemlich schroff. "Haeltst du die Liebe wirklich nur fuer Unsinn?" Und als er nicht antwortete, fuhr sie fort: "Weisst du, Onkel Heinz, ich glaube, ich kann ueberhaupt nicht lieben." "Was die Kroete da heute doch immer von Liebe schwatzt," dachte der Professor bei sich. "Willst du wissen, was ich wohl moechte?" fragte Ruth nach einer kleinen Weile lebhaft, und ihre noch feuchten Augen blitzten auf. "Willst du es wissen? Ich moechte singen koennen, singen wie eine richtige Saengerin, ich moechte - eine Kuenstlerin werden." Der Professor prallte ordentlich zurueck, so erregt hatte sie diese Worte ausgerufen. "Weisst du denn ueberhaupt, du Kickindiewelt, was eine Kuenstlerin ist?" fragte er, das Wort 'Kuenstlerin' nicht gerade in der schmeichelhaftesten Weise betonend. Dann kam er wieder naeher und sah sie scharf an mit hoechst wichtiger Miene. Sie entgegnete nichts darauf, sondern fuhr fort: "Siehst du, Onkel, hier - hier -," sie zeigte auf ihr Herz, "da ist es oft so komisch, so - ich weiss nicht wie! Ich habe das Gefuehl, als muesste etwas heraus, als muesste ich jauchzen oder weinen, ich fuehle mich gluecklich und ungluecklich zugleich. Und wenn ich mich dann hinsetze und singe, dann wird's mir leichter, dann kommt es mir vor, als waere ich gar nicht auf der Erde, als truegen mich Fluegel empor - dann bin ich gut - dann denke ich edel - dann - dann wird mir erst wieder wohl - ich kann dir gar nicht beschreiben, wie wohl! Und siehst du, Onkel Heinz, deshalb habe ich solche Freude an meiner Stimme, die jubelt mit mir und ist mit mir traurig." Der Professor hatte sich vor sie hingestellt und blickte sie bei jedem Worte erstaunter an. Was sprach da diese Kroete! Dieses Kind! Solche Redensarten konnte es machen, da hoerte ja einfach alles auf. Aber er empfand doch mit einem Male, als er in die vor Begeisterung funkelnden Augen seines Lieblings sah, dass dieses Kind kein Kind mehr war, dass es eigene Anschauungen, eigene Gedanken hatte wie ein erwachsener Mensch, - ja, ja, jetzt kam die junge Generation an die Reihe. Onkel Heinz sah sich das junge Maedchen, seinen Sonnenschein, seine alte Kroete noch immer schweigend und so pruefend an, als erblicke er sie heute zum ersten Male. So sah er sie ja auch wirklich zum ersten Male, so kannte er sie noch nicht: es war noch die alte Ruth und doch eine andre, nicht mehr das kleine Maedchen, das er bisher noch immer in ihr erblickt hatte, sondern eine Jungfrau, die da vor ihm stand. Wie eine Offenbarung kam das ploetzlich ueber ihn, und er konnte seine Blicke nicht von ihr losreissen. "Aber Onkel Heinz, warum starrst du mich so an?" bemerkte sie laechelnd. Da erwachte er aus seinen Gedanken. "Hm!" brummte er nur und fuhr sich ueber seine Stoppeln, das sollte so viel heissen, als: es ist nun einmal so. "Onkel Heinz," fing sie wieder an und schmiegte sich in zaertlicher Vertraulichkeit an ihren alten Freund. "Ich habe eine grosse Bitte an dich, aber - du musst mir versprechen, dass du sie erfuellen willst." "Da werde ich mich schoen hueten," warf er ein und laechelte spoettisch. Vorher versprechen, so etwas zu verlangen, konnte auch nur ein Frauenzimmer fertig bringen. "Na, dann sprich mal, was ist es denn, was soll ich denn tun?" fragte er aber dennoch. Sie sah ihm ja so schmeichelnd in die Augen, dass er wie gewoehnlich nicht widerstehen konnte. "Onkel Heinz," kam es etwas zaghaft und zoegernd von ihren Lippen, "wenn du doch nur mal mit den Eltern sprechen moechtest, ob - ob sie meine Stimme nicht ausbilden lassen wollen. Du kannst das viel besser als ich, und siehst du," fuhr sie leidenschaftlich fort, "ich moechte so gern etwas Ordentliches lernen, ich will so fleissig sein, will mir so viele Muehe geben, will ganz und gar nur der Kunst leben." "Das ist ja Unsinn," sagte der Professor ausweichend, aber sie unterbrach ihn ernsthaft. "Nein, Onkel Heinz, sage das nicht, das ist kein Unsinn, wenn ich so spreche, das ist mein heiligster Ernst. Ich bin jetzt wirklich nicht zum Scherzen aufgelegt." Dabei fiel ihr wieder die arme kranke Schwester ein, Traenen stiegen ihr in die Augen, und das - das konnte er nun einmal nicht sehen. "Weine doch nicht, Kroete; dass ihr Weiber doch immer gleich flennen muesst," sagte er etwas unmutig, streichelte dabei aber ihre dunklen Haare, die wellig gescheitelt bis tief in die Schlaefen fielen und das feine, schoen geschnittene Gesicht dadurch noch interessanter erscheinen liessen. "Aber das mit der Kuenstlerin schlage dir nur aus dem Sinn," fuhr er fort, "das geht nicht, das geht auf keinen Fall." Sie sah ihn bittend, fast flehend an. "Aber Onkel Heinz!" "Was willst du denn ueberhaupt fuer eine Kuenstlerin werden? Willst du etwa Mummenschanz treiben? Hm?" Er sagte das sehr geringschaetzig, denn unter dem 'Mummenschanztreiben' verstand er, ob sie vielleicht zur Buehne gehen wolle. "Da bist du denn doch wahrhaftig zu gut dazu, Kroete, da gehoerst du nicht hin, das geben die Eltern ueberhaupt nicht zu und ich auch nicht, daraus wird nichts!" Er hatte sich ordentlich ereifert bei diesen Worten, denn dass Ruth vielleicht eine solche Absicht haben koennte, war ihm ein furchtbarer Gedanke. "Ja, ja, wenn das alles so waere, wie es sein sollte," setzte er wie im Selbstgespraeche fort, "aber das ist es eben nicht, der bunte Flitterkram, das ist die Hauptsache, und die Kunst ist Nebensache. Kunst, Kunst! Davon haben ja die wenigsten Menschen ueberhaupt einen Begriff!" Erregt schritt er auf und ab, Ruth folgte ihm und hatte schon ein paarmal versucht, ihn zu unterbrechen, ohne dass es ihr gelungen waere. Jetzt hielt sie ihn am Arme fest. "Onkel Heinz, das alles weiss ich ja noch nicht, darueber habe ich noch nicht nachgedacht. Vorlaeufig moechte ich nur lernen, mich meinen Gesangsstudien ganz hingeben koennen, an nichts andres zu denken brauchen. Siehst du, was ich jetzt lerne in den Stunden, fuer den Hausgebrauch, wie es heisst, das macht mir wenig Spass, das befriedigt mich nicht, weil ich fuehle, dass es nur oberflaechlich und nicht das Richtige ist." "Das ist ja ganz vernuenftig gedacht; na, und deine Stimme ist nicht uebel, das ist wahr," sagte er einlenkend. Diese Worte nahm sie schon fuer eine Zusage und fragte nun freudig und zuversichtlich: "Nicht wahr, du sprichst mit den Eltern?" "Halt, Halt - man sachte, soweit sind wir noch lange nicht," sagte er abwehrend. "Einziger, suesser Onkel, tue es doch!" bat sie und hing sich an seinen Arm. Er entgegnete nichts, drehte aber seine Bartspitze mit grosser Geschwindigkeit. "Du bekommst auch schon vorher einen schoenen Kuss zum Lohn," versprach sie. "Will ich gar nicht," brummte er vor sich hin. "Ach, Onkel Heinz, nun tu nur nicht so," rief sie laechelnd und fragte dann, als ob schon alles bestimmt abgemacht waere: "Wann willst du denn mit den Eltern sprechen?" "Gar nicht," erwiderte er kurz. Ruth schien diese Antwort zu ueberhoeren und sagte weiter: "Jetzt geht es natuerlich nicht, solange Marianne krank ist, aber sobald es ihr wieder besser geht, nicht wahr, Onkel Heinz, dann? dann tust du es?" "Nein!" "Bitte, bitte, sage ja." "Nein, nein, nein!" widersprach er heftig. "Onkel Heinz!" Wer haette wohl diesem Blick der schoenen dunklen Augen widerstehen koennen! Der Professor konnte es wenigstens nicht, trotzdem er sich unwirsch abwandte. "Lieber Onkel Heinz." Er antwortete nicht. "Lieber, guter, einziger Onkel Heinz, sage doch ja!" Und sie quaelte solange, ihn dabei streichelnd und liebkosend, bis er schliesslich nachgab - er konnte der Kroete nun einmal nichts abschlagen. "Meinetwegen denn ja! Quaelgeist du!" rief er laut. Sie jubelte auf, als sie ihn endlich besiegt hatte und trotzdem er sich straeubte, heimste er doch den Kuss - den versprochenen Lohn - gern ein. - Die naechste Zeit verlief fuer Gontraus still und traurig. Marianne lag krank darnieder, ihre junge gebeugte Seele wollte sich gar nicht wieder erheben, geistig und koerperlich schien sie gebrochen zu sein. Nur der unermuedlichen Pflege, der zarten Sorgfalt von Ilse gelang es, sie nach und nach wieder aufzurichten, und wenn Nellie oft innerlich gedacht hatte, dass die Freundin keine rechte Pflegerin sein koenne, weil ihre Ansichten ueber diesen Punkt so weit auseinander gingen, so ueberzeugte sie sich jetzt von dem Gegenteil, als sie sah, mit welcher Aufopferung Ilse Tag und Nacht am Krankenlager ausharrte. Und auch Ruth erkannte man kaum wieder, wie sie sich jetzt ebenso sanft und liebevoll gegen die Schwester zeigte, als sie frueher manchmal herrschsuechtig und aufbrausend gegen sie sein konnte. Der Professor aber erwies sich in der schweren Zeit wieder als treuer, zuverlaessiger Freund. Er kam taeglich, widersprach natuerlich bei allem, was der Arzt verordnete, wusste alles besser, troestete aber Ilse, wenn sie niedergedrueckt und mutlos war, und sprach mit der Kranken in seiner alten gewohnten Weise, sodass es ihm einzig und allein manchmal gelang, sogar ein Laecheln auf das blasse, ernste Gesicht zu zaubern. Herr Jansen war bald nach dem Balle abgereist. Wie Onkel Heinz Ilse und Leo erzaehlte, hatte er kuerzlich von ihm einen Brief aus Amerika erhalten, wo er sich einige Zeit aufhalten und von wo er dann wieder nach Indien zurueckkehren wollte. Sein Name wurde sonst bei Gontraus nicht genannt, weil derselbe bei Ruth ein peinliches und bei Marianne ein schmerzliches Gefuehl hervorgerufen haben wuerde. Als letztere einigermassen wieder hergestellt war, musste Onkel Heinz sein Versprechen, das ja durch den Kuss von Ruth besiegelt worden war, einloesen. Im Verein mit dieser gelang es ihm, ihre Eltern zu bestimmen, dass sie ihre Stimme pruefen liessen, und da dieselbe bei der Pruefung fuer sehr bedeutend erklaert wurde, sollte sie eine kuenstlerische Ausbildung erhalten. Mit Fleiss und Liebe, und ganz durchdrungen von der Schwere und dem Ernst des Kuenstlerberufs begann Ruth ihr Studium. Waehrenddem erholte sich Marianne langsam. Koerperlich war sie ganz hergestellt, und auch ihr Geist fing wieder an, leise seine Schwingen zu entfalten, allmaehlich, ganz allmaehlich gesundete er. Den zarten Bluetenhauch aber der ersten, unberuehrten Jugend hatte diese getaeuschte Hoffnung mit fortgenommen, der kindlich unbefangene Ausdruck in ihren Augen war gewichen, und ihr helles, glueckliches Lachen ertoente nicht mehr so oft wie frueher. Ganz tief im innersten Herzen trug sie noch immer das Bild des geliebten Mannes, in einsamen Stunden weinte sie noch manchmal, aber das Leben machte doch seine Rechte wieder geltend, und sie war gluecklicherweise in dem Alter, wo sie noch vergessen konnte. Das Fruehjahr verlebte sie bei ihren Freundinnen, den Zwillingen, auf dem Lande, den Sommer bei den Grosseltern in Moosdorf, im Herbst aber machte sie mit den Eltern, Ruth und Onkel Heinz eine herrliche Reise nach Italien bis nach Sizilien hinunter. Der Professor war ein vortrefflicher Cicerone, er kannte den Sueden durch seine vielen Reisen auf das genaueste und beherrschte vollkommen die italienische Sprache, konnte deshalb auch den Freunden manchen Vorteil verschaffen. Na, und wenn er mit den beiden Kroeten am Arm zuweilen auf eigene Faust losging, um ihnen die Kunstwerke der alten Meister zu zeigen - er war ein geschworener Feind der modernen Malerei, ueber die er mit Ilse viel und oftmals stritt - und den beiden huebschen Maedchen bewundernde Blicke nachflogen, dann zeigte sich auf seinem Gesicht ein freudiges Schmunzeln, und er erzaehlte es spaeter Ilse voller Stolz. Erst spaet im Herbst, der im Norden schon mit grauen trueben Tagen eingezogen war und die Baeume entlaubt hatte, kehrten sie heim, reich an schoenen Eindruecken und Erlebnissen. Mit noch groesserer Begeisterungsfaehigkeit nahm Ruth ihr Studium wieder auf, Marianne aber hatte frische Kraefte gesammelt und neuen Mut mitgebracht, so dass ihr die Zukunft nicht mehr als eine trostlose Oede erschien, wie es noch vor kurzer Zeit der Fall gewesen war; sie konnte jetzt ohne Schmerz an Herrn Jansen denken, wie an einen fernen lieben Freund. So verging der Winter und der Sommer und noch ein Winter und Sommer, bis es wiederum Herbst war. - Ein lachender, truegerischer Herbst, der es ganz vergessen liess, dass er der Vorbote des Winters war, denn in seinem warmen Sonnenscheine wurde das Herz von Fruehlingsgedanken erfasst und die Menschen stroemten hinaus in die strahlende Natur wie an einem ersten schoenen Fruehlingstage nach dem langen, langen Winter. An einem dieser sonnendurchfluteten Herbsttage machte Onkel Heinz mit seiner Freundin Ilse einen Spaziergang hinaus in das Freie, in den bunten Wald. Die klare Luft war von weissen Faeden durchzogen, und die gelben, roten und braunen Blaetter woelbten sich zum farbenpraechtigen Zelte ueber ihnen; noch raschelte unter ihren Tritten kein welkes Laub, nur dann und wann flatterte, durch einen Luftzug abgepflueckt, ein Blatt luftig und leicht vor ihre Fuesse. Heiter, strahlend und hoffnungsfreudig lag Wald und Flur vor ihren Blicken ausgebreitet, als begaenne erst jetzt die Zeit des Wachsens und Werdens, aber diese Hoffnung war doch nur Taeuschung. Lose geschlungen war das Band, welches die Natur noch mit dem Leben verknuepfte, locker hingen alle die buntgemalten Blaetter an den Zweigen, und nur unter dem warmen Kuss der Sonne, umgeben von der milden, sanften Luft, wagten sich im Garten die Rosenspaetlinge aus ihrer schuetzenden Knospenhuelle hervor. Schein war alles! Und diese blendende Herrlichkeit wuerde mit einem Schlage vorbei sein, wenn das allmaechtige Himmelslicht droben hinter Wolken verschwand und der Herbstwind brausend darueber hinfuhr und daran ruettelte - dann begann mit einem Schlage das grosse gewaltige Sterben. Unverschleiert war die Ferne, die sich in scharfen, bestimmten Linien abhob, und gedankenvoll schweiften Ilses Augen in die durchsichtige Weite. Aber ihr fehlte heute das rechte Interesse fuer den herzerquickenden Herbsttag, ihr Gesicht sah erregt aus, als beschaeftige sie etwas lebhaft. "Wenn nur alles gut geht," sagte sie seufzend zu dem Professor. Er laechelte mit ueberlegener Miene und entgegnete: "Ich habe gar keine Angst, die Kroete hat ja tuechtig gelernt, die kann ja was." "Was gehoert aber auch heutzutage dazu, um etwas zu erreichen! Mit Begabung und Fleiss allein kann das nicht geschehen, das Glueck muss auch mit helfen. Nun, was in meinen Kraeften steht, habe ich getan, um Ruth immer und immer wieder davon zu ueberzeugen, mit wieviel Kaempfen und Schwierigkeiten der Beruf einer Kuenstlerin erkauft werden muss. Ich habe sie stets ermahnt, sich viel mehr auf Enttaeuschungen gefasst zu machen, als auf Erfolge, denn guten Mut hat sie selbst genug. Na, und Onkel Heinz, fuer eine tuechtige Ausbildung haben wir doch auch gesorgt; im Winter aber muss sie noch einige Zeit in Paris Unterricht nehmen, um ihrer Stimme sozusagen den letzten Schliff zu geben. Ach ja, bevor eine Saengerin fertig ist, dauert es lange." "Frau Gontrau, Ruth hat Talent, die bringt es zu etwas Tuechtigem, das weiss ich," versicherte Onkel Heinz mit wichtiger Miene, als koenne daran nicht mehr gezweifelt werden, wenn er es einmal gesagt habe. "Waere das Konzert nur erst gluecklich vorueber," meinte Ilse und holte tief Atem. "Wenn ich Ihnen sage, dass Sie keine Angst zu haben brauchen, so haben Sie es auch nicht noetig, liebe Frau Gontrau," sagte Onkel Heinz und legte einen Augenblick seine Hand auf ihren Arm. Sie fuehlte, dass er sie auf seine Art beruhigen wollte, und sah ihn dankbar an. Er war doch ein treuer, ehrlicher Freund! Und je aelter sie wurde, destomehr befestigte sich in ihr die Ueberzeugung, dass wahre, aufrichtige Freundschaft ein koestliches, seltenes Gut ist, das man hueten muss wie einen grossen Schatz. Sie hatte in ihrem Leben viel Liebe und Freundschaft erfahren und ihren Freunden viel zu verdanken. Leo hatte sie die wahre Liebe des Weibes gelehrt; durch das sanfte Beispiel ihrer einzigen Nellie lernte sie Selbstbeherrschung und Nachgiebigkeit. Onkel Heinz endlich hatte durch seine unumwundene Offenheit sie zwar haeufig gereizt und ihren Widerspruch hervorgerufen, zugleich aber bewirkt, dass sie oft genug in sich ging, ueber sich nachdachte, fortwaehrend selbsterzieherisch taetig war und sich immer mehr daran gewoehnte, auf die Eigenschaften andrer Ruecksicht zu nehmen; sie brauchte ja nur daran zu denken, wieviel Nachsicht man einst mit ihr hatte haben muessen, als sie noch das ungebaendigte Menschenkind, der Trotzkopf, war. Alles dies ging Ilse jetzt durch den Sinn und noch viel mehr. Der Professor aber, der sie so nachdenklich an seiner Seite schreiten sah, glaubte, dass sie sich noch immer damit beschaeftige, wie wohl das Konzert ausfallen wuerde, in welchem Ruth heute abend zum ersten Male oeffentlich in der Kirche singen sollte. Und deshalb beschloss er, ein neues Gespraech anzufangen, um sie auf andre Gedanken zu bringen. Seine Bartspitze drehend, gruebelte er darueber nach, auf welche Weise dies am besten geschehe, denn Diplomatie war nicht seine starke Seite. "Na, sagen Sie mal, Frau Gontrau," fing er dann ploetzlich an, "bei Superintendents ist man wohl uebergluecklich, dass der Ausreisser wieder da ist? Ist uebrigens ein famoser Kerl geworden, der Fritz; er war gestern bei mir." "Ja," entgegnete Ilse so recht aus tiefstem Herzensgrunde, "Gott sei Dank, dass er wieder da ist! Und wie hat er sich durchgearbeitet, von der Picke auf gedient, und was ist aus ihm geworden! Ich habe uebrigens nie daran gezweifelt, dass ein tuechtiger Kern in ihm stecke." "Ja, ja, die _selfmade men_, das sind die besten," warf Onkel Heinz ein. "Er hat Ihnen wohl erzaehlt, was er alles erlebt hat, nicht wahr?" fragte Ilse. "Ja wohl, alles ganz ausfuehrlich, und es hat mich sehr interessiert. Der Junge hat uebrigens viel Glueck gehabt, denn da drueben gibt's nur zweierlei, entweder man wird was Rechtes, oder man geht zu Grunde. Dass die amerikanische Familie sich bei der Ueberfahrt auf der Germania, auf welcher sich Fritz als Schiffsjunge verdungen hatte, gleich fuer ihn so lebhaft interessierte, ist doch ein seltener Zufall zu nennen. Na, ja, aber die Amerikaner sind darin andre Leute, die kleben nicht an Vorurteilen, die denken freier als wir; ich bin ja lange drueben gewesen und kenne die Verhaeltnisse genau. Dass der Bengel ausgekniffen war, genierte die Leute eben gar nicht, als praktischer Geschaeftsmann erkannte Mister Smith sofort, als er ihn sah, dass er den aufgeweckten jungen Deutschen in seinem Geschaeft gebrauchen koenne, na, und da war die Sache bald abgemacht." "Aber ein Tollkopf scheint der Fritz doch zu sein," warf Ilse ein. "Er hatte es so gut bei den Leuten, die Frau sorgte fuer ihn wie eine Mutter, und bloss, weil ihn die andern im Geschaefte wegen seiner Aussprache des Englischen haenselten, ging er fort, - das haette er nicht tun sollen." "Das musste er wohl tun, das war ganz verstaendig von ihm," widersprach Onkel Heinz, "so wird das da drueben gemacht, da kennt man keine Sentimentalitaeten. Er handelte ganz richtig, dass er mehr nach dem Westen ging, wo man noch leichter zu etwas kommen kann. Du lieber Gott, schlechte Zeiten muss der _selfmade man_ auch mit in den Kauf nehmen, das gehoert dazu. Er ist ja nicht einmal bis zum Stiefelputzer gesunken, und unter diesen findet man oft sehr aristokratische Namen, Grafen und Barone." "Er muss jetzt als Prokurist in dem grossen Bankhause in San Franzisko eine brillante Stellung haben. Rosi erzaehlte mir strahlend davon," meinte Ilse. "Natuerlich, jetzt ist er der gemachte Mann! Jedenfalls ist er ganz anders geworden, als wenn er in dem Pastorenhause weiter herangewachsen waere, unter den spiessbuergerlichen Ansichten seiner Mutter," gab Onkel Heinz zur Antwort. "Aber dass er seinen Eltern nicht einmal Nachricht gab all die Jahre hindurch," wandte Ilse vorwurfsvoll ein. "Da hatte er ganz recht," unterbrach sie der Professor von neuem; "er wollte erst was ordentliches werden. Und fuer Ihre Freundin Rosi war diese Sorge sehr heilsam, sie hat ja den Jungen ganz verrueckt erzogen, der haette ganz anders behandelt werden muessen." "Sie ist hart genug bestraft worden und hat schwer dafuer buessen muessen; fuer die ganze Familie waren es schreckliche Jahre," erwiderte Ilse. "Ja, ja, das ist wahr, der Mann hat mir auch sehr leid getan; ich mag ihn gern leiden, nur muesste er eine andre Frau haben, denn er ist schwach - wie ueberhaupt alle verheirateten Maenner. Gott sei Dank, dass mich der Himmel vor einer Frau bewahrt hat," neckte Onkel Heinz seine alte Freundin mit einem pfiffigen Seitenblick auf sie. "Oho, Fuchs! Die Trauben sind sauer, nicht wahr, Onkel Heinz?" rief Ilse lachend. Er erwiderte nichts, aber der sarkastische Zug um seinen Mund bewies, wie er darueber dachte. "Sind Sie denn nun ruhiger?" fragte er nach einer kleinen Pause, waehrend sie den Heimweg antraten, und als Ilse nickte, fuhr er fort: "Na, sehen Sie wohl, wie gut es war, dass ich Sie abholte, ich weiss doch auch ganz genau, was fuer Sie das Richtige ist. Ein Spaziergang in der frischen Herbstluft ist fuer erregte Gemueter jedenfalls viel besser als Ihr altes Zuckerwasser, das Sie vorhin zu Hause einnehmen wollten und woran ich Sie, Gott sei Dank, noch verhindern konnte." "Aber das war doch kein Zuckerwasser," berichtigte sie lachend, "das war ja Bromkali -" "Weiss schon, weiss schon," unterbrach er sie schnell. "Ich kenne das Zeugs alles ganz genau, es hilft auch nicht mehr wie Brauselimonade oder Zuckerwasser. Verschonen Sie nur Ruth mit dergleichen Geschichten, das kann ihr eher schaden als nuetzen." "O, die ist lange nicht so aufgeregt als ich," sagte Ilse; "bei der ist es nur die Freude, welche sie unruhig macht. Gehen Sie mit herein?" fragte sie dann den Professor, denn sie waren in diesem Augenblick an ihrem Hause angelangt. Er gab zur Antwort, dass er lieber heim gehen und sie dann spaeter in der Kirche treffen wolle, seine Kroete koenne er ja jetzt doch nicht sprechen, die muesse Ruhe haben. [Illustration] Onkel Heinz ging aber nicht nach Hause, denn als er die Uhr herauszog, bemerkte er, dass bis zum Anfange des Konzerts nur noch wenig Zeit uebrig war, und er ueberlegte sich deshalb, dass es sich gar nicht lohnen wuerde, vorher noch seine Wohnung aufzusuchen. Und da fiel ihm dann auch ein, dass es wohl besser waere, wenn er noch mal bei dem Blumenladen vorginge, wo er fuer Ruth den Blumenkorb bestellt hatte, und nachfruege, ob alles in Ordnung sei. Die Verkaeuferin hatte sich schon am Morgen ueber den "wunderlichen alten Herrn" amuesiert, der in umstaendlichster Weise seine Bestellung gemacht und ganz genau angegeben hatte, in welcher Art die Blumen geordnet werden sollten. Alle Vorschlaege, die sie machte, wurden von ihm verworfen und geschmacklos gefunden; er suchte selbst die Blumen aus und gab an, so und so sollte die Farbenzusammenstellung sein und nicht ein Tuepfelchen anders. Am Mittag war er wieder gekommen, hatte sich den fertigen Korb angesehen, und ein Etui hineingesteckt, das eine kleine Brosche ganz aus Tuerkisen und Brillanten enthielt, welche er seiner Kroete zum heutigen wichtigen Tage schenken wollte. Aber trotzdem das Blumenarrangement ganz genau nach seiner Angabe gemacht worden war, hatte er doch daran zu maekeln und zog hier noch eine Bluete, dort noch ein Blatt heraus, die nach seiner Meinung in die Farbenharmonie nicht passten. Wer wohl diese Gabe, die dem alten Herrn soviel Kopfzerbrechen machte, bekam? Das haette das junge Maedchen in dem Laden gar zu gern gewusst, denn eine Frau besass er nicht, das hatte ihr kundiger Blick gleich erkannt, na, und fuer einen Braeutigam war er doch zu alt. Als der Professor jetzt wieder erschien - zum dritten Male an diesem Tage - da musste sie unwillkuerlich lachen; sie gab ihm aber auf seine bis ins kleinste gehenden Fragen, ob die Bestellung auch richtig und puenktlich besorgt sei, geduldig Antwort. In ihrem Innern meinte sie jedoch, dass so komisch, wie dieser Herr, ihr noch selten jemand vorgekommen waere, trotzdem sie mit allen moeglichen Menschen verkehren musste. Nachdem der Professor den Laden verlassen hatte, schlug er langsamen Schrittes die Strasse ein, die nach der Magdalenenkirche, in welcher das Konzert stattfinden sollte, fuehrte, indem er hier und da noch stehen blieb und sich die Schaufenster ansah. Er hatte ja keine rechte Ruhe, das erste Auftreten seines Patenkindes ging ihm sehr im Kopfe herum, denn es war doch keine Kleinigkeit und wichtig fuer ihr ganzes Leben. Als er den hohen gotischen Bau erreicht hatte, sah er die bunten Glasfenster schon erleuchtet, und ueber die breite Treppe, die nach dem Eingang fuehrte, schritten viele Leute hinauf; er blickte ihnen nach, bis sie durch die grosse Tuer verschwunden waren, ging dann noch ein Weilchen auf und ab und trat endlich gleichfalls durch das weit geoeffnete Portal. Der maechtige Raum war mit Menschen bereits dicht gefuellt. Die flackernden Lichter warfen einen matten Schein auf die unruhige Menge und streiften mit ihren Strahlen die grauen Pfeiler und Saeulen und die dunkle Holzvertaefelung der Kirchenstuehle. Onkel Heinz hatte beim Eintreten seinen Hut abgenommen und betrachtete sich mit Wohlgefallen das malerische Bild des Ganzen, worauf seine Augen suchend umherblickten. Unten im Schiff sah er Gontraus sitzen, Althoffs mit Aennchen, Flora mit den kraeftigen Zwillingen, Rosi nebst Familie - und wer sass da neben Marianne? Ein junger, blonder Mann, bartlos, mit energisch geschnittenem Gesicht und kecken, blauen Augen. Wir erkennen ihn wieder - es war Fritz. Lebhaft sprach er mit Marianne, seiner Jugendgespielin, und bewundernd hingen seine Blicke oft an der reizenden Maedchengestalt neben ihm, waehrend auch sie ihn manchmal verstohlen von der Seite anblickte - er gefiel ihr gut mit seinem frischen, offenen Wesen. Der Professor fand, dass Ilse heute einen Schein blasser aussah, als er sich jetzt an ihrer Seite niederliess, trotzdem sie ihre Aufregung zu verbergen suchte. Auch Leo war still und in sich gekehrt, und auf die Scherze, mit denen Onkel Heinz den Freunden etwas ueber ihre Stimmung hinweg zu helfen hoffte, gingen sie nicht ein. Oben auf dem Chore sah man die Koepfe der Mitwirkenden wie Silhouetten sich eifrig hin und her bewegen, waehrend die Instrumente gestimmt wurden. Der Professor blickte, so lange nur die Orgel und das Orchester spielten, ohne besonderes Interesse vor sich hin. Das herrliche Werk: die Schoepfung von Haydn, wusste er nicht zu wuerdigen, denn er war gaenzlich unmusikalisch, und nur Gesang konnte ihn erfreuen. Aufmerksamer hoerte er schon zu, als die Choere gesungen wurden; sobald aber Ruth da oben erschien, fing er an, seine Bartspitze zu drehen, und waehrend er gespannt hinhorchte, waren seine Augen unverwandt auf sie gerichtet. Im Anfang verriet ein leises Beben der Stimme die Befangenheit der jungen Saengerin, zaghaft und scheu glitten die Toene ueber ihre Lippen; aber nur eine kurze Zeit, dann wurden sie in reinen, maechtigen Schwingungen durch den Raum getragen und fanden in den Herzen der Zuhoerer einen lebhaften Widerhall. Und als sie geendet hatte, ging ein Murmeln durch die Reihen; fast einstimmig war das Lob ueber die herrliche Stimme, deren jugendlicher Schmelz, Kraft und Weichheit besonders hervorgehoben wurde. Nur der heilige Ort verhinderte, dass sich die Haende zu begeistertem Beifall ruehrten. Leo hielt Ilses Hand in der seinen, Onkel Heinz aber blickte sie voll triumphierender Freude an und fluesterte ihr zu: "Sehen Sie wohl, dass Sie keine Angst zu haben brauchten, hatte ich nun nicht recht?" Sie laechelte wie verklaert, sagte aber nichts, denn in diesem Augenblick trat Ruth wieder hervor und sang die schoene Arie: 'Nun beut die Flur.' Andaechtig lauschte die Menge, nur das leise Rascheln der Programme oder ein kurzes, unterdruecktes Huesteln unterbrach manchmal die fast lautlose Stille. Freudestrahlend sass jetzt Ilse da. Ihre Angst schwand mit jeder Minute mehr, und an deren Stelle trat die frohe Zuversicht, dass ihr Kind etwas Bedeutendes leisten koenne und wuerde. Aber trotzdem vergass sie nicht, scharf aufzupassen, wie sie sich fest vorgenommen hatte. Nur keine Halbheit, immer nach dem Vollkommensten streben, niemals zufrieden mit sich sein, das war es, was sie Ruth immer und immer wieder vorhielt und einpraegte. Als das Konzert sein Ende erreicht hatte, entstand eine foermliche Aufregung im Publikum, und der Andrang zu Gontraus war gross: Freunde, Bekannte, selbst Fremde traten heran, um zu dem ersten grossen Erfolge ihrer Tochter zu gratulieren. Der Professor war dem Gewuehl entflohen und hatte sich in eine Ecke gefluechtet, um da zu warten, bis sich die Menge verlaufen haette, welche die Treppe von den Emporen herunterkam. Neugierig spaehte er, ob er nicht Ruths Koepfchen dazwischen entdecken koenne, aber lauter fremde Gesichter gingen an ihm vorbei. Nach und nach hoerte das Gedraenge etwas auf, er kroch aus seiner Ecke hervor und wagte sich nun nahe an die Treppe heran, um sie besser uebersehen zu koennen und Ruth ja nicht zu verfehlen. Jetzt kamen die Mitwirkenden, unter ihnen die sehnsuechtig Erwartete, mit erhitzen Wangen und glaenzenden Augen. Leichtfuessig huepfte sie herunter, und als sie Onkel Heinz gewahr wurde, sprang sie behende die letzten Stufen herab und gerade in seine Arme. Sie jubelte, lachte und weinte in einem Atem, und er klopfte und streichelte sie fortwaehrend; sprechen konnte er nicht viel, nur die Worte: "Alte, gute Kroete," wiederholte er immer wieder, und eine ruehrende vaeterliche Liebe klang aus ihnen hervor. Innig hielt der graukoepfige Hagestolz das junge, bluehende Maedchen umschlossen. Aber dann machte sie sich los und eilte zu den Eltern. In den Augen Ilses schimmerte es feucht, voll stolzer Freude hielt sie das geliebte Kind lange in den Armen. Auch Leo kuesste sie und Marianne, Nellie, Flora, die Zwillinge, alle die guten Freunde, sie bildeten einen Kreis um die Debuetantin, jeder wollte sie zuerst beglueckwuenschen, ihr zuerst die Hand druecken. Nellie war ganz geruehrt, und Flora erinnerte daran, dass sie es gewesen war, welche ihr einst eine grosse Zukunft prophezeit hatte, darauf war sie sehr stolz. Auch Rosi und ihr Mann sagten der jungen Kuenstlerin viel lobende Worte. Die letzten Jahre waren an der Pastorin nicht wirkungslos voruebergegangen; Kummer und Sorgen hatten ihre Spuren in ihrem Gesichte zurueckgelassen, und der glatte, blonde Scheitel war grau geworden. Aber als sie jetzt Fritz ansah, der neben Marianne stand, da leuchtete es in ihren Augen doch freudig auf, und unwillkuerlich ergriff sie seine Hand. "O, was ein schoenes Paar, sieh nur Fred," sagte Nellie zu ihrem Manne, als die beiden blonden Gestalten so nebeneinander standen. Direktor Althoff war aber von seiner Pflegetochter ganz in Anspruch genommen, die er am Arme hatte und mit der er sich munter herumneckte. Er sah frisch und gesund aus, ebenso wie auch Nellie; der wehmuetige Zug, der ihr in frueheren Jahren leicht einen leidenden Ausdruck gegeben hatte, war ganz geschwunden. Wie hatte sich das Leben fuer die beiden Ehegatten doch anders gestaltet, seitdem das junge Wesen ihr Haus erhellte! Ilse und Leo wanderten den langen Gang, der in der Mitte durch das Schiff der Kirche lief, auf und ab, er hatte seinen Arm um ihre Taille gelegt, und sie sprachen eifrig miteinander. Was sich die beiden alles zu sagen hatten, wissen wir nicht, aber viel Liebes und Schoenes musste es wohl sein, denn sie sahen froh und gluecklich aus. Waehrend diese Stimmungen noch die Gemueter in der verschiedensten Weise beherrschten, hoerte man ploetzlich das absichtlich laute und auffaellige Klappern eines Schluesselbundes, und mit harten Schritten ging der Kastellan ueber die Steinfliesen, um die Lichter auszudrehen, und gab damit zu verstehen, dass es jetzt an der Zeit sei, heimzugehen. Der Abend war mild und warm, als Gontraus mit den Freunden aus der Kirche ins Freie traten. Und das Leben und Treiben auf den Strassen war wie an einem schoenen Sommerabend, niemand schien im Hause bleiben zu wollen. Plaudernd und lachend schritt das junge Volk voran, in ihrer Mitte Ruth, die Gefeierte; bedaechtig gingen die Alten hinterher. "Ja, ja, aus Kindern werden Leute," sagte Ilse zu dem Professor, indem sie auf die Jugend vor ihnen zeigte, und wehmuetig fuegte sie hinzu mit einem Blick auf Ruth und Marianne: "Wie lange wird's dauern, und eines Tages fliegen beide aus dem Neste." "Ueber so etwas muss man eben nicht sentimental denken," erwiderte Onkel Heinz, aber in seinem Innern hatte doch auch er ein sehr unangenehmes Gefuehl, wenn er daran dachte, seine beiden Kroeten einmal hergeben zu muessen. "Onkel Heinz, was fangen wir denn an, wenn wir mal allein sein werden?" fragte Ilse den alten Freund schmerzlich bewegt von diesen Gedanken. "Ja, was fangen wir an?" wiederholte er und sah sie forschend an. Auf einmal flog ein spoettisches Laecheln ueber sein Gesicht, und er sagte: "Dann schreiben Sie doch Ihre Memoiren nieder, Frau Gontrau." Es war natuerlich nur ein Scherz, womit er sie und sich ueber die Stimmung hinwegbringen wollte, die etwas ruehrselig zu werden drohte, und das liebte er nicht. Ilse ging aber wider sein Erwarten ganz ernsthaft auf seinen Vorschlag ein. "Spotten Sie nur nicht, Onkel Heinz," rief sie; "vielleicht tue ich das wirklich noch mal. Ja, ja, sehen Sie mich nur nicht so erstaunt an, Sie haben mich da auf einen guten Gedanken gebracht. Und Sie kommen auch mit vor in meiner Lebensgeschichte, Sie sollen sogar eine Hauptrolle darin spielen, Onkel Heinz." "Na, das wird was Schoenes werden," gab der Professor zur Antwort, "eine schreibende Frau? Brr!" "Onkel Heinz, das sagen Sie nicht. Denken Sie doch, wie interessant es fuer Sie sein wird, wenn Sie bei dieser Gelegenheit erfahren, wie ich einst war - eigensinnig, unbeugsam, wild und unbaendig, ein rechter boeser Trotzkopf. Und was ich dann alles leiden und ertragen musste, und wie ich geheilt wurde durch alle meine Lieben und Freunde, durch Leo, durch Nellie und auch durch Sie, Onkel Heinz." "Durch mich?" fragte er, sie unglaeubig ansehend. "Ja, auch durch Sie, Onkel Heinz, glauben Sie es mir nur," gab sie mit ernstem Gesicht zur Antwort, und der dankbare Blick, der ihn traf, bewies ihm, dass sie die volle Wahrheit gesprochen hatte. Die jungen Leserinnen, welche die Personen dieser Erzaehlung liebgewonnen haben, werden gerne erfahren, dass die Fortsetzung dieses Bandes unter dem Titel "Trotzkopf als Grossmutter" in gleichem Verlag erschienen ist. BEMERKUNGEN ZUR TEXTGESTALT Die Originalausgabe ist in Fraktur gesetzt. In Antiqua gesetzt sind in ihr einzelne Woerter aus fremden Sprachen, hier durch Unterstrich (_) gekennzeichnet, ebenso wie gesperrt gesetzte Woerter. Varianten bei Schreibweisen oder Zeichensetzung wurden nicht vereinheitlicht. 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This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/dirs/3/9/3/5/39350/ Updated editions will replace the previous one -- the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works to protect the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the rules is very easy. 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By reading or using any part of this Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. 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