The Project Gutenberg EBook of Zur Freundlichen Erinnerung, by Oscar Maria Graf Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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Weit hatte es der Schlosser Peter Windel im Laufe einer beinahe zwanzigjaehrigen Arbeitszeit bei der Motorenfabrik Jank gebracht. Als blutjunger Geselle trat er damals in den Dienst und heute war er erster Werkmeister. Seine stumpfe, schweigende Energie, sein fanatischer Lerneifer und seine fast pedantische, aber keineswegs devote Puenktlichkeit hatten ihm Respekt und Achtung verschafft, bei den Arbeitern sowohl, wie bei den Vorgesetzten. Beliebt war er nicht, aber es war keiner in der ganzen Fabrik, der auf ein einmal gesprochenes Wort von Windel nichts gab. Es dauerte allerdings lange, bis er mehr als das Allernotwendigste sprach. Verschlossen, wortkarg und mit jener stoischen Strenge im Gesicht, die schon nahe an der Grenze des Missmuts steht--so kannte man ihn seit Jahr und Tag. Noch dazu war er keineswegs eine Erscheinung. Von Gestalt klein und nicht gerade kraeftig, etwas vornuebergebeugt, mit langem Hals, auf dem ein unfoermiger, zu grosser Kopf mit borstigen, kurzen, schon etwas angegrauten Haaren und weitwegstehenden Ohren sass. Das lederne, scharfe Gesicht machte einen ueberreizten Eindruck. Die tiefliegenden, unruhigen Augen waren von vielen blutunterlaufenen Aederchen durchzogen. Aus dem schroffen Tal der Backen hob sich die plumpe, unregelmaessige Nase wie ein spitzer Huegel. Griesgraemig griff die massige, verfaltete Stirne von einer Schlaefenbucht zur andern. Das Merkwuerdigste an diesem Antlitz aber war der untere Teil. Er schien fast von einem anderen Menschen zu sein, hatte etwas so Hilfloses und Schuechternes, dass man den Eindruck des Maedchenhaften nicht losbrachte, wenn nicht hin und wieder der geoeffnete kleine, aufgeworfene Mund die eingerissenen, stark mitgenommenen Zaehne gezeigt haette. Kam noch hinzu ein ungewoehnlich kurzes, fast in den Hals gefallenes und nur durch einen ganz kleinen Ballen angedeutetes Kinn, aus dem ein sproeder Knebelbart spritzte wie eine Rettung. Sonst haette man buchstaeblich der Meinung sein koennen, nach dem Hals ginge der Mund an. Man sagt im allgemeinen, Pedanten, die ihr Dasein fast abgezirkelt genau ableben, haetten ein sorgfaeltig gepflegtes Erinnerungsvermoegen und vergaessen die kleinste Kleinigkeit oft jahrelang nicht. Peter Windel hatte keine Erinnerung. Schliesslich, dass man irgendwie zur Welt kommt, aufwaechst und allmaehlich auf einen Namen hoert, dann, in der Schule, noch auf einen zweiten; in die Lehre kommt, etliche Stellen wechselt; dass es einem schlecht oder besser geht, dass man auf einem Gottesacker unter anderen Leuten um ein Grab steht und den Kies auf den Sarg einer toten Mutter oder eines verstorbenen Vaters, eines Bruders oder einer Schwester fallen hoert und endlich Hinterlassenschaftspapiere, Notariatszimmer und Pfandbriefe zu sehen bekommt,--das erlebt so ziemlich jeder Mensch auf die eine oder andere Weise. Ein schepperndes Weckerlaeuten. Es ist noch tiefste Nacht draussen, die Fenster sind gefroren und hoch herauf verschneit, man hoert auf den weiten, ueberschneiten Strassen nur seine eigenen Schritte knirschen. Aus Schnee und Dunkelheit kommt langsam eine flimmernde Strassenbahn, dann hinter einer gelben Fensterscheibe ein verschlafenes, aergerliches Pfoertnergesicht, ueher einen Hof viele, dumpf trommelnde Schritte und ineinanderschwimmende Laute, endlich einen glatten Hebel in der Hand, --herumgezogen--und ratsch! ein ganzer Hauskoloss surrt bebend auf, die Riemen klatschen, aechzen, es haemmert, feilt, quietscht, kracht, klingt, braust--das wusste Peter Windel seit ewiger Zeit. Zwischendurch freilich auch Sommertage. Ein offenes Fenster, Kuehle und Daemmerung und etliche schuechterne Vogeltriller beim Erwachen. Das meiste der zwanzig Jahre--: Naechte ueber technischen Buechern, Sonntagnachmittage ueber dem Zeichenblock und manchmal ein Zaehlen des ersparten Geldes. Oefters als wuenschenswert Streitigkeiten, Zaenkereien mit der halbtauben, beschraenkten Logisfrau koennen noch hinzugezaehlt werden. Das war alles. Peter Windel hatte keine Erinnerung. Er kannte nur Interessen. Wenn nicht-- Und hier beginnt diese Geschichte. II. "Sie sind eine Sau! Vier Wochen kein frisches Handtuch, zwei Monate keine Bettwaesche gewechselt! Wenn das nicht aufhoert, ziehe ich!" schrie Peter Windel an einem Sonntag seine Logisfrau an. Wie immer. Das Weib blieb stehen, glotzte ihn an, verzog das Gesichtzu einer weinerlichen Grimasse und winselte ein paar unverstaendliche Worte heraus. Und weinte erst leise, dann immer unertraeglicher. Das Fenster stand offen. Es war Sommer. Klar fiel die Sonne in den Hof. Windel riss die Schranktuere auf, nahm seinen Regenmantel, schob die Frau beiseite und ging. Vierzig Mark fuer ein Zimmer ist nicht viel und die Frau schnueffelte nicht, war uralt, hockte den ganzen Tag in der dumpfen Kueche und lispelte Gebete. Unreinlich war sie nur von Zeit zu Zeit. Man musste sie dann grob anschreien.-- Auf der Treppe fiel Peter ein, dass er "Die Elektrizitaet als Nutzkraft" vergessen hatte. Er drehte sich rasch um und ging zurueck. Immer noch stand das Weib in der Zimmermitte, fast unbeweglich und wimmerte. Einen Augenblick mass sie Peter veraergert. Dann stampfte er mit dem Fuss auf den Boden. "Herrgott nochmal!" stiess er heraus, warf seinen Mantel hin, riss die Bettlaken herunter, zog in aller Eile Decke und Kopfkissen ab und warf die ganze Waesche der Frau vor die Fuesse, samt dem schmutzigen Handtuch. "Gehn Sie doch in die Kueche mit Ihrem Lamentieren und legen Sie mir die Bettwaesche dann herein, ich mach's mir selber!" sagte er noch, nahm vom Nachtkasten das vergessene Buch und schmiss wuetend die Tuere zu. "Meine Lies' ... heut wird's das zweite Jahr!" wimmerte die Frau noch. Und fiel wieder in ihr wimmerndes Weinen.-- Als Peter Windel tief in der Abendstunde nach Hause kam, lag sie quer auf dem Zimmerboden, den Kopf auf die Waschtischkante geschlagen, eine ziemlich grosse Wunde auf der Stirn--reglos, steif. Eine kleine Lache geronnenes Blut umgab den Kopf. Die Tote musste sich in den hingeworfenen Bettuechern mit den Fuessen verwickelt haben und dann hingefallen sein. Peter Windel stand und stand. Er fuehlte das Brennen des angesteckten Streichholzes nicht auf den Fingern. Erst als es wieder dunkel war, zuckte er ein wenig, steckte schnell ein neues an und liess es wieder verglimmen. Stand und stand. Ploetzlich gab er sich einen Ruck und lief wie ein Irrer davon, liess die Tueren offen, polterte die Treppen hinunter, rannte hastig und totenbleich an Leuten vorbei und meldete das Geschehene auf der Polizeiwache. Als er mit zwei Schutzleuten und dem Polizeiarzt zurueckkam, waren schon Leute aus den Tueren gekommen und musterten ihn, trippelten nach und blieben an der Eingangstuere stehen mit gereckten Haelsen, brummten, lispelten. Der eine der Schutzleute schloss endlich die Tuere. Man machte Licht in Peters Zimmer, schaute eine Zeitlang auf die Tote, nahm die zwei oder drei schwarzen, verkohlten Streichholzkoepfe auf ein Papier und sagte zu Windel, der saeulenstarr dastand: "Setzen Sie sich." Der Arzt beugte sich ueher die Tote, ein Schutzmann pruefte die Waschtischkante. Der Arzt nickte. "Setzen Sie sich!" sagte ein Schutzmann strenger. Peter brach endlich in einen Stuhl. Die drei lispelten in der Ecke. Der Arzt steckte seine Instrumente ein, hustete und stellte sich neben die Tote. Ein Schutzmann nahm neben Peter Platz, einer blieb an dessen Seite stehen. "Wann haben Sie die Frau verlassen?" fragte der Schutzmann und notierte. Fragte weiter, mit einer gewissen haemischen Herausforderung: "Haben Sie Beziehungen zu der Hullinger gehabt?" "Nein." "Wie lange wohnen Sie hier?" "Und haben schon oefters solche Streitigkeiten mit der Hullinger gehabt?" "Ja," sagte Peter. "Und diesmal?" "Weil sie mir schon vier Wochen keine frische Bettwaesche mehr gab." "Sie waren also grob zu ihr?" "Ja." Und noch, was er Gehalt haette, was er bezahlen muesse fuer Logis, ob die Hullinger vielleicht eine groessere Hinterlassenschaft in bar irgendwo aufbewahrt, beziehungsweise ob ihm bekannt waere, in welchen Verhaeltnissen die Hullinger gelebt habe. Peter antwortete meistens mit Ja oder Nein. Seine Stimme klang zerbrochen und schwer. "Dann muss ich im Hotel schlafen ... Herr Schutzmann ... wenn die Leiche hier liegenbleiben muss," sagte er endlich hilflos. Er hatte diese Anordnung vom Arzt gehoert. Da stand der Schutzmann selbstbewusst auf, sagte: "Sie kommen mit!"-Alle Menschen waren noch auf dem dunklen Hof, und entsetzte Blicke fielen auf die Davongehenden. III. Wegen dringenden Verdachts, seine Logisfrau ermordet zu haben, wurde Peter Windel in Untersuchungshaft genommen und in einer Einzelzelle untergebracht. Vier hohe, glatte, mit kahler, graugruener Oelfarbe gestrichene Waende umgaben ihn von nun ab. Unter der Lichtluke stand die hoelzerne Pritsche, daneben der Abort. Auf dessen Deckel konnte man bei den Mahlzeiten den Essnapf oder die blecherne Wasserkanne stellen. Die erste Nacht lehnte Peter schlaflos an der kalten Tuer. Als die Waerter in der Fruehe aufschlossen, mussten sie fest druecken, bis seine steife Gestalt nachgab und endlich, als sie wuetend fluchten, mechanisch etliche Schritte in den Raum machte. Waehrend die Waerter die Brotration auf die Pritsche legten und den Kaffee in die blecherne Tasse gossen, stand der Gefangene die ganze Zeit unbeweglich und zusammengeschrumpft da. Sie achteten nicht weiter darauf und schlossen geraeuschvoll wieder die Tuer.-- Jetzt war Licht. Die Gefaengnisuhr schlug sieben. Peter schaute schuechtern im Raum herum und begann zu gehen. Ging stoisch die Waende lang. Immer zehn Schritte der Laenge nach und zwoelf Schritte der Breite nach. Den ganzen Tag, ohne innezuhalten, wenn man Essen oder Abendbrot brachte.-- Erst als das Licht beim Hereinbruch der zweiten Nacht verlosch, legte er sich auf die Pritsche, zog die rauhe Decke ueher sich und schlief wie immer. Jaeh erwachte er in der anderen Fruehe. Es war stockdunkel. Er griff in die Gegend des Abortes, als suche er etwas oder wolle Licht anstecken und stiess dabei so hastig an die Wand der Wasserkanne, dass dieselbe mit einem Knall auf den Boden fiel und klatschend die Fluessigkeit aus ihr peitschte. Erschreckt schwang sich Peter von der Pritsche, hielt seine aufgeknoepften Kleider raffend zusammen und lauschte aufmerksam.-- Jetzt schlug es fuenf. Er atmete auf und begann unsicher und vorsichtig umherzutasten. Auf einmal fuehlte er die Naesse an seinen Fuessen. "Herrgott! Herrgott!" brummte er muerrisch und besann sich. Aber in diesem Augenblick raekelte wer an der Tuer. Ein Atmen wurde vernehmbar, das Licht in der hohen Decke flammte auf und wieder standen die kahlen Mauern ringsherum, das kleine Loch glotzte in den totenstillen Raum. "Was machen Sie denn da?!... Sind Sie ruhig!" bruellte der Waerter draussen aergerlich. Peters Finger streckten sich und liessen von den Kleidern. Seine Hose fiel langsam herab. Ein Zittern schuettelte seinen ganzen Koerper. "Es ist schon fuenf Uhr vorbei, ich muss weg!" hauchte er gedaempft. --Aber es war schon wieder dunkel. Und still.-- Erst nach einer Weile brachte Peter die Kraft auf, seine Hose hochzuziehen, und tastete sich zur Pritsche, legte sich darauf. Sein Herz schlug hoerbar und mit jedem Uhrenschlag erregter. Um sechs Uhr schwang er sich empor und blieb dann hoelzern sitzen. Das Licht griff endlich wieder von der hohen Decke in den Raum. Die Tuer oeffnete sich unter dem Knarren der Schluessel. Ein Waerter stellte das Fruehstueck herein und der andere an der Tuer warf den Aufwischlumpen her und beide brummten und schimpften wegen des Wasserumschuettens, hiessen Peter aufwischen. Fast froh darueber ergriff dieser den Lappen, kniete hin und wollte alles moeglichst in die Laenge ziehen. Aber die Waerter zeterten und trieben zur Eile. "Vorwaerts! Vorwaerts! Glauben Sie, wir sind zu Ihrer Unterhaltung da! ... Marsch! Marsch! ... So ... fertig!" Sie rissen ihm den Lumpen aus der Hand und waren schon draussen. Wieder wich die Tuer in die Wand zurueck. Die Schluessel knirschten. Das Guckloch starrte wie ein graessliches, ausgestochenes Auge in den kahlen Raum. Peter kniete benommen da. Lange. Es war still! Still!! Fuerchterlich still! Wie ein aufgescheuchtes Tier hob der Kniende ploetzlich den Kopf, schaute scheu um sich und sprang mit einem Satz an den Abort, hob den Deckel und schloss ihn hastig wieder, hob und schloss. Die Spuelung rauschte. Auf und zu klappte der Deckel. Es krachte, rauschte. Immer hastiger, schneller, motorisch riss Peter auf und zu, auf und zu, immerfort, immerzu, nur um die Stille nicht mehr zu hoeren, hob und deckte zu, es rauschte, rauschte--bis der Waerter schrie: "Sie!! ... Sie! Sind Sie verrueckt geworden!!--Passen Sie auf! ... Man ist schon mit anderen fertig geworden! ... Warten Sie, Sie!!" So erschrocken war Peter, dass er noch lange zitterte, dann ging er hastig wieder die zehn und die zwoelf Schritte. Den ganzen Tag.-- Viele, viele Tage, jedesmal um fuenf Uhr frueh, erwachte Peter so jaeh. Immer griff er hinueber zum Abortdeckel, wollte Licht anstecken, sprang auf, brachte seine Kleider in Ordnung,--machte etliche Schritte, stiess an die kalte Tuer und prallte zurueck. Neunzehnunddreiviertel Jahre gleichmaessiges Aufstehen lassen sich schliesslich nicht aus der Gewohnheit ausloeschen. Um sechs Uhr pfiff es. Wenn er am Hebel stand undihn herumriss, fing der maechtige Koloss der Fabrik zu surren an, die Riemen klatschten, quietschten, es krachte, bebte, haemmerte.... Peter war so mit dem Kopf an die Tuer gestossen, dass er taumelnd zurueckfiel, glatt auf den Boden und liegenblieb.-- Wo!? Wo war man denn? Wo denn! Wo!!? Auf der Welt? In der Hoelle? Tief in der Erde?-- Es war still! Nirgends war man! Nirgends! Gar nirgends! In einem Grab, in einem luftleeren, steinernen Sarg! In einer fressenden Stille! Und durfte langsam, ganz langsam sterben. Niemand wusste, sah und hoerte etwas. Es war still! Still!!--Still!!! Doch--man hoerte etwas, zeitweilig ein ganz fernes Klopfen, ein Kratzen in den Waenden. Aus einer anderen Gruft vielleicht?!--Nein! Es waren Holz--oder Mauerwuermer, die nagten, nagten, weil sie einen Kadaver witterten.-- Die dann herabfielen wie Tropfen und langsam in den Leibbohrten,--nagten, nagten und alles auffrassen!-- Das Licht kam wieder. Peter Windel stand auf, ging zehn und zwoelf Schritte. Er ass jetzt auch.-- IV. Endlich nach fuenfzehn Wochen Haft fand die Verhandlung gegen Peter statt. Stupid folgte der Gefangene den Waertern durch lange Gaenge, dann fuehlte er Luft und bekam Angst, atmete sparsam. Und dann sass er in einem Saal, sah Gestalten, sah starre Augen und hoerte Redegeraeusche um sich herum und aus sich heraus. Zuerst sass er da wie eine leblose Puppe. Dann, mit jedem gehoerten Wort, kam mehr und mehr das Leben in ihn. Sein Gesicht bewegte sich, als oeffne es sich aus einer Erstarrung--und dann lag ein Laecheln die ganze Zeit auf seinen stoppeligen Falten und blieb.-- Die Dienstmagd vom Vorderhaus sagte aus. Einfach klangen ihre Worte. Sie sprach nicht zu viel und nicht zu wenig. Das Geraeusch der Worte war erst undeutlich, dann wurde es klarer und klang.-- Am fraglichen Sonntag nachmittags zwei Uhr vernahm diese Dienstmagd ein Wimmern aus dem offenen Fenster des Windelschen Zimmers. Dem folgte ein grobes, kurzes Schimpfen. Dann sah sie den Angeklagten auf der Treppe, wie er ploetzlich innehielt und wieder umkehrte. Und wieder hoerte sie das Wimmern, noch deutlicher sogar und ein wuetenden Schimpfen, dann einen Tuerzuschlag und Windel mit grimmigem Gesicht die Treppe hinunterrennen. Wie ruhig sie das sagte: "Und dann, gleich darauf, habe ich einen dumpfen Knall und einen kurzen, nicht recht lauten Schrei, der eher ein Stoehnen war, gehoert und das Wimmern hat auf einmal aufgehoert. Ich weiss nicht mehr genau, war's gleich nach dem Tuerzuschlagen oder ein wenig spaeter. Ich bin dann zu meiner Schwester gegangen, weil ich Ausgang hatte.... Die Leute im Vorderhaus und im Hinterhaus? ... Ja ... soviel ich gesehen habe, die waren fast alle weggegangen ... schon mittags.... Es war ja auch so schoenes Wetter." Peter Windel sass da und lauschte. Es klang!-- Er begann auf einmal langsam--dann aber stossweise zu schluchzen. Eine Bewegung kam in den Saal. Eine Glocke laeutete. Lauter rief wer! Ja!--Ja! Das konnte der Vesperruf in der grossen Halle sein! Das war dasselbe, duenne, schrille Laeuten.-- Dann klangen wieder Stimmen hin und her. Der Chef, die Arbeiter und Angestellten und die fruehere Logisfrau sagten guenstig ueber den Angeklagten aus. Die letztere weinte sogar buchstaeblich und sprach erregt, dass der Staatsanwalt sich verpflichtet fuehlte, sie zu fragen, wie lange Windel sie kenne, ob er sie zuletzt noch aufgesucht und ob sie zu ihm in naeherer Beziehung gestanden habe. Die dicke Frau wurde darob sehr schrill, schrie und es laeutete abermals. Peter Windel war wieder ruhig geworden und laechelte wieder.-- Laechelte, trotz der furchtbaren Anklagerede des Staatsanwalts, laechelte starr in den Raum, als der Rechtsanwalt redete und redete.-- Man fand keine Absicht in dieser Tat. Die Beweise waren zu mangelhaft. Der Angeklagte war ein unbescholtener Mensch. Bis in die Schulzeit hatten die eifrigen Nachforschungen der Behoerden zurueckgegriffen, nichts liess auf einen jaehzornigen, boeswilligen Menschen schliessen, sondern eher auf einen schuechternen, scheuen, dem das Leben stark mitgespielt hatte.-- "Alles, was die tote Frau Hullinger hinterlassen hat, fand man unberuehrt. Sie haben ein Zeugnis aus der weitaus ueberwiegenden Mehrzahl der Aussagenden, dass der Angeklagte nie zu einer solchen Tat faehig sei. Wie kann man annehmen, dass ein solcher Mensch wegen einer geringfuegigen Unreinlichkeit einfach eine alte Frau dermassen an den Waschtisch wirft, dass sie augenblicklich tot ist!" rief der Verteidiger. Und viele nickten. Man hoerte deutlich ein Aufatmen, als der Freispruch bekanntgegeben wurde und sah aufgeheiterte, fast erloeste Gesichter.-- Peter Windel war frei. "Kommen Sie nur gleich wieder!" hatte sein Chef gesagt, als er ihm beim Weggehen die Hand drueckte. Und der Rechtsanwalt hatte einen Blick wie ungefaehr: "Na, das haetten wir wieder durchgedrueckt!" Nach fuenfzehn Wochen spuerten Peters zoegernde Schritte wieder Strassen, hoerten seine Ohren Trambahnrattern, sahen seine Augen Menschen, Farben, Fenster, und er wusste selber nicht, wie und weshalb er ploetzlich an einen Schalter herantrat und sagte: "Dritter Klasse! Ja!" Er stieg auf den Zug und ging nicht in die Kupees. Eine Nacht lang stand er auf dem eisernen, ratternden Vorplatz eines Wagens und atmete.-- Der Wind pfiff. Der Zug sauste, riss die Luft auseinander, zog vorbeifliegende Lichter in die Laenge, bohrte hemmungslos in eine dunkle, ungewisse Ferne. Keine Wand mehr, keine zehn und zwoelf Schritte, kein Ende--das Toben und Brausen wieder! Nur diesmal wie ein Flug durch einen unermesslichen Raum.-- V. Aber--es ist nicht wahr! Man kann nichts wegtrinken, nichts vergessen machen, nichts ausloeschen! Man traegt es mit sich wie ein unsichtbares Schneckenhaus und zuletzt!?-- Es sind immer wieder die kahlen, glatten Mauern, die Tuer mit dem ausgestochenen Aug' in der Mitte, die zehn und zwoelf Schritte.... Es klopft.-- Es kratzt in den Waenden. Die Wuermer nagen. Sie warten und fallen ploetzlich in einer Nacht wie schwere Tropfen herab, bohren sich ins Fleisch, nagen--nagen.-- Peter Windel hatte eine wilde Flucht hinter sich. Durch Staedte und Doerfer war er gefahren, in Hotels und in Wirtschaften, in Animierkneipen oder am Leib eines Weibes hatte er die Naechte verbracht. Er trank, warf das Geld weg, ass, sass in den Theatern und den Kinos, in den Bars und Vergnuegungslokalen jeder Klasse. Es war immer wieder die Stille, das Stockdunkle, das Grab!-- Er floh und kehrte endlich wieder zurueck zu Jank, nahm die Arbeit wieder auf und wurde ruhiger. Es trat die alte Regelmaessigkeit in sein Leben. Ereignislos verliefen die Jahre. Er wurde alt. Gebueckt ging er. Der Chef nahm ihn in die Abteilung fuer technische Angelegenheiten ins Bureau. Da sass er nun jeden Tag auf seinem Drehstuhl und rechnete, schlug das Buch zu, kam am aendern Tag wieder und rechnete. Neben ihm sass das Schreibmaschinenfraeulein, weiter am Fenster vorne der Ingenieur und manchmal auch der Chef. Jahre.-- Ploetzlich an einem Nachmittag gegen drei Uhr warf Peter Windel die Feder weg, riss sich fast soldatisch herum, ging an den Schreibtisch des Ingenieurs und sagte mit hohler, kalter Stimme: "Die Sache liegt vollkommen glatt. Fuer den Verlust mache ich Sie keinesfalls haftbar." Steif stand er einen Augenblick vor dem verbluefften Herrn und drehte sich rasch um, rannte zur Tuer und war weg. Schon nach der Mittagspause hatte er sich den Hut unter den Schreibtisch gelegt. Und jetzt war er froh, dass kein ihm bekannter Strassenbahner den Wagen fuehrte, in den er stieg. Nach der fuenften Haltestelle stieg er aus. Er war mitten in der Stadt. "Das Urteil im Heinold-Prozess! Zwoelf Jahre Zuchthaus!" schrien die Zeitungsverkaeufer und flatterten mit den Extrablaettern herum. Wichtige, gespraechige Gesichter tauchten auf, gedraengte Gruppen stauten sich um die Anschlagssaeulen. Peter bohrte seine Augen spaehend in die staubige Luft. Nach einem regen Ausschreiten blieb er auf einmal stehen, murmelte etliche Worte heraus, drehte sich mechanisch herum und ging in den Blumenladen, vor dem er jetzt stand. Nach einer langen Weile kam er mit einem grossen, auffallend schoenen Rosenstrauss heraus, und ein kaltes Laecheln lag auf seinen stoerrischen Zuegen. "Lebenslaenglich in einem Grab ... da schon lieber gleich weg," hatte er gestern beim Treppenhinaufgehen gehoert, und dann sagte eine andere Frau superklug: "Beantragt erst. Es haengt noch vom Gericht ab." Heute war niemand im Treppenhaus. Auch die Wohnung war leer. Die Logisfrau war wahrscheinlich zum Putzen gegangen und ihr Mann kam erst gegen sieben Uhr abends von der Arbeit. Peter oeffnete rasch und schritt behend in sein Zimmer, legte behutsam den Rosenstrauss auf den Tisch und holte sich in der Kueche warmes Wasser zum Rasieren.-- Als er bereits im Gebrock vor dem Spiegel stand, ueberfiel ihn auf einmal ein massloses Zittern, und eine Totenblaesse ueberzog sein Gesicht. Mit Gewalt straffte er seine Fuesse. Dann nahm er endlich den Strauss und verliess die Wohnung. Es war schon dunkel, als er vor der Tuer des Staatsanwalts Petersen stand und laeutete. "Ich moechte gern ... wenn es erlaubt ist ... dem Herrn Staatsanwalt diese Blumen bringen ... und--und gratulieren," stotterte er dem Maedchen ins Gesicht. Das liess ihn ein und fuehrte ihn in ein Empfangszimmer. Nach ganz kurzer Zeit tat sich die Mitteltuer auf, und Peter stand vor dem Staatsanwalt. Einen Augenblick hatte der Mann eine steinern ernste Miene, dann flossen alle Falten in ein Wohlwollen und er laechelte geschmeichelt. Mit vielen unbeholfenen Verbeugungen reichte ihm Peter den Rosenstrauss und stotterte devot: "Fuer ... fuer den ausserordentlichen Eindruck, den ich von Ihrer Anklagerede empfing ... nur eine kleine Erkenntlichkeit meiner Wenigkeit, Herr ... Herr Staatsanwalt, Herr....!" Der Staatsanwalt nahm ihm mit aller Freundlichkeit der Herablassung den Strauss aus der Hand, fuehrte ihn an die Nase und sog in vollen Zuegen den Duft ein, hob den Kopf wieder, sagte: "Ah ...!" und drehte sich laechelnd um, zur anderen Tuer schreitend: "Das muss ich gleich meiner Frau sagen...." Jetzt, da er ihm den Ruecken zugewendet hatte, rief Peter ploetzlich mit schneidender Hast: "Eins, zwei, drei! ... einen Augenblick ..." und er laechelte, wie um sich zu besinnen ... "sind drei ... aber nein, nein! Das stimmt nicht! ... Zehn und zwoelf, verstehn Sie ... sind?" Der Staatsanwalt hatte sich erschreckt umgedreht, stand unschluessig. Peters Mund bewegte sich fieberhaft. Schaum stand auf seinen Lippen: "Verstehn Sie ... zehn und zwoelf Schritte! Den ganzen Tag! Den ganzen Monat--ein Jahr--zwei!--drei!--vier--zwoelf Jahre! Zwoelf Jahre!!" Und noch ehe der Staatsanwalt auf ihn zustuerzen konnte, stiess ihm Peter mit aller Wucht sein feststehendes Messer in die Brust, dass er lautlos zusammenbrach und vornueber hinfiel. Dumpf hallte es. Der Koerper warf sich etliche Male zuckend und blieb dann steif liegen. Peters Mund ging auf und zu: "Zehn und zwoelf Schritte--einen Tag, einen Monat--ein Jahr--zwoelf Jahre, zwoelf----" Die Tuer ging auf. Hoch stand ihr Dunkel. Etwas Buntes, Weisses flimmerte dazwischen! Peter schrie in einem Schrei: "Fuer den Verlust mache ich Sie keinesfalls haftbar,--Zwoelf Jahre Grab! Verstehn Sie ... Das ausgestochene Aug'! Die Wuermer! Zwoelf Jahre ... Verstehn Sie! Zwoelf Jahre Nirgends! Nicht Hoelle! Nicht Welt! Zehn und zwoelf Schritte ... die Wue-ue-uermer!".... Nach der irren Hast der ersten Worte spaltete sich die Stimme, ueberschlug sich und klang zuletzt wie ein keuchendes, ersticktes Stoehnen. Jetzt hielt er inne. Die hohen Tueren standen offen da. Schwarz und duester. Gegen ihn gerichtet wie drohende Rachen. Die Gestalten und Gesichter waren fort. Es war still. Still!--Mit weit aufgerissenen Augen starrte Peter in diese Leere. Sein Koerper begann zu schlottern, aber er riss sich zusammen. Er wich zurueck. Sein Kopf stiess dumpf an den Fenstergriff. Erschrocken wandte er sich herum. Die Helle brach ueher ihn. Er oeffnete rasch. Jetzt befiel ihn wieder das Zittern. Sein Gesicht verzerrte sich. Er wollte umsehen und wagte es nicht. Seine Arme umklammerten das Fensterkreuz. Furchtbar schrie er: "Hilfe! Hi-ilfe!" Er schwang sich ploetzlich mit einem wilden Satz aufs Fenster und sprang in die Tiefe.-- SINNLOSE BEGEBENHEIT Um es ohne Umschweife zu sagen--: Michel Zoell hatte heute einen guten Tag. Vorgestern, als er stumpfsinnig in der Waermestube der Arbeitsvermittlung sass und an dem nassen, verfilzten Zigarrenstummel saugte, den er auf dem Hergang in der Fruehe gefunden hatte, kam sein Weib herein und sagte zu ihm: "Dein Alter ist gestorben ... Vom Elektrizitaetswerk haben sie hergeschickt, dass er auf der Strasse umgefallen ist.--Schau nach!" Es stimmte. Jetzt lag der Tote unter der Erde. "Ich komm schon!--Nachher!" sagte Michel zu seinem Weib nach dem Begraebnis und schickte es heim, waehrend er zur Logisfrau des Verstorbenen ging.-- Wie oft hatte Michel es nicht gehoert, wenn Fusstritte auf ihn traten, wenn er in eine Ecke flog, wenn die Faeuste seines Vaters auf seinen Kopf niedersausten oder eine Eisenstange, ein Teller, eine Buerste: "Knochen, verstockter!--Der Teufel soll mich kreuzweis' holen, wenn ich dir einen Pfennig hinterlass'! Ertraenkt sollte man dich im ersten Bad haben, du Nichtsnutz!" Mit sechszehn Jahren noch, als Michel schon im letzten Lehrjahr stand und eigentlich keine Last mehr war, wollte der Alte den Jungen wegraeumen und uebergoss ihn beim Heimkommen mit siedendem Kartoffelwasser, weil er das Vogelfutter fuer den Kanarienvogel mitzubringen vergessen hatte. Michel musste damals ins Krankenhaus gebracht werden und sah zum erstenmal, wie ein Bett aussah. Es war schoen in diesen hellen Raeumen. Man sah viele fremde Menschen, die allerhand erzaehlten. Michel fasste Mut da und ging nach seiner Entlassung mit dem was er auf dem Leibe trug, auf die Wanderschaft, schlug sich auf alle moegliche Art und Weise durchs Leben. Mutter--?! Ein komischer Begriff! Michel hatte noch so etwas wie eine abgemagerte Frau in einem Haufen Lumpen im Gedaechtnis. Ein Paar spindelduerre Arme wie Stoecke. Und Huesteln. Und das, was er nun seit ungefaehr zwei Jahren unausgesetzt ablebte: Eben ein Zimmer voll Gerumpel, mit erstickender Luft und einem Vogelbauer im staubigen Fenster. Nur--dass Michels Weib zwei Kinder hatte und hin und wieder zum Putzen ging, dass das jetzige Zimmer keinen Vogelbauer hatte, ein klein wenig heller war, aber enger als das fruehere. Vor zwei Jahren war es etwas anders. Damals arbeitete Michel noch in der Motorenfabrik. Es war guter Verdienst. Aber wie der Teufel sein wollte, die Firma machte Bankrott, kam noch hinzu, dass das damalige Haus, in dem Michel mit Weib und Kindern in einer Zweizimmerwohnung hauste, in ein Warenhaus umgewandelt wurde, und die Leute nach langem Hin und Her auf die Strasse gesetzt wurden. Weshalb soviel Aufhebens machen! Die Entwicklung der Dinge laesst sich leicht denken. Die Hauptsache war immer: Man hatte zur Not ein Dach ueher dem Kopf bekommen. Man wusste, wo man hingehoerte.-- Nun, es ist etwas Wahres dran an dem Sprichwort: "Wo die Not am groessten, ist Hilfe am naechsten." Trotzdem der Verstorbene sich vielleicht geschworen haben mochte, nie und nimmermehr fuer Michel etwas zu hinterlassen, fiel dem Sohn jetzt die ganze erraffte Habschaft des Alten zu.-- Es war erst fuenf Uhr nachmittags. Michel konnte in aller Ruhe das Zimmer des Verstorbenen durchstoebern und alles mitnehmen. Er fand ausser baren fuenftausend Mark einige Anzuege, von denen er den besten sogleich anzog, einen Ueberzieher, den er ebenfalls umlegte, und allerhand Gerumpel, das er dem Taendler Finsterhofer verkaufte. Er war gut aufgelegt, der Michel, lachte und gab schliesslich dem draengenden Taendler auch das ganze andere Geschleppe, die uebrigen Anzuege und was da noch war. Die Tasche voll Geld schritt er in die daemmernde Stadt. "Ist doch gut, wenn man weiss, wer einen auf die Welt gebracht hat," brummte er aufgeheitert und ging in eine der bekannten Wirtschaften inder Bahnhofsnaehe, um noch ein paar Glaeser zur Feier des Tages zu trinken. Es kam ihm merkwuerdig vor, als er so unter den anderen Arbeitern, Zuhaeltern, Herumlungerern und alten Huren sass. Einige kannten ihn und massen ihn von der Seite. "Hast das grosse Los gezogen, Michel! He ... gibst was aus?" rief ihm ein Tisch zu und in jedem Blick war ein konstatierendes Zwinkern. Michel setzte sich. Es tat ihm wohl, dass soviel Freundlichkeit ihn umgab. Auf seinem Gesicht war sogar eine Art Goennerhaftigkeit. "Meinetweg'n ...," rief er und lachte, "trinkt. Mein Alter hat ins Gras gebissen! Es kommt mir nicht drauf an....!" Und die Gesichter um ihn zaeunten sich enger, fingen zu glaenzen an. Man trank sich kameradschaftlich zu. "Erste Runde ... wer bezahlt!" schrie der martialische Kellner und Ordnungsmann in den Tisch. "Daher!" schrie Michel und griff in seine Hosentasche, zog die Scheine heraus. "Da gehn schon noch ein paar Runden, Michel?!" riefen mehrere. "Kameradschaft bleibt Kameradschaft!" bekraeftigte ein anderer. Und Michel legte einen Hundertmarkschein auf den Tisch: "Soviel soll genug sein!" Der Tisch war zufrieden, wurde laut, man brachte Bier und liess Michel leben! Dann stand Michel endlich auf. Einige wollten ihn noch halten, bettelten. Aber ein paar andere mischten sich ein und riefen: "Nein ... richtig gesagt, sind wir zufrieden ... der Michel kommt wieder!" Und jeder drueckte Micheln die Hand. "Ein kreuzguter Mensch!" hoerte dieser noch, als er die Tuer hinter sich zuzog und seine Schritte eiliger straffte. Die grossen Bogenlampen leuchteten schon durch den nachtdurchwobenen Nebel. Aus den Kaffeehaeusern griffen die Lichter, die Strassenbahnen flimmerten, surrten und laeuteten. Michel stieg nicht ein. Er ging zufrieden dahin und laechelte manchmal. Es schien, als wolle er noch einmal, ganz fuer sich allein, das eben zuteil gewordene Glueck auskosten. Er griff nach seinem Geld. Er griff hastiger. Nichts. Seine Knie begannen zu schlottern, sein Herz stand jaeh still. Er griff nochmal. Das ganze Geld war weg. Man hatte es ihm gestohlen. Er taumelte an eine Hauswand. Griff, suchte--suchte alle Taschen durch, vorsichtig, zitternd, furchtbar. Nichts mehr. Einen Augenblick stand er starr. Die Trambahn surrte vorbei. Ganz duenner Schnee fiel. Die Lichter flimmerten. Es rauschte, rauschte--und war doch grauenhaft still. So als ob alles wie ein fliessendes Wasser leise um ihn herumfloesse. Er hoerte es nicht und hoerte es doch, hoerte es wie ein verborgenes, leises Kichern.... Der Schnee fiel. Michel bewegte sich nicht von der Stelle. Lange.-- Endlich gab er sich einen Ruck, rannte in die Wirtschaft zurueck, auf den Tisch zu. Es war keiner mehr da. Er fuhr den Ordnungsmann an. Fragte, flehte, weinte. Vergebens. In sich zusammengesunken verliess er die Wirtschaft. Machte sich auf den Heimweg. Als er vor dem Haus stand, in dem er wohnte,--hielt er inne. Er griff nochmal in alle Taschen. Dann, als er die Treppen emporstieg, schien es, als haette sein Gang wieder die gewoehnliche Ruhe und Gleichgueltigkeit, mit der er sonst dahinschritt. Der Dunst des Zimmers schlug ihm aetzend entgegen. Es war still und duester. Die zwei Kinder lagen im Korb, in einem Berg von Lumpen, und schliefen. Anna sass am Tisch, die Petroleumlampe flammte aermlich und blaeulich ueher ihre Haende. Gleichgueltig schaute das Weib vom Sockenstopfen auf und rief: "Hast was gefunden?" Michel schwieg, drehte sich umstaendlich um und schloss die Tuer. Dann, seinem Weib wieder zugewendet, sagte er: "Zuwas stopfst' Socken? ... Brauchst bloss Licht." "Hast denn solang braucht?" fragte Anna und fixierte nunmehr die ungewohnte Kleidung ihres Mannes. "Ja ...," sagte Michel und zog seinen Ueberzieher aus, "ist eine schoene Strecke gewesen...." "Ist ein schoenes Stueck Gewand," sagte Anna wieder, als Michel naeher ans Licht getreten war und sich auszuziehen begann, "sonst hat er also nichts gehabt?" Der Michel schnaubte ein paarmal auf. Dann rief er einsilbig: "Geh, leg dich nieder ... fuer uns waer's besser gewesen, man haett' uns im ersten Bad ertraenkt ... leg dich nieder, Alte!" Und plumpsig liess er sich ins Bett fallen, dass die Federn knarzten. Bald darauf lag auch Anna an seiner Seite. Am aendern Tage trug Michel den Ueberzieher aufs Leihamt und gab Anna das Geld. Wieder wie immer hockte er stumpfsinnig in der Waermestube der Arbeitsvermittlung.-- DIE LUNGE Die Arbeiterin Manztoeter ist der Lungenschwindsucht erlegen. Sie war eine stille, fleissige Person. Sie schaffte sich auch etwas. Vor vier Jahren trat sie in die Zigarettenfabrik Zuccalisto ein. Bauernmagd war sie vorher gewesen. Eine von den vielen, die die Stadt anzog, der Verdienst und die Aussicht auf eine baldige, einigermassen ertraegliche Ehe vielleicht. Die Maenner auf dem Lande waren plump und bedacht auf offene manchmal in den Stall, fassten sie an der Brust, packten ihr Kinn, leckten ihre Wangen. Ein rothaariger Knecht setzte ihr aufdringlich zu, stand und stand ueberall und schlug einmal sinnlos auf sie ein. Daraufhin floh sie in die Stadt. Sie aenderte sich nicht, sparte, arbeitete und war fromm ohne Bigotterie. Noch immer las sie das Wochenblatt jedesmal aus und den Roman und hielt sich ausserdem "Die christliche Dienstmagd". Unter dem vielen Gemisch von afrikanischen Missionsberichten, fand sie eines Tages die Geschichte eines Farmers in Suedwestafrika, leis ueberhaucht von friedlich-fleissigem Eheidyll. Einem solchen sparte sie das Geld vielleicht. Vierhundert Mark hatte sie schon auf der Sparkasse. Noch vielleicht zwei Jahre oder laengstens drei und es waeren tausend gewesen. Tausend Mark!-- Das ist schliesslich nur Angewohnheit, dass man zur Vesper fuer fuenfzig Pfennig Kaese oder ein Stueck Wurst haben muss mit Bier. Kaffee mit einer Semmel geht auch oder Gerstenauflauf von Mittag. Machte schon wieder zwanzig Pfennig weniger.-- Ausserdem kann man sich woechentlich zweimal zu den Ueberstunden melden. Sind auch wieder drei Mark fuenfzig Pfennig fuer je eine Stunde. Man macht jedesmal drei, sind zusammen woechentlich einundzwanzig Mark. Eineinhalb Tagelohn mehr. Dann, wenn man heimkommt, ist's meistens schon dunkel, man braucht kein Licht mehr, legt sich einfach gleich ins Bett und schlaeft ein, hat gar keinen Hunger mehr.-- Zuletzt waren es schon sechshundert Mark. Sechshundert! Und da kam die Lunge. Und kurz darauf haette es eine allgemeine Aufbesserung gegeben, weil die Zigarettenfabrik Zuccalisto fuenfundvierzig Prozent Dividende verteilen konnte dieses Jahr und auch was tun wollte fuer ihre Arbeiter. OHNE BLEIBE Es war schneidend kalt.-- Der Schutzmann an der Ecke sah einem angeheiterten Doppelpaar griessgraemig nach und knurrte muerrisch. Durch den Gedanken, dass diese Leute nun in ihre warmen Stuben heimgingen und vor dem Zubettgehen vielleicht noch heissen Tee tranken und eine Kleinigkeit zu sich nahmen, hatte er sich davon abbringen lassen, weiter auf und ab zu gehen und seine durchfrorenen Beine durch zeitweiliges Stampfen einigermassen warm zu erhalten. Jetzt stach die Kaelte doppelt quaelend in allen seinen Gliedern. Er knirschte verdrossen, zog seinen Kopf noch tiefer in den aufgestuelpten, starren Mantelkragen, bog mit sichtlicher Ueberwindung die steifgewordenen Knie und ging wieder weiter.-- Die Stimmen der Spaetlinge verschwammen mehr und mehr. Es wurde wieder still. Wie ausgestorben dehnte sich das verlassene Geviert aus. Duester und drueckend ragten die Hauswaende empor. Der Schnee fiel dicht und sehr ruhig.-- Missmutig schwenkte der Schutzmann in eine breitere Strasse ein. Durch die gleichmaessiger verteilte Schneeflaeche schien es hier heller und weiter zu sein. Er blickte erleichtert in die weisse Eintoenigkeit. Eine strichhaft hagere Gestalt kam auf ihn zu. Der Mann schien weder Kopf noch Arme zu haben. Nur die Beine warf er mechanisch nach vorne wie ein aufgezogenes Gespenst. Als er kaum noch fuenf Schritte von ihm entfernt war, hustete der Schutzmann sehr vernehmlich und hob sein veraergertes Gesicht. "Sie!" rief er dem Herankommenden gehaessig laut entgegen und warf sich in straffere Haltung. Die Gestalt blieb stocksteif stehen. Nur der Frost schuettelte sie. "Haben Sie Papiere?" fragte der Schutzmann, noch einen Schritt machend, und musterte den Mann. Der ruehrte sich nicht. "Sie!!" bruellte der Schutzmann wie fluchend und leuchtete dem Fremden mit der Taschenlaterne entgegen. Alles an ihm war wieder in bester dienstlicher Ordnung. Ein harkiger, abgerissener, verdorrter Baumstamm oder eine arg ramponierte Saeule konnte es sein, was da im Lichtkreis stand. Raschen Blicks ueberflog sie der Polizist. "Ihre Papiere!--Sind Sie denn taub!" schrie er abermals, wuetend ueber das Aufgehalten werden bei solcher Kaelte, und setzte schnell, wie witternd hinzu: "Oder haben Sie keine?" Der Fremde zog endlich seine erstarrte Hand aus der tiefen Hosentasche und reichte ihm die schmutzigen, durchnaessten Ausweise. "Karl Pruvik, Klempnergehilfe" stand auf der ueberleuchteten Invalidenkarte. Herkunft, Geburts--und letzter Dienstort und Datum waren verzeichnet. Abgestempelte Marken klebten auf der ersten Haelfte. Der Schutzmann steckte das Papier unter den blauen Militaerpass und schlug diesen auf. "Infanterist Pruvik, Karl.--14. Regiment" orientierte die erste Seite. "Verwundet bei Luneville (Armschuss rechts), desgleichen bei Tarnopol (Knieschuss links), verwundet bei Verdun (Schulterschuss links)" war im Anhang eingetragen, und so und soviele Gefechte und Schlachten erwaehnte das naechste Blatt. Das Gesicht des Schutzmanns verlor mehr und mehr die stiere Haerte, hob sich etwas hoeher aus dem Mantelkragen. "Hm!--Auch Kriegsteilnehmer? ... Ohne Bleibe, was?" sagte er mit zufriedener Ruhe und streckte dem regungslos Dastehenden die Papiere him. Dessen Gestalt schwankte ein klein wenig nach vorne. "Hundekaelte das! Warten Sie, es geht schon!" rief da der Schutzmann noch loyaler und steckte dem Mann die Papiere hilfsbereit in die Rocktasche: "Ist ja noch nicht so spaet. Noch alles offen in der Stadt. Sie kommen sicher unter!" "So," sagte er eben, als in naechster Naehe die Uhr zehn schlug. Einen Augenblick horchte er auf, nickte und entfernte sich eilsamen Schritts. Schon von weitem erspaehte er die Abloesung. Karl Pruvik riss sich fest zusammen und schritt wieder weiter. Der Schnee fiel und fiel. Nach einer langen Weile wurde es endlich etwas lichter. Menschen stapften vorueber. Grelle Autolaternen glotzten ueher einen freien Platz. Ueher einem maechtigen Saeulenportal leuchteten gross die Buchstaben "Schauspielhaus". Vielleicht vom Licht angezogen verschnellerte Karl Pruvik unwillkuerlich seine Schritte, eilte geraden Wegs auf den Theaterausgang zu. Eben stroemte die Besucherschar aus den grossen, glitzernden Toren. Er befand sich im Nu mitten im dichtesten Gemeng und draengte sich vorwaerts. Eine warme Duftwelle schlug ihm entgegen, starkgeschminkte Gesichter tauchten auf und seltsam kuehne Reflexe warf das grelle Licht auf glaenzende, rauschende Damentoiletten. Ueberschnell schwirrten geschaeftige Stimmen ineinander, Seidenrauschen, Laecheln, Autohupen und das fadenduenne Zirpen suesslicher Tonfaelle vermischten sich zu einem betaeubenden Geraeusch. "Einfach glaenzend!" rief wer. "Ruehrend, wie die Hohlmann spielt!--Nein, einfach entzueckend!" zwitscherte eine ueberhelle Stimme. "Huw, dieses Schweinewetter!-Kommt schnell ins Auto!" liess sich zwischendurch vernehmen. Und wieder: "Kritisch gewertet--: Eine Glanzleistung in Regie und Spiel!" Dann das laute, aufdringliche Gekicher der Backfische: "Dieses herrliche Rueschenkleid, Mama!--Hast du gesehen,--den Sonnenschirm!--und das Biedermeierkostuem im dritten Akt? Entzueckend!--Du Lilly, weisst du was! So gehen wir heuer im Fasching!--Gell Mammi! Gell!" Es plaetscherte fort und fort, oben, unten, ueberall. Abschiednehmen, Handkuesse, Einladungen fuer das morgige Festessen, Lachen, Autovor--und Abfahren--alles wie ein flimmernder Hexentanz!-- Karl Pruvik war mittlerweile unbemerkt bis an das Eingangstor gelangt. Noch eine geschickte Finte und er hatte fuer heute nacht ein Dach ueber dem Kopf. Sein Herz schlug heftig. Es war wieder Leben in seine froststarren Glieder gekommen. Behende glitt er an den aufeinandergedraengten Gestalten vorbei und fuehlte auf einmal Raum und Waerme. Er lugte spaehend nach dem betressten Portier, duckte sich mehr noch zusammen, hielt den Atem an, arbeitete sich an der Wand entlang. Im selben Augenblick aber stockte die Bewegung des Menschentrupps. Er zerteilte sich und jaeh brachen die Reden ab. Durch eine glotzende Gaffergasse hastete der Portier mit steinernem, finster drohendem Gesicht auf ihn zu. "Was suchen Sie denn da?--He! Sie! Sie!" schrie der Tuerhueter. Karl Pruvik zog wie ein gezuechtigter Hund die Schultern hoch und verbarg den Kopf voellig in seiner schlotternden Brust. "Was Sie wollen, frag' ich!?" bellte der Portier hinter ihm und packte ihn heftig am Arm, riss ihn zurueck. Ohne Wort und ohne Abwehr liess sich der Eingedrungene von dem belfernden Tuerhueter und zwei inzwischen herbeigeeilten Logendienern ins Freie schieben. "Hm, sowas?--Sich ins Theater einzuschleichen!" sagte jemand von den Stehengebliebenen und schuettelte den Kopf. Der ins Stocken geratene Menschenhaufe bekam wieder Bewegung und draengte sich durch den Ausgang. Die Tore schlossen sich finster. Schwaetzendtrabten die letzten Paare vorueber. Karl Pruvik stand zoegernd und benommen im glitzernden Schneegeflock. Einen Augenblick hatte es den Anschein, als straffe sich sein Koerper, als hole er zu einem Satz aus und wolle in die vorbeigleitenden, duftenden, rauschenden, geschwaetzigen Menschen springen, aber schliesslich torkelte er doch ueher die verschneite Freitreppe hinunter und bog in die Seitengasse ein, die vom Theaterplatz abzweigte. Ein letztes Auto surrte weg. Die Stimmen verloren sich in der Ferne. Die erleichternde Helligkeit, die die Beleuchtung des Theaterpalastes nach allen Seiten him verbreitet hatte, verlosch lautlos. Es war wieder ringsherum die fahle, unwirkliche Duesternis der Winternacht.-- Karl Pruvik hob den Kopf hilflos. Eine knappe Wurfweite vor ihm ragte etwas Schwarzes aus dem Schnee und bewegte sich wie schwebend von der Stelle. Willenlos und ohne Grund folgte er der Erscheinung. Lange ging er so. Es musste schon tief nach Mitternacht sein. Trist gaehnten die menschenleeren Strassen und Plaetze. Man stand am Rande des Stadtparkes. Die kerzengerade Gestalt verschwand zwischen den Baeumen. In der aufgeworfenen Bahn der Spur schritt Karl Pruvik weiter. Es war viel dunkler hier. Die schneebeladenen Baumaeste lasteten schwer herab. Nur zeitweilig gab sich eine hellere, freiere Stelle und undeutlich liessen sich eingemummte Baenke erkennen. Auf einer solchen hockte die zusammengekauerte Gestalt nun, der er die ganze Zeit gefolgt war. Stoisch liess sich Karl Pruvik neben ihr nieder und legte wie aus einer ploetzlichen Eingebung heraus seinen steifen Arm um nasse, scharfe Schultern. Lahm schmiegten sich die beiden Koerper aneinander. "Kalt," murmelte es kaum hoerbar aus dem Kopf, der haltlos auf seine Brust herabglitt. "Kalt," brummte Pruvik ebenso leise und schloss seine Augen. Auch sein Kopf sank herueber auf das Genick des anderen. Kein Schnee fiel mehr. Es war seltsam--: Jetzt, da man schonungslos der Kaelte ausgeliefert war, wussteman nicht mehr, war's eine rasende Hitze oder eine gaenzliche Eisigkeit, was in den Gliedern bruetete. Der ganze Koerper hatte das Gewicht verloren. Es schien als schwebe er durch eine unsaeglich friedliche Stille.... Auf einmal drueckte etwas Hartes an den Arm, umklammerte, zerrte. Es schrie wie durch Nebelschwaden, dann naeher. Es ruettelte staerker. Das Geschrei schwoll. Der Kopf' an der Brust bewegte sich stumm. Karl Pruvik oeffnete die Augen. Das grelle Licht einer Taschenlaterne stach ihm ins Gesicht, blendete, schmerzte. "He!--He! Was ist da!!" schrie ein Schutzmann, riss erregt am Arm. "Was ist denn das! Auf! Auf!!" Alles tat wieder weh. Die zerfrorenen Knochen ruehrten sich, schmerzten, als seien sie alle einzeln abgeschlagen und bewegten sich wie in einem geplatzten Gipsverband klappernd von dannen. Erst in der Stube der Polizeistation sah Karl Pruvik, dass noch einer neben ihm stand, genau so reglos und stumpf wie er. Auf den redeten die zwei Schutzleute ein, fragten, schrien ihn an. Endlich nach einer Weile schritt man durch eine Tuer und das Licht war aus den Augen. Die beiden lagen auf einer Pritsche, in warme Decken gewickelt. Die Glieder bewegten sich ohne Schmerz. Waerme kam langsam. Von Zeit zu Zeit beruehrten sich Arm oder Fuss. Nach langer Zeit hoerte Karl Pruvik wieder polternde Stimmen und kalte Luft huschte ueher sein Gesicht. Die Pritsche knarrte und Schritte dumpften. Eine Tuer fiel zu. Jetzt war es leer neben ihm.-- Es fiel glaeseriges Tageslicht durch die vergitterte Luke, als er die Augen oeffnete. Ein etwas ins Rundliche gehender Schutzmann mit gemuetlichem, wohlig geroetetem Gesicht stand vor ihm und sagte in friedlichem Bass: "Sie koennen sich wieder fertig machen. Es liegt nichts vor gegen Sie!" Karl Pruvik hob seinen uebermuedeten Oberkoerper auf der Pritsche. "Haben Sie denn den andern gekannt?" fragte der Schutzmann. Pruvik schuettelte dumpf den Kopf. "Hat ein paarmal eingebrochen," erzaehlte der Polizist beilaeufig und redete weiter: "Stehn Sie dann auf und kommen Sie. Sie koennen wieder gehen." Karl Pruvik sah ihn verstaendnislos an. "Eine harte Zeit jetzt--und hundekalt diesen Winter!" brummte der Schutzmann und bat Pruvik abermals aufzustehen. Der erhob sich endlich und ging mit ihm durch die Tuer in die Polizeistube hinaus. Ein Wachtmeister sass am Tisch und hatte seine Papiere in der Hand, sah ohne Arg, beinahe mitleidig auf Pruvik. "Sie koennen wieder gehen," sagte er in dienstlichem Brustton und reichte ihm Invalidenkarte und Militaerpass. Karl Pruvik stand zoegernd da und machte keine Bewegung. "Es liegt nichts vor gegen Sie!--Dass einer keine Bleibe hat, kann jedem einmal passieren," sagte der Wachtmeister menschlich. Pruvik nahm mechanisch seine Papiere. "Gruess Gott," sagten die beiden Polizisten und nickten dem Gehenden zu. Einer oeffnete freundlich die Tuer. Karl Pruvik ging. Es schneite nicht mehr auf den Strassen. Das Bleich des Tages tat den Augen weh. Ein Wind hatte sich erhoben und pfiff schonungslos um die scharfen Hausriffe. Es war kalt. Es war wirklich grausam kalt.... ETAPPE I. Der Stab fuer das Eisenbahnbauwesen der Ostarmee lag vor Duenaburg. Es ging die Rede von einem russischen Durchbruchsversuch. Die Baukompagnie 14 geriet ins Feuer. Es gab Verluste. Der Bau der Feldeisenbahn kam ins Stocken. Die Verbindung mit der Kampffront blieb auf Tage unterbrochen. Vom Oberkommando der Armee lief eine Beschwerde beim Stab ein. Draengende Befehle peitschten zur Beschleunigung. Der Major hatte wieder jenen gehaessigen Aerger auf seinem finsteren Gesicht, der an den Brueckenbau in Kowno vor der Ankunft des Kaisers erinnerte. Zwei Tage vorher bereits ueberwoelbte das fertiggebaute, riesige hoelzerne Mittelstueck die gesprengte Memelbruecke damals. Die Belastungsprobe war glatt verlaufen. Allenthalben sah man entspannte, befriedigte Gesichter. Die ermuedete Mannschaft trat schon zum Heimmarsch in die Quartiere zusammen. Ploetzlich murrte ein langgezogenes, ruckendes Grollen ueber den nebeligen Fluss. Die Brueckenmitte hatte nachgegeben, war fast um einen halben Meter tiefer gesunken. Eine Totenstille herrschte minutenlang. Dann bellten abgehackte Befehle durch die Luft. Die erschoepften Abteilungen schwaermten wankend auseinander, wieder auf die Bruecke und ins eisige Wasser. Die ganze Nacht haemmerte, aechzte, krachte, schob und schrie es aus dem spaerlich beleuchteten Geruest des Notbaues und aus der Flusstiefe. Fieberhaft, mit verdrossenem, verbissenem Grimm wurde gearbeitet. Wie Rudel totgehetzter Ziehtiere trotteten die Kolonnen am Morgen in die zerschossene Stadt. Zwanzig Stunden wurde am darauffolgenden Tage gearbeitet. Zweiundzwanzig ununterbrochen am andern. Die Ruhr brach aus unter der Mannschaft. Mehr als vierzig Mann starben, fuenf ertranken in der Memel. Als der Kaiser ankam, erhielt der Major das Eiserne Kreuz erster Klasse. "Herr Major,--hoffentlich ist es uns allen noch gegoennt, dass wir den Pour le merite ebenso vergnuegt mit Ihnen feiern duerfen," sagte damals der geschnuerte, glatzkoepfige Stabsadjutant piepsend. Und zerschlissen freundlich laechelte der Major: "Wenn Petersburg faellt!" --Damals ging es unaufhaltsam vor. Nun stockte es erstmalig waehrend des ganzen Feldzugs.-- Die Russen funkten sehr nahe. Die zurueckgetriebenen Eisenbahnbaukompagnien verpendelten die Zeit mit nutzlosen Appellen. Vom Hauptquartier kam Befehl auf Befehl. Die Offiziere flitzten nervoes und gewichtig herum. Bei der Mannschaft gab es Arreste. Unuebersehbare Mengen Baumaterialien stapelten sich und mussten liegenbleiben. Der Major ritt die Bauzuege ab, schrie, polterte, teilte Strafen aus. Fuenfzehnhundert Russen, die an der Front gefangengenommen worden waren, trafen ein. Befehl zur Aufnahme des Weiterbaues der Feldeisenbahn erging. Langsam rollten die stehengebliebenen Bauzuege vorwaerts, in die tristen Schneefelder hinein. Vor, vor--immer noch vor ging es! Bis zu der Stelle, wo die Arbeit aufgegeben werden musste. Die Geschosse schwirrten hoch in der schneeigen Luft. Ganz nahe. Schnee, Schnee. Kaelte, Kaelte. Die Baukompagnie 14, 15 und die Russen marschierten auf die Arbeitsstellen. "Mist!--Humbug!--Unsinn!" knurrte von Zeit zu Zeit irgendeiner halblaut. In kilometerweiter Entfernung schlugen die Geschosse ein, warfen Kotfontaenen. Schlaggg!--lag alles am Boden. Man lag die halbe Zeit in Deckung. Die Arbeit machte kaum wesentliche Fortschritte. Meldung erging an den zurueckliegenden Stab.-- Der Ordonnanzreiter Peter Nirgend ritt durch den peitschenden Schnee. Das Pferd dampfte. Die Lenden spritzten Blut. Fiebernd bog sich der furchtsame Ruecken im Galopp.-- Hauptmann und Oberleutnant der Baukompagnienempfingen den Heransprengenden mit muerrischen Gesichtern. "Meldung vom Stab der Eisenbahntruppen!" keuchte Nirgend. Nur mit Muehe konnte er sich stramm halten. Hastig oeffnete der Hauptmann den Umschlag, ueberflog mit unterdrueckter Entruestung das Papier und sah auf den Oberleutnant, reichte es ihm. "Hm!" brummte er kopfschuettelnd. "Hm!" machte der Oberleutnant gleichfalls achselzuckend und ratlos. Dann stiegen beide in den Kanzleiwagen. Peter Nirgend fuehrte sein schweisstriefendes Pferd auf und ab. Aus den Quartierwagen der Mannschaft glotzten missmutige Gesichter. "Geht's vor?" fragte einer. "Der Hund!" knurrten etliche dumpf, als Nirgend nickte. Der Kanzleiunteroffizier rief aus dem Wagen, uebergab ihm die Rueckmeldung an den Stab. Der gefrorene Boden klapperte unter den ausgreifenden Hufen des Pferdes. Schneewolken staubten auf und nichts mehr sah man.-- Ein abermaliger Befehl des Stabes bestimmte unverzuegliche Aufnahme der Arbeit und sofortige Herstellung der Verbindungslinie mit den Fronten. Schon tags darauf meldeten die vorgeschickten Kompagnien schwere Verluste. Die fuenfzehnhundert Russen weigerten sich, aus ihrem Bauzug zu gehen. Man pruegelte sie heraus. Aber am selben Abend noch mussten die Zuege zurueckrollen. Viele Wagen waren zerstoert. Die Eisenbahnlinie ueberall ramponiert. Die ganze Nacht schrie es die Zuege entlang. Neue Wagen wurden eingeschoben. Unaufhoerlich wurde rangiert.-- Am andern Mittag raunte es von Ohr zu Ohr: "Es geht wieder vor!" Es ging ein Geruecht herum von einem scharfen Aufeinanderprallen zwischen Major und Hauptmann. Kurz darauf hiess es: "Antreten zum Appell!" Vor den gepferchten Reihen der zum abermaligen Vorruecken bestimmten Truppen hakte ein fremder Offizier auf und ab und hielt eine schwunghafte Rede. "Das deutsche Wesen darf nicht untergehen! Hurra! Hurra! Hurra!" schloss er und alles bruellte mit. Wie ein einziger Tierlaut klang's. "Fuers Vaterland!" murrte einer zynisch beim Auseinandergehen. "Fuer den Pour le merite!" brummte ein baertiger Kerl und sah herausfordernd auf die lethargischen Gesichter der Kameraden. "Kotze!--Sich den Schwanz verbrennen ist die einzige Rettung!" murmelte der Mannschaftskoch stoisch. "Nulpe! Wo denn?--Wenn weit und breit kein Puff ist!?" warf ihm der Vagabund Tuempel hin und spuckte in grossem Bogen durchs offene Fenster. Tief am Nachmittag aechzten die Bauzuege abermals finster in die schneeige, verlassene Gegend hinaus. Am zweiten Tag, als Nirgend von den Kompagnien zum Stab zurueckritt, knallten Schuesse hinter ihm her. Einer davon streifte leicht seinen rechten Arm. "Hu-u-und!" surrte es langgedehnt durch die kalten Nebelschwaden und lief ihm nach wie ein unterirdisches Grollen. Gegen Morgen tauchten auf einmal die gelben Lichter der Bauzuglokomotiven auf und kamen zischend naeher. Die vierzehnte Kompagnie war his auf zirka hundert Mann aufgerieben, und die fuenfzehnte hatte gleichfalls zahlreiche Verwundete und Tote. Die Russen hatten in der allgemeinen Panik des Zurueckflutens die Fluchtergriffen und irrten rudelweise in den Schneefeldern herum.-- Nirgend trat dumpf ins Leutnantszimmer des Stabsbureaus, straffte seine Glieder und sagte: "Zur Stelle!" Der schmaechtige, elegante Offizier drehte sich wippend, etwas nervoes herum, mass den Hereingetretenen von oben his unten und fragte: "Na,--und?" "Man hat mich angeschossen," sagte Nirgend unvermittelt. "Ja--und?" "Es waren welche von uns, Herr Leutnant." Die gepflegten, spitzen Augenbrauen des Offiziers griffen zuckend in die ploetzlich streng gefaltete Stirn. "Quatsch!--Woraus schliessen Sie denn das;" rief er wegwerfend. "Weil jeder wuetend ist," sagte der Meldereiter einfach. "Halten Sie Ihr Maul, Sie Luemmel!--Was bilden Sie sich eigentlich ein!" belferte der Leutnant drohend und schnellte auf. "Ich rede nicht um meinethalben," erzaehlte Nirgend ruhig und schaute dem Schimpfenden entschlossen ins Gesicht, "aber um den Pour le merite geht keiner mehr vor. Ich reite nicht mehr!" "Wasss!!" zischte es durch die warme Zimmerluft. Matratzenfeder. Die Tuer des anderen Zimmers wurde ruckhaft aufgerissen. "Wasss!--Was ist da!?" schnarrte der Major und machte einen Schritt auf Nirgend zu. Schon riss sich der Leutnant schlank und stramm herum, wollte melden. Aber der Soldat kam ihm zuvor, sagte, zum Major gewendet, mit der gleichen, einfachen Ruhe: "Ich reite nicht mehr, Herr Major! Um einen Pour le merite geht keiner mehr vor, sagen alle!" Einen Moment fielen die beiden Offiziere fast auseinander. Dann schrien sie, bellten drohend: "Hinaus! Hi-naus! Sie Schweinehund!" Ganz korrekt drehte sich Nirgend um und ging aus dem Zimmer. In der angrenzenden Schreibstube wurde fieberhaft gearbeitet. Jeder sass geduckt da und kaum einer wagte aufzuschauen. Nur einige aengstliche Blicke trafen den Hindurchschreitenden. Der Stab nistete in einem einstoeckigen Gelehrtenhaus. In den unteren Raeumen waren die Bureaus, oberhalb die Schlafzimmer der Offiziere und auf dem Dachboden hausten die Mannschaften. Dort angelangt, legte Nirgend sich so wie er war aufs Stroh und zuendete sich eine Zigarette an. Es war merkwuerdig, heute kam keiner zu Bett. Duester glomm der spaerlich helle Kreis der brennenden Zigarette im Dunkel. Wie in einer verlassenen Totengruft lag man hier. Langsam fielen die Minuten von der Decke herab. Eine lange Zeit verging. Dann knarrten Schritte die Treppe herauf, kamen naeher. Es mussten mehrere Leute sein. Peter Nirgend ruehrte sich nicht. Die Tuer wurde geoeffnet. Im Lichtkreis einer Taschenlaterne tauchte undeutlich die Gestalt des Leutnants auf. Dahinter mussten noch einige Leute stehen. Zwei Seitengewehre funkelten zur Hoehe. Nirgend erhob sich ohne Hast. Irgendeine dunkle, breite Gestalt tappte herein, tastete herum und entzuendete die Lampe. Jetzt traten der Leutnant und die zwei Soldaten mit den aufgepflanzten Seitengewehren an den Tisch, wo der Unteroffizier, der Licht gemacht hatte, stand. Der Leutnant verlas etwas von sofortiger Inhaftierung und Ueberweisung an ein Kriegsgericht, faltete den Bogen wieder, sah Nirgend fluechtig an und sagte zum Unteroffizier: "Wenn er in fuenf Minuten nicht folgt, wenden Sie Gewalt an!" "Zu Befehl, Herr Leutnant!" antwortete der strammgestandene Korporal. "Naja!" sagte der Leutnant und ging. Einige Augenblicke standen sich die Soldaten schweigend gegenueber. "Kamerad!--Mensch?" brachte der Unteroffizier endlich heraus, stockte aber ploetzlich und sagte dumpfer: "Packen Sie Ihre Sachen zusammen und kommen Sie." "Seid ihr Vierzehner?" fragte Nirgend unbeweglich. Keine Antwort. Keine Bewegung der anderen. Starr standen die drei. "Gestern nacht habt ihr auf mich geschossen--einer von eurer Kompagnie war's!--Weil ich den Befehl zu euch brachte zum Vorruecken.--Einen Denkzettel habt ihr dem Major geben wollen--jetzt macht ihr drei wieder die Handlanger der Ordensjaeger!" stiess Nirgend heraus. Keine Bewegung. Schweigen. Starr standen die drei. Wie glatte, finstere Glassturze. Alles rutschte an ihnen herab. Man stand selber unter einem solchen Glassturz. Gespannt his aufs aeusserste musste man an sich halten. Eine einzige Bewegung--und alles konnte zusammenfallen, klirrte herab. Und--? Und man stand ohnmaechtig, ausgeliefert und vereinsamt zwischen den anderen. Die nackten Arme halfen nichts. Nicht einmal zu einer Umschlingung, denn man rutschte ab. Fiel hin und war ein Haeuflein nichts. Und was war geschehen? Nichts! Die nackten Arme halfen nichts! Gar nichts! Nur die Kartaetschen der Feinde, Hekatomben auseinandergerissener Leiber. Das Unertraegliche. Die Sinnlosigkeit fuehrte zum Sinn zurueck. "Wollen Sie den Befehl befolgen?!" rief der Unteroffizier jetzt. "Ja!" schrie Nirgend fast ueberlaut: "Ja--am liebsten wuerde ich wieder hinausreiten zu euch. Immer vor! Immer vor muesstet ihr--fuer den Pour le merite!" "Los--los!" plapperte der Unteroffizier veraergert, "reden Sie nicht! Los!" "Ja!" bellte Nirgend abermals, "das ist das deutsche Wesen!" "Marsch!" bruellte der Unteroffizier: "Vorwaerts jetzt!" Und zog ihn in die Mitte. Man ging.-- II. Der Schnee lag tief. Langsam ging es vorwaerts. "Was macht man eigentlich mit mir?" fragte Peter Nirgend auf einmal steif stehenbleibend. Es antwortete niemand. "Los--los!" brummte der Unteroffizier vorne wie fuer sich. Die Soldaten schoben den Gefangenen weiter. "Er hat euch geschunden his aufs Blut.--Ihr habt es selbst gesagt, dass ihr nicht mehr mitmachen wollt," sagte Peter beharrlich und stemmte sich gegen die schiebenden Haende. "Los--los! Wir moechten auch zur Ruh kommen!" stiess der Unteroffizier abermals murmelnd heraus und machte eine halbe Wendung. Einer der Soldaten setzte dem Haeftling das Knie in den Ruecken. "Gibt doch bloss Arrest, Mensch!" sagte der Unteroffizier beilaeufig. Peter Nirgend liess nach. Man watete wieder weiter. Die lange, geschwertete Linie eines spaerlichen Lichtes stach durchs Dunkel. Das war das Gemeindehaus, wo der Arrest abgesessen wurde. Landstuermler versahen dort den Dienst. "Ihr kriecht, bis man euch die Kugel in den Leib jagt!" knirschte Peter. Schweigen. Der Unteroffizier schlug mit der Faust an die Gemeindehaustuer. Mit hochgehobener Petroleumlampe erschien der verschlafene Sergeant in ihrem Rahmen. Der Trupp trat in die wohligwarme Wachstube. Zwei Landstuermler hoben schlaefrig ihre Oberkoerper auf den Pritschen, rieben sich die Augen. Einer davon stieg herab und nahm den Schluesselbund, winkte Peter. "Kommt vors Kriegsgericht! Befehlsverweigerung!" sagte der Unteroffizier zum Sergeant, der den Einlieferungsschein unterschrieb. Eine leise Verachtung schwang mit den Worten mit. Der Landstuermler fuehrte den Haeftling in die letzte Zelle. "Kamerad, leg dich gleich hin und wickle dich fest ein. Es ist kalt," sagte er und trat aus der Zelle, schloss ab. Peter Nirgend blieb lauschend stehen. Jetzt hoerte man die Leute vorne im Korridor. Er ging an die Tuer, schlug fest mit den Faeusten an dieselbe, schrie: "Ich muss dem Herrn Unteroffizier noch was ausrichten!" Und sein ganzer Koerper zitterte. Der Trupp kam den Korridor entlang, oeffnete. "Was ist's denn?" fragte der Unteroffizier aergerlich und trat ein. Die anderen blieben draussen. "Werde ich erschossen?" fragte Peter unvermittelt. "Quatsch! Festung wird's geben!" raesonierte der Unteroffizier: "Was wollen Sie denn?" "Da--da ist eine Blutlache!" rief Peter hastig und deutete auf die Bodenflaeche hinter der Pritsche. Der Unteroffizier trat einen Schritt naeher heran und beugte sich vornueber, hinter die Pritschenecke. Jetzt war der Lichtkreis der Taschenlaterne nur noch ganz klein in der Nische. Peter machte einen ruckhaften Satz, stemmte blitzschnell sein Knie auf den Ruecken des Korporals und schnitt mit aller Gewalt in dessen Hals, tiefer--tiefer. Das warme Blut rann ueher seine Finger. Der Koerper des Ermordeten gab nach, hing schraeg ueher die Pritsche. Die anderen stuerzten herein und warfen sich auf Peter, schlugen auf ihn ein, his er liegenblieb. Ihn ueberleuchtend, sagte ein Soldat zum Gefesselten: "Hund! Morgen stehst du an der Wand!" Peter Nirgend schloss die Augen. Nach einer ziemlichen Weile wurde die Tuer wieder aufgeriegelt. Wieder erschien der hochgehobene Arm des Sergeanten mit der Petroleumlampe, nur diesmal sehr zitternd. Offiziere traten ein. Einer beugte sich ueber den Toten am Boden. Dann trugen zwei Soldaten die Leiche hinaus. "Was haben Sie denn da gemacht!?" fragte der Major Peter. Der schwieg. Kopfschuetteln. Ein Soldat trat ein, stand stramm, erzaehlte den Hergang. "Sowas heisst sich deutscher Soldat!" schnarrte der Leutnant beflissen. Inzwischen trug man ein Tischchen herein. Die Lampe wurde daraufgestellt und der Gerichtsoffizier nahm das Protokoll auf. Nach der Vernehmung des gaenzlich gebeugten, zusammengefallenen Sergeanten und des anderen Soldaten, trat der Leutnant abermals an Peter heran, stiess ihn: "Und Sie?" "Was haben Sie anzugeben?" rief der Gerichtsoffizier gleichfalls ueber den Tisch. Keine Antwort kam. "Kerl!" Schweigen. Das Protokoll wurde verlesen. "Geben Sie das zu?" fragte der Gerichtsoffizier den Angeklagten. Dieser nickte stumm. Kopfschuettelnd verliessen die Offiziere den Raum. Zwei Soldaten der Baukompagnie 14 mit bajonettbepflanzten Gewehren blieben zurueck. Der Tisch mit der Petroleumlampe gleichfalls.-- "Schuft!" knurrte einer der Waechter und versetzte Peter einen Stoss in den Leib. "Du sollst unsere Ueberstunden schmecken, Hund!" fluchte der andere und schlug ihm die Faust ins Gesicht. Muede geworden, setzten sich die zwei Wachhabenden auf das trockene Flecklein des Bodens und zuendeten sich Zigaretten an. "Kamerad! Einen Zug! Einen Zug!" wimmerte mit einem Male Peter flehend. "Ah?" rief der Raucher haemisch, ging an den Gefesselten heran und hielt ihm die rauchende Zigarette unter die Nase: "Riecht gut, Herr Halsabschneider, hm?" "Lass ihn doch! Er ist nicht wert, dass man ihn anschaut!" brummte der andere Soldat. Aber der Angesprochene liess sich nicht abhalten. Da reckte sich Peter stemmend, schrie: "Hasenfuesse!" "Halt die Fresse, Hund!" fielen die beiden ihn an und warfen ihn zurueck, dass die Pritsche knarrte. "Hasenfuesse!" plaerrte Peter wilder. Die beiden hielten die Gewehrlaeufe drohend auf ihn gerichtet: "Noch ein Wort und wir knallen dich nieder!" "Hasenfuesse!" schrie Peter noch greller. Die Waechter schlugen sinnlos auf ihn ein. "Hasenfuesse!" bellte der Gefesselte aus Leibeskraeften: "Hasenfuesse! Hasenfuesse!" Da schossen sie. Das Gehirn peitschte an die Wand. Als der Sergeant und die Landstuermer schlotternd angestuermt kamen, standen sie wie geistesabwesend stramm. Erst als kurz darauf der Leutnant eintrat, meldeten sie zugleich: "Melden Herrn Leutnant, dass wir ihn erschossen haben, weil er uns Hasenfuesse genannt hat." Der Leutnant warf einen fluechtigen Blick auf die Leiche, drehte sich herum und sagte befehlsmaessig: "Gut! Abtreten!"-- Tags darauf diktierte er dem Kanzleiunteroffizier folgende Meldung an das Oberkommando der oestlichen Streitkraefte in die Maschine: "Meldereiter Peter Nirgend, zugeteilt dem Stab der Eisenbahntruppen, wurde wegen Befehlsverweigerung inhaftiert. Weiterleitung des Verfahrens war dem Kriegsgericht der Etappenkommandantuer uebergeben. Nirgend ermordete kurz nach seiner Einlieferung in die Arrestanstaltin seiner Zelle den Unteroffizier der Eisenbahnbaukompagnie 14 Joseph Thiele durch Durchschneidung des Halses. Sofortige Protokollaufnahme durch den Gerichtsoffizier ergab Mord. Exekution wurde auf andern Tag 9 Uhr festgelegt. Infolge fortgesetzter Widersetzlichkeiten gegen die Wachhabenden und Verhoehnung des Feldheeres, mussten die Pioniere Traugott Schloch und Otto Flemming von der Eisenbahnbaukompagnie 14 von der Waffe Gebrauch machen, was den Tod des Nirgend zur Folge hatte."-- Wegen Nachlaessigkeit im Dienst wurde der Arrestsergeant strafversetzt.-- Einige Wochen spaeter stand in einem Tagesbericht des Oberkommandos: "Wegen pflichtmaessiger Ausfuehrung eines Befehls wurden ausgezeichnet mit dem Militaerverdienstkreuz zweiter Klasse laut Beschluss des O.K.d. O.A.: der Pionier Traugott Schloch bei der Eisenbahnbaukompagnie 14, der Pionier Otto Flemming bei der Eisenbahnbaukompagnie 14." MICHAEL JUERGERT I. "Alle Dinge sind eitel." Immer kehrt dieses Wort wieder, wenn der Name Michael Juergert in meiner Erinnerung auftaucht. Viele Male habe ich nachdenkend dieses Leben umschritten wie einen verfallenen, traurigen, raetselhaften Garten. Unruhig suchte ich nach dem Sinn dieses Ablaufs, trachtete danach, all die widerstrebenden Geschehnisse folgerichtig aneinanderzureihen, um moeglicherweise ein erklaerendes Bild zu finden, einen Abschluss, eine befriedigende Loesung. Es gelang nicht. Hoffend, dass mir vielleicht eine Stunde doch noch die Erleuchtung bringt, habe ich--so gut es ging--vorerst nur das nackte Tatsaechliche aus diesem Leben aufgeschrieben, alles so, wie es sich zugetragen hat. Und hier ist es: Michael Juergert kannte seinen Vater nicht. Als er sieben Jahre alt war, erfuhr er von seiner Mutter so etwas wie ein Gestorbensein durch einen merkwuerdigen Unfall. Und einmal beim Maitanz warf ein Knecht in sein Ohr, dass sein Vater "im Suff ertrunken sei". Darum, so hiess es, saesse ja seine Mutter schon all die Jahre im Gemeindehaus und wisse nicht, von was sie leben sollte. Der Bruder von Michaels Vater, der wegen einer Weibergeschichte "ins Amerika durch sei", huete sich wohlweislich, etwas von sich hoeren zu lassen, raunten sich die Doerfler zu, wenn die Rede von den Juergerts ging.-- Nach seiner Schulentlassung kam der etwas schwaechliche Knabe als Knecht in den Reinaltherhof. Es waren vier Knechte und zwei Maegde da. Fuenf Jahre staehlten den wachsenden Koerper, ergossen versteckten und offenen Spott auf Michael. Auf Maria Lichtmess, als er zwanzig Jahre zaehlte, wechselte er seinen Dienstplatz und trat beim Peter Soellinger ein, dessen Gehoeft auf der runden Anhoehe vor dem Dorfe lag. Rechts vom Soellingerhof, nah am Waldrand, hockte die baufaellige Huette des Guetlers Johann Pfremdinger, den man im ganzen Umkreis den "Letzten Mensch" hiess, weil er die bigotte alte Pfanningerin zur Haushaelterin hatte und im allgemeinen sehr schlecht auf die Weiber zu sprechen war. Wenn man ihn aergern wollte, brauchte man bloss eine junge Dorfmagd oder Bauerstochter des Sonntags an seinem Haus vorbeigehen zu lassen.-- Rundherum lagen die Felder Soellingers, weit verstreut die zwei Tagwerk Pfremdingers und oft, wenn der alte Haeusler zur Erntezeit schwerfaellig und muehsam auf den Fusswegen durch die Wiesen des Bauern ging, um auf seine Grundstuecke zu gelangen, sagte der letztere muerrisch zu ihm: "Bist saudumm!--Wennst tauschen taetst mit mein' Rainacker, haettst alles ums Haus ... Aber mit dir kann man ja nicht reden!" "Auf'm Rainacker wachst das nicht wie bei mir," gab ihm der "Letzte Mensch" stets mit der gleichen Beharrlichkeit zurueck und trottete weiter.-- Die Jahre gingen, schwiegen. Der Peter Soellinger wurde unterdessen zum Buergermeister gewaehlt und kam eines Tages in den Stall zu Michael, sagte: "Das geht jetzt nimmer, dass die Gemeinde deine Mutter aushaelt. Bist ein Mordstrumm Mannsbild worden und kannst selber fuer sie aufkommen. Der 'Letzt' Mensch' wird sterben. Die Pfanningerin muessen wir ins Gemeindehaus tun." Michael nickte stumm. "Da draussen kann's nicht bleiben, die Pfanningerin," fuhr der Bauer fort, indem er eine veraechtliche Geste in die Gegend des Pfremdingerhauses machte, "die alte Kalupp' passt grad noch fuer ein' Heustadel." Und wieder nickte Michael stumm. "Herrgott, bist du ein Stock!" stiess der Bauer heraus und ging kopfschuettelnd und brummend aus dem Stall. Die Knechte lachten.-- Michael ging nach Feierabend zu seiner Mutter ins Gemeindehaus und brachte ihr die Nachricht. Die alte Frau sah ihm nur in die Augen. Dann sagte sie: "Ja ja, ist ja auch wahr, die alte Pfanningerin ist ja auch aelter als ich."-- Spaet, nachdem seine Mutter laengst schlief, zaehlte Michael sein erspartes Geld. Zaehlte, zaehlte. Dachte, dachte. Rechnete, rechnete. Am andern Tag, waehrend der Arbeit, hielt er manchmal inne und schaute starr ins Leere. Des oefteren sah man ihn jetzt am Abend in die Pfremdinger-Huette gehen. "Was er nur immer beim 'Letzten Mensch' anfaengt, das Hornvieh!? Moecht wohl gar Haeusler werden?" spoettelten die Knechte, und Soellinger schaute dem fast furchtsam Davonschleichenden mit finsterem Blick nach.-- Die Sterbeglocken klangen duenn durch die Luft. Mit dem alten Pfremdinger ging es zu Ende. Die Pfanningerin, der Pfarrer--und Michael Juergert standen in der niederen Kammer um das Bett. Dann kam noch die Juergertin. Ganz zuletzt erst waelzte sich der Haeusler nochmal herum. Schon drehten sich seine Augen. "Er soll's haben, Hochwuerden! Aber die Haelft' gehoert der Kirch'!" hauchte er schon roechelnd mit letzter Kraft heraus. "In Ewigkeit, Amen," murmelte sich bekreuzigend die alte Pfanningerin. und der Pfarrer sah Michael an, nickte ihm zu. "Hab's denkt, dass er's kriegt, wenn er fleissig in die Kirch' rennt und um den Pfarrer herumscharwenzelt recht bigott! Sowas tragt immer was ein!" war ungefaehr die uebliche Bauern-Nachrede, als es verlautbarte, dass Michael das Pfremdinger-Anwesen vom "Herrn Hochwuerden zudiktiert" bekommen habe. Acht Tage nach dem Begraebnis fuhr Michael auf einem Schubkarren die spaerliche Habschaft seiner Mutter ins Pfremdingerhaus und am darauffolgenden Tag die Sachen der alten Pfanningerin ins Gemeindehaus. Hinter manchem Fenster stand ein spoettischspitzes Gesicht und sagte ungefaehr: "Der hat's leicht. Kann sein Zeug auf dem Schubkarren fahren." Gut ein Vierteljahr war Stille. Wenn die Maeher beim Morgendaemmern auf die Felder gingen, sang immer schon die Sense Michaels unter dem flinken Schleifstein.-- Dann kam das Unglueck. Die einzige Kuh, die im Juergertstall stand, ging ein. Notschlachtung musste vorgenommen werden. Die Bauern kamen, musterten das Fleisch misstrauisch, kauften, schimpften: "Ob er vielleicht nicht wisse, dass die Suppenbeine als Zuwag' dreingingen?" Und einige wieder sagten in beinahe mitleidigem Tonfall: "Ja, mein Gott, Bauer sein ist nicht so einfach! ... Sonst taet's ja jeder machen." Drei Wochen nachher begrub man die alte Juergertin. "Waerst' Knecht geblieben, waer gescheiter gewesen," sagte Soellinger zu seinem ehemaligen Knecht, "wenn's einmal angeht, hoert's nicht mehr auf."-- Michael stuerzte sich in die Arbeit. Der Pfarrer kam ein paarmal ins Haus, sah nach. "Eine Kuh halt, eine Kuh, Herr Hochwuerden!" murmelte Michael hin und wieder dumpf. "Der Herr hat's gegeben--der Herr hat's wieder genommen," antwortete der Geistliche nur.-- Und Michael verkaufte Heu und die zwei letzten Saecke Korn. Droben auf dem schmalen Streifen, ueber den Soellingerfeldern, hatte er dieses im letzten Jahr noch gebaut. Vom Reinalther lieh er sich damals den Fuchsen und den Pflug, ackerte. Und seine Mutter humpelte hinterdrein und saete.-- Es war Ferkelmarkt in Greinau. Die ganzen Bauern aus der Umgegend standen gruppenweise auf dem Platz vor der Gastwirtschaft "Zur Post", handelten hartnaeckig herum mit den Haendlern und kauften endlich. Die eingepferchten Jungschweine machten einen Heidenlaerm, die Pferde scharrten ungeduldig und wurden unsanft zurueckgerissen. Die Wirtsstube war vollbesetzt. Aus und ein ging man, redete, schmauste, und knarrend und knirschend, in scharfem Trab, rollten die Waegelchen davon. Schuechtern kam tief am Nachmittag Michael an. Die Bauern stiessen einander, zwinkerten, tuschelten spoettisch. "Jesus! Jesus! Jetzt wird's besser, der Michl kauft Ferkel!" lachte der pralle Postwirt aus einer Gruppe und alle richtetengeringschaetzige Blicke auf den Haeusler. Schweigsam und scheu umschritt der die Ferkelsteigen. Es wurde schon leerer auf dem Platz. "Pass fein auf, dass sie dir nicht im Sack ersticken, Michl!" warf der Soellinger ruelpsend auf den Wagen steigend Michel zu, als er sah, dass dieser zwei lautgrunzende Jungschweine in seinen Sack zog. Sein haemisches Lachen schnitt die Luft auseinander.-- Daemmer stieg schon von den Feldern auf. Nacht sickerte gelassen vom Himmel. Michael schritt beschwerlich aus. Die Schweine rumorten immerzu im Sack auf seinem Ruecken. Er musste fest zuhalten, dass ein lahmer Krampf langsam in seine Arme rieselte. Aber die bogen sich wie aus Eisen von der Brust ueber die Schulter.-- Die Schritte hallten vereinsamt. Stille.-- Jetzt waren auch die Schweine still geworden, ganz still. Auf einmal merkte es Michael. Ein Schreck durchfuhr ihn. Jaehe Mattigkeit fiel bleischwer in seine Kniegelenke. Er ruettelte den Sack vorsichtig, fast wie einer, der zwischen Hoffnung und Angst vor der Gewissheit schwankt und nicht mehr aus noch ein weiss. Nichts. Er ruettelte staerker. Nichts.-- Inzwischen war er an der schmalen Bruecke, nah vor dem Huegel angelangt, auf dem das Soellingergehoeft mit gelben Augen sass. Der Bach murmelte gleichmaessig versunken. Schweisstriefend zerrte Michael den Sack auf die Bruecke, wollte--in unseliger Verzweiflung blitzhaft an den Spott Soellingers denkend --nachsehen. Da--da--wupp!--fiel der Sack in die Tiefe. Es platschte. Breite Ringe warf das Wasser und jetzt plaerrten ploetzlich die Schweine heulend auf. Es gurgelte etliche Male und war jaeh grauenhaft still. Mit einem furchtbaren Aufschrei sprang Michael ins Wasser, tappte wie ein schwimmender Hund ungelenk auf der Oberflaeche herum, weinte, hustete, tauchte, schrie, bruellte.-- Am aendern Tage fischten die zwei Knechte des Buergermeisters den leeren zerrissenen Sack mit den Heugabeln aus dem Wasser und spiessten ihn auf einen Zaunpfahl vor Michaels Haeuschen. Dann klopften sie. Aber niemand gab an.-- Das ganze Dorf lachte knisternd. Als man drei Tage niemanden aus--und eingehen sah beim Juergert, schickte Soellinger den Nachtwaechter und Gemeindediener Peter Gsott hinaus. Der klopfte wieder und wieder, drohte mit wuetenden Fluechen, als niemand angab und holte dann den Schmied zum Tueroeffnen. Die beiden fanden Michael in der Schlafkammer ganz starr auf dem Bettrand sitzend und wie irr ins Leere glotzend. Einen Augenblick zwang ihnen dieser Zustand Schweigen ab. Endlich sagte der Schmied: "Was hast' denn, dass' dich einsperrst, Michl?" Aber der Angesprochene machte nur mit der Hand eine lahme, wegwerfende Geste. "Deinen leeren Sack haben die Soellingerknecht' gefunden! Die Ferkel selber sind ersoffen," sagte dann der Gemeindediener. Als beide sahen, dass Michael beharrlich mit der gleichen Apathie antwortete, gingen sie und meldeten dem Buergermeister, dass der "spinnerte Kerl" schon noch lebe. Er sei, meinten sie, nur ein wenig irr noch.-- Im Dorf ging daraufhin die Rede: "Der Michl hat's Spinnen angefangen wegen der ersoffenen Ferkel." Michael sah man nur ganz selten seit diesem Vorfall. Hoechstenfalls bog er einmal scheu ums Hauseck und eilte dem Wald zu.-- Um diese Zeit kam zum Buergermeister Soellinger eine seltsame Nachricht aus Amerika, betreffend die Familie Juergert und deren Nachkommen. Der Bauer, der sich, wie er sich ausdrueckte, "darin nicht rechtauskannte", schickte zum Pfarrer und dieser entzifferte endlich, dass die Familie Juergert (Ueberlebende oder Nachkommen) infolge des Todes eines Bruders des verstorbenen Vaters Michaels zur Generalerbin einer ausserordentlich hohen Hinterlassenschaft in barem Geld eingesetzt sei und den Betrag von einer Bank in Hamburg einverlangen koennte, sobald der Nachweis der Erbberechtigung erbracht sei.-- Als der Pfarrer, der selber ein wenig zitterte, dies dem Soellinger auseinandersetzte, erbleichte dieser sichtlichund sank wie vom Schlag getroffen in einen Stuhl. "Ruhig beibringen, ist das beste. Ich geh' selber zu ihm hinaus," sagte der Geistliche nach einigem Schweigen, nahm seinen Hut, steckte das Papier zu sich und begab sich zu Michael. Ins Haus getreten, bemerkte er diesen doesig neben dem Herd hockend, und als der geistliche Herr in sanftem, vorsichtigem Tonfall seinen Namen rief, sprang er ploetzlich auf, schluepfte, so schnell es nur ging, furchtgepackt in das russige Holzloch unter dem Ofen und gab keinen Laut von sich. Eine gute Weile stand der Geistliche ratlos da. Endlich fand er wieder zum Entschluss zurueck. "Geh heraus, Michl," sagte er sanft, "wir wollen wieder eine Kuh kaufen und Ferkel." Michael raekelte sich erst und schluepfte dann vollends aus dem Loch. Seine Blicke waren mit einer schmerzvollen Bitthaftigkeit auf den Pfarrer gerichtet. "Und dein Haeusl, Michl, das werden wir auch wieder richten lassen. Es ist arg baufaellig," ermunterte dieser den Zoegernden. Und als Michael endlich aufrecht stand, nahm ihn der Gottesmann mild am Arm und zog ihn sacht hinaus ins Freie. Frische Fruehe lag ueher den Feldern. Die Wiesen dufteten schwer. Die Sonne stieg langsam in die Mittagshoehe.-- Wie zwei Kranke schritten die beiden dahin. Der Soellinger wagte nicht herauszutreten, als sie vorbeikamen. Er lugte nur schweigend durchs Fenster. Im Pfarrhaus angekommen, sagte der Geistliche zu Michael: "Du musst jetzt eine Zeitlang bei mir bleiben. Die Marie wird dir ein Zimmer einrichten, bis dein Haeusl fertig ist. Bis dahin ist auch wieder Viehmarkt in Greinau." Und als verstuende er von alledem nichts, als hoere er nur eine erleichternde Melodie aus den Worten, stand Michael da und schwieg. Allmaehlich glaettete sich sein bangvolles Gesicht und eine aufatmende Ruhe glaenzte in seinen Augen. Drei stille Wochen glitten him. Jeden Tag sassen die zwei zusammen in der Pfarrstube oder gingen wohl manchmal im Garten umher. Langsam wurde Michael ruhiger. Aber von Zeit zu Zeit konnte man ein boeses Aufblitzen auf seinem knoechernen, schweigend gefalteten Gesicht wahrnehmen. Die vaeterliche Arglosigkeit seines Pflegers aber machte ihn nach und nach etwas zutraulicher und offener. Manchmal des Abends, wenn der Geistliche aus einem Betbuch laut einige Stellen vorlas, hob der Haeusler den Kopf und lauschte sichtlich aufmerksamer. Ein friedlicher Hauch hob Stueck fuer Stueck von dem Feindseligen ab, das hinter den Falten bruetete, und lebendiger kreisten seine Augen. Endlich nach einem Monat eroeffnete der Pfarrer seinem Pflegling die Nachricht aus Amerika. Michael hoerte stumm zu. Er schien anfaenglich nicht zu begreifen. Dies erkennend, legte der Geistliche das Papier auf den Tisch. "Du bist jetzt ein reicher, sehr reicher Mann geworden, Michl," sagte er, "du kannst dir hundert Kuehe kaufen, ein Haus und soviel Ferkel, als du willst. Es ist von jetzt ab keiner mehr im ganzen Umkreis, der nur ein Drittel soviel Geld hat wie du. Begreifst du? Gott hat dir geholfen. Es geht alles seinen gerechten Gang, wenn er es will." Michael schien die letzten Worte nicht mehr zu hoeren. Seine Augen waren auf einmal weit geworden. Eine Gier flackerte in ihnen und der ganze Ausdruck seines Gesichts war ploetzlich voellig veraendert. "Ich--ich kann also auch das Soellingerhaus und das vom Reinalther kaufen?" fragte er hastig und gedaempft. "Das kannst du, wenn sie wollen," nickte der Geistliche, "du kannst zehn solche Haeuser kaufen, wenn du willst." "Zehn....!?" stiess Michael lauernd heraus und bohrte seine Blicke in die Augen des Pfarrers. "Es ist sehr viel Geld," gab der zurueck. "Und," fuhr Michael noch leiser, fiebernd vor Unruhe, scheu, als lausche an den Waenden irgendein ungebetener Gast, fort: "Und ich krieg' das ganze Geld in die Hand. Ich brauch' nur schreiben lassen?" "Ja, wenn Du willst." "Ja ...!! Ja, gleich! Gleich! Ich will!" schrie Michael verhalten. "Gut," sagte der Pfarrer und ging an den Tisch, "ich schreibe." "Und ... und die Haeuser vom Soellinger und--und vom Reinalther?" fragte Michael beharrlich. "Die ...? Ich kann mit ihnen reden," antwortete der Geistliche, waehrend er schrieb. Dann liess er Michael unterzeichnen.-- II. Im Dorf ging ein Schweigen um. Langsam verbreitete sich die Kunde von Michaels Erbschaft. Betroffenen Gesichts raunten sich die Bauern die Neuigkeit zu.-- Der Baumeister von Greinau, Michael Lindinger mit Namen, wurde ins Pfarrhaus geladen. Michael laechelte schraeg, als der Mann eintrat und beauftragte ihn, einen Plan fuer ein neues Haus zu bringen. Trotz der Einwendungen des Pfarrers wurde der Umbau des alten Anwesens abgelehnt. Michaels Rede war jetzt sicher geworden, fast bestimmt. "Ein neues Haus muss her!" sagte er beharrlich. Und der andere Michael erwiderte pfiffig: "Ja--schon lieber was Neues als Flickwerk. Das taugt ein paar Jahr', dann geht's wieder von vorn' an." Diese Beipflichtung entwaffnete den Geistlichen. Der Plan wurde gefertigt. Der Auftrag gegeben. Die ehemalige Pfremdinger-Huette krachte zusammen mit allem, was sie barg. So hatte es Michael gewuenscht, steif und fest. Alles Dawider des Pfarrers nuetzte nichts. Krachte zusammen. Und die Doerfler standen herum, schwiegen, staunten, starrten. Vom Pfarrhausfenster aus ueberschaute Michael den Vorgang. Auf einmal begann der Hausrist zu wanken, broeckelte, krachte. Die Herumstehenden rannten auseinander und zuletzt war minutenlang eine ungeheure Staubwolke. Dann, als es wieder lichter geworden war, lag ein riesiger Truemmerhaufen da. Deutlich sah Michael, wie einige die Koepfe schuettelten. Eine Weite dehnte seine Brust. "Das ist nicht recht," rief der Pfarrer hinter ihm. Michael hatte ihn nicht eintreten hoeren und riss sich erschrocken herum. Reglos und stumm standen sich die beiden gegenueber.-- Seitdem begegnete Michael seinem Pfleger mit verstocktem Schweigen. Mied ihn.-- Der Bau wurde begonnen. Jeden Abend kam Lindinger ins Pfarrhaus und berichtete ueber den Stand, machte Vorschlaege, legte Rechnungen vor. Sein fast beteuerndes, sich immer wiederholendes: "S'ist wahnwitzig teuer, die Sach', wahnwitzig teuer," liess Michel laecheln. "Macht nichts, macht gar nichts," erwiderte er stets. "Ja--es ist gut, dass' wieder Arbeit gibt," meinte dann der Maurermeister meistens und ging. Kaum war er draussen, schrumpfte Michaels Gestalt im Lehnstuhl zusammen. Das Kinn schob sich vor. Nur die Pupillen kreisten im Raum.-- An einem der Abende, als eben der Maurermeister das Zimmer Michaels verlassen hatte, trat der Pfarrer ein. Michael erhob sich und wandte ihm den Ruecken zu.-- "Gelobt sei Jesus Christus!" brachte der Geistliche nach einigem Schweigen heraus. Ohne sich umzuwenden, nickte Michael. Dann ging er ans Fenster, deutete in die Talmulde, die der erste Mond silbern bestrich. "Haehaehae--hae! Wird hoch der Turm, hoch!" keuchte er, reckte den Kopf stoerrisch vor, nahe an die Scheibe: "Wenn man ganz droben ist, muessen schon die Wolken angehen!" Unschluessig stand der Geistliche. Schwieg. "Zum Soellinger kann ich hinunterschaun und aufs ganze Dorf!" redete Michael weiter, ohne ihn zu achten. "Die zwei Kirchenfenster?" fragte endlich der Geistliche fast schuechtern und hielt ploetzlich mitten im Wort inne, als sich Michael nunmehr hastig umwandte. "Zwei ...?! Sechs! Sechs Fenster ...--und neue Glocken, damit ich's hoer' in der Frueh!" ueberfluegelte dieser ihn, "da muss die Luft zittern, wenn die laeuten!--Schafft sie an! Morgen! Gleich! Gleich! Und drei neue Messgewaender!--Muessen fertig sein zum Jahrtag meiner Mutter! Bestellt's! Bestellt's auch gleich!--Gleich!" Wie von einem wilden Strudel dahergetragen stuerzten die Worte heraus.-- Mit sehr ernstem Gesicht verliess der Pfarrer fast traumwandlerisch das Zimmer. Lange noch hoerte ihn die Marie im Zimmer auf- und abgehen und laut beten. Klare, kalte Maerztage zeigten das hereinbrechende Fruehjahr an. Michael ging manchmal aus. Selten suchte er den Bau auf. Nie beschritt er ihn. Immer bog er scheu ums Dorf und stapfte auf die Sandgrube zu, aus der man den Kies fuer sein Haus holte. Es schien ihn dort etwas zu interessieren. Er stand meistens oben am Rand und ueberschaute die zackige Mulde. Boehmen und Italiener arbeiteten auf Taglohn dort und sprengten hin und wieder einen Felsen, wenn an einer Stelle der Kies ausging.-- Eben lud man wieder. Michael war ganz nah herangekommen, stand wie witternd, mit spaehendem, vorgebeugtem Kopf da und sah aufmerksam auf jede Bewegung des Lademeisters. "Und das--das reisst alles ein?--Mit einem Krach?" fragte er diesen gespannt. Der Mann nickte und murmelte ein paar unverstaendliche Worte. Dann entzuendete er ein Streichholz und steckte die Zuendschnur an. Alles rannte aus der Grube, wartete bis es knallte. Als dies geschehen war und die Leute wieder in die Grube zurueckgingen, sah man Michael im Tuerrahmen des Werkmeisterhauses stehen. Er liess sich das Pulver zeigen, rieb es merkwuerdig lange auf seiner flachen Hand und sagte harmlos zum Werkmeister: "Und so ein Staub hat's drinnen, dass alles in die Luft fliegt?--Hm--hm--hm!" Ging wieder.-- Der Nachtwaechter Peter Gsott glaubte bemerkt zu haben, dass eine maennliche Gestalt am Rand der Sandgrube auftauchte, sich schwarz vom bleichen Mondhimmel abhob, dann aber ploetzlich, wie in den Erdboden gesunken, verschwand. Der Werkmeister schimpfte die Sprenger, dass sie soviel Pulver brauchten. Es entstand ein Streit. Ein Italiener bruellte, dass die ganze Grube hallte. Auf einmal kam man ins Handgemenge. Ein furchtbares Raufen entstand. Der Werkmeister bekam einen Schlag auf den Kopf und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Am aendern Tag verhafteten die Gendarmen von Greinau zwei Boehmen und einen Italiener, der beim Soellinger auf der Tenne logierte. Er hatte sich im Taubenschlag verkrochen und als man ihn herunterholte, stiess er furchtbare Drohungen auf den Buergermeister aus, die aber niemand verstand. Anscheinend glaubte er, die Leute haetten ihn verraten. Michael begegnete der Haftkolonne und sah sich die drei Burschen sehr genau an. Spaeter trat er ins Buergermeisterhaus und oeffnete die Stubentuer hastig. Der Soellinger war im Augenblick so erstaunt, dass er foermlich aufschrak und kein Wort fand. Saeulenstarr stand er da und heftete seinen Blick auf den naehertretenden Michael. Gemessen kam dieser heran, ganz nahe und eine ungeheure Spannung lag in seinem Gang. "Gibst dein Haus nicht her?" fragte er den stummen Bauern lauernd. "Nicht?" wiederholte er, als der verneinte und mass ihn scharf von der Brust bis zur Stirn. "Ich ...!?" fand endlich der Soellinger das Wort. "Ja?" "Solang ich leb' nicht!" schrie der Buergermeister schroff, als wolle er sagen: "Was willst denn du auf einmal bei mir?" "Es passt mir nicht vor meinem Turm," sagte Michael tonlos und sproede und laechelte hoehnisch in sich hinein. Draussen, vor der Tuer, hoerte er noch den Schlag der Soellingerfaust auf die Tischplatte. III. Richtig, der eine von den Boehmen lud damals den Felsen, erinnerte sich Michael. Und der Italiener, der aus Soellingers Taubenschlag geholt worden war, stand neben ihm, als es krachte. Dem konnte man nichts nachweisen und musste ihn nach vier Tagen wieder aus dem Amtsgerichtsgefaengnis entlassen. Nun strolchte er mit finsterem Gesicht herum, und da bei den Bauern von alt her der Aberglaube herrschte, dass solche Kerle mit ihren Verwuenschungen kraft einer innewohnenden daemonischen Macht Schaden und Unglueck anrichten koennten, so wagte keiner etwas gegen sein Kampieren in Heustaedeln und Tennen einzuwenden.-- An einem Aprilnachmittag traf ihn Michael auf der Waldstrasse, ging entschlossen auf ihn zu und sprach ihn an. "Habt's keine Arbeit mehr kriegt?" Offenbar verstand der Angesprochene dies, denn er nickte finster. "Geht's zu meinem Bau. Verlangt's den Lindinger und sagt's, ich hab Euch geschickt," sagte Michael. Am aendern Tag schleppte der Italiener auf dem Bau Moertel.-- Das Haus wuchs. Der Turm der Vorderfront bedurfte nur noch des Dachstuhls. Beim Soellinger wurde eingebrochen. Man nahm wieder den Italiener fest, obwohl ihn niemand angezeigt hatte. Da man ihm aber nichts nachweisen konnte, entliess man ihn abermals. Michael traf ihn am Pfarrhaus, nickte schon von weitem gruessend und hatte ein Laecheln wie ungefaehr: "Gut so!" Und wieder arbeitete der Italiener auf dem Bau, finster gegen jedermann, verschlossen und wortkarg, nur etwas aufgetaner zu Michael.--Die Kirche war nun jeden Sonntag drueckend voll. Die sechs Fenster strahlten ihren vielfarbigen Prunk ueber die Koepfe der Betenden. Einen Monat spaeter erschollen die neuen Glocken erstmalig. Und in der Luft schwang ein Surren weithin. Wenn man jetzt Michael sah, lag ueber seinem Gesicht etwas wie ein leuchtender, verschwiegener Triumph. Der April zerging in Regen, Schneegestoeber und fluechtigen Sonnentagen. Die ersten Maitage liessen die grauweissen Waende des Neubaus sehr schroff leuchten. Man konnte Michael manchmal mit dem Baumeister durch die Raeume schreiten sehen. Die Schreiner brachten Moebel. Es ging dem Vollenden zu. Es war wahr, was der erste Knecht vom Reinalther sagte: "Einen solchen Stall trifft man so schnell nicht mehr." Und: "Eine Lust muesse es sein, dort zu arbeiten." Aber der Soellinger warf veraechtlich hin: "Was hilft ihm das schoene Haus und alles, wenn er kein Grundstueck hat!" Und aus den Reden der Doerfler am Biertisch konnte man deutlich heraushoeren, dass keiner bereit war, auch nur ein Tagwerk von seinen Gruenden abzugeben. "Unser Heu bleibt unser Heu," sagte der Gleimhans. Und alle nickten. "Der kommt schon und will einen Grund!--Aber da bleibt ihm der Schnabel sauber!" brummte der Reinalther. Der Soellinger blickte duester drein und schwieg.-- Pfarrer und Ministrant gingen mit Michael durch die Raeume des neuen Hauses, beweihraeucherten und besprenkelten alles. Eine Woche spaeter trieben drei Viehtreiber wohl an die zwanzig Kuehe auf der Strasse von Greinau her ins Dorf und lieferten sie bei Michael ab. Der wohnte schon vier Tage in seinem Haus. Zwei fremde Maegde, ein Knecht und jener Italiener, den man von der Sandgrube davongetrieben und verhaftet hatte, waren da. Und Heufuhren kamen an. Ganz fremde Gesichter blickten von den leeren Wagen herunter, die durchs Dorf ratterten. "Wenn er jeden Pfifferling kaufen muss, wird die Herrlichkeit bald ein End' haben," brummten die Bauern, "mit den paar lumpigen Wiesen kann er grad' eine Kuh fuettern." Nach etlichen Wochen kam eine Magd Michaels zum Reinalther und zum Gleimhans und richtete aus, die Bauern sollten zu ihm kommen. "So--!? Sonst nichts....?!" rief der Reinalther hoehnisch und schaute das dralle Frauenzimmer haemisch an, "sagst, er soll sich einen aendern Dummen suchen!" Und--: "Der hat grad so weit zu mir her!" fertigte der Gleimhans die Botschaftbringerin ab.-- Gleichsam, als haette man sie ohne jeden Grund persoenlich beleidigt, kam die Magd zurueck und berichtete Michael das Verhalten der beiden Bauern. "Geh!--Ist schon gut!" schnitt dieser ihr das Wort ab, als sie gespraechiger werden wollte. Seine Zuege veraenderten sich nicht. Nur seine Augen glommen einmal funkelnd auf.-- In der Wirtsstube Simon Lechls herrschte diesen Abend ein belebteres Gespraech. "Jetzt wird er langsam angekrochen kommen und Gruend' wollen," brummte der Reinalther. "Da kann er alt werden!" erwiderte der Gleimhans. Und alle nickten. "Mit seinem Geldhaufen ist er gar nichts!" sagte der Lechlwirt: "Gruend' machen den Bauern!" "Das ist's!" bestaetigte der Soellinger. Und wieder nickten alle.-- IV. Die Jahre verstrichen. Das kahle, grell leuchtende Haus am Waldrand nahm mehr und mehr eine verwitterte Farbe an. Bisweilen, wenn die Scheune leer war, sah man die schwarze Kutsche Michaels in scharfem Trab aus dem Dorf rollen, Greinau zu. Vorne auf dem Bock sass der Italiener mit finster gefaltetem Gesicht und schaute nicht nach links und nicht nach rechts. An den darauffolgenden Tagen knarrten dann meistens schwerbeladene Heufuhren auf der Greinauer Strasse daher und fuhren durchs Hoftor Michaels. "Nette Wirtschaft!" brummten die Bauern: "Jeden Bueschel Futter muss er kaufen!" Und halb war es Missmut, halb Schadenfreude, was auf ihren Gesichtern stand. Die Ernten in dieser Gegend waren mehr als ueberreichlich. Die Aufkaeufer, die aus der Stadt kamen, hatten es leicht und konnten anmassend sein. Sie minderten die Preise, wo und wie immer es nur ging. Die Transportkosten his zum Bestimmungsort mussten die Bauern tragen. Es kostete stets einen ganzen Tag Zeit, wenn ein Doerfler seinen verkauften Hafer, sein Korn oder Heu nach Greinau auf den Bahnhof fuhr und dort in den Waggon lud. In die "Ferkelburg" aber, wie man Michaels Haus nannte, fuhren fremde Heuwagen!-- Michael war fast nie zu sehen. Er sass in seiner Turmkammer und sann. Gruebelte, als warte er auf etwas. Gleichmaessig und ereignislos verlief die Zeit. Durch irgendeinen findigen Kopf angeregt, war die ganze Doerflerherde um Greinau darauf gekommen, dass eine Eisenbahnlinie gerade in dieser Gegend notwendig sei. Eine Vereinigung bildete sich, wurde "Lokalverband der Eisenbahninteressenten" genannt. Eine Eingabe um die andere bestuermte das Ministerium. Die Regierung nahm endlich Kenntnis davon, der Landtag sprach sich befuerwortend aus. Die Eisenbahnlinie wurde genehmigt.-- Michael verfolgte die Berichte im "Greinauer Wochenblatt" eifrig. Man sah ihn jetzt oefters am Gemeindekasten vor dem Buergermeisterhaus stehen und die Anschlaege lesen. Vom Soellingerhuegel aus konnte man das ganze hingebreitete Land uebersehen. Da stand er auch. Und nicht selten. Oft sogar lange.-- An jenem Tag, da die amtliche Bekanntmachung von der Genehmigung der Eisenbahnlinie angeschlagen war, wandte er sich behend, wie von einer verhaltenen Freude ergriffen, herum und ueberblickte die Weiten. "Hm!--Jetzt!" stiess er ploetzlich heraus, nickte etliche Male und ging zuversichtlicher von dannen. Erst nachdem er in der Tuer der Ferkelburg verschwunden war, trat der Buergermeister aus seinem Haus und heftete die Bekanntmachung der grossen Versammlung im Gasthaus "Zur Post" in Greinau in den Kasten. Am darauffolgenden Sonntag war der Tanzsaal der Postwirtschaft zum Bersten voll. Die Bauern aus der Ganzen Umgebung waren zusammengestroemt. Die bejahende Entschliessung der Regierung wurde bekanntgegeben. Die ganze Versammlung bruellte und klatschte begeistert. "Eine Bahn muss her!" erscholl von allen Seiten. Es gab schwere Raeusche.-- Schon nach einer knappen Woche erschienen die Vermessungsbeamten im Dorf und wurden mit ehrwuerdiger Neugier empfangen, durchschritten die Felder, steckten weiss-rote Stangen auf, kamen immer naeher an die Haeuser heran, zogen eine Linie durch Reinalthers Garten, ueber das Gehoeft Soellingers hinweg.-- Die Haende in den Hosentaschen, schweigend und gewichtig, sahen ihnen die Bauern erst zu. "Also so ging's?" fragte der Gleimhans einen Vermesser. "Jawohl, ganz so," erwiderte dieser und war schon wieder weiter. "Hm!" brummte der Gleimhans, hob den Kopf und sah den Reinalther verwundert an. "Muesst also mein halber Garten weg?" sagte dieser und sah den Geometern nach. Die entfernten sich mehr und mehr. Weiter ging es--ueber das Gehoeft Soellingers hinweg. "Hoi--Hoi! Da waer demnach das ganze Buergermeisterhaus im Weg!" stiess jetzt der Reinalther fast entsetzt heraus und sah betroffen, mit offenem Maul, auf Gleimhans. "Das wird sauber!--Gibt's nicht!" schrie dieser wuetend und straffte seine Gestalt. "Und--schau nur!--durch meine schoensten Gruend' gings'!" rief der Reinalther, als eben die Vermesser die Linie durch seine Weizenlande zogen, faeustete seine Haende drohend und polterte gleichfalls: "Gibt's nicht!" Und auf der Stelle gingen die beiden zum Soellinger hinauf und erhoben lebhaften Einspruch gegen dieses Vermessen. "Dein Haus soll weg! Dein Haus, Soellinger! Und unsere schoensten Gruend' wollen's!" schrie der Reinalther aufgebracht. Und der Gleimhans, der sich schon wieder ermannt hatte, sagte drohend: "Sollen kommen und mir durch meinen Acker bauen!" Der Buergermeister war wutrot his hinter die Ohren, schlug gewaltig in den Tisch und rief ebenfalls: "Gibt's nicht! Gleich morgen fahren wir zum Bezirksamtmann!" Als die beiden Bauern aus dem Buergermeisterhaus traten, stand Michael am Rande des Huegelrueckens und sah den Vermessern gespannt nach. "Hm,--der Michl!" brummte erstaunt der Reinalther. "Den freut's, weil's ihm keine Gruend' nehmen koennen!" stiess der Gleimhans wuetend heraus.-- Das ganze Dorf war am naechsten Tag in Aufruhr. Man riss ueberall die weiss-roten Stangen heraus, zerbrach sie. In aller Fruehe schon fuhren Soellinger, der Gleimhans und Reinalther nach Greinau zum Bezirksamtmann und verlangten schimpfend eine sofortige Regelung der Angelegenheit. Sie schrien, fluchten und drohten zuletzt auf das gefaehrlichste. Der Bezirksamtmann rannte erregt in seinem Arbeitszimmer auf und ab, gewann aber dann die Ruhe wieder und zuckte mit den Achseln: "Ja, meine Herren, wenn keiner durch seinen Acker die Linie laufen laesst, dann gibt es eben keine Bahnstrecke!" "Wir pfeifen auf eine!" riefen die drei Bauern zugleich. Der Bezirksamtmann machte ihnen klar, dass der Beschluss der Regierung nicht rueckgaengig gemacht werden koenne, dass doch angemessen entschaedigt werde und dass "die Herren der betreffenden Instanzen doch keine Kindskoepfe seien und doch--" "Das ist uns gleich! Die Bahn kommt nicht! So nicht!" fuhr ihm der Soellinger ins Wort und vertrat starrkoepfig den Standpunkt seiner Begleiter. Schliesslich nach langem Hin und Her wurde beschlossen, eine Versammlung der "Eisenbahninteressenten" einzuberufen.-- Bis auf die Strasse heraus standen am naechsten Sonntag die Bauern, die sich beim Postwirt in Greinau zusammengefunden hatten. Zeitweilig entstand ein gefaehrliches Gedraenge nach der Saaltuer. Furchtbar stuermisch ging es zu. Ein Regierungsvertreter war erschienen. Er wurde niedergeschrien, als er betonte, dass "wenn die Abgabe der Gruende nicht gutwillig geschaehe, einfach abgeschaetzt wuerde." Einfach abgeschaetzt!--Einfach abgeschaetzt!!! Was sollte denn das heissen? Etwa gar, dass einem einfach die Aecker genommen wuerden!? Die Bauern wurden wild, standen auf, richteten sich drohend gegen die Tribuene. Die auf der Strasse Stehenden zwaengten sich gewaltsam herein. "Gibt's nicht!" schrie der ganze Chorus. Ein ungeheurer Laerm erhob sich. Alles machte Miene anzugreifen. Der Bezirksamtmann fuchtelte voellig ratlos mit den Armen. Der Assessor schwang wehrlos die Glocke. Es half alles nichts. Der Laerm wurde nur noch aerger. "'naus!--'naus! 'naus aus unserm Gau!" bruellte der ganze Saal. Saftige Grobheiten flogen den Herren da droben an den Kopf. Als nichts mehr auf die tobende Schar einwirken konnte, schrie der Bezirksamtmann heiser: "Die Versammlung ist geschlossen!" und verschwand eiligst mit dem Herrn von der Regierung. Die rebellischen Bauern wurden allmaehlich wieder ruhiger, betranken sich weidlich und hielten die Sache fuer gewonnen. Ohne besonderen Zwischenfall verliefen die naechsten Tage.-- In seinem Turmzimmer ging Michael auf und ab, blieb hie und da stehen, hob rasch den Kopf und laechelte schmal. Und frueh am Morgen, him und wieder, schritt er ueher die nebeligen Felder.-- Inzwischen wurde der Bau der Eisenbahn im Landtag zum Beschluss erhoben. Soweit liess man sich noch ein, dass man Soellingers Haus umkreiste. Dafuer aber lief jetzt die Linie durch seine besten Getreideaecker. Und war beschlossene Sache! Naechstes Fruehjahr sollte die Strecke in Angriff genommen werden. Beim Soellinger liefen die amtlichen Schriftstuecke ueber die abzutretenden Grundstuecke ein. Die Bauern standen vor den Anschlaegen mit verbissenen Gesichtern, brummten und fluchten. Eine furchtbare Erbitterung hatte das ganze Dorf ergriffen. Aber es half alles nichts. Alles nichts! Und die Schaetzpreise waren spottniedrig. Es gab kein Zurueck mehr. Missmutig fuegten sich die Bauern. "Eine Bahn! Eine Bahn! hat alles geschrien!--Jetzt haben wir's!" polterte der Gleimhans beim Lechl; "ich hab's immer schon gesagt: es kommt nichts Besseres nach! Wo man mit der Regierung zu tun hat, ist Schwindel!" Und die anderen, die am Tisch sassen, sahen ihn finster an. Finster und besiegt, ueberlistet und ratlos. "Muessen ja doch! Hilft uns alles nichts!" brummte der Reinalther und spuckte wuetend aus. Und manchmal sagte ein Veraergerter: "Ach was,--ich verkauf mein ganzes Zeug dem Juergert und mach' ihm einen saftigen Preis! Dann kann der sich mit der Regierung herumstreiten!" Kaum einer--so schien es--hoerte darauf. Aber dann wiederholte es sich des oefteren. Schuechtern klang es erst. Allmaehlich erzeugte es nachdenkliche Gesichter und dann--dann sah man eines Tages den Reinalther aus der "Ferkelburg" herausgehen. Keiner fragte nach dem Grund dieses Besuches. Zwei-, dreimal wiederholte er sich und wieder einmal fuhr die schwarze Kutsche aus dem Tor der "Ferkelburg". Reinalther und Michael sassen hinten drinnen, der Italiener auf dem Bock. Es ging Greinau zu. "Warum hast deine Alte nicht mitgenommen?" fragte Michael im Dahinfahren. "Brummt und brummt bloss! Hat keinen Verstand fuer so was!" antwortete der Bauer mit leichtem Aerger. "Hat's doch schoen jetzt! Kann sich in die Stub'n sitzen und privatisieren!" meinte Michael fast ermunternd. "Freilich! Das hab ich ihr doch schon hundertmal gesagt! Aber sie meint halt immer: 'Der Feschl! Der Feschl--wenn er von der Fremd' kommt--koennt' eine schoene Metzgerei aufmachen und hat jetzt auf einmal keine Heimat mehr!" redete der Reinalther in die Luft, als spraeche er mit sich selbst. "Aber Geld hat er! Einen Batzen Geld!" erwiderte Michael darauf. Und der Bauer nickte: "Das mein' ich eben auch!" Nachdem sie das Notariat verlassen hatten, lag auf Michaels Gesicht eine freudig erregte Farbe. Er lud den Reinalther sogar zu einem richtigen Schmaus ein und der wurde nach dem zweiten Krug schon gespraechig. "Waeren noch andere im Dorf, die ihr Zeug anbringen moechten, sag ich dir, Michl, brauchst dich bloss dranmachen," schwatzte er vertraulich ueber den Tisch. "Brauchen bloss kommen,--alle nimm' ich!" gab ihm Michael zurueck. Ueber Reinalthers Gesicht huschte eine wohlige Roete. Offen und richtig freundschaftlich betrachtete er seinen ehemaligen Knecht. "Weiss dich noch, wie'st mein Knecht warst, Michl," erzaehlte er, "haett'st dir auch den Buckl krumm gearbeit', wenn dein Amerikaner nicht ins Gras 'bissen haett'!" Und Michael nickte und schloss mit einem: "Jaja, so ist's auf der Welt hie und da!" Dann fuhren sie wieder ins Dorf zurueck. Der Reinalther durfte in seinem Haus bleiben und sass von jetzt ab Tag fuer Tag beim Simon Lechl in der Wirtsstube. Oft kam er angeheitert nach Hause. Dann brummte sein Weib: "Wirst noch grad so wie der ersoffene Juergert." "Hab'ns doch, Alte! Hab'ns doch!" groehlte dann der Bauer bierselig heraus.-- V. Wie immer bei solchen Gelegenheiten, griff die Veraenderung der Sachlage mehr und mehr in das Leben eines Teiles der Doerfler ein. Die Kleinhaeusler fristeten hierzulande ein hartes Dasein. Ihre kaerglichen Feldstreifen trugen wenig. Jeder von ihnen war gezwungen, zur Erntezeit und waehrend des Winters, beim Holzen, bei den Bauern auf Taglohn zu arbeiten. Dieser Verdienst war, wie man sich auszudruecken pflegte, "zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel." Diesen Leuten kam der Bahnbau gelegen. Es gab ertraegliche Loehne dort. "Da hab ich meinen Batzen Geld, basta!--Und brauch' nicht bitten und betteln bei den Bauern," aeusserte sich der Fendt, dessen baufaellige Huette am Dorfausgang stand. "Ich bleib' ueberhaupt nicht mehr da," sagte der Rieminger, "ich verkauf mein Haeusl dem Juergertmichl und mach' eine Waescherei auf in der Stadt. Da hab' ich auf niemand aufzupassen!" Und so geschah's auch. Kaum ein halbes Jahr rann him, da hatte Michael auch das Fendthaeusl und den baufaelligen Reishof gekauft. Die beiden Haeusler bekamen eine saftige Summe und konnten in ihren Haeusern bleiben. Michael verlangte nicht einmal Mietzins von ihnen. Das trug sich herum von Ohr zu Ohr. Mit einer gewissen Achtung sprach man davon.-- Der Bahnbau war in vollem Gange. Durch Gleimhansens Aecker trampelten die Arbeiter, dicht hinter dem Soellingergehoeft, in den Weizenlanden wuehlten sie den Kot aus der Erde. Mit verbissenen Gesichtern schauten die Bauern auf ihre verwuesteten Aecker. Viel Fremdvolk war unter den Arbeitern. Italiener und Boehmen. Es gab Einbrueche, naechtliche Raufereien und Messerstechereien.-- Die Soellingerin bekam die letzte Oelung. Nach einigen Tagen starb sie. Das ganze Dorf und viele Bauern aus der Umgebung standen um das Grab. Die Glocken trugen ihr Laeuten durch die Luft. Der Reinalther sagte beim Leichenschmaus im Wirtshaus zum Soellinger: "Was hast' von dei'm Leben, Buergermeister? Deine zwei Soehn' sind ja doch schon staedtisch, da will keiner mehr an die Mistgabel und an den Pflug!" Finster sah der Soellinger ins Leere und erwiderte kein Wort. Seine zwei Soehne, der Martin und der Joseph, sassen da und schwiegen gleichfalls. Zwei flotte Burschen waren sie, sahen gar nicht mehr baeurisch aus, studierten in der Stadt und hatten runde, selbstbewusste Gesichter, auf denen ein ueberheblicher Stolz glaenzte. Der Buergermeister stand auf einmal auf und ging. Es war Erntezeit. Die Strasse fuehrte an den ehemaligen Reinaltherfeldern vorbei und an der Breite des Ignatz Reis. Da arbeiteten die Knechte Michaels und der Italiener beaufsichtigte sie. Er war ein schweigsamer, finsterer Geselle mit unheimlich tiefglimmenden Augen. Wenn er wo auftauchte, griffen alle unwillkuerlich hastiger zu. Der Soellinger blieb einen Augenblick stehen, biss die Zaehne aufeinander und schlug, weitergehend, den Hirschgriffstock fester auf den Boden.-- Den Michael sah man jetzt tagsueber fast nie. Nur am Abend stelzte er ueher den Soellingerhuegel, blieb manchmal stehen und sah wie pruefend der Bahnlinie nach. Gebueckt ging er. Er trug meistens einen breiten Mantel und hielt einen Stock in der Rechten. Manchmal wenn ein Heimkehrender an ihm vorbeiging, lag ein verglommenes Laecheln auf seinen faltigen Zuegen. Ploetzlich aber verfinsterten sie sich, sein Kopf senkte sich und hastig trottete er weiter. Einmal traf es sich, dass er dem Soellinger begegnete. Er blieb fest stehen und sah dem Bauern lauernd in die Augen. Es war gerade an der Stelle, wo der Bahndamm sich hob, nah' am Bachbruecklein. "Grad' deine schoensten Aecker haben's hergenommen," sagte Michael. "Hm!" nickte der Buergermeister und wusste nicht, wo er hinschauensollte. "Wirst alt jetzt, Soellinger! Gib's her, dein Anwesen!" begann Michael wieder. Der Bauer schuettelte nur den Kopf stoerrisch und ging wortlos weiter. Aber dieses Mal sah Michael noch tief in der Nacht die Stubenfenster im Buergermeisterhaus leuchten. Einige Tage spaeter geriet der Heustadel hinter dem Soellingerhof in Brand und nur mit Muehe konnte die Feuerwehr das Ueberschlagen der Flamme aufs Bauernhaus verhindern. Der Italiener Rotti und der Boehme Zdrenka hatten es auf die Buergermeister-Magd abgesehen. In einer Nacht erstach der Boehme den Italiener. Zwei Gendarmen von Greinau kamen. Unruhig wurde es im Soellingerhaus. Der Buergermeister schlug wuetend auf den Tisch: "Ich mag nicht mehr!" Und resolut rannte er zur Tuer hinaus, geradewegs auf die "Ferkelburg" zu. Michael empfing ihn freundlich und ruhig. Er bot eine Summe, dass der Bauer seine Augen weit aufriss. Der Handel kam zustande. Der Soellinger gab sein Buergermeisteramt auf und zog zum Schmied. "Verkauf deine Kalupp'!" sagten jetzt jeden Abend der Reinalther und er in der Lechlstube zum griesgraemigen Gleimhans. "Hast deine Ruh' und einen schoenen Batzen Geld und der Michl laesst dich drinn, solang als du willst!" bekraeftigte der Lechlwirt. "Solang' ich leb, nicht!" gab der Gleimhans einsilbig zurueck und schuettelte beharrlich den Kopf.-- Michael kaufte das Schmiedanwesen. Der Schmied zog in die Stadt.-- "Kauft das ganze Dorf," brummte der Gleimhans, "und hat uns zuletzt alle in der Mausfall'n!" "Soll er, wenn's ihm gefaellt!--Er kann sich's leisten, zahlt gut und ist nicht zuwider!--Laesst mit sich reden!" verteidigten der Wirt und der Reinalther den Herrn von der "Ferkelburg". Und dumpf nickte der Soellinger.-- Aber am naechsten Tag trat Michael ins Reinaltherhaus. Der Bauer empfing ihn aufgeraeumt und freundlich, ohne jegliches Arg. "Im Fruehjahr muesst's raus! Hab' einen Paechter," sagte da auf einmal Michael kurz. Dem Bauern gab es einen Ruck. Er sah ihn gross an. "Bringt aber sein Zeug schon uebernaechst's Monat!" sagte Michael wieder und wandte sich zum Gehen. Der Reinalther wurde jaeh bleich. Sein Kinn bebte. Seine Unterlippe rutschte etwas herunter. Hilflos und bittend sah er auf Michael. "Geht's gar nicht, dass wir die paar Kammern hinten kriegen koennten und bleiben duerfen!" brachte er kleinlaut heraus. Michael schuettelte schweigend den Kopf. "Gar nicht?" Michael drehte sich um, sah ihn kalt an: "Koennt's ja am End zum Schmied einzieh'n. Obenauf sind noch drei Kammern. Nachher seid's mit'm Soellinger beieinand! Ueberleg' dir's und lass mir's wissen!" Und ehe der Bauer etwas erwidern konnte, war er draussen. Eine Weile stand der Reinalther wie besinnungslos da. Dann ging er zum Lechlwirt hinueber. Der Gleimhans und der Soellinger sassen da. Schuechtern und ganz von aussen herum erkundigte sich Reinalther nach den Raeumlichkeiten im Schmiedhaus. "Musst' raus?" fragte der Lechl. Stumm nickte der Befragte. "Ins Schmiedhaus?" "Schier," erwiderte der Bauer und setzte hinzu: "Hat einen Paechter fuers Fruehjahr." Gleimhansens Augen glaenzten listig. Er hob den Kopf und laechelte schadenfroh. "Vom Schmiedhaus ist gar nicht mehr weit ins Gemeindehaus!" warf er boshaft him. Der Soellinger rueckte sein Gesicht empor. "Ja--!" sagte der Gleimhans, ihn messend, "samt eurem Geld jagt er Euch in die Mausfall'n, wenn's ihm passt!" Die beiden anderen Bauern sassen dumpf da und starrten schweigend ins Leere. Der eine erhob sich, und der andere. Und beide gingen ohne ein Wort.-- VI. Wiederholte Male hatte Michael zum Gleimhans geschickt. Er selbst kam, der Italiener kam, die Magd kam. Es half alles nichts. Der Bauer gab sein Anwesen nicht her. "Wenn nochmal einer kommt, kann er seine Knochen vor der Tuer zusammenkratzen!" bruellte er das letztemal wild. Es kam keiner mehr. Michael hatte nach und nach das ganze Dorf aufgekauft. Die Gehoefte und Haeuser lagen brach und still da. Die ehemaligen Besitzer waren entweder fortgezogen, gestorben oder arbeiteten gegen Taglohn auf der Bahnstrecke. Die Grundstuecke wurden von den Ferkelburgleuten beackert, bebaut und bewirtschaftet. Im ehemaligen Reishof logierte eine Hausiererin und fuehrte einen Kramladen. In den sonstigen Haeusern wohnten Arbeiter oder auch die frueheren Besitzer, gingen in der Fruehe heraus und abends hinein. Die Mauern broeckelten ab, die Gaerten verwahrlosten, alles lag veroedet und ruinenhaft da. Michael selbst sass den ganzen Tag in seinem Turmzimmer, ueher die Protokolle und Urkunden gebeugt, die er beim jedesmaligen Kauf eines Anwesens vom Notariat ausgehaendigt bekam. Nur der Italiener und die Magd, die ihm das Essen brachte, sahen ihn. Alt und verfallen sah er aus. Zusammengeschrumpft war seine Gestalt. Nachts, wenn der Mond silbern ueher die Talmulde glitt, stand er am Turmfenster und ueberschaute seinen Besitz. Dann glomm manchmal in seinen Augen etwas wie Triumph. Nur wenn sein Blick auf das Gleim-Anwesen fiel, wurde es finster auf seinem Gesicht.-- Aus der Erde brach der Fruehling. Die Magd kam zum Reinalther und brachte die Botschaft, der Bauer solle sich zum Ausziehen bereitmachen. "Jaja, in Gott's Nam'! Sagt's nur, ich will ins Schmiedhaus!" gab ihr der Bauer als Antwort mit in die "Ferkelburg". Am selben Tag trottete Michael eilsam auf den Kramladen zu und verschwand scheu in dessen Tuer. Die Kraemerin schrak foermlich zusammen, als er so dastand. Aus einem grauenhaft gelben Gesicht starrten verkohlte Augen auf sie. "Gib mir zwei Kalbstrick, Irlingerin, aber gute!" sagte Michael kurz. Die Kraemerin legte einen Packen Stricke hin. Michael pruefte sorgfaeltig einen um den andern. "Die!" stiess er hastig heraus, warf das Geld him und nahm zwei Stricke. "Tragen denn gleich zwei Kueh' diesmal?" fragte die Kraemerin endlich. Aber Michael nickte nur und ging. Eilig stelzte er durchs Dorf. Als er die Tuer seines Turmzimmers zuschloss, zog er die Stricke aus seiner Brusttasche, pruefte sie nochmal und legte sie in den Schrank, schloss ab. Offenbar befriedigt atmete er auf, trat an den Schreibtisch und las wieder die Urkunden.-- Gegen Abend kam der Pfarrer, der lange nicht mehr dagewesen war, in die Ferkelburg. Misstrauisch und etwas verwirrt empfing ihn Michael. "Das Kloster Sankt Marien moechte den Soellingerhof, Michl?" sagte nach einer Weile Schweigens der Geistliche. Michael schuettelte den Kopf. "Ist nicht recht, dass alles so tot daliegt, Michl!" ermahnte der Pfarrer. "So?" sagte Michael hartnaeckig, und seine Falten zuckten fast hoehnisch. "Wirst ein alter Mann, Michl! Was tust mit den vielen Haeusern!" murmelte der Geistliche hilfloser. "G'richt halten!" stiess Michael gedaempft heraus und heftete seine Blicke funkelnd auf den Pfarrer. Der stand beklommen da und atmete schwer. "Unser Herrgott wird dir Dank wissen, Michl!" fand er endlich das Wort wieder und erinnerte abermals an den Soellingerhof. "Steht zu arg in der Sonn'", murmelte Michael noch leiser und unheimlich heraus, "und wirft mir den ganzen Schatten in die unteren Stuben!" Er stand gespannt da, bewegte sich nicht. Der Geistliche wurde ploetzlich blass, als er das eingeschrumpfte, gelbe Gesicht im matten Licht sah. Jetzt funkelten Michaels Augen wieder und seine Lippen gingen auf und zu: "Hat einmal meinem Vater gehoert, nicht?! ... Und der Soellinger hat es ihm abgekauft, nicht?! ... Und--der Gleimhans hat ihm Geld 'geben. --Vieh hat er dazumal geschachert, der Soellinger, nicht?! Und-und hat's meinem Vater langsam abgekauft--langsam, nicht?! ... War ja ein Huettl, damals--nicht!?--" Er hielt inne. Der Pfarrer stand wortlos da. "Und nachher hat er das Saufen angefangen, mein Vater, nicht?!" keuchte Michael fortfahrend heraus: "Und dann haben's meine Mutter ins Gemeindehaus, und--und nachher haben sie sie auslogiert--ist gestorben, weil unsere Kuh krepiert ist! Hat's nicht mehr erleben koennen ... nicht!?"-- Jetzt stockte er ploetzlich, hielt die Worte zurueck und erbleichte. Wieder bohrte er seine misstrauischen Blicke in das Gesicht des Pfarrers. Eine Unruhe fieberte auf seinen Falten. Auf einmal, ohne des Pfarrers zu achten, stiess er heraus: "So dunkel ist's da unterm Turm wie im Gemeindehaus bei meiner Mutter dazumal....!?"-- "Michl!" rief der Pfarrer nur mehr. Dann ging er.-- Michael stand eine Zeitlang in der gleichen Haltung da, dann zuckte er erschreckt zusammen und brach in seinen Lehnstuhl. Spaeter rief er den Italiener. Es war schon Nacht draussen. Er steckte die Kerze an und zog die dichte Gardine vor. "Hast immer geladen in der Sandgrube, nicht?" fragte er den Italiener. Der nickte. "Bist krank, Guisepp'! Musst Ruh' haben," redete Michael gut auf ihn ein und liess ihn nicht aus den Augen. Guiseppe stand verlegen und verstaendnislos da. "Das Soellingerhaus da drueben, Guisepp', das soll dir gehoeren, wenn'st --wenn'st nochmal sprengst, bloss mehr dies einzige Mal!" sagte Michael aschfahl und oeffnete seinen Schreibtisch, legte drei Pulversaecke aufs Pult. Der Italiener starrte ihn gross und schweigend an. Als dies Michael bemerkte, sprudelte er fast bittend und hastig heraus: "Haben dich nie erwischt, Guisepp', nie! Hast dich immer rausgemacht--wirst's auch diesmal fertigbringen!"-- Und dann setzte er ihm den Plan auseinander. Mitten im Gespraech horchte er jaeh auf. Fern aus dem Dorf hoerte man Wagengeknatter und "Hue"-Rufe. Der Gleimhans fuhr die Habe Reinalthers ins Schmiedhaus. "Geh!" sagte Michael hastig zum Italiener. Mechanisch verliess dieser das Zimmer.-- Bis tief in die Nacht hinein schleppten der Gleimhans, der Soellinger und die Reinalther-Eheleute die Moebel in die wackeligen Kammern im ersten Stock des Schmiedhauses. Es war eine windige, unruhige, stockdunkle Nacht. Manchmal trug eine Windwelle Laute und abgerissene Saetze herueber zur "Ferkelburg". Michael ging zitternd im Turm auf und ab. Auf und ab. Von Zeit zu Zeit neigte er sich ueber den Schreibtisch und schrieb noch ein Wort oder einen Satz auf einen aufgeschlagenen Bogen Papier. Jetzt riss der Wind die Schlaege der Kirchturmuhr auseinander. Michael tappte ans Fenster, hob die Gardine ganz schmal beiseite und band den Strick an den Fenstergriff. Und sah scharf und spaehend ins Dunkel hinaus. Da krachte es furchtbar. Ein riesiger Feuerklumpen brach in der Gegend des Schmiedhauses schleudernd in die Schwaerze der Nacht.-- Und um die runde Anhoehe hetzte eine lange Gestalt auf die Ferkelburg zu. Michael fasste den Strick und legte seinen Hals in die Schlinge. Dann brach er ins Knie und hob seine ineinandergerungenen Haende zur Hoehe. Sank.-- Mit jener grauenhaften Blaesse, die oft jaeh von furchtbarer Ahnung Erschuetterte befaellt, sagte der Pfarrer am andern Tag vor der Leiche des Erhaengten: "Alle Dinge sind eitel!" Und hob den Blick gen Himmel. Auf dem Schreibtisch lag ein Testament, das Guiseppe die ganzen Besitzungen und Hinterlassenschaften Michaels zuerkannte.-- EIN DUMMER MENSCH I. Seltsam sind Menschenwege. Kalt ist der Winter, heiss der Sommer, die Zeit laeuft weg und Alter und Verbitterung hocken in den Knochen, eh' man sich richtig umsieht. Und schliesslich--was ist's gewesen, wenn man nachdenkt?-- Misere, Misere, Misere! Zufall ist alles--und nichts.-- Vor zweieinhalb Monaten noch--hol der Teufel diese kalten, widerwaertig regnerischen Herbsttage!--trottete Adam Hoegl verdriesslich durch die dumpfen Strassen, ueberlas ein um das anderemal die Karte des Arbeitsamtes, die ihm anbefahl, dass er sich beim Kranenwerk als Erdarbeiter zu melden haette, zerknuellte sie ebensooft in der Tasche und trat gedankenlos in die Kneipe der engagementslosen Artisten "Zur wilden Rosa." Widerlich, wie er jetzt auf einmal noch quaelender die kalte Naesse an seinen Gliedern herabrieseln fuehlte! Und ausgerechnet musste noch dazu die selbstspielende Geige unausgesetzt kratzen, dass es durch Mark und Bein ging! Die rauchige Luft war zum Schneiden dick hier und ein Laerm herrschte an allen Tischen wie auf einem Jahrmarkt. Knirschend und ohne sich um die geschwaetzige Gesellschaft zu kuemmern, liess sich der Eingetretene auf einen Stuhl fallen und schwang seinen patschnassen Hut ein paarmal derart wuetend him und her, dass die herausgepeitschten Tropfen wie aus einem Weihwasserpinsel herumflogen. "Pilsner oder Most?" schrie der Kellner ueher die Koepfe hinweg. "Pilsner!" brummte Hoegl finster zurueck und machte sich breit. "Hoho!" murrte jemand beinahe drohend am Tisch, und aergerliche Gesichter hoben sich. Auf einmal rief eine bekannte Stimme: "Mensch! Hoegl!" und Adam Hoegl sah verwundert auf. "Hoegl! Mensch! Adam!" schrie es abermals und ein Herr mit rundem, lachendem Gesicht tauchte an der anderen Tischseite auf, beugte sich behend in die gedraengten Leute: "Erinnerst du dich? Krull, vierte Kompagnie, Zimmer achtundzwanzig!? Bauchreden!" Adam Hoegl faltete schnell die Stirn. Ja, es stimmte: Im Zimmer achtundzwanzig der vierten Kompagnie lag er neben Ferdinand Krull und betrieb als Liebhaberei die gelegentlich erlernte Kunst des Bauchredens. Er entsann sich ganz deutlich, und unwillkuerlich, fast von selbst entquollen ihm einige Laute. Er sass gerade aufgerichtet da, mitten im ploetzlich verstummten Kreis der Gesichter, mit geschlossenem Mund--nur der herausgedrueckte Punkt seines Halses bewegte sich etwas auf und ab--und tief unten in seinem Bauch redete es. "Mensch, du kannst noch!? Komm sofort mit! Du wirst meine beste Nummer!" jubelte jetzt der ehemalige Barkellner Ferdinand Krull, und ehe die verblueffte Schar sich's richtig versah, trabten die beiden eilsamen Schrittes aus der Kneipe, stiegen in das bereitstehende Auto und weg waren sie.-- Am selben Abend schon stand Adam Hoegl auf der grell beleuchteten, geraeumigen Buehne des Krullschen "Paradies-Kasinos" und johlte seine Bauchstimmen-Witze in das bunte, glaenzende Publikum, das sich allabendlich hier zusammenfand. Fluechtig zurechtgemacht, im zu grossen, faltigen Frack des beleibteren Krull, mit viel zu weitem Kragen, der sich wie ein schmaler weisser Kummet um seinen duerren, langen Hals wand, in einer karierten, schnuerenden Weste, einer billigen gestreiften Hose und den quaelend drueckenden Lackschuhen des Wirtes--so stand Adam Hoegl, eine beachtete, wichtig gewordene Einzelperson,--wie aus einer tiefen sumpfigen Finsternis ploetzlich auf einen strahlenden, weithin sichtbaren Gipfel gehoben--inmitten der sorglosen, grossen, praechtigen Welt. Musik fiel ein, saeuselte suesse, schmeichelnde Melodien durch den Raum, tuschte, brach ab--der Vorhang peitschte in die Hoehe. Vereinzeltes Stuehleruecken noch, leise verschwingendes Glaeserklirren und andaechtige Stille minutenlang. Adam Hoegl riss die Augen weit auf. In der blauueberleuchteten, abgedaempften Zuschauergruft tauchten puppige Herrenruecken auf, kuehngekleidete Damen, ebenmaessige, gepflegte, wunderbar abgetoente Gesichter und lange, glitzernd beringte Haende mit Elfenbeinfarbene Nacken bogen sich waghalsig. Herausfordernde, runde, nackte Arme bewegten sich laessig undentbloesste, leicht geroetete Brueste hoben und senkten sich wie weiche, maerchenseltsame Lichtflaechen, die ein faechelnder Wind arglos um schwirrte.-- Mit Gewalt musste Adam Hoegl an sich halten. Der Atem stand ihm still. Schweiss war auf seiner Stirn. Muehsam presste er endlich die ersten Laute heraus. Es raekelte. Sein Herz klopfte auf einmal wie im Galopp. Mit ganzer Kraft straffte er sich, groehlte unbeholfen den ersten Witz heraus, begann ohne Zwischenpause den zweiten. Es raekelte schon wieder. Seine Knie begannen zu schlottern. Er biss die Zaehne fest aufeinander, presste--presste die Laute, die auf der Kehle sassen, wieder zurueck, hinunter in den Bauch und hatte endlich den zweiten Witz. Das Raekeln verstaerkte sich, verflachte zu einer allgemeinen Bewegung. Schon drohte er umzufallen--da brach ein berstender, frenetischer Jubel ueher ihn her, ein Gelaechter wie aus einer vielstimmigen Riesentrompete, ein betaeubendes Klatschen, als sei hoch auf einem Berge die Schleuse eines gehemmten Flusses mit einem Male jaeh aufgerissen worden und die ganze Wasserlast falle sausend in die Tiefe. Er war gerettet. Er atmete auf, hielt inne, liess den Jubel verrauschen und jetzt floss sein ganzer Mut und Witz berueckend sicher aus ihm heraus, hinab in die Gruft und wieder zurueck an seine schweissnasse Brust wie verhundertfachter, brausender Dank. Er hatte gesiegt. Einen solchen aus allen Geleisen geratenen Beifall hatte das "Paradies-Kasino" noch nie erlebt.-- Vollkommen erschoepft schleppte sich Adam Hoegl am Arm seines ehemaligen Regimentskameraden immer wieder durch die getuermten Blumenhaufen, vor bis an die Rampe, kaum noch faehig, sich zu verbeugen. Und immer, immer wieder zuckte der Vorhang, fuhr sausend auseinander und in die Hoehe. Zuletzt sah es aus, als haetten sich alle Menschen da unten uebereinandergeworfen und in das wueste, kreischende Plaerren mischte sich endlich die Musik undschwoll an zu einem maechtigen Choral. Und regelmaessiger, breit und den ganzen Raum erbeben lassend sang es aus allen Kehlen zur Hoehe: "Ooo du Pa--a--aradies! Pa--a-aradies --Kasi--ino--o--o!" dass Adam Hoegl buchstaeblich wie halbtot seinem Kameraden in die Arme sank und aus tiefstem Glueck erschuettert auf johlte: "Pa--a--aradies!"-- Einige Tage spaeter konnte er an allen Litfassaeulen in halbmetergrossen Buchstaben seinen Namen lesen und darunter stand: "Die grosse Nummer". Und jeden Abend erntete er den gleichen Beifall. Schon in der Mitte des zweiten Monats war auf allen Plakaten, quer ueher "Die grosse Nummer" geklebt, zu lesen: "Zum dritten Male prolongiert!"-- II. Ohne es selber recht innezuwerden, rueckte Adam Hoegl in eine andere Menschen schicht hinauf. Er trug nunmehr seidegefuetterte Anzuege der besten Schneider, ging mit gelassener Selbstsicherheit durch die Strassen und gruesste mit ausnehmender Vorliebe auffaellig gestikulierend und so geraeuschvoll, dass alles stehen blieb und lachen musste, vornehme Gaeste des "Paradies-Kasinos". Fast jeden Abend nach seinem Auftreten sass er an irgendeinem Tisch, inmitten einer fidelen Gesellschaft, trank je nach der Art seiner Gastgeber entweder herablassend beilaeufig oder mit einigen Brusttoenen lobender Aufmerksamkeit aeltesten Wein, Bekanntesten franzoesischen Sekt, jeden Nerv kitzelnde Likoere und sog, immer witzgerecht, mit geuebt baeuerlicher, biederer Bescheidenheit alle Bewunderung der Gaeste in sich hinein. Seine berechnete Natuerlichkeit wirkte bestechend bei Damen, alten Lebemaennern und Industriellen. Er zotete, wenn ihn ein abfaelliger, herabmindernder Witz traf, ueher alles hinweg mit jenerunerschuetterlichen, nie angreifbaren, haemischen Trockenheit, die entwaffnet. Mit dem ganzen unterdrueckten Instinkt eines Menschen, demdie Angst vor dem Wiederzuruecksinken in den Sumpf Spannkraft gibt, beobachtete er, erwog die Moeglichkeiten neuer Bekanntschaften, erlistetesich notwendige Gebaerden und Manieren, machte sich gutwirkende Kniffe zunutze und galt bald als der gewiegteste Weinkenner und grossartigste, bewunderungswuerdigste Zecher, mit dem es eine Lust war, Gelage zu halten. Freilich, es gab auch Abende ohne Einladung, wo er am Kuenstlertisch in der zerwetzten Nische sass und sich mit Kollegen und Kolleginnen, die mit ihm das Programm ausfuellten, unterhielt. Artisten aus aller Herren Laender, dicke Saengerinnen, zierliche Chansonetten und schwergebaute Ringkaempfer waren da. Intrigen, Neid und Intimitaeten gab es da, Vertraulichkeiten und Klatsch. Mit teilweise unverhohlenem oder auch leisem, verstecktem, stechendem Spott sahen diese weltbereisten, mit allen Wassern gewaschenen Leute auf den Neuling herab. Es war unerquicklich und feindselig in dieser Nische, alles deutete zurueck in die Misere. Draussen, im Zuschauerraum, vertrugen sich die dickaufgetragenen Freundlichkeiten voruebergehender Kollegen fast laecherlich leicht. Waehrend er nicht selten, wenn er spaet nachts den Kuenstlertisch verlassen hatte und heimwaerts ging, zukunftsbesorgt und entmutigt war, lebte er als Gast an den Tischen der Kasinobesucher stets auf, schaute den voruebergehenden Kollegen kuehn und dreist in die Augen, warf ihnen treffsichere Zoten zu und laechelte unverschaemt, wenn er auf ihren Gesichtern die nur schwer zurueckgehaltene Wut aufsteigen sah. Hier, in diesem Meer, dessen Wellen ihn unausgesetzt emporhoben, fuehlte er sich voellig geborgen, unverfolgbar und maechtig. Adam Hoegl war kein Optimist. "Nichts dauert ewig und jeder muss sich nach der Decke strecken," sagte er bei jeder Gelegenheit mit leiser Ironie, doch handelte er danach. Gelegentlich eines wuesten Gelages mit dem Millionaer van Haarskerk und seiner Gesellschaft in einem abgedaempften Hinterraum des Paradies-Kasinos liess er sich kaltes Wasser kuebelweise ueher den Kopf schuetten, spielte mit Meisterschaft den voellig Betrunkenen, trank gesalzenen Sekt ohne eine Miene zu verziehen, ertrug zur Steigerung des Vergnuegens viele, viele Stoesse in den hingehaltenen Bauch und tanzte zuguterletzt patschig und negerhaft wie ein Eunuch im Hemd herum, dass sich die ganze Gesellschaft vor Lachen waelzte. Von da ab sass er jeden Abend am Tische van Haarskerks, duzte sich mit diesem. Der Millionaer war eine besondere Art von Mensch, Er hatte der kleinen Kabarett-Diva Yvonne eine Villa draussen an der Peripherie der Stadt gebaut und vertrieb sich die Zeit damit, mit ihren frueheren Bekannten Gelage zu halten, ausgesuchte Gerichte zu kochen und Autotouren zu machen. Durch sein Verhaeltnis mit der Diva war er im Laufe einer ganz kurzen Frist zu einer Art Stadtbekanntheit geworden. Meistens kam er mit zwei oder drei vollbesetzten Autos im Paradies-Kasino an. Allerhand zweifelhaft gekleidete Leute begleiteten ihn, alles fruehere Geliebte Yvonnes--: abgewirtschaftete Studenten, die sich Dichter nannten, einige Kunstmaler, ehemalige Kabarettleute, undefinierbare Witzbolde und schliesslich noch einige Herren, die stets neueste Mode am Leibe trugen, gepudert waren und das Einglas ins Auge geklemmt hatten. Nach Schluss der Vorstellung fuhr man nicht selten mit noch Hinzugekommenen, momentan die Langeweile vertreibenden Eingeladenen nach Hause, um dort weiterzutrinken, zu diskutieren oder Bakkarat zu spielen, his die Fruehe fahl ihr Licht durch das dicke Glasdach des Wintergartens auf die Zecher herabfallen liess. Adam Hoegl fasste festesten Fuss in diesem Hause, ja, zaehlte geradezu zur Familie, lernte fabelhafte Tafeln kennen, ueberschuettete die gelassene Gleichgueltigkeit, mit der man hier Unsummen in die Spieltischmitte schob und wieder wegzog, mit seinen herabmindernden Spaessen, trank ebenso waehlerisch wie selbstverstaendlich Whisky pur wie Kognak von 1875, Mit dem ihm eigenen Geschick sekundierte er, wenn Yvonne ihre tausendmal erzaehlten Bettgeschichten und anzueglichen Witze erzaehlte. Sein trainiertes Gelaechter riss jedesmal mit und erleichterte den nur mit Muehe die Langeweile verbergenden, devot Beifall spendenden Guenstlingen ihre schwierige Aufgabe auf das angenehmste. Oft und oft kam es vor, dass die ueberreizte Diva eine Vase durch eine Glastuer warf, Unheil stand drohend--da auf einmal trompetete das Lachen Hoegls und glaettete im Nu den Sturm. Es gab Naechte in diesem Hause mit ihm, die begannen mit einem wuesten Balgen zwischen Yvonne und van Haarskerk, mit einem Zusammenschlagen kostbarster chinesicher Zierrate, mit einem Demolieren von Tueren und Moebeln und endeten wie etwa eine unvergleichlich lustige Sylvesterfeier. Hier war ein reicher Fischplatz. Adam Hoegl warf vorsichtig seine Angeln und Netze aus.-- "Denn nichts dauert ewig und jeder muss sich nach der Decke strecken!" III. Die Tage und die Naechte liefen davon. Viel zu schnell. Sie schwebten vorbei, ohne sich voneinander zu unterscheiden. Es war ein unaufhaltsames Fliessen. Es gab keinen festen Punkt, kein Nachdenken, keinen Widerstand. Allmaehlich, mit jedem Tag bemerkbarer, liess der Beifall nach. Es brach jetzt kein ploetzliches Gelaechter mehr aus. Es war keine Stille mehr in der Zuschauergruft, wenn Hoegl auftrat. Man sandte auch kein resolutes "Pst!" mehr aus aufmerksamen, lauschenden Tischen, wenn die Kellner servierten. Gelangweilte Gesichter sah man ringsum. Es schwaetzte jedermann waehrend des Vertrags. Wie ein boeses Gewissen rieselte durch den erschauernden Koerper jene penetrante Peinlichkeit, die immer einsetzt, wenn man sich hilflos einer staerkeren Macht gegenuebersieht und es sich nicht eingestehen will. Es war acht Tage vor dem Ende des dritten Monats, und nichts wieder hatte Krull von abermaliger Prolongierung erwaehnt. Adam Hoegl stand benommen hinter dem eben herabgefallenen Vorhang und wischte sich den Schweiss von der Stirn. Es klatschte maessig. Der Vorhang zuckte fast mitleidig und wurde rasch noch einmal hochgezogen. Es klatschte etwas mehr, als Hoegl dankte. Der Vorhang fiel wieder herab. Bagg--bagg--bagg --bagg!--schon schwammen die Redegeraeusche, das Klirren der Glaeser, das Stuehleruecken und Surren der Ventilatoren darueber hinweg, und alles verebbte zu einem gleichmaessigen Geplaetscher. In acht Tagen vielleicht stand Krull, der in der letzten Zeitmerkwuerdig schuechtern auswich und sich selten sehen liess, vor ihm und sagte ungefaehr: "Adam, du weisst! Mein Publikum will Abwechslung. Ichbin Wirt, ich muss mich nach ihm richten." Man war ihn satt!--Er konnte wo anders hingehen?--Schliesslich--er hatte noch etwas Geld, Anzuege. Es ging eine Zeitlang. Dann?-- Der Boden schwankte, man glitt aus, man liess sich dahintreiben, dumpf und verbittert auf einen naechsten jaehen Zufall wartend. Die fast maerchenhafte Leichtigkeit, mit der man ueher Nacht so hoch getragen worden war, hatte die Energie vernichtet.--Adam Hoegl knirschte und sah scheu rundherum. Die Angst kam von der Magengegend zur Gurgel heraufgekrochen. Mit einem Ruck riss er sich zusammen und schritt zur Tuer. Da kam der schlanke Kellner und bat ihn in die Loge des Millionaers. Er atmete erleichtert auf. "Ich komme gleich," sagte er schnell und ging in die Garderobe. Nach einigen Minuten schritt er die Logenreihen entlang und hatte schon wieder die breitlachende, humorvolle Miene, die man an ihm gewohnt war. Aus verschiedenen Tischen nickten ihm Leute gruessend zu, und scheinbar ganz in seligster Wonne erwiderte er. Die Haarskerksche Loge war wie gewoehnlich gepfropft voll. Jeder der Herren lachte bereits das knallige Lachen Adam Hoegls. Das gab Mut. Noch war man also nicht ausgeloescht.-- "Ah--haha!!" kraechzte der Millionaer aufstehend und machte Platz. "Was machst du?" fragte Yvonne den Angekommenen. "Einen schlechten Eindruck," erwiderte Hoegl trocken. Die Unterhaltung belebte sich, wurde aufdringlich laut. "Psst! Psst!" zischte es aus den gegenueberliegenden Tischen, denn eben trat die neuengagierte Saengerin auf und trillerte die ersten Laute. "Ah--a--a--ah--ah--a--a--aa!" sang Hoegl boshaft mit angestrengtester Kopfstimme nach und der ganze Tisch kreischte hellauf. "Psst! Psst!" Adam Hoegl entdeckte mit einem fluechtigen Blick drueben in einer dunklen Ecke Krull mit finsterem Gesicht, wandte sich schnell wieder weg. "Ein Tuerteltaeubchen! Ein Taeubchenturtel!" groehlte er sehr laut. "Ru--u--uhee! Psst!" brummte es noch energischer und empoert gehobene Gesichter tauchten auf. "Mistkaefer! Schweinebande!" knirschte Yvonne dumpf in den Tisch und rief lauter: "Anton zahl'! Wir wollen gehen! Sofort!" Der Kellner kam eilends herangeflitzt. Sehr geraeuschvoll bezahlte der Millionaer und die ganze Loge erhob sich. Alle tappten im Gaensemarsch knatternd auf den Ausgang zu. "Psst! Psst! Ru--uhe!" surrte es ihnen nach. An der Tuer stand Krull, verbeugte sich devot und wollte entschuldigen. "Schon gut! Schon gut! Wir werden's uns merken!" schrie Yvonne und befahl resolut: "Kommt! Lasst euch nicht aufhalten!" Der Trupp stuerzte hinaus. "Ich moechte heut' nur Hoegl, Kotlehm und Raming, Anton! Lass die andern nach Hause fahren! Wir wollen unter uns sein!" sagte Yvonne vor dem Auto. Der Millionaer rannte auf die anderen Begleiter zu, sagte ihnen dies, kam wieder zurueck, stieg rasch ins volle Auto und gab das Zeichen zum Abfahren. "So sind alle Wirte, weisst du! Pack! Pack!" schimpfte Yvonne waehrend des Dahinfahrens. "Eben! Eben!" brummte Hoegl in tiefem Bass. "Ein solches Miststueck mit ihrem Geplaerr! Na, ich danke!" "Eben! Eben!" sekundierte Hoegl befriedigt. Der Maler Kotlehm lachte gewaltsam. "Und diese Presssackbrueste, pw! Diese Wurstfinger, aeh!" zeterte Yvonne. "Gulasch! Gulasch mit Kartoffel!" murmelte Hoegl. Man lachte allenthalben. Yvonne warf ihre Arme hingerissen um Hoegls Nacken und drueckte ihr kaltes geschminktes Gesicht an seine Wange, kuesste ihn breit und feucht, dass es schnalzte: "Hoegl, Du bist mein Mann!" Die Stimmung war wiederhergestellt. "Was trinken wir?" fragte van Haarskerk. "Sekt! Sekt!--Ich moechte heute schwimmen im Sekt--und dann Whisky!" rief Yvonne emphatisch. Das Auto fuhr surrend durchs Tor. IV. Die Dienerschaft war zu Bett gegangen. Es war still. Ueberall herrschte ein Geruch nach Zigaretten, Parfuem und Alkohol. Man liess sich in die tiefen, nachgiebigen Fauteuils um den offenen Kamin im Rauchzimmer fallen. Jener Punkt war erreicht, wo alles oede, langweilig, dumm und trist zu sein scheint. Die Stimmung war zweideutig und unentschieden. Es hiess geschickt eine Krise zu vermeiden, die scharfen, vorgeschobenen Riffe der Ueberreiztheit gewandt zu umsegeln. Noch zwei oder drei schweigende Minuten und man stand vielleicht auf, gaehnte doesig und ging zu Bett--oder aber auch Yvonne stiess zufaellig mit dem Fuss wo an, knirschte gehaessig und schmiss eine Vase kaputt. Es gab Skandal und alles war verloren, verhunzt. "Ich hab' Hunger," sagte Yvonne bereits bedrohlich. Adam Hoegl ergriff die Gelegenheit und brummte trocken: "Ein frugales Mittelstueck! Sehr richtig! Weder Frueh--noch Nachtstueck--ein Mittelstueck, ein Stueck in der Mitte!" Man lachte lahm. Der Maler Kotlehm und der Lyriker Raming bewegten sich etwas aufgefrischter: "Ja, das waere nicht dumm!" "Geht!" befahl Yvonne Hoegl und dem Millionaer. Die beiden waren aufgestanden. "Komm! Kommen Sie, Herr Kuechenchef! Wir wollen--Na, die Herrschaften, na--na!?" trompetete Hoegl in seinem breiten Bass, als er mit van Haarskerk in die Kueche ging. Waehrend der Hausherr eineinhalb Dutzend Eier kochte, schmierte Hoegl Butterbrote, strich Kaviar darauf, schnitt Schinken und Seelachs. Der Sekt war bereits abgekuehlt. Als er die Glaeser und das Tablett mit den Speisen in das Rauchzimmer trug, hatte sich Adam Hoegl wieder ganz in der Gewalt und bediente behend wie ein Servierkellner. Man griff gierig zu, schmatzte. Die Stimmung hob sich. "Und ick?!--Ick hock mir ins Klosette rin und kotze alle Spucke rinn!--rinn!--rinn!--" johlte Hoegl wie ein Grammophon mit waesserigem Mund. Und: "--rinn!--rinn!--" wiederholte der ganze Chorus. Zufaellig warf der Millionaer seine Eierschalen in grossem Bogen zur Decke. Sie fielen in den Spiegel oberhalb des Kamins und zischten auseinander. Belustigt darueber schleuderte Yvonne ihr Ei in die glitzernde Flaeche. Benng! klatschte es spritzend auseinander. Einen Moment gafften alle unschluessig. "Hoi--j! Hoi--j!" bruellte Hoegl unverbluefft wie ein Ausrufer und warf ebenfalls sein Ei in den Spiegel. Das gefaehrliche Riff war umschifft. Alles groehlte mit einem Male mitgerissen. Patsch--Patsch--Patsch! Jeder warf sein Ei in den Spiegel. Es klatschte um die Wette. Yvonne schuettelte sich berstend. Adam Hoegl huepfte vor Vergnuegen. Wie doch alles einfach ist!--"Das ist--um es richtig zu sagen--der Kampf mit dem Spiegel oder der verspritzte Eidotter auf dem Kamingesims!" plapperte Raming ruelpsend. "Hahaha--ha! Der Lyriker wird witzig!" stichelte der Millionaer. "Der Spiegelkrieg! Das Krieglspielchen! Das Spielchen mit dem Kriegl-Spiegl!" gluckerte Hoegls Bauchstimme. Ein hemmungsloses Gelaechter peitschte auf. Man trank ueberschnell und mit vollstem Behagen. Adam Hoegls Gesicht glaenzte triumphierend. Sehr gewandt spuckte er seinen Mund voll Sekt zur Decke. Ein dicker Strahl war's. Im Nu folgten die aendern. Die Stimmung hatte einen ersten Hoehepunkt erreicht. Es galt, ihn zu halten. Adam Hoegl begann zu zoten. --Dem Lyriker Raming gab der Millionaer seit einem Jahr ein Stipendium, weil Yvonne dessen bastardhaft verfaltetes Gesicht gelegentlich einmal als "angeilend" bezeichnet hatte. Des Malers Kotlehm vulgaere Schoenheit entzueckte die Diva dergestalt, dass sie van Haarskerk veranlasste, ihm ein Atelier zu bauen. Von anderen noch wusste Adam Hoegl, dass sie betraechtliche Summen wegen eines Witzes oder dergleichen erhalten hatten. Und er hatte sich Wasser kuebelweise ueher den Kopf schuetten lassen. In den Bauch treten lassen! Und in acht Tagen?-- Raming ruelpste, liess den Kopf haltlos auf seine Brust herabgleiten, sank zusammen und schlief ein. "Der ausgewundene Strumpf zieht sich in die Vorhaut zurueck!" rief Hoegl breit, ueberpruefte unbemerkt die Gesichter der aendern. "Die Inspiration kommt im Schlaf!" warf der Millionaer beilaeufig him. "Weisst du, Anton," sagte die Diva schnell und aufgeraeumt, "ein Spielchen waere jetzt richtig angebracht!" "Ein Bakkarat?--Ja, das waer' jetzt sehr nett!" sagte der Maler Kotlehm ebenso. "Sehr richtig! Gewiss die Damen! Gewiss die Herren! Die Dammenherren, die Herrendammen!" plapperte Hoegl und verbeugte sich wie ein Lakai: "Adam Hoegl uebernimmt die Saufregie, bitte, bitte meine Herrschaften, bitte!" Das Schnarchen Ramings saegte friedlich und gleichmaessig. Yvonne, Kotlehm und der Millionaer setzten sich um das Spieltischchen, legten die Banknoten in die Mitte. "Prost, Herr Kunstmaler, Herr Kotstengel!" rief Hoegl haemisch, hob das volle Sektglas und schluckte hastig den ganzen Inhalt hinunter. Van Haarskerk gab die Karten. Hoegl, der nicht spielen konnte, ging auf und ab und bruemmelte leise singend vor sich him. Von Zeit zu Zeit lugte er fluechtig auf den getuermten Haufen der Banknoten, die sich in der Tischmitte sammelten. Laessig zog man die Scheine weg oder warf neue him. Mattblauer Tag lag schon auf den Gesimsen. Die Gaerten draussen bleichten. Stare zwitscherten leise auf. Tau stieg von der Erde hoch. Unbehaglich tappte Adam Hoegl auf und ab, schielte manchmal auf die Spieler, dann wieder durch die Fenster. Laestig! Die Umstaende hatten einen kaltgestellt. Alles entglitt wieder.--Jetzt verspielte Kotlehm. Erwar darauf gekommen, an jenem Abend im abgedaempften Hinterraum des "Paradies-Kasinos", dass man auch in den Bauch stossen koennte. Adam Hoegl umspannte ihn unbemerkt mit seinen duesteren, hassenden Blicken. "A--ah--ach!" stiess van Haarskerk mit boshafter Befriedigung heraus, als der Maler abermals einen Geldschein auf den Tisch warf. "Prost!" rief Hoegl schadenfroh. "Donner und Doria!" lachte der Maler etwas nervoes und legte die Karte auf den Tisch. Abermals Hundert! Adam Hoegl liess eine saftige Zote vom Stapel. Yvonne lachte. Wie um sich zu wehren, nahm Kotlehm das Glas und schrie feldwebelmaessig: "He! Kuli! Einschenken!" Adam Hoegl schoss das Blut zu Kopf. Aber er fasste sich schnell und hob die Karaffe: "Besser zielen!--Vorbeigeschissen!" Er zitterte ein wenig, als er eingoss und schuettete daneben. "Hehe! Du! Kuli!" schrie Kotlehm und stiess ihn in den Bauch. Erquickt schnellte der Millionaer auf, nahm ihm die Karaffe. Adam Hoegl zog verwirrt die Schultern hoch. Van Haarskerk lachte stossweise und schuettete den Rest ueber seinen geduckten Schaedel. Eiskalt rann der Sekt den Ruecken herunter. Adam Hoegl raffte seine letzen Kraefte zusammen. Ratlosigkeit, Wut und Verzweiflung standen auf einmal da. Wie von schwirrenden Peitschen umsummt brummte der zerruettete Kopf.-- Er drohte zu fallen, drueckte noch einmal mit ganzer Gewalt den Bauch heraus und grunzte endlich wieder. Wieder bellte das Gelaechter. Der Maler Kotlehm sprang auf und fuchtelte mit den Armen herum wie ein peitschenschwingender Tierbaendiger. Das Spiel war zerrissen. Die neue Sensation hatte die Langeweile im Nu ausgeloescht. Man umtanzte, umjohlte Adam Hoegl, der wie ein blinder Baer herumtappte. Gutgezielte Stoesse sausten in dessen Bauch. Van Haarskerk kam mit einer gefuellten Karaffe, schuettete, goss, goss. Adam Hoegls Schuhe pfiffen. "Schurken! Sadistische Hunde!" schrie Yvonne machtlos in den betaeubenden Laerm. Raming hob schlaefrig den Oberkoerper und liess sich wieder zurueckfallen. Das wueste Gebruell zerspaltete die verrauchten Baeume. Zwischendurch gluckste wie das Roecheln eines Verendenden Hoegls Bauchstimme.--Heute noch! Noch einmal! Dann war vielleicht die Rettung da. Man war geborgen. Eine Nacht Wasser ueber den Kopf--und keine Misere mehr.-- Die Hose platzte, als er sich bueckte. Kotlehm riss das Hemd heraus. "Hoij! Hoij!" zischte es von allen Seiten. Man nahm Hoegl in die Mitte und stampfte durch den Wintergarten ins Freie. Schwerfaellig, plumpsig bewegte sich der Tross an den ersten Gemuesebeeten vorbei. Der Millionaer schob hinten, Kotlehm zog und zerrte an den Armen Hoegls. Yvonne kreischte unaufhoerlich. "A--ahach Mensch, lass mich doch schnaufen!" stoehnte Hoegl und riss seinen Mund weit auf. Dicker Schweiss rann ihm herunter. "Hoij! Hoij!" schrie es wieder. Zog, zerrte. Adam Hoegl prustete, hauchte. Der Maler Kotlehm riss einen Rettich aus dem Gemuesebeet und stopfte ihn mit aller Gewalt in Hoegls Mund. Die Zaehne krachten. Der Schlund kaempfte gegen das Ersticken. Blau lief der Kopf an. Adam Hoegl stemmte sich wuergend, spuckte, erhob beide Arme furchtbar, stiess in die leere Luft. Es war auf einmal frei um ihn. Wie Kettenlast fiel etwas ab. Der wachgewordene Koerper straffte sich, als renne er stahlhart gegen eine Wand und stiesse sie durch. So leicht atmete es sich. Eine grosse Stille stand unfassbar weiss ringsherum.-- Nach langer Zeit, als er die Augen oeffnete, saugte die Kaelte der feuchten Erde an allen seinen Gliedern. Er lag langgestreckt in einem Gemuesebeet. Schmutz und Blut klebten auf seinen zerschundenen Wangen. Er schloss den Mund, schluckte. Die Gurgel wuergte. Ein wuester Ekel stieg vom Magen auf.-- Wie eine gemeine, gruene Qualle hockte das Haus in den zertrampelten Beeten. Das zaertliche Rot des fruehen Tages beleckte die Fenster, die ausdruckslos vor sich hinglotzten. Es roch nach Verwesung.-- Taumelnd sprang er auf und rannte entsetzt aus dem Garten. Schwankend wie ein Wrack trieb er ueber die Wiesen, der Stadt zu. Eine graessliche Schwaeche fieberte in ihm. Angstvoll schleuderte er zuletzt seine Fuesse nach vorne, lief, lief, was er konnte. Erst als er die ersten Haeuser erreicht hatte, hielt er inne und wischte sich aufatmend Kot und Blut aus dem Gesicht. Ruhig und nuechtern griff die Strasse aus. Arbeiter gingen vorueber und beachteten ihn kaum. Sie bewegten sich und redeten wie Menschen, die nichts anficht. Es stroemte eine seltsame Festigkeit aus ihren Gebaerden und Worten. Verlassen, nutzlos, ein jaemmerlicher Wicht stand Adam Hoegl da. Unerbittlich brach die Scham der letzten Wochen aus ihm, stieg, stieg. Bettelnd, hilflos blickte er auf alle Menschen. Endlich gab er sich einen Ruck und ging wieder weiter. Sein Gesicht bekam langsam eine groessere Ausgeglichenheit. Fester, entschlossener, mit dem erleicherten Ernst eines Menschen, der sich durch eine grosse Erschuetterung die Ruhe wieder zurueckerobert hat, schritt er fuerbass.-- ABLAUF I. Man sagt, wenn sich die zwanziger Jahre aus einem Menschenleben winden, fangen die Reibungen an zwischen natuerlichem Denken und dunklem Trieb. Es beginnt ein Aufruhr im Innern. Ueber die Daemme, die die Erziehung notduerftig aufgebaut hat, bricht das Blut und je nach der Festigkeit des Betroffenen folgt einer solchen Krise eine Zerruettung, ja nicht selten ein zeitweiser gaenzlicher Zusammenbruch und nur langsam, unter Weh und Qual, stellt sich das Gleichgewicht wieder ein.-- Gluecklich derjenige, der von frueh auf Menschen, Buecher, Winke, Erfahrungen und Anleitungen kennenlernte, die seinen Horizont erweiterten und ihm einigermassen dazu verhalfen, solchen Erschuetterungen nicht ganz wehrlos zu begegnen. Alle aber, die von Kind auf nichts anderes kennenlernen, als dass dieser oder jener geschickte Handgriff, diese Finte oder jene schwer erlernbare Koerperhaltung die Muehe der Arbeit erleichtern, haben wenig Zeit, sich gegen solche innere Ueberfaelle zu wappnen. Es ist wahr, auch sie ueberwinden. Aber sie leiden mehr darunter und werden aerger mitgenommen von solchen Qualen. Der Schmerz faellt hier mit schwererer Wucht nieder auf arglose, unvorbereitete Herzen. Die Jahre verfliessen verbraucht und wenig sinnvoll fuer solche Menschen. Sie stehen meist unvermerktmitten im Gestruepp ploetzlich hervorbrechender Gefuehle, kaempfen blindlings gegen ihre Daemonie, werden ueberwaeltigt davon und fallen schliesslich in gaenzliche Lethargie.-- Johann Krill fiel so in den Rachen der Welt. Sein Vater war Zimmermann auf einem Dorfe, seine Mutter Bauernmagd. Auf einmal war dieses Kind da und man musste notgedrungen heiraten. Man frettete sich gerade so durch gegen Taglohn. Wenn das Akkordmaehen zur Erntezeit anfing, war es am besten. Zimmererarbeiten gab es wenig. Hin und wieder Baumfaellen und Holzspalten im staatlichen Forst, das war ziemlich alles. Es hiess eben: "Nicht krank sein!" und "Sich nach der Decke strecken!" --Kinder solcher Eltern, noch dazu "ledige", haben nichts Gutes bei den Bauern. Es heisst aufstehen mit den Knechten um vier Uhr frueh, zugreifen und den anderen an Flinkheit nichts nachgeben und den Mund halten. Die Knochen schmerzen am Anfang, aber das verliert sich mit der Zeit.-- Nach seiner Schulentlassung kam Johann zu einem Schlosser im nahen Marktflecken zur Lehre. Jetzt waren es Hammerstiele und Eisenstangen oder Wellblechstuecke, mit denen man warf oder zuschlug. Und wehe, wenn der Vater eine Klage hoerte! Sein Ochsenziemer, der stets neben dem Handtuch am Ofen hing, war furchtbar. Nun, es kam schliesslich die Gesellenpruefung und der Achtzehnjaehrige ging auf die Wanderschaft. Als gutgelernter, sehniger Arbeiter landete er dann nach ungefaehr fuenf Jahren in dieser Stadt und fand Stellung in einer Fabrik. Es war ein Riesenwerk, man verdiente gut und hatte keinen schweren Posten geschnappt. An einem Abend--es war Sommer und Samstag--kam Johann in seinem Zimmer an, wusch sich, zog seinen Sonntagsanzug an und steckte Geld zu sich. Er bummelte erstmalig wie ein freier Mensch in aufgefrischter Stimmung durch die Strassen, besah sich das bunte Treiben, trank in verschiedenen Lokalen und als diese geschlossen wurden, trottete er, auf einmal merkwuerdig ueberwach und unruhig, die "Fleischgasse" auf und nieder. Diese Strasse hiess eigentlich "Fleuschgasse", getauft nach dem Namen eines verdienten Ehrenbuergers der Stadt, aber seitdem die Polizei verfuegt hatte, dass sich nur hier die professionellen Prostituierten auf und ab bewegen durften, hatten Volksmund und ueble Nachrede den harmlosen Namen "Fleusch" in den anzueglichen "Fleisch" umgewandelt. Johann Krill brauchte sich nicht sonderlich anzustrengen. Schon nach kurzer Zeit redete ihn eine suessliche Stimme an und besinnungslos folgte er. Zum erstenmal in seinem Leben fiel der junge Mann in eine vollkommene Verwirrung. Eine ganz fremde Luftschicht umschwelte ihn. Er wusste nicht mehr, ging oder schwebte er. Durch all seine Glieder flog und flammte es. Er sah alles doppelt, hoerte jedes Geraeusch wie aus weiter Ferne und wusste nicht, was es war. Wie ein Hitzklumpen fiel sein Koerper auf eine schwammige Teigmasse und ertrank darin. Es biss sich jemand fest an ihm. Es lachte. Langsam kehrte alles wieder zurueck, wurde deutlicher und war ein gruenliches Zimmer, ein Gesicht, das breit auseinandergeflossen vor ihm lag. Schliesslich, als er die Besinnung wieder hatte, verzog auch er das Gesicht zu einem Lachen, wollte reden, begann zu schlottern, schmiss seinen Kopf in ihre Brust und verschluckte das Weinen. Erquickt darueber presste ihn das Maedchen wild an ihre Brueste, nahm seinen zerwuehlten Kopf und hob ihn auf, zog ihn kosend immer wieder an ihren dicklippigen Mund und kuesste ihn unausgesetzt, dass er zuletzt gaenzlich machtlos mit sich geschehen liess und auf einmal weinerlich und wimmernd anfing, sein Leben zu erzaehlen. Stockend kamen ihm die Worte, so, als besinne er sich immer erst, bevor er sie ueber die Lippen lasse. Und beruhigt, fast ein wenig staunend sass das halbnackte Maedchen da und hoerte zu. Aber auf einmal stockte es wieder--und endete und wieder griffen seine Arme aus, er umspannte sie, riss und zerrte an ihr, dass sie aufkreischte. "Nimm alles! Tu alles!" murmelte er verhalten, als sie seine Geldboerseaus der Hose zog, draengte es ihr auf, dieses Geld, und beleckte ungeschlacht ihren ganzen Leib wie ein durstiger Hirsch. Und nicht nur das. Ploetzlich klang sein Gemurmel wieder weinerlich und in einem fort stoehnte er: "Du! Du! Ich hab dich so gern! Du--du! Ich moecht dich heiraten. Ich arbeit', ich mach' alles. Du hast es gut bei mir! Du! Du!" Anfaenglich schien es, als belustige sich das Maedchen ueber ihn. Sie zog ihn an den Haaren und kitzelte ihn lachend. Dann aber, als seine Wildheit immer mehr anschwoll und seine Zuege einen fast irren, duesteren Ausdruck annahmen, liess sie das Spielen. In ihren schlaffen Koerper stieg mit einem Male eine Waerme. Ueberwaeltigt, zuckend sank sie zurueck, ihn umfangend. Sie, ueber die vielleicht Hunderte hinweggegangen waren, umschlang diesen plumpen, ungeschlachten Menschen und kuesste ihn mit dem ganzen, hingegebenen Ernst echter Liebe.... In der Fruehe nach dieser wuesten Nacht rannte Johann in seinen Sonntagskleidern zur Fabrik, wankte wie betrunken durch das zufaellig offene Tor und erschrak derart, als ihn der Portier anrief und fragte, was er denn an einem Feiertag hier wolle, dass er sich wie ein ploetzlich ertappter Dieb umdrehte und wortlos davonjagte. Er lief durch die Strassen mit eingezogenem Kopf, ging wieder langsamer, setzte sich in irgendeine versteckte Nische und hielt seinen erhitzten Kopf fest. Immer wieder muendete er in die "Fleischgasse", wagte es aber nicht, hinaufzugehen zu seiner auf so eigentuemliche Weise gewonnenen Geliebten. Der Abend kam. Die Nacht fiel herab und er stellte sich an die Ecke, wo er sie getroffen hatte, wartete und wartete. Und es geschah etwas, was niemand gedacht haette, etwas, was ebenso unglaubwuerdig wie wunderlich klingt--: Anna kam nicht. Sie stand an keiner Ecke, war ueberhaupt nicht auf der ganzen Strasse zu sehen. Sie lag droben--so wie er sie verlassen hatte--im Bett, verstoert, zerbrochen und bekam erst wieder voelliges Leben, als er nach langem Kampf und mit vielen Finten zu ihr gelangt war. Aufgefrischt schwang sie sich aus ihrer Lagerstatt, streichelte ihn zaertlich und begehrend und sagte zuletzt mutterguetig: "Ja, dich moecht ich heiraten." Beide standen benommen voreinander, ein jedes zitterte und sagte nichts mehr.-- Seit dieser Zeit hasste man Johann in der Fabrik. Er verhielt sich wie voellig verstummt und hatte stetsein Gesicht, als wolle er die ganze Welt umbringen. Er arbeitete fuer drei. Und jeden Tag verliess er fast fluchtartig nach der Arbeit die Fabrik und kam zu Anna. Als es endlich ruchbar wurde, dass er sich verheiraten wolle und man es ihm sagte, ihn beglueckwuenschte und leichte Anzueglichkeiten machte, wurde er rot his hinter die Ohren und schlug verwirrt die Augen nieder. "Ja! Ja!" schrie er dann auf wie ein bruellendes, gereiztes Tier, dass die Fragenden halb veraergert und halb verbluefft "Oho!" herausstiessen und sich alle mit ihm verfeindeten. Alle wunderten sich, dass er gar keine Anstalten zur Hochzeit traf. Er hielt bei keinem seiner Arbeitskollegen um die Brautzeugenschaft an. Finster hockte er waehrend der Vesperzeit da und starrte dumm ins Leere. Niemand wusste, ob er um einen freien Tag zur Erledigung seiner Verehelichung gebeten hatte. Drei Tage vor seiner Hochzeit kam er nicht mehr und wurde entlassen, weil er auch kein Entschuldigungsschreiben schickte.-- II. Die ersten Wochen der Krillschen Ehe verliefen--wenn man so sagen darf--unterirdisch gluecklich. Mit Hilfe Bekannter fand Anna schon einige Tage vor ihrer Hochzeit eine annehmbare, freundliche Dreizimmerwohnung in einem anderen Viertel. Mit den Ersparnissen Johanns wurden Moebel auf Teilzahlung beschafft und zum Schluss hatte man, weiss Gott wie, noch Geld uebrig. Man sah das Paar nicht mehr in der alten Gegend. Ausserdem vermied es Johann auf der Strasse, Leuten, die er zu kennen glaubte, zu begegnen. Furchtsam wich er aus, machte grosse Bogen vor frueheren Bekannten, ja, scheute sogar nicht, ihrethalben grosse Umwege zu machen. Zu Hause erst, in der Verborgenheit der vier Waende, kam Beruhigung ueber ihn. Mit zufriedenem Gefuehl durchtappte er immer wieder die Raeume und bestaunte seine Habschaften und am Ende stand er stets mit verschwommenen Augen vor seinem staendig adrett gekleideten, beweglichen Weib. Vorerst dachten die beiden nicht ans Verdienen. Mit tausend Kleinigkeiten verzettelten sich die Tage. Es gab kein geregeltes Dahinleben mehr, keine bestimmte Mittagszeit, kein Weckerlaeuten in der frischen Fruehe, keine Muedigkeit am Abend. Die Nacht war kurz, laestig kurz und oft noch um zehn Uhr vormittags verduesterten die herabgezogenen Jalousien das dumpfige Schlafzimmer. Und man blieb liegen und liegen. Mit der bewussten Neugier, mit der wilden, noch einmal voellig auflodernden, durstigen Liebe erfahrener Frauen, ueber die das zu fruehe Altern schon ihre ersten Schatten geworfen, liebte Anna Johann. Jede ihrer Bewegungen, jedes Wort waren eine stumme, begehrende Aufforderung. Ihre Naehe benahm den Atem, zerruettete die eben gefassten Gedankengaenge. Wie eine warme, unsagbar wohltuende Gischtwelle ergoss sich ihre Atmosphaere unaufhoerlich ueber Johann. Er _war_ nicht mehr! Zerschmolzen, zerronnen liefen die Zungen seiner Brunst ohne Unterlass ueher das Meer ihres Koerpers. Die Zeit war weggeweht, alles schwirrte, rann, floh.-- Erst ganz langsam wieder festigte sich seine Gestalt, stueckweise beinahe. Und es schien, als seien es andere Teile, die sich nun vereinigten. Ein immer klarer werdendes Begreifen keimte auf, wuchs ohne Ueberstuerzung, vermittelte Halt und Festigkeit. Alle Scheu, alle Furcht und Unsicherheit wichen. Auf einmal war Johann Krill ein anderer. Jetzt erst kam ihm die Besinnung. Jetzt erst war er eigentlich verheiratet, hatte ein Fundament, besass Weib und Moebel und so weiter. Er erinnerte sich genau. Es war nirgends anders. Im Dorf nicht. In der Stadt nicht. Es war immer das gleiche. Der Bauer, bei dem er zuletzt auf dem Dorfe war, hatte drei Toechter. Ringsum standen groessere und kleinere Haeuser. "Dahinein gehoerst du, das ist was Handfestes," liess er einmal beim Abendessen fallen, der Bauer, und deutete dabei auf den maechtigen Grillhof hinueber. Und die aeltere Tochter sah ihn ohne Verblueffung an und sagte: "Der Grillhans braucht bloss kommen." Zur Erntezeit liess man die aeltere Tochter daheim und an einem Abend sagte sie: "Hat schon geschnappt!" Etliche Wochen spaeter gab es eine saftige Hochzeit. "Ein' schoene Sach', Hans, ein schoener Hof. Der ist so einen Brocken Weib wert," lachte der Bauer bei der Hochzeit und schaute seinem Schwiegersohn in die Augen. Und: "Ja--ja, hast mir's ja auch leicht gemacht," brummte der Grillhans bierselig. Dann kamen die beiden anderen Toechter an die Reihe. Bei der einen vollzog sich die Sache leicht, und bei der juengsten, die etwas hochnaesig war, ging es schwerer. "Herrgott, Rindvieh!--um so einen Hof ziert man sich doch nicht so! Besinn dich nicht so lang', sag' ich!" bruellte der Bauer sie an und als zufaellig an einem der darauffolgenden Abende der gewuenschte Werber kam, sagte er zu diesem: "Bleib nur beieinander mit der Zenz. Wir legen uns nieder." Und Bauer und Baeuerin gingen schlafen. "Ist's so weit?" fragte der Bauer beim Mittagessen andern Tags seine Tochter. Und diese sagte nickend: "Im Fruehjahr, meint er. Er will noch den Stall bauen lassen." "In Gottesnamen, die paar Monat' sind gleich vergangen. Meinetwegen!" brummte der Bauer und die Sache nahm ihren gewoehnlichen Verlauf. Im Fruehjahr gab es wieder eine breite Hochzeit.-- Es war also nirgends recht viel anders. Johann Krill war mit dieser Erkenntnis zufrieden. Das Neue, das Unerwartete, was ihn einmal in Brand und Aufruhr gesetzt hatte, war verloschen. Ohne Staunen stand er nunmehr auf dem Boden der Welt und achtete nichts mehr auf ihr. Kurzum, er wurde--gemuetlich. Kam eine angenehme Sache, war es gut, kam sie nicht, war es auch gut.-- An einem Nachmittag, als sie beim Kaffeetrinken in der Kueche sassen, sagte Anna: "Es wird Zeit, dass wir wieder um Verdienst schauen." Und Johann nickte stumm. Er begann wieder Stellung zu suchen. Umsichtig und resolut wie sie war, machte sich aber auch Anna auf die Suche und an einem Tag kam sie freudig an und sagte: "Die Rienken will mich fuers Buefett. Ich kann gleich anfangen, sagt sie. S'ist ein gutes Lokal.--Was meinst du?--Unser Geld ist weg und mit einer Stellung fuer dich wird's noch eine Zeitlang dauern. Jetzt kannst du auch mit aller Ruhe suchen." Das leuchtete ein. Johann nickte wieder. "Die Rienken? Wo ist denn das?" fragte er dann weiter. Anna begann von einer Bar "Tip-Top" zu erzaehlen. "In der Quergasse," berichtete sie geschaeftiger, "die Rienken kenn' ich schon lang. Ist eine nette Person. Es verkehren massenhaft Gaeste dort, nur bessere Leute. Nicht so allerhand, von Hinz bis Kunz. Lauter Stammgaeste... Na, was sag' ich--Fabrikbesitzer, Beamte und so Leute. Wer weiss, man kann ein gutes Geld machen, braucht sich nicht abzuschinden und kann schliesslich auch fuer dich was ausfindig machen,--wie meinst du?" Johann Krill glotzte stumpf in ihre Augen. "Na, so hoer doch, du--Patsch, hoer doch!--Und die Rienken ist eine gute Person, steht zu einem," redete Anna weiter und ruettelte ihren Mann schmeichelhaft, begann wieder ihr siegendes Lachen und kuesste ihn. "Das ist--also wieder--das Alte," sagte Johann endlich. Nachdenklich, schwerfaellig. "A--aber geh doch, Tolpatsch! Keine Rede davon! Wer sagt denn _davon_ was! Ich bin doch nur hinterm Buefett--nu ja, nu ja, wenn schon einer mal zu tappen anfaengt und mir ein Glaeschen bezahlt, Herrgott--das ist doch kein Weltuntergang," beruhigte ihn Anna und fuhr fort: "Sieh mal--Ware sind wir nun ein fuer allemal, ob so oder so--ob du in die Fabrik gehst oder ob ich--was anderes mache. Es kommt immer nur darauf an, dass wir uns die Sache moeglichst leicht machen, dass wir noch was wegschnappen fuer unseren Komfort!" Johann Krill hatte jetzt ein wenig klarere Augen. Es war etwas wie ein aufgegangenes Licht auf seinem Gesicht. Er nickte. "Stimmt schon," sagte er. "Also sag' ich der Rienken, dass ich komme?" fragte Anna. "Ich muss dann auch was suchen," gab Johann statt jeder Antwort zurueck. "Ach, du bist ja verdreht!--Ja freilich, freilich,--sofort denkt er, er muss nun wieder rackern von frueh bis spaet und fuer die Familie sorgen! Ach du, du!" lachte Anna und knuellte seinen Kopf in ihre Brust. Jeden Nachmittag um vier Uhr ging Anna nunmehr zur Bar "Tip-Top" der Sylvia Rienke. Spaet in der Nacht kam sie stets nach Hause, roch nach Zigaretten und Alkohol. Manchmal war sie auch leicht betrunken, brachte allerhand zu essen und zu trinken mit, und dann sassen die beiden Eheleute nicht selten his zum Morgengrauen in der besten Laune beisammen und liessen sich's gut gehen.-- In der letzten Zeit war Johann Krill etwas einsilbiger. Er sass meistens in Hemdsaermeln im Schlafzimmer und schien schwerfaellig immer ueber das gleiche nachzudenken.-- Ja, alles war ausgeloescht. Langweilig und trist vertropften die Stunden. Es war ungemuetlich. Wenn man den ganzen Tag in der Fabrik arbeitete, verging wenigstens die Zeit schneller. Aber Anna zerstreute ihn immer wieder. Wenn sie nachmittags weggegangen war, verliess auch er die Wohnung und lungerte entschlusslos in der Stadt herum oder setzte sich in irgendeine Kneipe. Und jetzt, da er sich alleingelassen sah, unterhielt er sich auch wieder mit seinesgleichen. "Maschinenschlosser?" fragte ihn eines Tages ein aelterer Arbeiter am Kneipentisch. "Ja," antwortete Krill. "Eventuell auch zum Maschinisten zu gebrauchen?" "Bei Schall und Weber war ich Maschinist." "Mensch, bei uns sucht man solche. Geh hin. Du kannst sofort anfangen," erzaehlte der Arbeiter und ueberpruefte Krill. Der nickte. Etliche Tage nachher schlief Johann schon, als Anna heimkam. Sein Gesicht war russig. Er schwitzte. Anna wollte ihn aufwecken, aber er drehte sich schlaefrig um und schnarchte weiter. Veraergert legte sie sich ins Bett. In der Fruehe, als ploetzlich der Wecker schrillte, schrak sie empor und sah erstaunt auf ihren Mann, der sich eben wusch. "Arbeitest du denn wieder?" fragte sie. "Ja." "Dumm!--Ich haette jetzt etwas fuer dich.--Ein schoener Posten," sagte sie und richtete sich vollends auf im Bett. Einige Augenblicke stummten sie einander an. "Der Fabrikmensch, der immer Schwedenpunsch schmeisst, hat mir's versprochen ... Lass doch das andere fahren, da verkommst du ja bloss," begann Anna wieder und wollte eben aus dem Bett springen. "Jetzt ist's schon wie's ist!" knurrte er und ging. III. Es gab Aergerlichkeiten bei Krills. Dadurch, dass nun auch Johann seiner Arbeit nachging, vernachlaessigte der Haushalt. Anna, die oft erst gegen zwei oder drei Uhr nach Hause kam, schlief bis tief in den Mittag hinein. Schliesslich meldeten sich die Wanzen. Man putzte, schrubbte, streute uebelriechende Pulver aus. Aber es half nichts. Es war unertraeglich zuletzt. "Das ist eine verschobene Sache, wenn du ins Geschaeft gehst und hier muss alles verkommen," sagte Johann zu Anna. "Fuer wen tu' ich's denn?--" erwiderte sie, "man braucht soviel und die Loehne sind zum Verhungern." Sie kam schliesslich auf alles zu sprechen. Dass man sich doch nicht umsonst von unten herausgewunden habe, dass man doch nicht zu den Naechstbesten gehoere und man muesse jetzt eine neue Wohnung haben. Was der Umzug schon koste! Alles klang wie ein zaghafter Vorwurf. "Warten haettest du sollen. Der Herr mit dem Schwedenpunsch ist so nett. Du koenntest da gut unterkommen." Eine Zeitlang ging es auf solche Weise hin und her. Johann war die ganze Rederei schon widerwaertig. "Was du doch alles erzaehlst! Sind wir denn weiss der Teufel was?!" sagte er endlich fester: "Mein Vater hat sein Leben lang gearbeitet. Meine Mutter stand noch mit siebzig Jahren frueh um vier Uhr auf--und wir, wir bilden uns auf einmal ein, etwas Besonderes zu sein!" Waehrend des Redens schon bekam sein Gesicht langsam eine bestimmtere Haltung. Schliesslich, als aller Spruch und Widerspruch allmaehlich erlahmte, einigte man sich aber doch, und Johann willigte beilaeufig ein, sich in der Fabrik des Herrn, der bei der Rienken jeden Abend Schwedenpunsch bezahle, vorzustellen. Mit jedem Tag wurde er nun auch missvergnuegter. Es gefiel ihm nicht mehr in seiner Fabrik. Er wurde muerrisch gegen jedermann und kam zuletzt ploetzlich nicht mehr. Nach einigen Tagen stellte er sich in dem anderen Betrieb vor. Er wurde merkwuerdig freundlich empfangen und ging besinnungslos darauf ein, Nachtschicht zu machen. Anna behandelte ihn zaertlicher als je, wenn er fruehmorgens ankam. Nicht lange darauf fand sie auch eine Wohnung im dritten Stock des Rienkeschen Hauses und alles machte einen gluecklichen Anlauf. Sie brachte jetzt immer mehr mit. Pasteten, kalte Huehnerschenkel, Blumen, Zigaretten, halbe Flaschen Wein, ja zuletzt sogar Stoffe, Halsketten, einen Ring. Sie war in der froehlichsten Laune jedesmal und erzaehlte von diesem und jenem Herrn, von den guten Gaesten bei Rienkes und konnte sich nicht genug tun, den Chef Johanns zu loben. "Und was ich dir sage--er ist ein Mensch, der das Leben kennt. Er ist fuer die Arbeiter. Er laesst leben neben sich," plauderte sie. Und Johann laechelte hoelzern und sah auf ihre Brueste, die schwammig und verbraucht nach unten sich sackten. "Ist fuer die Arbeiter--?" sagte er und sah sie dumm an. "Ist ein anstaendiger Mensch. Keiner von den Ausnuetzern, gar nicht so eingebildet und hochnaesig--und fidel, sag ich dir, fidel,--na ich danke, wenn der anfaengt. Man kann sich schief lachen," erwiderte Anna und lachte auf, als erinnere sie sich an etwas sehr Drolliges. "Und--der gibt dir--so--solche Sachen?" Annas Mund zuckte ein wenig. Sie schlug schnell die Augen nieder und fand das Wort nicht gleich. "Hmhm," brachte sie dann heraus und schluckte etwas hinunter, setzte rasch hinzu: "Und die Rienken ist so nett zu mir." "So," brummte Johann nur noch, "nu ja, es geht immer rundum." Dann legte er sich schlafen. Am Abend schluepfte er in seine Sonntagskleider und ging nicht in die Fabrik. Er durchwanderte etliche Male die Quergasse und trat dann in die "Tip-Top"-Bar. Es ging bereits fidel zu. Einige Herren in modischem Anzug sassen vorne am Buefett auf den hohen Stuehlen und saugten an den Strohhalmen, die in schlanken gefuellten Glaesern mit glitzerndem Eis staken. In der einen Ecke spielte ein Befrackter Klavier und ein hagerer Geiger begleitete ihn. In den Nischen, die mit kuenstlichem Efeu zu Laubengaengen hergerichtet waren, tuschelte es und hin und wieder zirpte ein schrilles Auflachen aus ihrem Dunkel. Eben wollte eine hochbusige duftende Bedienerin mit zuvorkommender Freundlichkeit auf Johann zueilen. Da auf einmal schrie es aus einer Nische: "Um Gotteswillen, Hans!" Und ein hurtiges Getrampel und Knarren wurde hoerbar. Johann wandte schnell den Kopf dahin und sah hinter einer dichten Weinflaschenparade das pralle, runde, kleinstirnige Gesicht seines Chefs, die Rienken und das totenblasse, entsetzte Gesicht seiner Frau. Die Koepfe der drei hingen auseinander wie schwere Dolden. Geradewegs ging Johann auf sie los und liess sich in einen der gepolsterten Stuehle an ihrem Tisch fallen. Eine peinliche Stille trat ein. Jeder hielt jetzt fassungslos den Atem an. Nur Johann schien sicher zu sein. "Ich bin nicht zur Schicht gegangen, Herr Hochvogel--ich hab' einen Hoellendurst, ich koennt' ein Meer aussaufen," sagte er ohne sichtliche Erregung und laechelte schnell. Das loeste eine Entspannung aus. Man atmete wieder und nahm langsam die gewoehnliche Haltung an. Der Fabrikherr schnitt ein malitioeses Gesicht. Er suchte sich zu fassen und griff zum Weinglas. "Heiss ist's hier," sagte Johann wieder. "Nicht zur Schicht? Aber Johann!?" brachte nunmehr Anna heraus. Die Rienken erhob sich und verliess den Tisch. "Das macht doch nichts, oder? Herr Hochvogel, macht das was aus?" fragte Johann den Fabrikherrn. "Na--wissen Sie, meinetwegen,--wir wollen einige gute Schoppen heben--ich kann's verstehen,--ich drueck' gern ein Auge zu--bei Ihnen, Herr Krill.--Sie sind mir gut--sie arbeiten zuverlaessig, da--da--da uebersieht man auch mal einen Seitensprung, Prost!" sprudelte der Fabrikherr verlegen. Die Worte flossen schnell, fast aengstlich aus ihm, so, als waeren sie wunderliche Ziegelsteine, mit denen man im Nu eine schuetzende Mauer um sich schliessen koennte. "Zu guetig," lispelte Anna bereits. Und Herr Hochvogel goss das Glas der Rienken voll und schob es behend dem Arbeiter hin: "Da, trinken Sie!" Die aergste Gefahr schien behoben zu sein. Man konnte es an den allmaehlich sich wieder aufheiternden Gesichtern sehen. Auch die Wirtin kam wieder an den Tisch und der Fabrikant bestellte in einem fort. Johann beachtete das Getue Hochvogels mit seiner Frau auch nicht weiter. Er trank in vollen Zuegen und wurde immer lustiger, lachte und machte hin und wieder einen dreisten Witz. Dadurch wurde auch Anna kuehner. Sie wich nicht von der Seite des Fabrikherrn und streichelte ihn ein paarmal kosend, warf belustigte Blicke zwischen den beiden Maennern hin und her. "Hab ich nicht gesagt, Hans, dass er ein netter Mensch ist?" sagte sie uebermuetig und lachte piepsend. "Ein netter Me--ensch! Ein sehr netter Mensch! Ein Goldmensch!" bruemmelte Johann schon etwas betrunken und summte weiter: "Verbringt das Geld so gemuetlich, so--so--so--" Er wankte bereits him und her und ruelpste ungeniert in den Tisch. Glaesern standen seine Augen. Die anderen kicherten. "Hat ihn schon maechtig," hoerte er Hochvogels Stimme. "Na, na! Herr Krill, na--!" rief die Rienken. Johann hob den schweren Kopf und glotzte auf das verschwommene Gemeng der drei, die im fahlen Lichtschimmer hinter den Weinflaschen sich hin und her drueckten. "Ein ne--etter Mensch,--eine richtige Qualle--e--iin dummes Vieh!--Ein geiler Orang--g--kutan, hahahaha--hat den Schwanz eingezogen, weil der Waerter gekommen ist, haha--a--a!--" Johann sank haltlos zurueck. "Das ist zu stark!" zischte Hochvogel. Der Tisch knarrte. Die Weinflaschen klirrten gegeneinander. Die zwei Frauen lispelten besaenftigend. Schnell, ueberschnell mengten sich ihre flehenden Worte ineinander. Ein Gezerre um den Aufgestandenen begann. Mit herabhaengenden Armen, halb eingeschlafen, zerfallen hing Johann auf dem Stuhl. "Er ist doch betrunken!" "Bitte, bitte,--er ist's doch nicht gewohnt!" "Er meint's doch nicht uebel, Herr Hochvogel!" "Bitte!--Hier, trinken Sie. Er schlaeft ja schon! Seh'n Sie, seh'n Sie!--Es passiert nie wieder. Ich sag's ihm morgen,--mein Wort, mein Ehrenwort!" alles zerfloss ineinander, bittend, winselnd, aufgeregt, aengstlich. Wie ein zischendes Gezirpe umsummte dieses Geplaetscher Johanns Kopf. Als giesse irgend jemand kaltes Wasser ueher ihn. "Haha! Hat's viellleicht gestoh--lllen und--und wirft's weg,--dadas Gellldt,--wei--weils brennt in der Tasche, haha,--das dumme Vieh, haha--das Arschloch!" grunzte der Betrunkene lallend und lachte ruckweise, immerfort, glucksend. Da wurde der Tisch weggestossen und stapfend hasteten Schritte vorbei. Wieder das Gezwitscher. Noch geschaeftiger. Dann fiel eine Tuer krachend zu. "Hans!" schrie Anna wuetend und riss ihren Mann an der Schulter. "Saustall!" stiess die Rienken heraus. Krill hob den Kopf und langte lahm nach Anna: "Haha--ha--es ist so wunderschoen auf der We--elt, haha--ha!" Sein ausgreifender Arm fiel wieder herab. Er sank in die alte Haltung zurueck. Duenner Speichel rann aus seinem Mundwinkel. Er schnaubte geraeuschvoll wie ein Pferd, das von der Kolik geplagt wird. Unter wuestem Gezeter und Gejammer verliess Anna mit ihm die Bar. Sie musste ihn buchstaeblich die Stiege hinaufschleppen. IV. Dieser unerquickliche Vorfall hatte schlimme Folgen. Am andern Tag, sehr frueh, schellte es. Krill schlief wie ein Sack. Anna schreckte auf und lief halb angekleidet an die Tuer. Der Ausgeher der Hochvogelschen Fabrik brachte die Papiere und den Lohn fuer Johann. In einem sehr kurzen, aergerlichen Brief stand, dass sich Krill nicht mehr sehen lassen sollte und entlassen sei. "Ja, ja--ist schon recht!" sagte Anna verwirrt und warf die Tuer zu. Ohne Johann zu wecken, kleidete sie sich an und ging in die Fabrik hinaus, um Hochvogel zu besaenftigen. Auf dem ganzen Wege ueberlegte sie sich die besten Worte und uebte sich in der Art, wie sie den Veraergerten wieder dazu bewegen wollte, dass er stillschweigend ueber das ueble Ereignis hinwegginge.-- Aber sie wurde nicht vorgelassen. Erbittert und erniedrigt trat sie den Heimweg an. "Da!--Das hast du gemacht mit deinen Dummheiten!" fuhr sie den inzwischen erwachten, auf dem Bettrand sitzenden Johann an und warf ihm das Schreiben Hochvogels him. Der blickte stumpfsinnig zu ihr auf und sagte kein Wort. Dies erregte sie nur noch mehr. Sie stampfte schimpfend aus dem Schlafzimmer und rannte zur Rienken hinunter. Die Wirtin empfing sie sehr kuehl. "Herr Hochvogel hat mich wissen lassen, dass er nicht mehr kommt. Ich kann Sie nicht mehr brauchen.--Das ist der Dank dafuer, dass ich mich so um Sie angenommen habe," schimpfte sie mit hochgehobenem Kopf. Anna versuchte auf alle moegliche Art, sie umzustimmen. Vergebens. "Und ueberhaupt--glauben Sie, ein solcher Mann wie Hochvogel laesst sich derartige Schmutzigkeiten ins Gesicht sagen! Passen Sie mal auf,--das hat noch ein gerichtliches Nachspiel. Und ich, was hab' ich von meiner Gutmuetigkeit?--Vor die Gerichte werde ich gezerrt. Mein Lokal verliert den guten Ruf--ich hab' den Schaden und sitz' in der Patsche,--werden Sie sehen, ob's nicht so kommt?--Sagen Sie es nur ihrem 'Kerl'--am liebsten ist's mir, ihr zieht aus. Basta!" zeterte die Bienken immer bestimmter. Auch Anna wurde allmaehlich aergerlich und schimpfte. "Geh'n Sie bloss aus meinem Lokal, Sie--Sie! So eine krieg' ich alle Tage!" fauchte die Wirtin wuetend, rannte zur Tuer und riss sie auf: "Geh'n Sie bloss aus meinem Lokal!" "Geh'n Sie!" schrie sie, dass ihr Kopf blau anlief: "Geh'n Sie! Sie--Sie Ludermensch!" Auch in Anna platzte die angesammelte Wut nun vollends. "Was sagen Sie da, was?! Sie Kupplerin, Sie dreckige!" schrie sie schriller noch. "Solang man sich hergibt, ist man gut, dann kann man gehen, Sie Dreckfetzen!" "Geh'n Sie! Geh'n Sie!" pfiff die Wirtin erstickt: "Hinaus da, hinaus!" Keifend verliess Anna das Lokal. Zitternd vor Erregung kam sie in ihrer Wohnung an. "Es ist Schluss mit allem! Ich mag nicht mehr!" stoehnte sie erschoepft und sank in einen Kuechenstuhl. Unter stossweisem Weinen und Vorwuerfen erzaehlte sie Johann ihr Missgeschick. Der hatte den Kopf unter dem Hahn der Wasserleitung und liess immerfort den kalten Strahl ueher ihn herabrinnen. Er drehte sich nicht um. Nicht im mindesten liess er sich stoeren. Annas Geduld riss voellig. Sie begann wuest zu schimpfen. "Und du!--Du lungerst da heroben herum und laesst mich die Fuesse ausrennen! Ich kann mich mit den Leuten herumschlagen und die Suppe ausfressen, die du eingebrockt hast!" bellte sie ihn an. "Du! Du Lump!" Er drehte sich endlich um. Kein Wort kam aus ihm. "So rede doch, Stock!" schrie sie, "was willst du denn jetzt machen? Ich kann nichts mehr tun! Ich bin kaputt!" Er schwieg immer noch. Da stand er, tatsaechlich wie ein Stock. Sie zerbrach an seiner Gleichgueltigkeit und fiel in ein heftiges Weinen. Es schuettelte sie gerade so. Johann sah ohne Niedergeschlagenheit auf ihre zusammengekauerte, zuckende Gestalt nieder. "Was ich tun will?" sagte er endlich leichthin, als sei gar nichts vorgefallen,--"der wird mich schon nicht gleich herauswerfen. Ich gehe einfach heute wieder zur Schicht und fertig. Und die Rienken--die wird schon wieder aufhoeren mit ihrem Geschimpfe, wenn sie mued ist." Anna blickte auf einmal auf zu ihm. "Ist doch ein netter Kerl, dieser Hochvogel. Mit dem laesst sich doch reden," brummte er. Der arglose Ernst, die Selbstverstaendlichkeit dieser Worte bezwangen. Tatsaechlich wurde sie vollkommen ruhig und glaubte zuletzt wirklich, dass dies der einzig glueckliche Weg sei, mit einem Schlag alles Missliche beheben wuerde. "Herrgott, ich bin ja auch so dumm! Ich lass mich von jedem ins Bockshorn jagen," schalt sie sich selbst, wischte sich schnell die Traenen ab und stellte Kaffeewasser auf. Ganz munter wurde sie wieder. Als sie dann wieder am Tisch sassen, begann sie ueber die Rienken zu schimpfen und ueber Hochvogel und erzaehlte im Laufe des Gespraechs alles moegliche von den beiden. "Es war ganz richtig, dass du ihm mal heimgeleuchtet hast," sagte sie, "die ganze Sippschaft glaubt immer, sie koennte Schindluder mit einem treiben!--Was hat er mir nicht alles angetragen, wenn ich mit ihm schlafen wuerde! Und wie hat die Rienken gekuppelt und jetzt--jetzt spielt sie sich auf, diese Sau, diese alte!" Sie blickte immer wieder wie verlegen zu Johann herueber, wurde aber, da er vollkommen ruhig war, immer weitschweifiger und erzaehlte mehr und immer mehr. Sein Gleichmut quaelte sie. Sie berichtete dreister, anzueglicher. "Er hat das Geld gerade so weggeworfen. Die Bluse hat er mir aufgerissen, einmal. Er hat immer seine Hand unter meinem Rock gehabt, der Drecksack! Von den Hosen hat er einmal ein halbes Dutzend dahergebracht und wollte, dass ich's vor ihm anziehen soll--und die Bienken half mit und verschwand immer, wenn er anfing," sagte sie und fuhr fort: "Einmal wollt' ich ihn schon heraufnehmen in der Fruehe und abwarten, bis du von der Fabrik kaemst." Johann verzog keine Miene. "Jaja--das Loch und das Geld," brummte er beilaeufig. "Es geht immer rundum." Ihre Haende bewegten sich in einem fort. Nervoes zerrieb sie die Brotkrumen mit den Fingern. Sie erzaehlte nichts mehr. Sie schwieg. Als er fortgegangen war, fiel ihr Kopf auf den Tisch und ein wuestes Schluchzen brach aus ihr.-- Johann kam ohne Hindernis durch die Fabrikpforte. Im Umkleideraum trafen ihn bereits befremdende Gesichter. Keiner sprach ihn mehr an und als er in den Maschinenraum hinuntersteigen wollte, kam der Schichtmeister rasch auf ihn zu und rief: "Sie sind doch entlassen, was wollen Sie denn noch hier?" Einige Arbeiter blieben mit verwunderten Mienen stehen. Das ruettelte ihn aus der Fassung. Er sah beklommen auf den Schichtmeister, auf die Arbeiter und hilflos im Raum herum. "Sie sind nun einmal bestimmt entlassen, das weiss ich," rief der Schichtmeister resoluter, "ich kann gar nicht verstehen, dass Sie der Pfoertner hereingelassen hat, der hat es doch gewusst! Hat er Sie denn nicht darauf aufmerksam gemacht?" Johann schuettelte stumm den Kopf, blieb beharrlich stehen, dumm und kindisch. Die beiden anderen Arbeiter trotteten weiter. Der Schichtmeister holte den Portier. Zeternd redete er auf denselben ein, als er mit ihm ankam. "Wie konnten Sie denn den Mann hereinlassen. Der Chef hat's doch ausdruecklich gesagt, dass er entlassen ist," bellte er. Der Portier sah veraergert auf Johann und sagte ebenfalls: "Jaja, ich hab' Sie nur nicht gesehen. Sie sind entlassen. Sie haben hier nichts mehr zu suchen." Johann knickte zusammen. "Ja--ja, nu ja, dann muss ich gehn," stotterte er endlich heraus, ging in den Ankleideraum und entfernte sich. Niedergedrueckt, fast beschaemt trat er durch das grosse Fabrikportal ins Freie. Zermuerbt kam er zu Hause an. "Ja," sagte er tonlos zu Anna, "man hat mich rausgesetzt!" "Da hast du es nun!" stiess diese heraus, "Trottel!" Die Vorwuerfe begannen von neuem. "Ich muss mich eben wieder um was anderes umsehn," brummte er aergerlich. "Und ich?! Wenn die Rienken uns hinaussetzt, was ist dann! Glaubst du, ich hab' mir umsonst meine Fuesse ausgerannt, dass wir ein wenig anstaendiger leben konnten! Du keine Arbeit, kein Geld, ich nichts zu tun--ich danke!" belferte sie. "Nu ja, in Gottesnamen, es wird schon wieder werden!" schloss er und legte sich zu Bett. Machtlos stand Anna vor diesem Stumpfsinn. Vor Verbitterung zitterte sie am ganzen Koerper und faustete in einem fort die Haende. "Herrgott, es ist ja zum Davonlaufen!" schrie sie auf einmal: "Meinetwegen--ich geh!" Sie schmiss heftig die Tuer zu. "Dummes Frauenzimmer!" Er stieg aus dem Bett, rief ihr nach, aber es antwortete niemand mehr. Wegen solcher Dummheiten war man ploetzlich aus der Ordnung gerissen.--Er schloss die Tuer wieder. Der Nachtschlaf war auch zum Teufel.-- Er kleidete sich schliesslich an und ging sie suchen. Ohne nachzudenken, wanderte er zur Fleischgasse und fand sie auch dort. Bereits stand ein Herr in einem hellen Regenmantel vor ihr und lispelte. Johann trat an die beiden heran und riss Anna weg: "Unsinn! Komm!" "Ich mag nicht!" knirschte sie eigensinnig und wollte sich losmachen. Der Herr im Regenmantel ergriff ihre Partei und begann zu bruellen. Er schwang schon den Stock und wollte auf Johann einbauen. Da kam ein Schutzmann eiligen Schrittes angeflitzt, notierte den Namen des Herrn und nahm die beiden mit auf die Wache. Alles Gejammer Annas half nichts. Das Erklaeren Johanns war vergebens. Sie mussten mit. Haesslich, wie das Missgeschick die Menschen gemein macht! Auf dem ganzen Weg ueberschuettete Anna Johann mit den wuestesten Schimpfworten und schliesslich riss auch diesem die Geduld. "Halt das Maul, dummes Vieh, dummes!" fluchte er, "hilft ja doch nichts! Was laeufst du denn davon, so mitten in der Nacht! Jetzt hast du es." "Vorwaerts! Marsch-marsch!" knurrte der Schutzmann immer wieder. V. Der Vorfall in der Fleischgasse hatte zur Folge, dass man Johann wegen Zuhaelterei in Untersuchung behielt. Ein Verfahren wurde gegen ihn eingeleitet. Anna entliess man nach ungefaehr zehn Tagen. Sie wurde polizeiaerztlich untersucht und erhielt die uebliche Erlaubniskarte der Prostituierten wieder. Als sie zu Hause ankam, war sie nicht wenig erstaunt. Die Rienken, nun einmal rabiat geworden, hatte die Gelegenheit benuetzt und pfaenden lassen. Waehrend der Haftzeit naemlich war der Monatserste gekommen, der Dritte, der Fuenfte und der Siebente. So waren wenigstens die ziemlich eindeutigen Briefe der Bar- und Hausbesitzerin, die im Kasten steckten, datiert. Man sah es den schiefen, gekratzt-hingeflitzten Buchstaben der Schrift foermlich an, dass Sylvia Rienke das Warten auf den Mietszins satt hatte, das Warten und diese Mieter. "Diese, wo Kerle haben, die mir meine Gaeste verjagen, koennen bei mir ziehen," hiess es endlich im Kuendigungsbrief vom Achten. Und Recht behielt sie, die wackere Wirtin. Anna musste ziehen. Sie verkaufte, was uebriggeblieben war, und bezog ein Zimmer in der Naehe der Fleischgasse. Die drohend gereckten Faeuste, die sie am Tage ihres Abzuges, plaerrend und keifend, mit weissem Schaum vor dem Munde, der Rienken entgegenhielt, und das haemische, restlos rachsuechtige: "Das streich ich dir noch an, Mistvettel!" waren ein Anfang fuer ihr weiteres Verhalten. Jetzt gab es fast jeden Tag kleinere oder groessere Unannehmlichkeiten in der Bar "Tip-Top". Anna hetzte Polizei und von ihr bestochene skandalsuechtige Gaeste in das Lokal. In der ganzen Fleischgasse war sie jetzt die Fleissigste. Mit einem Eifer, ja, mit einer geradezu fanatischen Selbstvergessenheit, wie man sie nur bei Verzweifelten oder Bohrend-Hassenden findet, verbiss sie sich ins Verdienen. "Die?! Hm, die schleppt auf Rekord," liess sich nicht selten eine andere Prostituierte vernehmen, wenn die Rede auf Anna kam. Und es stimmte.-- Das Merkwuerdigste aber war, dass sie nunmehr alle Hebel in Bewegung setzte, um Johann frei zu bekommen. Sie warf das Geld weg an Rechtsanwaelte, verfasste eine Eingabe um die andere, bestuermte die Instanzen, rannte von Pontius zu Pilatus, ja, sie fasste zu guter Letzt sogar dem romantischen Plan, ihn mit Hilfe einiger Maenner zu befreien, die ihr das Blaue vom Himmel herunterzuholen versprachen, ihr Geld und wieder Geld abnahmen und eines Tages verschwanden. Und Johann? Er lag den ganzen Tag auf der Pritsche, wurde sogar dick von dem Essen, das sie ihm schickte, und war stets ruhig und trocken, wenn sie ihn besuchen durfte. Als sie ihm von dem Auszug aus dem Rienkeschen Hause erzaehlte, hoerte er stumm zu--dann, nach einer Weile, laechelte er und sagte: "Hml Hm,--war doch schoen an dem Abend mit Hochvogel, hmhamhm!" Er fand nichts Schlimmes daran, dass Anna manchmal klagte. "Es ist--man muesste so was aufmachen, wie die Rienken hat," sagte er ein andermal wie aus einem dumpfen Gedankenkreis heraus. Und wieder einmal, als Anna jammerte, dass alles Essen so teuer waere, liess er so etwas fallen wie: "Nuja, die Bauern machen sich jetzt gesund. Hm, die Bauern und die, die was fuer'n Magen verkaufen--" Man sagt, der Weise ueberwindet und kommt zur vollkommenen Ruhe. Es gibt Menschen, die ohne Empfindungsvermoegen geboren werden. Und es sind welche, die, wenn die Schmerzen und Erschuetterungen ihre Seele in zu rascher Aufeinanderfolge zermuerben, zuletzt in eine voellige Stumpfheit muenden. Zu diesen gehoerte Johann Krill. "Es war doch schoen an dem Abend mit Hochvogel--so gemuetlich!" und "So was wie die Rienken hat, muesst' man aufmachen." Das war er!-- Mittlerweile kam der Termin zur Verhandlung gegen ihn. Anna hetzte noch mehr herum. Sie schlief nicht mehr, sie vergass das Essen. Im Gerichtssaal hustete sie die ganze Zeit. Unstet liefen die Pupillen ihrer Augen von einem Winkel zum anderen. Auch die Rienken war als Zeuge geladen. Dummerweise war einer von den letzten Anwaelten, die Anna genommen hatte, darauf gekommen, sie zu laden. Sie trug ein schwarzes Seidenkleid, dessen schweres Spitzengewirr vom speckigen Nacken kraus herabrann ueher den hochgeschnuerten, ueberquellenden Busen. Ein blutrotes Granatkollier prangte patzig auf der gelben, welken Haut ihres Halses, dessen blaue Aederung nur schlecht vom dick aufgetragenen Puder verwischt war. Ihre Froschhaende waren beteuernd auf den Magen gepresst und spielten manchmal mit dem Schildpatt-Lorgnon, das an einer breiten goldenen Kette herabhing. "Ich bin gleich fertig mit meinen Aussagen, Herr Amtsrichter, ich hab' ein Geschaeft und viel im Kopf," begann sie, als sie aufgerufen wurde. "Die?!--Gott sei Dank, ich hab' immer anstaendige Bedienerinnen gehabt," fuhr sie fort, ueher Anna befragt, und warf einen seitlichen, herablassenden Blick auf diese, "aber nun, man tappt auch einmal herein.--Ich hab' es mir aber--glauben Sie es mir, Herr Amtsrichter, ich bin fuenfzehn Jahre auf dem gleichen Platz und weiss, was der Ruf fuer ein Geschaeft ausmacht--ich hab' es mir geschworen: Rienken, sagt' ich mir, Rienken--von der Fleischgasse nimmst du keine mehr, nicht um die Welt!" Sie kam immer mehr in Zug. "Vettel!" schrie Anna schrill und wurde verwarnt. Die Rienken drehte sich schnell um und dann wieder zum Richter. "Man soll sich nicht aergern, Herr Amtsrichter?" Und sie schnitt eine weinerliche Miene: "Wie hab' ich den Leuten geholfen und was hab' ich davon!--Es ist bloss gut, dass ich meinen Kopf nie verlier', es ist ja bloss gut, dass ich mich nie auf die gleiche Stufe stelle mit--mit--so was." Und endlich zur Sache gerufen, erzaehlte sie weitschweifig, dass Johann die Stellung bei diesem Fabrikherrn nicht umsonst angenommen habe. "Und Nachtschicht--er wird schon gewusst haben, warum. Man kennt solche--Nachtschichten!" Und Herr Hochvogel?... Sie geriet etwas in Verwirrung. Nun, der habe bald klar gesehen, ein solcher Herr liesse sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen. "Der muss her! Der muss Zeuge machen!" schrie Anna, und ihr Rechtsanwalt brachte es auch fertig. Nun wurde es aber noch unguenstiger. Obwohl dem Fabrikanten die ganze Sache aeusserst unangenehm war, obwohl er sich ausserordentlich zurueckhielt und nichts gegen Johann eigentlich vorbringen konnte, als eben jenen ueblen Vorfall in der Rienkeschen Bar--es machte alles einen schlechten, sehr schlechten Eindruck --Johann Krill wurde verurteilt. Anna bekam einen minutenlangen Schreikrampf. Sie stuerzte vor und wollte auf die Rienken los. Es mussten sie Schutzleute mit Gewalt wegbringen. Johann, der ohne Erregung den Auftritten zusah, nahm alles mit Ruhe hin. Er laechelte fast verlegen, als ihn die Richter am Schluss fragten, ob er noch etwas zu sagen wuensche. "Dumm," brummte er und kratzte sich hinter dem rechten Ohr, "dumm, Herr Richter, man tappt eben hinein und--und dann passiert allerhand." Die steinernen Amtsmienen wussten einen Augenblick lang wirklich nicht, sollten sie lachen oder einige beruhigende Worte des Mitleids aus ihren Lippen lassen. Damit war es zu Ende. Anna konnte Johann nun nicht mehr besuchen. Die beiden waren auseinander.--In ihrer Wut schlug Anna einige Tage spaeter die zwei grossen Fensterscheiben der Rienkeschen Bar ein und konnte mit Muehe nur ueberwaeltigt werden. Das Beil wurde ihr abgenommen und der herbeigerufene Schutzmann nahm sie mit. Und wieder gab es einen Prozess. Wegen Bedrohung und Sachbeschaedigung wurde Anna Krill zu zwei Monaten Gefaengnis verurteilt. Hier bricht der Faden ab. Es ist nichts mehr zu berichten. Eine Million ist viel--eine Milliarde ist mehr.--Johann Krill ist Legion. Vielleicht arbeitet Johann Krill wieder irgendwo oder er trinkt, oder er hat den Halt verloren und sitzt weiter in Gefaengnissen. Anna--Sie wird eines Tages krank sein, wieder gesunden, wieder krank werden und so fort.... Das einzige, was bestehen bleibt, solange wie diese Gesellschaft, ist--die Rienken! Wie lange noch?! *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, ZUR FREUNDLICHEN ERINNERUNG *** This file should be named 7zfre10.txt or 7zfre10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7zfre11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7zfre10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. 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